Während Felix Baumgartner sich als Falscher Astronaut aus der Stratossphäre zurückfallen ließ, diskutierte Spielverlagerung den zurückfallenden Stürmer.
Am gestrigen Abend gesellten sich drei unserer Autoren zum Talk über das SV Thema der Woche*. Moderator TE ließ sich vom freien Fall ein wenig von seinen Aufgaben ablenken, weshalb RM und MR in ihrer Diskussion im freien Messi-Stil sehr weitläufig durch die verschiedenen Themenfelder drifteten. Nach allgemeinen Gedanken zur falschen Neun gingen wir zu mannschaftsspezifischen Überlegungen über. Über die die deutsche Nationalmannschaft kamen wir abschließend noch zu einer möglichen „nächsten Stufe“ der Angreifer-Flexibilität.
*Eine Woche geht bei uns übrigens immer von Dienstag bis Dienstag, schließlich kann der Liga-Spieltag bei Fußballanalysten nicht das Wochenende darstellen.
Barcelonas 3-1-3-3 wurde im Spiel gegen Celta Vigo aus der Kiste geholt, allerdings mit ein paar Anpassungen. In diesem theoretischen Artikel diskutieren wir die Vor- und Nachteile dieses Systems.
Die Schlüsselfigur
Die Grundlage dieses Systems ist neben der Klasse der Katalanen und ihrem exorbitanten Ballfokus ein besonderer Spieler: Sergio Busquets. Für viele unterschätzt, für manche überbewertet und für mich der wichtigste Spieler in dieser besonderen Anordnung des FC Barcelona.
Barcelona im 3-1-4-2/3-1-3-3 beim Auswärtssieg gegen Real Madrid
Vermutlich könnte kein anderer Fußballer dieser Welt seine Rolle bekleiden, denn er gibt dem Spiel Balance, sichert die Offensive ab, fügt sich in die Defensive ein und bestimmt indirekt durch seine Präsenz die Angriffszonen seiner Mannschaft. Eine Mammutaufgabe, deren Komplexität kaum nachzuvollziehen ist.
Busquets spielte diese Rolle dann so, dass er nominell vor der Abwehr begann, aber je nach der kollektiven Bewegung seine Position veränderte. Er holte sich einige Bälle weit vorne, wenn er die Chancen auf einen Ballgewinn als sicher ansah, ansonsten kümmerte er sich um die Defensivkompaktheit.
Dies bedeutete, dass er etwaiges Aufrücken der Abwehrspieler absicherte oder sich in Schnittstellen bewegte, wodurch eine Viererkette entstand. Einige Male, als es das gegnerische Angriffstempo erforderte, wich er sogar auf die Position des Außenverteidigers aus, was bedeutete, dass Jordi Alba, Adriano oder Dani Alves als Innenverteidiger agierten.
Aufrückende Hybridverteidiger
Sowohl Alba als auch Adriano hatten ohnehin keine klassischen Rollen – weder ihre eigenen als (offensivorientierte) Außenverteidiger noch die üblichen Innenverteidigerpositionen. Während Javier Mascherano in der Mitte postiert war, schoben sie das Spiel in die Breite und bei Versperrung der Passwege auch in die Höhe.
Mit Busquets sowie den zwei ballfernen Verteidigern konnten diese Ausflüge auch abgesichert werden, womit Tito Vilanova ein stabileres Fundament für sein taktisches Mittel der aufrückenden Innenverteidiger hat. Dadurch können mannorientierte Pressingsysteme, wie es beispielsweise gegen Marcelo Bielsas Bilbao geschah, auseinandergenommen werden. Entweder man lässt den Innenverteidiger und somit auch den Ball enorm weit nach vorne oder man weicht von seinem Mann, um den Ballführenden zu attackieren.
Dadurch wird allerdings natürlich einer der Akteure frei, was von Barcelona prompt genutzt werden würde. Deshalb ist Vilanova der sporadisch aufrückende Innenverteidger auch wichtig, weil man ohne größere Systemumstellungen sofort auf unterschiedliche gegnerische Raumdeckungen reagieren kann. Mit einer Dreierkette kann man dies mit einer passenden Breite im ersten Drittel sowie einem zentralen Akteur und daraus resultierenden Vorstößen über die gesamte Platzhorizontale verbinden.
Doch im 3-1-3-3 ist nicht nur die Rolle der „Verteidiger“ eine andere, sondern auch die Spielerverteilung im Mittelfeld verändert sich.
Erhöhung der Kombinationsspieler
Noch vor wenigen Jahren spielte Barcelona im klassischen 4-3-3-System mit einem tieferen Linksverteidiger, zwei gleichberechtigten Achtern, Yaya Touré auf der Sechs und ohne tiefe spielmachende Neun. Stück für Stück wurde diese Anordnung und positionelle Interpretation verändert, was zu höherem Ballbesitz führte.
Sie installierten Sergio Busquets als Ballzirkulator und Stabilisator, Lionel Messi als tiefe spielmachende Neun, Andrés Iniesta wurde zum Nadelspieler und der Linksverteidiger Eric Abidal schaltete sich stärker in die Offensive mit ein. Somit hatten sie statt Alves, Pique, Xavi, Iniesta, Messi und Henry (erste Saison) zwei Kombinationsspieler mehr, wobei zwei weitere eine passendere Rolle erhielten.
Mit dem 3-1-3-3 wird ein ähnlicher Weg gegangen. Im Prinzip ist dies eine andere Herangehensweise an das gleiche Ziel, wie es schon mit der Aufstellung gegen Santos ohne wirklichen Verteidiger probiert wurde. Auch gegen Celta gab es mit Adriano / Alves, Mascherano und Alba als Abwehrspieler keinen einzigen gelernten Innenverteidiger, ein Zeugnis der totalen Fußballphilosophie Guardiolas und Vilanovas. Es gibt schlicht keine positionelle Bindung oder grundlegende Anordnung, sondern eine Aufstellung nach passenden Spielertypen, nach Rollenverteilungen und Positionsinterpretationen.
Im Endeffekt können sie durch Cesc Fabregas und Lionel Messi je nach Situation mit variierenden Zehnern, Neunern oder den jeweils „falschen“ Ausführungen davon agieren. Sie besitzen viele Akteure, die sowohl horizontal als auch vertikal spielen können (Xavi, Iniesta), zwei vertikale und durchschlagskräftige Akteure in der Spitze (Fabregas, Messi), einen enorm horizontalen Stabilisator (Busquets) und unterschiedliche Rollenspieler auf den Außen zwecks Breite, Torgefahr und Raumöffnung. Dadurch gibt es aber nicht nur Vorteile.
Überfluidität
Bereits unter Guardiola begannen die Positionen zu verschwimmen. Dabei wichen sie von der niederländischen Flexibilität im totalen Fußball, welche insbesondere von Louis van Gaal im Sinne des Positionsspiels in den Neunzigern wiederbelebt wurde, und gingen in eine fluide Anordnung des Mittelfelds über, welche sich vertikal fortsetzte. Das heißt, dass Xavi, Iniesta und Messi sich frei bewegten, wobei Messi und Iniesta in die Halbräume gingen.
Diese Fluidität griff auch auf andere Spieler über, welche sich situativ enorm frei bewegten, beispielsweise Alves‘ diagonale Läufe in den Strafraum oder Sanchez‘ Horizontalläufe und Tiefensprints. Ohne ein 4-3 oder 3-3-Pressinggerüst war aber das Angriffspressing in ruhenden Situationen nicht mehr zu spielen, die Rückkehr auf die Positionen hätte aufgrund des Konterfokus der Gegner unter Umständen zu lange gedauert.
Es war in dieser Übergangsphase zur kontrollierten Fluidität, dass Barcelona ihr Gegenpressing intensivierte und erhöhte. Dabei wurden die kurzen Verbindungen zwischen den Akteuren, weswegen lange und/oder riskante Bälle verpönt waren, genutzt, um möglichst schnell den Gegner im Vorwärtsgang zu behindern.
ein Mann mehr in der Mitte – oder doch lieber doppelt besetzte Außenbahnen?
Problematisch wird es aber, wenn die Fluidität zu groß wird und der Gegner bei seinen Befreiungsschlägen auch unter Bedrängung Räume ansteuern kann. Dies entsteht, wenn die Spieler zu eng zueinander und zu zahlreich in bestimmten Zonen sind, wodurch auch ein ungenauer Pass zu einem Mitspieler gehen kann.
Darum entscheiden sich auch zahlreiche sehr unterlegene Teams zu einer ultradefensiven Spielweise – sie zwingen Barcelona nicht nur zu enormen Aufrücken, sondern auch zu vielen balancezerstörenden Überladungsbewegungen im Kollektiv. Diese öffnen Löcher öffnen, welche selbst Busquets nicht durchgehend zu stopfen vermag.
Bei diesem 3-1-3-3 hat Barcelona zwar einen Verteidiger mehr, doch es ist immer eine Lösung an der Kippe: rücken sie mit auf, öffnen sich wieder Löcher; bleiben sie tief, verliert man einen Mann in der Mitte oder offenbart große Räume wegen mangelnder Defensivkompaktheit.
Mangelnde Breite im zweiten Drittel?
Ein weiterer Punkt ist die Herstellung von Breite im Mittelfeld, wo der Gegner das Spielfeld theoretisch sehr eng machen könnte. Mit einer fluiden Dreifachsechs könnten hier Räume zugestellt werden und die Pässe auf die Seiten dienen nicht mehr als Befreiung aus der kompakten Mitte. Allerdings wird dies von zahlreichen Mannschaften, welche oftmals im 4-4-1-1 auftreten, nur selten genutzt.
Desweiteren haben sie einen zentralen Spieler mehr, der dann situativ Breite herstellen kann. Insbesondere Iniesta und Messi können dies auf ihre ganz eigene Art und Weise hervorragend machen, wodurch das Aufbauspiel auch stärker über die Halbräume kommt, wo die zwei Nadelspieler ausweichen. Orientiert sich der Gegner theoretisch in einem engen 4-3-3 mit Manndeckungen auf die Abwehrspieler, dann können Iniesta und Messi über die Außen das Spiel instruieren und gefährlich zwischen die Linien kommen.
Kombinationszwang?
Ein weiterer positiver Punkt ist auch, dass durch drei fixe Abwehrspieler die letzte Kette enger steht, aber dank Busquets verbreitert werden kann. Bei Kontern kann der Gegner somit nicht mehr „hinter“ die Außenverteidiger kommen, weil es schlicht keine gibt. Stattdessen können sie aus einer engeren und tieferen Stellung mit besserem Timing auf die Außen ziehen, wodurch sie immer vier Mann hinten haben.
Dadurch können Vorstöße nicht sofort per Sprint und losem Raumpass hinter die Abwehr gefährlich werden, sondern müssen eine weitere Anspielstation für einen Doppelpass oder ein riskantes Dribbling bedienen. In dieser Zeit können die Barcelona-Spieler aus dem Raum zwischen den Linien zurückkommen und gar rückwärtspressen, während der Gegner aus seiner tiefen Position erst einmal aufrücken muss.
Problematisch ist dabei, dass Barcelona durch die offensive Ausrichtung der Mittelfeldspieler und das situative Zurückfallen Busquets‘ Räume zwischen den Linien öffnet. Dadurch wird obiger Punkt teilweise relativiert, wenn der Gegner hervorragend umschaltet. Kommt noch der Faktor Überfluidität zum Tragen, wird aus dem Kombinationszwang für den Gegner kein Nachteil, sondern ein Vorteil wegen eines erzwungenen zusätzlichen Mitspielers in der Offensive.
Fazit
Ein System, wie jedes andere? Es besitzt Stärken und Schwächen, doch aufgrund der zahlreichen interessanten Spielertypen ist es auch ein einmaliges System, welches seine Schwächen (bspw. die mangelnde Breite im Aufbauspiel) durch die katalanischen Spieler in der Zentrale kaschiert. Gleichzeitig wirft es für die Mannschaft einige weitere Fragestellungen auf, unter anderem an die Abstimmung der Abwehrspieler und Busquets’ Limit in der Spielintelligenz. Gegen tiefstehende Mannschaften könnte es aber durchaus noch ein paar Mal zum Einsatz kommen, insbesondere bei Genesung der verletzten Defensivakteure. Und wer weiß, vielleicht ändert Vilanova für Mourinho ebenfalls wieder die Frage … Image may be NSFW. Clik here to view.
Ein kurzer allgemein-taktiktheoretischer Abriss, der sich mit den Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen Absicherungsarten für einen aufrückenden Außenverteidiger im Positionsspiel beschäftigt.
Absicherung durch zentral abkippenden Sechser, Dreierreihe und Innenverteidiger
Die erste Möglichkeit ist das Erzeugen einer Dreierreihe mithilfe eines Sechsers, der sich zentral abkippen lässt. Man steht somit in einer Dreierreihe gut abgesichert da, der Innenverteidiger kann als im Normalfall defensivstärkster Akteur direkt hinter dem Außenverteidiger absichern und somit maximal effektiv verteidigen.
Der Außenverteidiger kann dem Innenverteidiger den Ball zurückspielen und dieser hat als (oftmals sehr spielstarke) Anspielstation den zurückfallenden Sechser, der das Spiel drehen oder anderweitig strategisch arbeiten kann. In dem in der Grafik geschilderten Szenario kippt der ballferne Sechser ab. Dadurch hat der Außenverteidiger ein Dreieck mit dem eingerückten Außenstürmer und dem ballnahen Sechser. Dies kann situativ der „Zehner“ in diesem hypothetischen 4-2-3-1 noch erweitern.
Eine solche Spielweise, nur oftmals ohne Mittelstürmer, mit einer anderen Formation und dafür mit breiterem ballfernen Außenstürmer wird oft vom FC Barcelona gespielt.
In dieser Ausrichtung befindet sich der offene Raum für Konter auf der anderen Seite, wo eventuell der Außenverteidiger noch Zugriff erhalten könnte oder das Gegenpressing auf dieser Seite ausreichend stark ist, um Seitenwechsel zu vermeiden. Alternativ kann der Außenverteidiger nicht die Breite geben, sondern ins Mittelfeld gehen und dort eine zusätzliche Anspielstation geben.
Bei intelligenten und dynamischen Akteuren im Kollektiv ist diese Spielweise zu empfehlen, denn der Außenverteidiger erhöht die lokale Kompaktheit im Kombinationsspiel, kann womöglich ebenfalls kreativ wirken, aus Engen befreiend wirken und im Gegenpressing unterstützten. Alternativ kann er erkennen, falls die Seite versperrt ist und geplante Spielverlagerungen seiner Mitspieler antizipieren und sich dann wieder in die Breite begeben.
Unter anderem Marcel Schmelzer beim BVB wurde zu einer solchen Spielweise angewiesen.
Eine weitere Variation dieser Spielweise wäre es, wenn nicht der ballferne Sechser nach hinten abkippt, sondern der ballnahe Sechser sich zurückfallen lässt. Dies öffnet zwar ein Loch und zerstört das Dreieck, doch gleichzeitig entstehen interessante Synergien. Gegen mannorientierte Verteidigungsspielweisen kann so ein Gegner weggezogen werden und der „Zehner“ kann in den nun offenen Raum gehen. Hinter ihm kann im Zentrum der ballferne Sechser aufrücken und als box-to-box-Spieler für Aufruhr sorgen.
Damit diese Wechselwirkungen effektiv sind, benötigt es aber der passenden Spieler und einer guten Abstimmung mit einstudierten Offensivspielzügen.
Absicherung durch verschobene Dreierreihe und Innenverteidiger
Die nächste Variante ist eine Dreierreihe, die aus den beiden Innenverteidigern und dem ballfernen Außenverteidiger besteht. Hier ist die große Frage, wer dem Spiel die Breite gibt. Soll es der ballferne Außenstürmer machen? Soll es überhaupt jemand machen? Alternativ könnte man einfach darauf spekulieren, dass man das Kamel durchs Nadelöhr gehen lassen kann und spielt über diese Enge mit einer ordentlichen Absicherung in einer 3-2-Abwehrformation.
Andererseits kann man den in diesem Szenario linken Außenstürmer auf der Seite kleben lassen und ein paar Probleme in der offensiven Umschaltphase ins letzte Spielfelddrittel erleiden. Interessant wäre ein situatives Herausweichen des eingerückten Außenverteidigers diagonal in offene Räume und präzise gespielten Seitenwechseln, um sowohl eine passende Absicherung als auch eine situative Breite erzeugen zu können.
In dieser formativen Änderungsphase könnte sich der ballferne Sechser für den nach vorne eilenden Außenverteidiger fallen lassen oder (riskanter und effektiver) als Durchlaufstation für Kurzpässe auf diese Seite und in den Lauf des Außenverteidigers fungieren.
Auch hier ist die Frage, welche Spieler man besitzt und wie man aufbaut. Baut man ohnehin mit einem abkippenden Sechser auf, erscheint diese Verteidigungsspielweise wiedersinnig. Baut man gemächlich und primär über die Halbräume und Flügel auf, kann diese wohl am besten praktiziert werden, weil der zweite Sechser im Zentrum dem ballnahen Partner viele Freibewegungen ermöglicht.
Absicherung durch herauskippenden Sechser und Dreierreihe mit zwei Innenverteidigern
Eine weitere Möglichkeit wäre das Absichern direkt durch den Sechser. Hier ist besonders die Bewegung positiv zu bewerten. Erst, wenn der Außenverteidiger auch wirklich hoch ist, bewegt sich der Sechser auf die Seite und schafft eine gependelte Dreierreihe mit den beiden Innenverteidigern.
Die Innenverteidiger verschieben ballorientiert mit, müssen aber ihre Partnerschaft nicht aufgeben und nicht in die Breite ziehen. Für sie ist die Spielweise einfacher, während der Sechser natürlich aufmerksam und intelligent verschieben muss. Das Einrücken des ballnahen Sechsers eröffnet im Idealfall natürlich Räume für seinen Partner im Mittelfeld und den Zehner, die davon sogar profitieren können.
Gleichzeitig kann man die Kompaktheit in diesem Bereich erhöhen und sich nach Pressingerfolgen besser aus Engen lösen. Allerdings kann diese Spielweise auch sehr schädlich sein, wenn sie nicht zeitig hineinrücken und der Gegner den herauskippenden Sechser nicht wie ein Esel verfolgt, sondern sich im richtigen Moment löst und ordentlich mit seinem Deckungsschatten arbeitet.
Agiert man mit einem herauskippenden Sechser, also einem Sechser, der sich im Aufbauspiel auf die Seiten und ins Loch zwischen Außen- und Innenverteidiger fallen lässt, geht die Bewegung in der Mitte zwar verloren, aber die Stabilität ist größer.
Die Frage lautet wiederum natürlich, ob die Spieler für eine solche Spielweise geeignet sind, wie man aufbaut und wie defensivstark der herauskippende Sechser sowie wie intelligent und dynamisch seine umgebenden Spieler sind. In der Theorie mutet dies allerdings als die eleganteste Lösung an. Die riskanteste dürfte die nächste sein.
Absicherung durch zwei Innenverteidiger
Alternativ kann man auch einfach auf den dritten Mann pfeifen und schlicht mit den beiden Innenverteidigern absichern. In dieser Grafik sieht man sofort die Probleme.
Der ballferne Raum ist ungedeckt, der Raum zwischen den Linien ist sehr groß, wogegen man mit tieferen Sechsern in einer 2-2-Formation und verschobenen Ketten vorgehen könnte oder die Innenverteidiger höher schieben, die Kompaktheit somit erhöhen, aber dadurch natürlich den Raum hinter sich und in der Diagonale noch stärker öffnen.
Um gegen diese Gefahren arbeiten zu können, hat man allerdings ein verbessertes Gegenpressing durch die höhere Anzahl an Spielern um den Ball herum. Sechs Spieler haben Verbindung zueinander, ohne dass die Breite vernachlässigt wird oder jemand absichern müsste. Dadurch wird das Pressing für den Gegner ebenfalls erschwert und Ballverluste sollten geringer werden. Der FC Barcelona spielt auch vereinzelt so und löst Drucksituationen über ihre Spielstärke und über ihre Bewegung – dass dies keine Option für den Standard ist, sollte klar sein.
Alles in allem dürfte diese Spielweise die schwierigste sein. Aktuell spielen aber die Bayern in dieser Saison mit einer Variante davon, einer Art Mischlösung, um genauer zu sein. Mit Manuel Neuer haben sie einen Torhüter, der sehr viel Raum absichern kann, mit Dante und Boateng zwei athletische Innenverteidiger, situative Mannorientierungen mit viel Zugriff und vielen antizipativen wie intelligenten Bewegungen.
Dadurch können sie entweder gut im Gegenpressing arbeiten oder die dynamischen David Alaba und Philipp Lahm rücken in Halbpositionen ein, wo sie entweder schnell Breite geben oder schnell nach hinten eilen und aushelfen können. Wie das gegen stärkere Mannschaften aussieht, bleibt abzuwarten.
Noch was?
Eine weitere Möglichkeit wäre die Spielweise mit durchgehend tiefen und somit stabilen Außenverteidigern. Diese würde aber in der Offensive für Probleme sorgen. Alternativ könnte mit taktisch komplexen Konstrukten unterschiedlicher Ausführungen gespielt werden, wie bspw. mit durchgehenden Positionswechsel in 1-2-Formationen in der Defensive oder ähnliches, was aber ein ungeprüftes Novum darstellen würde. Image may be NSFW. Clik here to view.
Die zwei hauptsächlich genutzten Deckungsarten im Fußball sind die Manndeckung und die Raumdeckung. In diesem Artikel erklären wir die unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen der Manndeckung, inkl. ihrer Vor- und Nachteile.
Allgemeines zur Manndeckung
Die Manndeckung – wo man bekanntlich elf Esel auf dem Platz hat, Zitat Ernst Happel – war zwischen den 20er- und späten 50er-Jahren die mit Abstand am öftesten praktizierte Spielweise. Auch darüber hinaus und in den 70ern wurde sie noch teilweise genutzt, danach erlebte sie ab den 80ern eine Wiedergeburt. Die chronologischen Anfänge der jeweiligen Phasen waren natürlich in den jeweiligen Ländern unterschiedlich und auch ihr zeitliches Ende sollte ganz verschieden sein. So war es in Deutschland noch bis in die späten 90er und länger der Standard, seine Gegner in Manndeckung zu nehmen. Der BVB bekam beispielsweise auch deswegen im Jahre 2001 gegen die Bayern ziemlich eines auf die Nüsse, der deutsche Fußball sollte ab den frühen 2000er-Jahren generell eine Krise erleben.
Doch es gab früher und gibt in der aktuellen Zeit immer wieder Bestrebungen, die eigene Mannschaft stärker mit einer Manndeckung agieren zu lassen. Wie wir noch sehen werden, gibt es sogar viele Varianten der Manndeckung, die noch zum Standard gehören.
Bevor man darüber in eine taktische oder gar fußballphilosophische Debatte gehen kann, sollte man sich deswegen zuerst mit den unterschiedlichen Varianten der umstrittenen und als veraltet geltenden Manndeckung vertraut machen.
Die Manndeckung im Kollektiv
Zuerst erklären wir die Manndeckungsspielweise, welche im gesamten Kollektiv praktiziert wird sowie ihre Varianten.
Variante 1: Die strikte Manndeckung / Nummerndeckung
Die strikte Manndeckung, von mir gerne auch als klassische oder rigide Manndeckung bezeichnet, dürfte wohl die bekannteste sein. Sollte der Gegenspieler am Vorabend zu viel getrunken haben, dann bekommt man es wegen der Nähe durch seine Fahne mit – manchmal kann man ihm auch die Haare halten. Ob das Wissen über das genaue Befinden des Gegners inklusiver dessen Ausdünstungen (Lilian Thuram soll sich im Vorfeld von Spielen mit Zwiebeln eingerieben haben, um seine Gegenspieler zu verwirren) einen taktischen Vorteil herstellen, wollten wir aber nicht erörtern.
Die fixe Manndeckung: jeder hat einen Gegenspieler, die Stürmer sind befreit, es gibt einen Libero als freien Mann / Raumdecker
Im Endeffekt geht es bei der Manndeckung um eines: Jeder Akteur erhält einen fixen Gegenspieler, der mehr oder minder für neunzig Minuten verfolgt wird. Der Spruch: „wenn er aufs Klo geht, dann verfolgst du ihn“ oder „er muss deinen Atem spüren“ stammt aus eben diesen Unzeiten des Fußballs. Diese bezeichnen die aggressive Variante dieser Spielweise, während Herbert Chapman als „Erfinder der Manndeckung“ beim Arsenal FC Mitte der 20er-Jahre eine lose Manndeckung installierte. Es reichte, wenn man seinen Gegner im Auge und in seiner Nähe behielt, wodurch man jederzeit Zugriff herstellen konnte.
Aus taktischer Sicht ist die Umsetzung der Manndeckung simpel: das tägliche Brot des Kreisklassenverteidigers besteht dank dieser simplen Anweisung lediglich aus einer disziplinierten und körperlich betonten Verfolgung.
Fußballprofessor Ralf Rangnick bezeichnete diese Spielweise als „Nummerndeckung“, weil hier zumeist der auf dem Papier direkte Gegenspieler entsprechend seiner Rückennummer übernommen und quer über den Platz verfolgt wurde.
Mit der Zeit und Situation (bei guten Trainern oder intelligenten Spielern) wurde dies natürlich angepasst, im Finale des europäischen Supercupfinales 1975 zwischen dem FC Bayern und Dynamo Kyiv stellte Dettmar Cramer seine Manndecker entsprechend den Veränderungen Kyivs um; der Rechtsverteidiger, der Sechser und der Linksverteidiger tauschten, der defensivstarke Joseph Weiß deckte nun Rechtsaußen Slobodyan, im Landesmeisterpokalfinale hatte er zuvor den zentraleren Billy Bremner aus dem Spiel genommen. Es wurde nun nicht mehr rigoros nach den gegenüberliegenden Positionen eingeteilt, sondern für die Schlüsselspieler des Gegners ein geeigneter Manndecker (auf Kosten des eigenen Offensivspiels) gesucht.
Die Vorteile der starren Manndeckung sind ebenfalls klar: einfache Spielweise, keine Kommunikationsprobleme beim Übergeben und Verschieben, kein besonderes taktisches Training, das Ausspielen der im Idealfall überlegenen Athletik und ein durchgehendes Augenmerk auf gegnerische Schlüsselspieler.
Die taktischen Schwächen wiederum liegen ebenso auf der Hand. Besonders gut vorgeführt wurden sie von fluiden und flexiblen Angriffsreihen, insbesondere natürlich der goldenen Mannschaft der Ungarn in den frühen 50ern, auf Ungarisch auch „Aranycsapat“ genannt.
Als Schlüsselspiel wird hier oftmals das Spiel gegen die individuell keineswegs drastisch unterlegenen Engländer im Wembley-Stadion 1953 genannt, wo der Gastgeber gegen den vermeintlichen Außenseiter vom Kontinent mit 3:6 unterging.
Das Problem war gar nicht das naheliegende, nämlich die Verfolgung des Gegenspielers und eine Raumöffnung dadurch, sondern ein anderes. Jimmy Johnston verfolgte Nandor Hidegkuti nämlich gar nicht, sondern blieb auf seiner Position.
Die Gegner kamen letztlich viel über rechts, was womöglich damit zu tun hatte, dass Winterbottom und Johnston vor dem Spiel über Hidegkuti diskutiert hatten – mit folgender Auswirkung: nach der Unterhaltung beschlossen sie, dass Johnston ihn nicht verfolgen sollte, wie es die Schweden davor erfolgreich praktiziert hatten, sondern einer aus dem Mittelfeld dies übernehmen sollte, wohl der linke Halbspieler im 3-2-2-3. – RM
Die Engländer waren also weder großartig überrascht noch ratlos – sie waren schlicht machtlos. Hidegkuti hatte keinen Verfolger und stellte Überzahlen sowie Verbindungen her; England wurde abgeschossen. Am 23. Mai 1954 gab es übrigens ein Rückspiel, gut möglich, dass man hier nicht den „Fehler“ machen wollte und der Mittelläufer dann Hidegkuti verfolgte. Das Ergebnis spricht zumindest für diese Variante: England verlor mit 1:7 noch höher.
Spielt man mit kollektiver Nummerndeckung / strikter Manndeckung, dann gibt es relativ viele und relativ einfach herzustellende Probleme. Der Gegner kann seinen Gegenspieler wegziehen und Räume öffnen. Er kann Positionen wechseln und für Verwirrung sorgen, er kann sich zurückfallen lassen und dann die gegnerische Formation zerstören, damit ein Loch entstehen lassen oder à la Hidegkuti seinen Gegenspieler verlieren und gekonnt in gezielten Räumen Überzahlen herstellen.
Ein guter individualtaktischer Spieler könnte beispielsweise auch seinen Gegenspieler zu einem anderen Verteidiger mitführen, dazwischen Raum öffnen, sich mit einer Drehung um seinen Gegenspieler in den Raum winden und mit Raum- sowie Geschwindigkeitsvorteil direkt die Schnittstelle infiltrieren. Selbst mit einem freien raumdeckenden Verteidiger hinter einer manndeckenden Abwehrreihe wäre dies möglich, wenn auch nur indirekt: hier öffnet man einfach auf einer Seite Raum für die Mitspieler durch die Bewegung zum Libero, was einen Angriff ermöglicht. Danach zieht der Angreifer mit einer Drehung nach innen und kann ins Angriffsspiel kombinativ eingreifen.
Man sieht: Das Ausspielen dieser Eselei ist sowohl kollektiv als auch individuell unbegrenzt. Dennoch gab es – neben dem freien Mann dahinter – weitere Lösungsansätze, welche zu einer zweiten großen Variante der Manndeckung führten.
Variante 2: Die flexible Manndeckung
Die flexible oder von mir auch gerne übergebende Manndeckung genannte Spielweise bezeichnet eine Abart der Nummerndeckung. Hierbei wird der Gegenspieler zwar verfolgt, aber bei Möglichkeit an einen anderen Mitspieler übergeben. Dadurch können Rochaden zweier gegnerischer Spieler oder das Kreuzen zweier Stürmer besser abgefangen werden, allerdings können kommunikative Probleme entstehen.
In einer flexiblen Manndeckung wird der einrückende Stürmer nicht verfolgt, sondern an den eigentlich freien Libero „übergeben“
In den Niederungen des Amateurfußballs ist zum Beispiel zu beobachten, dass es nicht kommuniziert wird, wenn ein Außenspieler in die Mitte rückt und dadurch ist er plötzlich ohne Gegenspieler. In seltenen Fällen kann es auch passieren, dass der eine Akteur seinen Gegenspieler verfolgt und der andere diese übernehmen wollte; dann sind zwei bei einem Spieler und der Sturmpartner des gedoppelten Akteurs lacht sich einen.
Alles in allem ist diese Spielweise die heute am öftesten praktizierte Variante der kollektiven Manndeckung und stellt eine logische Weiterentwicklung dar. Die Gegenspieler können nicht nur an Mitspieler übergeben werden, sondern auch einfach in den Raum.
Dies wurde unter anderem von den Münchnern in den frühen 70ern unter Dettmar Cramer praktiziert. Wichen gegnerische Spieler in die Tiefe, um Überzahlen zu erzeugen, wurden sie verfolgt und dann an einen Gegenspieler übergeben. Dieser wiederum konnte seinen Gegenspieler nach vorne in den Raum übergeben.
Dadurch wurden die Bayern tiefer und kompakter, während der freie Mann des Gegners hinter einen dichten Abwehrblock gestellt wurde, was das Erzeugen von Überzahlen zumindest ansatzweise schwieriger machte.
Mit dieser Spielweise ist auch in gewisser Weise eine Art Pressing möglich. Die Abwehrspieler des Gegners werden nicht manngedeckt und die raumdeckenden Offensivakteure der eigenen Mannschaft spielen tiefer. Sie unterstützen dann vereinzelt ballorientiert den Manndecker beim Attackieren seines Gegners oder können einen Mann übernehmen, was die defensiveren Manndecker befreit.
Wirklich durchgehend und organisiert praktiziert wurde dies allerdings nie. Normalerweise wurden die Offensivspieler von Defensivaufgaben befreit, die Defensivspieler spielten in Manndeckung und gegnerische Verteidiger wurden nur beim Aufrücken von den Offensiven verfolgt.
Heutzutage wird diese übergebende Manndeckung allerdings situativ sehr häufig genutzt. Vorrangig bei gegnerischen Kontern wird in Strafraumnähe auf die Stürmer eine Manndeckung übernommen. Die Logik dahinter ist, dass die Räume bereits offen sind und der Gegner nur noch den Vorwärtsgang ohne viel Raumspiel sucht und deswegen diese situative Manndeckung die einzige effektive Vorgehensweise ist.
Diese letzte geschilderte Alternative, die raum- oder zonenorientierte Manndeckung wird sogar in der Bundesliga noch vereinzelt genutzt, unter anderem von Dieter Hecking bei seinem Ex-Verein, dem 1. FC Nürnberg.
Hier steht die Mannschaft zumeist in ihrer positionsorientierten Raumdeckung da, wozu wir in einem anderen Artikel noch kommen werden. Aus ihren Positionen haben sie einen gewissen abzudeckenden Raum vor und um sich. Verirrt sich ein gegnerischer Spieler in diesen Raum, dann wird er in eine Manndeckung übernommen.
Verlässt der Gegner den Raum ohne Ball, dann bewegt sich der eigene Spieler wieder zurück auf seine Position in der Grundformation. Dies ist in gewisser Weise eine Kompromisslösung zwischen Mann- und Raumdeckung. Das Kollektiv steht in einer kompakten raumdeckenden Anordnung da und stellt daraus gezielt Manndeckungen her. Somit wird Bewegung ins Spiel gebracht, der Gegner soll bei der Ballannahme eng gedeckt und damit bedrängt sein, während das Kollektiv keine Räume öffnen soll.
Die raumorientierte Manndeckung, wo der Spieler nur zur Manndeckung übergeht, weil ein Gegenspieler in seine „Manndeckungszone“ eingedrungen ist
Dabei kann diese Spielweise so praktiziert werden, dass die Position schlichtweg offen bleibt oder dass das Loch durch kollektives Verschieben beziehungsweise einen ersetzenden Spieler gefüllt wird. Dadurch bleibt die Formation kompakt, aber eventuell entstehen in anderen Räumen Löcher und insbesondere bei schnellen Doppelpässen können diese fehlenden Spieler anvisiert werden.
Ein Vorteil ist aber wiederum, dass Probleme beim Verschieben und räumlichen Übergeben oftmals nicht auffallen, weil sie seltener werden und schwieriger bespielt werden können. Das Momentum aus der gegnerischen Aktion kann durch eine intelligente Attackierung zerstört werden und daraus der Angriff verzögert, abgeleitet oder unterbrochen werden.
Generell ist es eine manchmal mehr, manchmal weniger schwierige Spielweise mit vielen komplexen und intensiven Bewegungen, die einen interessanten Kompromiss, aber wohl keine Dauerlösung darstellt.
Variante 4: Die situative Manndeckung
Während die dritte Variante eine Mischung aus Raumdeckung und Manndeckung gehört, aber noch zu der Manndeckung gehört, ist bei der situativen Manndeckung eher eine Raumdeckung das oberste Prinzip. Dennoch zähle ich sie zu den Manndeckungen, weil bei starker Intensität und Umsetzung sie das auffälligste Merkmal der jeweiligen Mannschaft sind.
Alternativ und viel stärker können bei gegnerischen Kurzpassstafetten auch im Mittelfeld auf sich freilaufende Spieler kurzzeitig Manndeckungen hergestellt werden, welche dann nicht anspielbereit sind – der Gegner muss zurückspielen und der Manndecker wird wieder zu einem Raumdecker. Diese Variante als eigene zu bezeichnen, reicht beispielsweise beim Spiel von Rayo Vallecano gegen den FC Barcelona oder bei der Spielweise Swanseas nicht. Gleichwohl wird dies von diesen beiden Teams gespielt und gehört zu den interessanten Eigenschaften einer optionsorientierten Raumdeckung. Auch die Bayern mit ihrem intelligentem Pressing dieser Rückrunde zeigen oftmals situative Manndeckungen.
Keine Mannschaft spielt diese Spielweise aber durchgehend, obwohl sie eine interessante und sehr risikoreiche Variante wäre. Eine noch flexiblere Variante der Spielweise Bilbaos würde dieses taktische Mittel wohl am ehesten verkörpern.
Die Manndeckung bei Individuen
Aktuell wird die Manndeckung jedoch vorrangig bei einzelnen Spielern genutzt. Man möchte damit bestimmte Gefahren einschränken oder die Abstimmung in der eigenen Mannschaft erleichtern, weswegen man die Manndeckung vereinzelt wieder aufleben lässt. Hier gibt es zwei große Varianten, die wir kurz anreißen.
Variante 1: Manndeckung auf Schlüsselspieler
Die am weitesten verbreitete und noch sehr oft genutzte Manndeckungsspielweise dürfte der Kettenhund auf einzelne strategisch wichtige Spieler des Gegners sein. So gab es in der Bundesliga einen Manndecker auf Mats Hummels beim BVB oder im El Clásico von Sami Khedira auf Andrés Iniesta. Die Unterschiede liegen auf der Hand: beim BVB wollte man den spielgestalterischen Innenverteidiger und somit das Aufbauspiel aus der Tiefe heraus ersticken, bei Barcelona sollte der Nadelspieler abgedeckt werden und dadurch das gegnerische Ballbesitzspiel ohne Raumgewinn und Stabilität bleiben.
„boah, der Innenverteidiger ist so gefährlich, mein lieber Mann, den decken wir lieber mann“
In dieser Spielweise ist das raumdeckende Grundgerüst gegeben und es werden nur einzelne Spieler aus der Grundformation heraus isoliert. Sie übernehmen dann eine Manndeckung, können aber oftmals wieder zurück in die Grundformation eingehen. Je nach Aggressivität der Spielweise wechselt man also zwischen einer fixen und einer situativenManndeckung. Dieses taktische Mittel wird auch die nächsten Jahre überdauern und ist bei intelligenter Nutzung grundsätzlich durchaus eine gute Idee und keine Eselei.
Variante 2: Manndeckung auf bestimmte Positionen oder in bestimmten Zonen
Als zweite Variante können nicht einzelne Spieler manngedeckt werden, sondern nur in einer bestimmten Zone oder auf einer Position. Ein gutes Beispiel wäre das Spiel gegen die falsche Neun: diese wird von einem Innenverteidiger manngedeckt, dann an einen Mittelfeldspieler übergeben oder gar fix manngedeckt. In diesem Fall geht es nicht um den Spieler und seine individualtaktischen Fähigkeiten, sondern seine Bedeutung für die Bewegung in der Gruppen- und Mannschaftstaktik, die unterbunden werden soll. Alternativ kann auch bei situativer Sturmbesetzung immer der jeweilige wechselnde Mittelstürmer gedeckt werden, um ein besseres Beispiel zu geben.
aus dem 4-4-2 verschiebt eine Mannschaft asymmetrisch, der linke Außenstürmer übernimmt eine „Mannorientierung“ auf den Außenverteidiger, der Rest rückt ein; dies ist eine raumverknappende und situativ bespielte Variante der Manndeckung auf bestimmte Positionen
Die Standardnutzung dieser Spielweise befindet sich auf Außen. Hier wird den jeweiligen Außenstürmern der gegnerische Außenverteidiger zugeordnet und dem Außenverteidiger der Außenstürmer. Dadurch soll verhindert werden, dass der Gegner durch das Hinterlaufen frei wird oder die dribbelstarken Flügel des Gegners ihr Sichtfeld einfach zum Tor drehen können. Oftmals wird mit dieser Spielweise das gegnerische Aufbauspiel in die Mitte zurückgelenkt oder es wird mit Pressingfallen gearbeitet.
Dabei formierten sich die Bremer einmal mehr in ihrer 4-1-4-1-Formation, die passend zur Leverkusener Spielweise adjustiert wurde.
Auf den Flügeln orientierten sich die Außenstürmer sehr mannorientiert und ließen sich weit nach hinten fallen, wenn sie den Ball nicht hatten. Dadurch konnte Leverkusen die hohen und breiten Außenverteidiger nicht ideal nutzen, sondern musste stärker über die Mitte kommen. – RM
Noch was?
Langfristig könnte die Manndeckung zurückkehren; doch nicht in altem Gewand, denn die Spieler sind in puncto Athletik wohl zu sehr auf einem ähnlichen Niveau, die Trainer sind zu ausgefuchst und nur vereinzelt könnte eine klassische Manndeckung durch das Kollektiv noch erfolgreich sein.
Aber eine moderne Variante könnte eventuell für eine Renaissance sorgen: dieraumverknappende Manndeckung oder eventuell eine kollektiv und aggressiv durchgesetzte situative Manndeckung. Bei Ersterem würde zum Beispiel Arrigo Sacchis Dogma der Kompaktheit und den vier Referenzpunkten mit einer Mann- statt einer Raumdeckung beachtet werden. Anstatt in einer raumdeckenden Formation vereinzelte Manndecker einzubauen, wie es aktuell gemacht wird, könnte es dann in einer manndeckenden Mannschaft „Raumdecker“ geben, welche Löcher schließen und situativ Pressingfallen aufbauen.
Die Raumdecker müssen dabei keine fix eingeteilten Akteure sein, sondern können aus dem verknappten ballfernen Raum gezogen werden. Die ballfernen Manndecker übernehmen in eingerückter Position einen Mann, wodurch ein Dominoeffekt entsteht und die vielen Raumdecker befreit. Im Grunde wurde dies mit dem Libero als freiem Mann und Raumdecker bereits in einer Einzelvariante gespielt.
Mit fortschreitender Dynamik und Spielintelligenz könnte diese Spielweise – welche wie erwähnt ansatzweise in den 70ern von den Bayern gespielt wurde – für neue Wege in der Fußballtaktik sorgen. Hier wird aber nicht nur eine Dimension, die Länge des Platzes, „verknappt“, sondern auch die Breite, der Faktor Raum als solcher und der Faktor Zeit / Stress. Ob und wann es soweit ist, werden wir noch sehen (oder eben nicht).
Es gäbe weitere Konstrukts und Verfeinerungen der klassischen Manndeckung; beispielsweise durch Doppeldeckungen im Zuge einer kompakten Grundformation oder noch einige weitere skurrile Ideen, auf die wegen mangelnder Referenzen im Leistungssport in diesem erklärenden und taktiktheoretischen Artikel nicht weiter eingegangen wird. Image may be NSFW. Clik here to view.
Spielverlagerung wünscht ein frohes neues Jahr!
P.S.: Auf Leserwunsch noch meine Idee der raumverknappenden Manndeckung:
Die im Kollektiv manndeckend agierende Mannschaft geht ins Pressing über. Die Spieler werden nicht „übergeben“, sondern „übernommen“, wenn man präzise sein möchte oder eben verfolgt. Die raumdeckenden Akteure zwischen den Außenverteidigern übernehmen entweder den Mann (halbrechts) oder schieben frei ins Zentrum (halblinks)
In diesem Bild sehen wir die neuen Zugriffe und die „Raumverknappung“ bzw. ihre Effekte genauer. Der ballferne Außenstürmer löste sich und geht auf den Innenverteidiger und behält dennoch ein Auge auf seinen Hintermann. Der intelligente linke Außenstürmer von Team Rot bewegt sich gut, er wird lose vom rechten Verteidiger verfolgt, der gleichzeitig ein Auge auf den ballfernen Außen hält. Das ist auch der Mitgrund, wieso sich der halblinke Sechser in die Mitte bewegte.
Die zwei hauptsächlich genutzten Deckungsarten im Fußball sind die Manndeckung und die Raumdeckung. In diesem Artikel erklären wir die unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen der Raumdeckung, inkl. ihrer Vor- und Nachteile.
Allgemeines zur Raumdeckung
Die Raumdeckung gilt als die erste gespielte Spielweise. Dabei hatte die ursprüngliche Raumdeckung sehr wenig mit der aktuellen Spielweise zu tun, weil die Organisation fehlte. Eher könnte man es als Chaosdeckung bezeichnen, wo jeder herumlungerte, wie es ihm passte und gelegentlich zur Balleroberung überging.
Heutzutage ist die Raumdeckung alles andere als chaotisch. Mit fortschreitender Athletik, Spielintelligenz und insbesondere der Professionalisierung löste sie die Manndeckung ab, weil die Spieler individuell in der Breite stärker wurden und sich im Kollektiv besser abstimmten. Dadurch sind die Schnittstellen enger und besser abzudecken, was die Anfälligkeit der Raumdeckung zwischen den horizontalen und besonders den vertikalen Linien abschwächt.
In den späten Achtzigern wurde die Raumdeckung um eine weitere Komponente erweitert, nämlich die Raumverknappung. Dabei wurde das Spiel prinzipiell kompakter gehalten und mithilfe der Faktoren Zeit, Raum und den fußballspezifischen Regeln wie Abseits das effektiv bespielbare Spielfeld komprimiert. Dabei werden vier Referenzpunkte von Arrigo Sacchi genannt:
„Unsere Spieler hatten vier Referenzpunkte: den Ball, den Raum, den Gegner und die eigenen Mitspieler. Jede Bewegung musste in Beziehung zu diesen Referenzpunkten passieren. Jeder Spieler musste entscheiden, welcher dieser Referenzpunkte seine Bewegungen bestimmen sollte.“ – Arrigo Sacchi
Die Mannschaft muss diese beim Verschieben und Pressen beachten, um keine Löcher zu öffnen und im Grundgerüst weiterhin raumdeckend und gleichzeitig stabil agieren zu können.
Jedoch sollte beachtet werden, dass mit dem ballorientierten Spiel nicht die Raumdeckung als solche gemeint ist. Das ballorientierte Spiel bezeichnet die individuelle und kollektive Anpassung an die Bewegung des Balles, welche mit der Raumdeckung im Normalfall, aber eben nicht zwingend, einhergeht, und viel stärker beim Pressing sowie beim Agieren mit der Raumverknappung zum Vorschein kommt.
Rein theoretisch ist es durchaus möglich, dass auch in einer Raumdeckung ohne Ballorientierung gespielt wird. Beispielsweise war es früher in zahlreichen Teams durchaus üblich, dass man keinen Gegenspieler manngedeckt hat, sondern in einer Raumdeckung agierte, aber dennoch keineswegs ballferneinrückte oder durchgehend Richtung Ballverschob.
Ebenso ist es ein Fehler zu glauben, die vier Referenzpunkte nach Sacchi gelten nur bei der Raumvernappung und dem Pressing. Sie werden generell im Defensivspiel und im Angriffsspiel genutzt, desweiteren dienen Vorzüge von bestimmten Referenzpunkten als Ursachen für die unterschiedlichen Raumdeckungsspielweisen.
Die Raumdeckung im Kollektiv
Zuerst erklären wir die Raumdeckungsspielweise, welche im gesamten Kollektiv praktiziert wird sowie ihre Varianten.
in diesem Artikel gehen wir in allen Spielszenen von einer 4-4-2-Defensivformationen aus
Variante 1: Die positionsorientierte Raumdeckung
Bei der positionsorientierten Raumdeckung ist der Referenzpunkt der „Mitspieler“. Dies wird vereinfacht so gespielt, dass die Mannschaft in einem geschlossenen Block agiert. Dieser Block ist nichts anderes als eine Formation, in der die jeweiligen Positionen klar verteilt sind und in gewisser Weise die eigene Position „gedeckt“ wird. Die Bezeichnung Positionsdeckung könnte deswegen ebenfalls genutzt werden.
Ein Beispiel sind die Gladbacher unter Lucien Favre oder auch früher Valeriy Lobanovskiys Dynamo Kyiv. Bei den Gladbachern ist auffällig, wie effektiv sie hin und her verschieben und dabei oftmals kaum Druck auf Gegner oder Ball ausüben. Stattdessen konzentrieren sie sich auf Angriffsvereitelung durch Raumkontrolle. Das gegnerische Team lässt den Ball zirkulieren, die Gladbacher verschieben dabei so schnell und präzise, dass die bei dieser Variante zumeist vermeintlich offenen Außenbahnen nicht bespielt werden können.
Gleichzeitig wird dabei die vertikale und horizontale Kompaktheit gewahrt, weswegen der Gegner auch innerhalb des Blockes kaum Raum findet. Spielt er dennoch in den engen Raum, dann schieben die Linien aufeinander zu (oder nur eine Linie verschiebt, je nach Spielphilosophie) und verschließt den Raum. Dadurch wird der Gegner zeitlich unter Druck gesetzt, was in Ballgewinnen durch Fehlpässe oder anderen technischen Fehlern resultiert.
Merkmale dieser Raumdeckungsspielweise sind also das im Normalfall sehr klar erkennbare Kettenspiel in Abwehr und Mittelfeld, das Anbieten der Außenbahnen und die geraden Linien. Die Formation muss aber keineswegs aus gleich breiten Ketten oder gleichen Abständen zwischen den Mannschaftsteilen bestehen, wird aber zumeist so praktiziert, um die Schnittstellen und den Zwischenlinienraum möglichst gering zu halten.
Im Endeffekt wirkt diese Spielweise oftmals etwas passiv, weil bei intelligenter und vorsichtiger gegnerischer Ballzirkulation nur wenig Druck erzeugt werden kann. Favre spielte sich in dieser Saison damit, dass er den Raum zwischen den Linien auseinanderzog oder die Linien intelligent aufrückten und dadurch dann Zugriff im Pressing erhielten.
Beispielhafte Spielszene zur positionsorientierten Raumdeckung
Der Gegner baut über die rechte Seite auf, es scheint ein 4-1-2-3 als Abart des 4-3-3 mit breiten Flügelstürmern zu sein. Wir stehen aus grafischen Gründen in einer ultradefensiven Formation da.
Der Gegner spielt nach rechts, die Mannschaft verschiebt als Kollektiv auf die Seite. Die vermeintlich offene Seite für den Flügelstürmer wird plötzlich sehr eng, er kann nicht sicher angespielt werden. Der Ball geht in die Mitte, unser (halb)linker Mittelstürmer erhält Zugriff und geht ins Pressing über, die Mannschaft folgt seinem Beispiel und geht dieselben Laufwege.
Man nähert sich dem Gegner langsam und Schritt für Schritt, wirkt bisweilen etwas passiv. Als Gegenleistung für die Passivität und den geringeren Zugriff ist man aber stabiler und kompakter, Pässe in den Zwischenlinienraum sind schwierig und können durch Verengung der Mannschaftsteile komprimiert werden.
Variante 2: Die mannorientierte Raumdeckung
Bei der mannorientierten Raumdeckung gibt es eine Grundformation, in welchem verstärkt zum Referenzpunkt „Gegner“ verschoben wird. Aus der jeweiligen Grundposition orientieren sich die eigenen Spieler also flexibel in ihrem abzudeckenden Raum, um eine gewisse Distanz auf den positionsnächsten Gegenspieler zu wahren.
Der Unterschied zur Manndeckung ist somit klar. In der Manndeckung orientiert man sich sehr straff an einem Gegenspieler, oftmals sogar nur an einem einzigen und verfolgt diesen. In der Raumdeckung deckt man den Raum um seine Position herum, verschiebt seine Position aber lose an einem beliebigen nahen Gegenspieler und bleibt dadurch in der Nähe dessen.
In gewisser Weise ist es eine Kompromisslösung aus positionsorientierter Raumdeckung und Manndeckung. Der Vorteil gegenüber der Manndeckung ist das geringere Öffnen von Löcher, der Vorteil gegenüber der positionsorientierten Raumdeckung ist der erhöhte Zugriff durch die geringere Distanz zu den jeweiligen Gegenspielern.
Beispielhafte Spielszene zur mannorientierten Raumdeckung
Der gegnerische rechte Außenverteidiger erhält den Ball, die eigene Mannschaft verschiebt nach links. Auffällig natürlich, dass die Sechser sich unterschiedlich verhalten: einer orientiert sich am gegnerischen halbrechten Achter, einer am Mittelstürmer. Der eigene Mittelstürmer orientiert sich ebenfalls mannorientiert, allerdings nicht klassisch, sondern eben im Raum: er verstellt den Passweg zum gegnerischen Sechser, der hinter den beiden Achtern spielt.
Alternativ hätte sich der zweite, halbrechte Sechser der eigenen Mannschaft auch am gegnerischen halblinken Achter orientieren können und der Außenstürmer wäre im Raum geblieben. So wurden aber dennoch sämtliche Passwege und Optionen direkt (durch Deckungsschatten oder gar situative Manndeckungen) oder indirekt (durch Zugriffe und Engen) versperrt.
Der gegnerische Außenverteidiger riskiert nicht den Linienpass, sondern spielt zurück. Die eigene Mannschaft schiebt darum heraus, der Mittelstürmer löst sich vom Raum um seinen vermeintlichen Gegenspieler und geht ins Pressing über. Der ballferne Außenstürmer schiebt nach außen; bis der gegnerische Innenverteidiger den Ball verarbeitet und weiterspielen kann, ist der eigene Außenstürmer wieder in der Nähe des gegnerischen Außenverteidigers. Zentral überläuft der halblinke Sechser der eigenen Mannschaft den gegnerischen halbrechten Achter und orientiert sich nun „plötzlich“ am Sechser des gegnerischen Teams.
In gewisser Weise könnte man sagen, dass die mannorientierte Raumdeckung im Gegensatz zur positionsorientierten Raumdeckung nicht auf den Zugriff und somit das Pressing wartet, sondern ihn sucht. Der Unterschied zur Manndeckung besteht wiederum, dass die Gegenspieler nicht verfolgt werden oder an andere übergeben, sondern im Raum stehen gelassen werden und man sich jederzeit neu orientieren kann. Desweiteren orientiert man sich nicht am Gegenspieler als solchen, sondern an dessen Aktionsraum und der Zugriffsdistanz.
Variante 3: Die raumorientierte Raumdeckung
In dieser dritten Variante, die aber deutlich seltener als die mann- und die positionsorientierte Raumdeckung genutzt wird, ist der Referenzpunkt der Raum. Dabei verschiebt das Kollektiv Richtung dem in diesem Moment effektiv bespielbaren Raum und versucht diesen zu besetzen.
Auf dem Papier klingt das intelligent, möchte man meinen. Der Raum würde überladen und längere Kurzpassstafetten des Gegners würden durch viel Druck zerstört werden können. In der Praxis ist dies aber nicht der Fall, wenn die Gegner ansatzweise spielintelligent sind. Sie können dann in die vielen geöffneten Räume, insbesondere ballfern, stoßen und die gegnerische Formation zerstören.
Ein Beispiel war das Spiel zwischen Valencia und Malaga, wo Valencia durch eine raumorientierte Raumdeckung die Fluidität und die situativen Engen Malagas einschränken wollte, was vollends scheiterte.
Beispielhafte Spielszene zur raumorientierten Raumdeckung
In gewisser Weise der verschollene Zwilling der Manndeckung, was Eselei betrifft. Der Pass geht wie gehabt auf den gegnerischen Außenverteidiger, die gesamte Mannschaft orientiert sich am neuen Spielraum.
Sie erhalten keinen Zugriff, der Pass geht in die Mitte, man verschiebt neu in den Raum. Was passiert?
Richtig, ballfern sind freie Räume. Bei jeder Raumdeckung (mit Raumverknappung zumindest) entstehen freie Räume, bei der raumorientierten Raumdeckung entstehen sie jedoch durchgehend als miteinhergehendes Naturell dieser Spielweise. Sie werden auch so groß, dass sie nicht nur über lange gefährliche Diagonalbälle bespielbar sind, sondern bei halbwegs intelligenten Gegnern auch Kurzpassstafetten – wie in diesem Fall.
Im Spiel zwischen Valencia und Malaga versuchte es Valencia ansatzweise mit dieser Deckung und scheiterte. Im Artikel findet man auch ein paar schöne Bilder von laola1.tv inkl. kurzer Erklärung dazu.
Variante 4: Die optionsorientierte Raumdeckung
Bei der optionsorientierten oder gerne auch ballorientierten Raumdeckung ist der Referenzpunkt der Ball – wie kann er uns Schaden zufügen, wie verhindern wir das? Die Mannschaft verschiebt aus ihrer Position unterschiedlich heraus, je nach Positionierung des Balles und den Möglichkeiten, die sich für den Gegner daraus ergeben.
Diese Spielweise wird von Swansea praktiziert und auch ansatzweise vom FC Barcelona. Dabei ist wichtig, dass die Spieler spielintelligent sind und gut aufeinander abgestimmt, ansonsten werden zahlreiche Löcher geöffnet und die Formation zerrissen.
Beispielhafte Spielszene zur optionsorientierten Raumdeckung
Gleiches Szenario, abermals unterschiedliche Bewegung. Es kommt ein Pass nach rechts (von „uns“ aus links), die Mannschaft verschiebt. Der eigene Rechtsverteidiger denkt sich aber, „boah ey, wenn da jetzt ein geiler Diagonalball kommt, gibt’s Ärger“ und löst sich aus dem Kettenmechanismus.
Der linke Außenstürmer der eigenen Mannschaft stellt den gegnerischen Rechtsaußen in seinen Deckungsschatten, während der halblinke Sechser einen gefährlichen Pass zum gegnerischen Mittelstürmer durch den offenen Raum verhindert. Der linke Mittelstürmer stellt den gegnerischen halbrechten Achter mit seinem Deckungsschatten zu, sein Partner, der rechte Mittelstürmer rückt auch deshalb antizipativ auf.
Wieso tut er das? Wir sehen es in der Angriffsentwicklung. Der Pass des gegnerischen Außenverteidigers kommt riskant in die Mitte, der linke Mittelstürmer versucht ihn abzufangen, scheitert und läuft weiter; jetzt ist der gegnerische Außenverteidiger in seinem Deckungsschatten. Der zweite Mittelstürmer kann pressen und attackiert den gegnerischen Sechser.
Die eigene Mannschaft rückt auf, die ballfernen Außenspieler orientieren sich auf die Seite: gewinnt man den Ball, stößt man in den freien Raum, wird er weitergeleitet, deckt man die ballferne Seite vor Diagonalbällen ab.
Die Raumdeckung bei Individuen
Unter Umständen könnte auch mit vereinzelten „Raumdeckern“ in Misch- oder Manndeckungssystemen agiert werden. Auch wenn dies nicht der Norm entspricht, widmen wir uns kurz zwei solcher Möglichkeiten, obwohl die Einsatzmöglichkeiten wohl unendlich sind.
Variante 1: Der Libero
Der bekannteste freie Mann in der Geschichte des Fußballs ist der Libero. Dieser agiert traditionell hinter einer Abwehrkette, besitzt keinen Gegenspieler und deckt somit freie Räume. Mit dem Libero wollte man die vielen offenen Löcher der Manndeckung bekämpfen – hinter der herumwirbelnden Manndeckungsbastion stand der Libero als Fels in der Brandung, positionierte sich antizipativ hinter Löchern, fing Bälle in diese Löcher ab oder übernahm frei gewordene Spieler.
(geplante!) Aufstellung der Bayern im europäischen Supercup 1975 gegen Dynamo Kyiv mit Libero Beckenbauer hinter einer manndeckenden Mannschaft
Variante 2: Raumdeuter und Raumdecker
Manche Spieler agierten auch als freie Akteure vor der Abwehr; teilweise sogar in raumdeckenden Systemen. Sie spielten dabei eine aus der Formation isolierte Rolle oder eine andere Raumdeckung, als die Mitspieler. So könnte ein absichernder Sechser der einzige im Mittelfeld sein, der positionsorientiert spielt und dadurch die Stellung hält, während seine Mitspieler sich manndeckend oder in einer mannorientierten Raumdeckung organisieren.
Andererseits könnte auch ein nomineller Zehner sich als „Jäger“ organisieren und sich immer dort positionieren, wo gerade der Gegner hinspielt. Dann würde er von einer Rolle als nomineller Zehner immer wieder auf Halbpositionen pendeln und dort den Raum kompakter machen.
Noch was?
Eigentlich sogar sehr viel. Man kann noch viel mehr Referenzpunkte einbauen, die im Pressing und insbesondere im Gegenpressing instinktiv eine größere Gewichtung erhalten, und daraus neue Raumdeckungsmöglichkeiten bauen. Eine Zeitdeckung wäre dabei ebenso möglich wie eine Balldeckung, eine Strukturdeckung, eine Dynamikdeckung und noch vieles vieles mehr.
Gleichzeitig gibt es auch bei den einzelnen, oben geschilderten Raumdeckungsspielweisen massig unterschiedliche Varianten. Diese betreffen das Verschieben, die Involvierung in die Defensivarbeit (siehe Cristiano Ronaldos Zocken), die genaue Umsetzung des defensiven Positionsspiels, mögliche Asymmetrien, das defensive Umschaltverhalten zur Grundformation zurück, usw. usf.
Diese oben beschriebene Liste soll nur einen groben Überblick über die zwei großen und zwei kleineren Nutzungsweisen der Raumdeckung liefern; außerhalb dieser vier Varianten gibt es noch einige Möglichkeiten, sich neu zu erfinden; innerhalb dieser vier Varianten gibt es ebenfalls unglaublich viele Variationen.
Wie verschiebt die Kette beim Herausweichen eines Spielers? Presst man rückwärts oder kehrt man auf seine Position zurück? Wie genau teilt man das auf, wie presst man eventuell rückwärts und was machen die auf ihren Positionen verbliebenen Spieler? Wer sichert wann ab?
Die Möglichkeiten sind dank der zahllosen Kombinationen und den vielen komplexen Facetten des Spiels unendlich, was den Fußball auch so ungeheuer vielfältig macht.
Selbst das als Standard genutzte Raumdeckungssystem ist nicht klar zu definieren. Die meisten Mannschaften wechseln das, mischen es positionell sowie mit situativen oder flexiblen Manndeckungen durch und variieren in den unterschiedlichen Phasen des Defensivspiels. Aus einer positionsorientierten Raumdeckung bei tiefem Aufbau des Gegners, um stabil und organisiert zu stehen, wird dann beispielsweise eine mannorientierte Raumdeckung, wenn der Gegner höher steht, um schneller Zugriff zu erhalten. Während der Pressingphase ist man dann zumeist optionsorientiert und deckt mögliche Passwege oder ähnliches ab. Einen Defensivstandard als solchen gibt es nicht. Image may be NSFW. Clik here to view.
In der Sommerpause schauen wir in unseren Postsack und finden Fragen zu schwächelnden Mannschaften und deren Entwicklung in der nächsten Saison. Außerdem: ein 3-Raute-3 für Bayern, zentrale Mittelfeldspieler, wie man Fünferketten-Systeme bespielt und Ousmane Dembélé.
Im Mailbag beantworten wir Leserfragen. Wer selber welche hat, sendet diese mit Betreff „Mailbag“ an MR[at]spielverlagerung.de oder twittert sie mit dem Hashtag #SVMailbag.
Siehst du die Mannschaften, die letzte Saison underachieved haben, nächste Saison wieder besser und was müssten die dafür verändern?
Naja, allein aus statistischen Gründen ist anzunehmen, dass sie besser werden. Wenn die Erwartungshaltung an eine Mannschaft nicht völlig falsch ist, wird die Leistung der Mannschaft normalerweise ungefähr um diese Erwartung schwanken. Also wird es wahrscheinlich bergauf gehen, wenn man unterhalb der Erwartung liegt. Oder plump gesagt: Wenn ein CL-Kandidat gegen den Abstieg spielt, dann kann es ja nicht noch viel schlechter werden.
Dafür verändern könnten diese Mannschaften wohl allesamt, dass sie ein stabileres, konstanteres Fundament im Ballbesitzspiel entwickeln und/oder ein herausragenderes Pressing. Die waren ja alle nicht katastrophal, aber gegen den Ball eher durchschnittlich und mit dem Ball recht inkonstant.Image may be NSFW. Clik here to view.
Wieso ist der Weltfußball diese Saison so schlecht an der Spitze?
Das war eine schleichende Entwicklung in den letzten fünf Jahren, denke ich. Um 2010 herum hatten einige Teams durch strategische Neuerungen, sehr gut zusammenpassende Kader und psychologische Gründe einen großen Vorsprung (primär Guardiolas Barcelona und Klopps Dortmund). In der Folge musste die Konkurrenz nachziehen (Mourinhos Real und Heynckes‘ Bayern). Das gab so um 2012 herum einen Peak, was taktische Qualität anging.
Guardiolas Abgang von Barca hat dann eine langsame Abwärtsspirale eingeleitet, die u.A. zu Simeones Ligasieg geführt hat. Simeone hat dadurch auch den Abwärtstrend noch verzögert, denke ich, ebenso Guardiola bei Bayern. Aber Ersterer kann nicht immer absolut herausragend sein, ähnlich wie Klopp beim BVB. Guardiolas Bayern waren etwas schwächer als sein Barca.
Indes konnten PSG und Real mit überragenden Kadern trotz taktischer Schwächen sehr stabile Ergebnisse einfahren. Kader, die auch im Vorbeigehen noch gewinnen, sind wohl eine schlechte Ausgangslage für taktische Perfektion, weil denen die Motivation fehlt, perfektionistisch zu arbeiten.
Gleichzeitig wurden die Neuerungen und Methoden von ~2010 noch mehr in der Breite adaptiert, was die Dominanz der Mannschaften in der Liga geschwächt hat, die aber gleichzeitig noch an den Erfolgen von vor fünf Jahren gemessen werden, die man eigentlich nicht als dauerhaften Maßstab verwenden kann. Wenn etwas herausragend ist, ist es der Maßstab für herausragend. Viele nutzen das aber als Maßstab für ausreichend bis gut und vergessen, was ein realistischer Maßstab für ausreichend bis gut ist. (Vergleicht man Bayerns Saison mit einer aus den 90ern oder 2000ern, dann kommt man ja nicht auf die Idee ihnen eine Krise zu unterstellen, oder?)
Der Weltfußball an der Spitze ist also nicht „schlecht“, sondern er hat Defizite im Vergleich zu dem, was bisher die taktisch stärkste Phase der Fußballgeschichte war. Hier gilt der umgekehrte Fall von der letzten Frage: Wenn Umstände dazu führen, dass etwas herausragend ist, so ist das zwangsweise ein unwahrscheinlicher Fall – sonst wär’s ja gar nicht herausragend. Wahrscheinlicher ist, das etwas nicht herausragend ist. Das erleben wir gerade. Der Weltfußball ist in der Spitze einfach ein bisschen normaler als in den letzten Jahren.
Wer sich über die Qualität von Spielen wie Real gegen Bayern ärgert, kann sich ja mal ein Topspiel von 2005 ansehen. Oder aus den 90ern. Das erdet.
Ist Valverde (Intensität, Pressing) ein passender Trainer für Barça?
Ich kenn Valverde nicht gut, aber kompetente Quellen besagen, dass er hervorragend wäre. Die Philosophie von Athletic beinhaltet ja sehr klare Konzepte für das Positionsspiel und Pressing. Valverde nutzte da ein sehr interessantes 4-1-3-2-Angriffspressing.
Ich glaube, es gäbe etliche Trainer, die „passend“ wären im stilistischen Sinne. Was bei der Frage aber natürlich immer mitschwingt ist ja „wer wäre so erfolgreich, wie man es von Barca kennt?“ und da gibt’s wohl nicht so arg viele. Ob Valverde das hinbekommt, kann ich nicht sagen. Das scheint zunehmend auch eine Frage des Kaders zu werden.
Hätte Toni Kroos dem FC Bayern gegen Real und Dortmund helfen können?
Also gegen Real auf jeden Fall. Er hätte ein Eigentor schießen können!
Aber im Ernst, mir fällt spontan keine Mannschaft in irgendeinem Spiel ein, der Toni Kroos nicht hätte helfen können.
Braucht es physisch starke Zerstörer wie Kanté oder Casemiro im Mittelfeld um Erfolg zu haben?
Hatte Barcelona mit Busquets, Xavi und Iniesta Erfolg? Es braucht wahrscheinlich Spieler, die Bälle erobern. In welchem Stil man die Bälle erobert, ist einigermaßen egal. Athletik hilft normalerweise dabei, aber alle Fähigkeiten helfen beim Erfolg haben. Ich würde nicht dogmatisch auf Athletik setzen und dabei dann taktische oder technische Schwächen in Kauf nehmen. Gerade im Zentrum sollte man meines Erachtens zunächst bei taktischen Fähigkeiten und dann bei technischen Fähigkeiten so wenig Abstriche wie möglich machen. Solange Gegenspieler nicht einfach am Sechser vorbeispazieren können, hat der sehr viele Möglichkeiten, das Spiel so zu manipulieren, dass eine Balleroberung der Mannschaft möglich wird.
Was denkst du über eine Kombination aus 4-4-2 (defensiv) und 3-1-2-1-3 (offensiv)? Innenverteidiger auf die Sechs, zweiter Stürmer auf die 10? Machbar?
Find ich eine interessante Idee, gerade gegen Gegner, bei denen ein Vorschieben der Außenverteidiger ineffektiv wäre und wenn man entsprechende Spielertypen hat (passstarke, defensive Außenverteidiger, einen passenden Innenverteidiger, breit agierende Flügel). So ein bisschen hat das ja Guardiola damals gegen Real gemacht mit Busquets als Hybridspieler.
Der Nachteil von sowas ist meines Erachtens – zumindest kurzfristig, bevor die Spieler dran gewöhnt sind –, dass die Position als Grundorientierung sich etwas auflöst. In Umschaltsituationen kann es passieren, dass die einen sich in die defensive, die anderen sich in die offensive Grundordnung orientieren und dadurch Verbindungen abbrechen.
Und die Spieler haben dadurch zwei unterschiedliche Rollen, was hier und da für Unklarheiten sorgen kann: Gerade für die Achter ist das schwierig: Im 3-Raute-3 spielen sie recht breit mit viel Verantwortung für die Flügelräume und haben einen fixen Anker hinter sich, der das Zentrum vor der Abwehr sichert. Nun müssen sie diese Spielweise verbinden mit dem Spiel als Doppelsechs, wo man viel Verantwortung für die strategische Gestaltung hat und sich den Raum vor der Abwehr zu zweit aufteilen muss. Das sind massiv unterschiedliche Anforderungen, was ich mir taktikpsychologisch sehr schwierig vorstelle.
Allerdings kann man dadurch Spielertypen ganz interessant kombinieren, die man sonst schwer verbunden bekommt. So könnte quasi ohne oder nur mit einem echten Außenverteidiger spielen und dafür einen zusätzlichen Sechser reinbekommen und zwei defensivstarke Box-to-box-Spieler gut einbinden. Für Bayern wär das eigentlich ganz interessant:
Wie knackt man eine 5-er-Kette mit zentral kompakten Block davor relativ erfolgsstabil? Bspw. Hoffenheim, Frankfurt etc.
Die Kernkompetenz dabei sind meines Erachtens diagonale und horizontale Pässe in die Kompaktheit von außen und Spieler, die diese innerhalb des Blocks verarbeiten können. Das Problem bei diesen Systemen ist üblicherweise, dass links und rechts vom Block große Freiräume sind. Dort kann man sehr leichten Raumgewinn erzielen und dann muss man dort halt wieder rauskommen, wenn man zugeschoben wird.
Der eröffnende vertikale Pass des Innenverteidigers, der gegen 4-4-2-Strukturen so wichtig ist, wird gegen 5-3-2 oder 5-2-2-1 durch eröffnende diagonale und horizontale Pässe des Außenverteidigers ersetzt. Nur haben Außenverteidiger noch nicht breitflächig diese Fähigkeiten, während sie bei Innenverteidigern mittlerweile Standard sind.
Wann wird Dembele Weltfußballer? Was wird seine beste Rolle/Position sein?
Auf dem Weg zum Ballon d’Or gibt es zur Zeit ja sehr viel Konkurrenz, da würd ich mich auf nichts festlegen in den nächsten 15 Jahren. Seine beste Position ist echt schwer zu benennen. Er ist wirklich unheimlich komplett in seinen Dribbel- und Passfähigkeiten und kann diese spezielle Durchschlagskraft quasi aus allen Räumen erzeugen. Es ist meines Erachtens beinahe egal, ob er links, rechts, halblinks, halbrechts spielt. Zentral hat er wohl noch etwas mehr Effekt, weil man da schlichtweg mit einem Dribbling mehr Gegenspieler überspielt als außen.
Ich fand seine Einbindung unter Tuchel schon sehr, sehr gut. Er konnte teilweise als rechter Achter agieren, was für ihn sehr interessant ist, hatte aber eher Defensivaufgaben und Absicherung wie ein Zehner. Dazu hatte er die Freiheit nach Rechtsaußen zu gehen oder auf die Zehn. Viel besser geht es wahrscheinlich nicht, aber auch in anderen Rollen ist er nicht bedeutend schlechter.
Kann man mit drei Zehnern spielen? Passt Stindl in die A-Elf? Und was denkt eigentlich Thomas Tuchel über Restverteidigung mit vier Spielern?
Nach dem dominanten 3:0 im Hinspiel tat sich die deutsche Nationalmannschaft in der zweiten Partie gegen die Tschechische Republik sehr schwer. Die sehr frühe Führung wurde mit enorm viel Ballbesitz lange gehalten, doch das Chancenverhältnis fiel in weiten Teilen des Spiels zu Gunsten des tschechischen Gastgebers aus.Image may be NSFW. Clik here to view.
Jogi Löw setzte dabei im wesentlichen auf sein 5-3-2-System aus dem Confed-Cup, welches aber noch mit den Schlüsselspielern Hummels, Kroos und Özil ergänzt und leicht angepasst wurde. Gerade das Fehlen von Goretzka merkte man dem System aber stark an.
Das Spiel bei deutschem Ballbesitz und Tschechiens häufiger tiefer Verteidigung.
Eigenartige 3-1-5-1-Struktur
So wurden die zentralen Positionen im System nicht so besetzt, wie es für ein Dreier-Mittelfeld üblich wäre: ein eher defensiver Sechser hinter zwei laufstarken Achtern. Stattdessen agierte Spielmacher Kroos hinter Zehner Özil und Stürmer Müller. Das war wohl auch so gedacht, denn die beiden bewegten sich meist hinter der gegnerischen Mittelfeldlinie. Zusammen mit dem zurückfallenden Stindl agierten sie als bewegliche Dreifachzehn zwischen den Linien.
In der ersten Überlegung erst einmal keine schlechte Idee angesichts der Spielertypen: Alle drei sind Experten darin, sich in den Offensivräumen anpassungsfähig zu bewegen. Müller kann Räume öffnen und ausnutzen, Özil kann sich im richtigen Moment absetzen und die tödlichen Pässe spielen, Stindl ist überaus kombinationsstark und kann dadurch beide in Szene setzen und miteinander verbinden. Bei Bedarf kam einer der drei auch ein paar Meter entgegen, um Zuspiele von Kroos klatschen zu lassen. Besser wäre es vielleicht noch gewissen, flexibel als Achter neben Kroos aufzufüllen, aber das praktizierte fast nur Özil selten einmal.
Stindl ist leider nicht Messi
Bei genauerer Betrachtung ging die Idee mit den drei Zehnern in dieser Struktur aber nicht so richtig auf. Das lag an mehreren Details. Zum einen wäre es vielleicht schlauer gewesen, die drei nicht auch als Dreifachzehn zu staffeln. Dadurch war es für die Spieler schwierig, miteinander zu kreuzen und Dreiecke untereinander herzustellen; zudem erschwerte es die Anbindung an Werner. In einer asymmetrischen Staffelung oder etwa einer wirklichen 2-2-Anordnung mit Werner wären effektive Positionswechsel leichter möglich gewesen.
Stattdessen agierten die drei Kombinationsspieler nur selten in Kombinationen, sondern interpretierten das 3-1-5-1 eher positionell. Das ist an sich nichts schlechtes, nur passt es nicht so sehr zu den Spielertypen. Das wurde vor allem bei Stindl überdeutlich. Durch gutes Positionsspiel kann – und will – man freie Spieler hinter den gegnerischen Linien erzeugen, damit diese aus den Freiräumen individuell Aktionen starten können. Das gelang auch durchaus. Kroos und Hummels platzierten einige Bälle gut zwischen den Linien, besonders häufig eben bei Stindl.
Dieser konnte mit dieser vorteilhaften Position aber in dieser Konstellation nichts anfangen. In der Enge des tschechischen Blocks wagte er es nicht, aufzudrehen und mit Ball am Fuß die Abwehr unter Druck zu setzen. Stattdessen fokussierte er sich extrem auf seine üblichen Direktablagen, für denen aber die Mitspieler fehlten. (Brandt wäre übrigens in dieser Situation deutlich besser dort aufgehoben gewesen.)
Eine der Szenen, in denen Stindl zwischen den Linien den Ball bekommt; einer dieser wunderbaren, unterschätzten Kurzpässe von Kroos übrigens. Stindl dreht aber nicht auf und startet nach vorne, sondern spielt sofort den kurzen, ineffektiven Pass auf Özil. Der wird gut gepresst, lässt klatschen und Stindl spielt nach außen auf Ginter – und der Raumgewinn ist dahin.
Tschechien im Chelsea-Style
So konnten die Tschechen die DFB-Elf immer wieder aus dem Block hinaus drängen oder sogar unnötige Pässe abfangen und Konter einleiten. Die Kompaktheit der Tschechen war übrigens überraschend stark. Normalerweise agiert die Mannschaft sehr breit und mannorientiert gegen den Ball. Im Hinspiel ließen sie sich dadurch immer wieder in ein 6-2-1-1 zurückdrängen und hatten massive Probleme bei Verlagerungen in den ballfernen Halbraum.
So macht Chelsea das – durchaus noch etwas kompakter und sauberer in der Positionierung.
Gerade die Halbräume wurden dieses Mal extrem fokussiert verteidigt. Karel Jarolim wählte ein 5-4-1, in dem sich die Mittelfeldlinie äußerst eng staffelte. Die deutschen Außenverteidiger (bzw. Flügelläufer) wurden nach hinten an die Fünferkette übergeben. Der ballferne tschechische Außenverteidiger blieb deshalb auch immer etwas breiter, während die restlichen Spieler ein ballnahes, sehr kompaktes 4-4 aufreihten (siehe letzte Grafik).
Vor allem die Flügelstürmer Jankto und Kopic verschoben dabei sehr diszipliniert. So konnten Darida oder Soucek im Wechsel auch etwas vorrücken, um zumindest etwas Druck zu erzeugen und den vertikalen Passweg zu verengen. Das erinnerte teilweise sehr an Contes Chelsea. Die individuelle Intensität in den Pressingsituationen war zwar geringer, doch angesichts der deutschen Staffelungsprobleme genügte das häufig.
Die Halbräume stehen offen für Konter
Aus der kompakten Staffelung mit vier Spielern vor dem deutschen Sechser konnte Tschechien dann sehr gut Konter einleiten. Hier profitierten sie von der offensiven Ausrichtung des deutschen Systems. In der 3-1-5-1-Ordnung waren die Räume links und rechts von Toni Kroos riesige offene Flächen. Die vier tschechischen Mittelfeldspieler waren immer schneller in diesen Räumen als die deutschen Abwehr- oder Offensivspieler. Selbst nach unkontrollierten und sehr tiefen Balleroberungen konnten sie sich deshalb öfter in diese Räume lösen:
Nach einem langen Diagonalball von Hummels: Man erkennt Deutschlands Grundstruktur mit vielen Spielern zwischen den Linien und nur einem Sechser. Neben Kroos sind riesige Räume offen. Soucek bekommt hier den Abpraller. Özil, Werner und Kroos schalten allesamt gut um, aber kommen trotzdem nicht ran, da die Räume einfach zu groß sind. Kroos ist in Unterzahl und wird von Darida quasi weggeblockt. Soucek kann den Ball schnell in den Raum schieben; er könnte auch locker auf die andere Seite spielen, da ist sogar noch mehr Raum. Ginter kann den entscheidenden Raum nicht schließen, weil er Krmencik verteidigen muss aufgrund Hummels‘ Aufrücken zuvor.
Was hier ganz gut hinpasst: Ich hab mich vor kurzem einmal mit Thomas Tuchel über dieses Thema unterhalten. Er hatte nach seiner ersten BVB-Hinrunde analysiert, weshalb die Mannschaft auch in guten Spielen regelmäßig in gefährliche Konter laufe und dabei (teils zufällige) Aktionen durch die Halbräume als entscheidendes Merkmal ausgemacht. In der Folge war Dortmund stets so organisiert, dass fünf Spieler zur Restverteidigung in den ersten beiden Linien blieben (meist in einer 3-2-Staffelung, manchmal 2-3 oder 4-1).
Hier fehlte der DFB-Auswahl genau dieser fünfte Spieler, während zwei der vier verfügbaren sehr breit gestaffelt waren und die sechs offensiven Spieler ebenfalls recht breit aufgestellt und mit großen Abständen zu den tieferen Halbräumen.
Image may be NSFW. Clik here to view.Grundsätzlich kann man zwar in einer 3-1-4-2-Staffelung schon eine vernünftige Restverteidigung erzeugen, siehe Grafik rechts: Wenn die Achter in Verbindung zum Sechser bleiben und der Innenverteidiger hinter dem gegnerischen Stürmer bleibt, kann bei Ballverlust der ballnahe Halbverteidiger aufrücken und man verteidigt in einer 2-2-Staffelung zum Ball, die dann vom ballfernen Achter noch aufgefüllt wird. Wenn die Achter sich aber als breite Zehner nach vorne orientieren und auch der Innenverteidiger (wie in der Szene oben) nach vorne geht, sodass die Halbverteidiger sich nach hinten orientieren müssen, lässt sich diese Verschiebung nicht durchführen.
So mussten Ginter, Hummels und Kimmich dann immer wieder Konter Drei-gegen-Drei verteidigen, was man sich als Mannschaft eigentlich im besten Fall nie erlauben sollte, aber sicherlich nicht alle paar Minuten. Die tschechischen Angreifer spielten diese Szenen aber völlig unreif aus und griffen immer wieder zu verfrühten Schüssen und Risikopässen. So konnte vor allem Hummels seine individuelle Überlegenheit ausspielen und drei Verteidiger reparierten vieles noch.
Tschechiens Angriffspressing
Ein weiterer interessanter Aspekt des Spiels waren die gelegentlichen Momente tschechischen Angriffspressings. Dieses war im Grunde Eins-gegen-Eins mannorientiert: Die drei Offensivspieler gegen die Dreierkette, einer der Sechser gegen Kroos, der ballnahe Außenverteidiger herausrückend auf den deutschen Außenverteidiger auf dieser Seite.
Ganz interessant und geschickt war dabei vor allem der Ablauf des Aufrückens: Nach einem Rückpass lief beispielsweise Kopic gegen Ginter an und provozierte den Rückpass auf Hummels. Dann lief Krmenicek diesen seitlich an und erzwang den Pass auf Kimmich. Währenddessen schob dann der Kroos-nähere Sechser vor und Jankto lief leicht von Außen auf Kimmich zu, sodass dieser auf ter Stegen zurückspielen musste. Dieser versuchte nun meist wieder auf die andere Seite zu verlagern. Dort kam dann der tschechische Außenverteidiger sehr früh nach vorne und die beiden Sechser schoben mit rüber, sodass es – in diesem Fall für Ginter – schwierig war, sich zu lösen.
Die deutsche Mannschaft zeigte aber ein weiteres Mal ihre sehr konsequente Art, ein Angriffspressing auszuspielen, um dann Schnellangriffe gegen die gegnerische Hintermannschaft zu fahren. Das gelingt der Elf noch nicht immer, aber doch immer öfter und entwickelte sich auch in dieser Partie wieder ganz gut. Wichtig war dabei, dass ter Stegen länger den Ball behielt und nicht unnötig früh auf den Halbverteidiger weiterspielte.
Eine interessante Rolle hatte auch Hummels, der im zweiten Durchgang die gegnerischen Manndeckungen manchmal einfach auflöste, indem er sich bei Ballbesitz des Torwarts nach vorne bewegte, das Zuspiel von ter Stegen forderte und dann einfach mit Ball am Gegner vorbei ins Mittelfeld marschierte, wo durch die die Manndeckungen recht große Räume waren. Auch Kroos zeigte sich von seinen Manndeckern recht unbeeindruckt und beförderte den Ball dadurch einige Male aus der Druckzone ohne sich im eigentlichen Sinne von seinem Gegenspieler zu lösen.
Fazit
Es war ein interessantes Experiment von Jogi Löw, das Mittelfeldzentrum dermaßen offensiv zu besetzen und die Rolle des Achters quasi aufzulösen. Letztendlich sollte man aber konstatieren, dass das nicht wirklich funktionierte. Man war viel zu konteranfällig und generierte zu wenige Torchancen. Stindl muss in dieser Mannschaft anders eingebunden werden, Brandt sollte vielleicht eine weniger lineare Rolle bekommen und die Restverteidigung der Elf muss in der Dreierkette besser (oder überhaupt mal) strukturiert werden.
Positiv bleibt, dass die Mannschaft trotzdem am Ende den Sieg erzwang und außerdem die schlichte individuelle Überlegenheit von Kroos und Hummels, die mit ihren technischen und taktischen Fähigkeiten eine unheimliche Dominanz erzeugen können; selbst wenn sie um sie herum keiner so richtig mitmacht.
In den kommenden Qualispielen wird sich Löw wohl weiterhin auf die Suche begeben nach der richtigen Mischung aus dem Confed-Cup-Stil und den früher erfolgreichen 4-2-3-1- und 4-3-3-Strukturen. Das kann wieder spannend werden. Was man an der Stelle nämlich auch mal ganz generell feststellen kann: Es gibt zur Zeit kaum eine Mannschaft auf der Welt, wo so viele taktisch interessante Dinge passieren wie bei der deutschen Nationalmannschaft. Das ist doch auch mal eine Wendung in der Fußballgeschichte.
Stuttgarts 5-2-2-1 wird zum 3-Raute-3 und das verspricht einiges.
Mit einer Umstellung auf ein 5-2-2-1-System ist Hannes Wolf mit dem aufgestiegenen VfB Stuttgart ein guter Saisonstart gelungen. Gegen Wolfsburg wurde das defensivstarke System noch etwas weiterentwickelt: Bei Ballbesitz entstand durch die Rollenverteilung häufig eine Art 3-1-2-1-3 – eine alte Lieblingsformation von Spielverlagerung und zum Beispiel auch Johann Cruyff. In der Defensive half die massive Pressingfalle auf die gegnerische Außenverteidiger-Zone.
Das 5-2-2-1 ist das offensivere 5-3-2
Bereits gegen Mainz gewann der VfB dank des neuen 5-2-2-1-Systems. Gegen die Elf von Sandro Schwarz war es noch primär die defensive Stärke dieser Formation, die Stuttgart weiterhalf. In diesem Kontext stellt das 5-2-2-1 eine offensivere Ausrichtung des zur Zeit sehr beliebten 5-3-2 dar: ein Spieler weniger vor der Abwehr, einer mehr in den hohen Pressingzonen. Vergangene Saison nutzte vor allem der FC Ingolstadt dieses System in Verbindung mit sehr hohem Pressing.
Die Grundstruktur des Systems: Die fünf vorderen Spieler können sehr gut das Zentrum versperren. Wenn der Ball auf den Flügel geht, verschieben sie als Block. Der Außenverteidiger löst sich aus der Abwehr und macht von vorne Druck auf den Ball; dahinter bleibt eine Viererkette zur Absicherung.Image may be NSFW. Clik here to view.
Konzeptionelle Darstellung der Grundstaffelung im 5-2-2-1 und des Verschiebens auf den Flügel mit Deckungsschatten und Viererkettenbildung.
Im Vergleich zum 5-3-2 ist der offene Raum auf der Seite noch größer. Dafür können drei Spieler (Stürmer, Zehner, Sechser) die Wege ins Zentrum (und nach hinten) versperren, statt nur zwei. Der Gegner hat mehr Zeit, aber tendentiell weniger Optionen. Ähnliches erlauben beispielsweise das 4-3-2-1 oder das 4-1-2-2-1. Mit Fünferkette kann sich der Außenverteidiger noch eher nach vorne lösen und dahinter hat man einen Spieler mehr als Absicherung.
Ein Dreieck gegen alle Sechserbewegungen
Im Gegensatz zu Ingolstadt spielte Stuttgart das System nicht mannorientiert, sondern eher positionell. Besonders interessant war das im Spiel gegen Mainz, da die Mainzer viel mit (Abkipp)Bewegungen ihrer Doppelsechs arbeiten. Die Doppelzehn und die Stürmer bildeten daher ein Dreieck um die Sechser; dadurch konnten sie auf Bewegungen in alle Richtungen reagieren. Beziehungsweise war es sogar kaum möglich für die Sechser, sinnvolle Bewegungen zu starten, weil eben genau die möglichen Ausweichräume – zentral hinten, links, rechts – bereits vom Gegner besetzt waren.
So konnte Stuttgart meist das Zentrum verschließen. Nach Pässen auf die Seite wurde dann angelaufen; die Sechser konnte man in der vorderen Dreiecksstruktur gut im Deckungsschatten behalten. Mainz kam im Aufbauspiel fast nie ins Zentrum. Nach Pässen auf die Außenverteidiger hatten sie dann keine Optionen mehr. Im Angriffspressing konnte Stuttgart so das Spiel meist in der gegnerischen Hälfte halten.
Weiterentwicklung zum 3-Raute-3
Bei eigenem Spielaufbau hatten die Mannschaft in Mainz noch nicht so viel zu bieten. Die beiden Halbzehner im Rücken der gegnerischen Doppelsechs konnten aber punktuell auftrumpfen. Nun gegen Wolfsburg wurde das System weiterentwickelt. Bei eigenem Ballbesitz wurden die Rollen so angepasst, dass eine Art 3-Raute-3 entstand. (Wir haben SV-intern die Bezeichnung „3-Raute-3“ bzw. „4-Raute-2“ angefangen zu nutzen, weil eine 4 eine Viererreihe suggeriert, „1-2-1“ umständlich ist und ein 3-3-1-3 normalerweise das System mit einem Sechser und Flügelläufern bezeichnet.)
Aogo rückte häufig zentral ein. Der Defensivallrounder kann ja auch Sechser.
Die Doppelsechs pendelte etwas nach rechts. Gentner ist als Achter ja besser aufgehoben als zentral.
Donis schob aus der Zehnerposition nach links außen – und zwar ganz links außen.
Akolo besetzte die Zehn. Das spielte er aber weiterhin etwas rechtsseitig, was nicht hundertprozentig zu der eher linksseitigen Raute passte.
Dadurch bekam Stuttgart die Mittelfeldstruktur etwas breiter und tiefer hin als in einem 3-4-2-1 üblich: Nicht nur die Doppelsechs bildete die erste Linie im Gegenpressing, sondern ein dritter Spieler kam dazu. Dieser musste außerdem nicht ständig den ganzen Weg bis in die Offensivzonen machen, sondern konnte schneller wieder die Abwehr unterstützen.
Generell deckt das 3-Raute-3 das Feld sehr weiträumig und gleichmäßig mit vielen Verbindungen ab, sodass man in alle Richtungen sehr schnell mit vielen Spielern Zugriff bekommt. Gegen Wolfsburgs 5-2-1-2-System ergab der zentralere Fokus zudem Sinn, da sich dort drei zentrale Spieler für Konter positionieren, aber keiner auf dem Flügel. Die drei Umschaltspieler waren so also von sechs Gegenspielern eingekesselt. Das sorgte auch für viel Stabilität.
Die Umformung auf dieser Seite störte außerdem die Zuordnungen der Wolfsburger (Verhaegh: vorne oder hinten? Guilavogui: innen oder außen?) und kreierte einen zusätzlichen Passweg für Pavard. Das wiederum war ein wichtiger Aspekt im Aufbauspiel gegen den zentralen Block der Wölfe.
Zentrales Andribbeln gegen das 2-1-2
Die Gäste formierten sich in ihrem 5-2-1-2-System nämlich in deinem durchaus schwer bespielbaren Mittelfeldpressing. Das 5-2-1-2 hat ähnliche Vorteile wie das 5-2-2-1, nur ist es noch etwas kompakter. Dadurch, dass der fünfte Spieler nicht vor dem Quadrat sondern innerhalb des Quadrats positioniert ist, entstehen noch mehr bzw. kleinere und dichtere Dreiecke. Das Spiel ins Zentrum und innerhalb des Zentrums wird noch schwerer.
Stuttgarts Lösung dabei hatte nur indirekt mit der Veränderung der Positionsstruktur zu tun: Durch die Dreierkette wurden die Wolfsburger Stürmer etwas in die Breite gezogen. Der sehr spielstarke zentrale Verteidiger Pavard dribbelte dann schlichtweg zwischen beiden nach vorne. Damit zog er Didavi heraus und hatte freie Sicht ins Zentrum. Mit dem ausweichenden Gentner und dem einrückenden Akolo entstand für Pavard dann die klassische Rautenstruktur, um die Pässe durch das Mittelfeld zu spielen.
So entstand dann auch das 1:0. Dabei startete Aogo zunächst sogar breit und startete dann auch die Linie entlang, wurde durch die sonstige Struktur aber zuvor aus der Mitte eingebunden und konnte dann mit dem breitstehenden Donis überladen.
Vor dem 1:0: Pavards Andribbeln durchbricht die erste Linie, Arnold muss wegen Gentners Bewegung zwei Passwege abdecken, wodurch der Vertikalpass aufgeht. Akolo kann im Dribbling noch Guilavogui auf sich ziehen und öffnet dadurch den Raum für Aogo. Der stellt dann schnell eine 2-gegen-1-Situation gegen Verhaegh her, was zu Donis‘ Flanke führt.
Dynamische Asymmetrisierung im Positionsübergang
Ein Nebeneffekt dieses taktischen Kniffs war die dynamische Asymmetrisierung des „Spielschwerpunkts“ der Stuttgarter Formation, oder weniger bescheuert ausgedruckt: Die Mannschaft schob sich dadurch ein bisschen nach rechts. Dieser Effekt ist strategisch nicht zu unterschätzen, wir hatten ähnliches hier schon einmal für das System des BVBs diskutiert. Im Grunde wird die Seite überladen, während der Ball in der Mitte ist; also nicht erst, wenn der Gegner bereits das Verschieben einleitet.
Eine Durchbruchssituation über die rechte Seite, bei der man die Rautenbildung gut erkennen kann. Dadurch hat Stuttgart sieben Spieler rechts, nur drei links. Die ballorientiert verschiebende Mannschaft hat sogar einen weniger auf der ballnahen Seite, da der Angriff aus der Mitte kommt.
So hat Wolfsburg auf einer Spielfeldseite und dadurch auch in der Flügelzone Überzahl. Das hilft zum einen der Ballzirkulation auf dieser Seite, kann für Durchbruchsmomente genutzt werden oder eben massiv Räume auf der anderen Seite öffnen – wo Donis schon wartet. Die Wolfsburger kommen in dieser Situation überhaupt nicht damit klar, verschieben zu spät und laufen mit improvisierten Mannorientierungen ins Leere.
Interessanter weiterer Aspekt: Wie in der Grafik weiter oben bereits angedeutet, kann diese Positionsverschiebung auch zu einer Überladung der anderen, der linken Seite führen. Die Verschiebung besteht ja aus Bewegungen nach rechts (Aogo, Ascacibar, Gentner) und nach links (Donis, Akolo). Wenn nur die Linksbewegung gemacht wird, hat man fast die gleiche asymmetrisierte Systematik, die aber auf dem Feld weiter auf der anderen Seite platziert ist. Das macht das ganze System recht intuitiv und flüssig und noch schwerer für den Gegner zu kontern.
Ein Nebeneffekt davon war auch, dass Beck seine Rolle noch offensiver interpretieren konnte als ohnehin: Er rückte nicht nur weit auf, um Breite zu geben, sondern spielte quasi als vollwertiger Flügelstürmer. Er rückte offensiv in den Halbraum ein und zeigte viele diagonale Aktionen in die Spitze; siehe etwa auf der Grafik vor dem 1:0, wo er den von Akolo geöffneten Raum in der Wolfsburger Kette attackierte. Das konnte er tun, weil eben Gentner hinter ihm zum einen den Raum im Gegenpressing sichern konnte, aber auch die Breite besetzen konnte.
Individuelle Eignung?
Letzteres hätte wiederum gut zu Gentners Flankenstärke gepasst. Grundsätzlich hatte Gentner in dieser Rolle viele Freiheiten und nicht so viel strategische Verantwortung wie ein normaler Sechser; konnte gleichzeitig aber auch eine absichernde Position beibehalten. Eine gute Mischung, die hervorragend auf das etwas eigenartige Fähigkeitsprofil des Stuttgarter Urgesteins passt. An dieser Stelle wünschen wir auch gute Besserung!
Ansonsten stehen aber schon ein paar Fragezeichen hinter der individuellen Besetzung dieses Systems und vor allem dahinter, wie gut der VfB diese Strukturen dann auch für sich zu nutzen vermag. Wolfsburg wurde nicht am laufenden Band damit ausgespielt; auch wenn das möglich gewesen wäre und die Wölfe recht schwach verteidigten.
Die Spielstärke der Verteidiger ist dabei wohl der größte Pluspunkt. In der aktuellen Besetzung kann der VfB von allen Positionen gut nach vorne kommen. Lediglich die Alternativen sind dünn gesäht. Ähnlich sieht das mit der Rolle von Aogo aus: für Aogo top, für mögliche Backups eher schwierig. Wobei Burnic so etwas wohl spielen könnte, gleiches gilt für die Gentner-Rolle.
Die Offensivpositionen waren in dieser Konstellation alle – für gehobenes Bundesliga-Niveau – nicht top besetzt. Vereinzelt konnten alle drei Glanzpunkte setzen, aber um einen starken Gegner zu dominieren, fehlt es allen an taktischer oder technischer Qualität. Mal sehen, was die diversen Alternativen dieser Spielweise noch hinzufügen können.
Fazit: Potentielle Revolution?
Ich würde mich hier schon aus dem Fenster lehnen: In Ansätzen war das von Stuttgart eines der interessantesten taktischen Systeme, die ich je gesehen hab. Ich glaube, dass diese Grundsystematik auch für Topteams sehr geeignet wäre und grundsätzlich ein sehr hohes Potential hat. Barcelona versuchte ja schon ähnliches. Besonders gegen Fünferkettensysteme scheint diese Art der Verschiebung sehr wirkungsvoll zu sein. Ich vermute, gegen Viererketten müsste es etwas angepasst werden.
Was der VfB daraus macht, lässt sich schwerer abschätzen – zu diesem Zeitpunkt schon deshalb, weil unklar ist, ob das ein neues Standardsystem sein sollen, oder es nur eine Gegneranpassung war oder ähnliches. Positiv ist ohne Frage, dass Hannes Wolf seine Mannschaft offenbar mit klaren Ideen weiterentwickelt. Das lässt hoffen, dass hier eine richtig spannende Elf entsteht.
PS: Sorry für die reißerische Überschrift, aber sonst liest den Mist wieder keiner!
Niccolò ist eigentlich ein ganz normaler Junge. Er spielt gerne Fußball und teilt diese Leidenschaft mit allen in seiner Mannschaft – der U11 von Traditionsverein Inter Mailand. Niccolò ist auch der Kapitän dieser Mannschaft, obwohl er nicht der auffälligste seines Jahrgangs ist. Im Gegenteil: vielen fällt er gar nicht auf. Es ist eher der Endverwerter seiner Pässe, der Mittelstürmer, den sie nur den kleinen Prinzen nennen, welcher aufgrund seiner zahlreichen Tore Blickfang für Publikum und Beobachter zu sein scheint.
Doch für das geübte Auge ist Niccolò der mit Abstand beste Spieler auf dem Platz, denn vereint in sich spielerische Eigenschaften, die ihn fußballerisch zumindest ein bisschen vom „ganz normalen Jungen“ unterscheiden. In der Geschichte Inter Mailands gab es einige herausragende Spieler: ob „Phänomen“ Ronaldo, Halbstürmer Mazzola, Spielmacher Luis Suarez, Weltklasseausputzer Picchi oder Vereinslegende Facchetti – sie alle sind Legenden eines der größten Vereine Europas und der Welt.
Der vertikale moderne Sechser als Zukunft des Fußballs?
Es scheint unwahrscheinlich, dass Niccolò jemals auf dieses Niveau kommen wird – doch wie alle genannten Spieler bringt er etwas Neues in die Welt des Fußballs. Er steht Symbol für einen Trend, der noch nicht im Kommen ist und in der Geschichte des Fußballs ohnehin selten vorkam: den modernen Typus eines defensivorientierten zentralen Mittelfeldspielers, der ohne feste Position im eigenen Ballbesitz das gesamtmannschaftliche Spiel koordiniert. Ein Spielertyp wie Fernando Redondo.
Dies war das besondere an Niccolò. Defensiv fing er Bälle ab und ließ sich bei Ballbesitz seiner Mitspieler instinktiv fallen oder rückte auf. Mit beeindruckender Antizipation schloss er ballnahe Lücken oder zog sich auf seine Stammposition vor der Abwehr zurück. Bei Balleroberung setzte der fast mager wirkende und groß gewachsene Kapitän im schwarz-blauen Trikot nie eine Grätsche ein, er lief Bälle ab und nutzte seine Technik, um sich aus eventuell resultierenden Gegenpressingsituationen zu befreien.
In den ersten Minuten wirkte er wie ein junger Busquets, doch im weiteren Spielverlauf gab es einige Szenen, in welchen er den Ball durch das Mittelfeld trieb oder sich – falls die Absicherung der eigenen Mannschaft sowie die Lücken im gegnerischen Defensivverbund vorhanden waren – gar im letzten Spielfelddrittel mit Vertikalläufen in den Rücken der Abwehr anbot. Ein Tor, mehrere Vorlagen und die gesamte Koordinierung der Rückwärts- und Vorwärtsbewegung zeugten von einer herausragenden Leistung. Die Fragen sind, wie sich eine solche Spielweise auf höherem Niveau auswirkt sowie ob ein solcher Aktionsradius im Spitzensport möglich ist.
Die vertikale moderne Sechs – wofür?
Aufgrund des steigenden technischen Niveaus in der Breite wie in der Spitze, der hohen Athletik und dem Konsens einer taktisch geordneten kollektiven Ausrichtung gegen den Ball im Profifußball verengt sich der Raum in der Mittelfeldzentrale weiter. Der Untergang der klassischen Zehn ist ein Testament an diese Veränderung, welche sich immer weiterzieht. Der Ballbesitzfußball des FC Barcelona sowie deren Pressing sind ein klares Zeugnis für diese Entwicklung.
Einem starken Angriffspressing ausgesetzt sehen sich zahlreiche Mannschaften überfordert. Oftmals kommt der Ball gar nicht zu den spielstarken Flügelstürmern oder Halbstürmern, welche unter Umständen den Ball unter einer solchen Bedrängnis behaupten könnten. Meistens zerschellt der eigene Spielaufbau gegen die Katalanen im zweiten Spielfelddrittel beziehungsweise zu Beginn dieses Feldabschnittes. Den Sechsern oder dem Sechser fehlt es an der nötigen Technik und Spielstärke, außerdem sind auch die Achter Stresssituationen nicht gewohnt. Anders ist es – abermals – bei den Katalanen, welche mit Busquets eine passstarke Sechs auch unter höchster Bedrängnis besitzen. Xavi kann das gesamte Spielfeld beackern, was jedoch primär am hohen Ballbesitz der Katalanen liegt – durch das langsamere Vorrücken ist es für ihn möglich, sich innerhalb des Angriffsverlaufs von seiner Position vor der Abwehr bis an den Strafraum vorzubewegen.
Das Ziel einer konternden Mannschaft sowie spielstarken Mannschaften mit vertikalem Ballbesitzspiel sollte das Aufbauen einer mitaufrückenden Sechs sein, welche unter Bedrängnis den Ball behaupten kann sowie ruhige Pässe spielen kann. Gegen stark pressende Mannschaften kann damit der Pressingwall umgangen werden, ohne durch viele zentrale Spieler eine spätere Unterzahlsituation mit wenig Aussicht auf Erfolg im letzten Spielfelddrittel in Kauf genommen werden.
Im Gegenteil wird bei Durchbrechen des Pressingwalls die gegnerische Mannschaft vor große Probleme gestellt: die Spieler vorne sind außerhalb ihrer Position und laufen in die falsche Richtung, die Mannschaft ist in ihrer Kompaktheit zerrissen und die Abwehr sieht sich Gleich- oder Überzahlsituationen vor. Aufgrund dessen wird der Gegner gezwungen, sich anzupassen und das Pressing tiefer oder mit weniger Mann aufzuziehen, was der eigenen Mannschaft mehr Zeit in Ballbesitz erlaubt.
Interessante Beispiele dafür sind Akteure wie Luka Modric, Ever Banega und Jack Wilshere, die alle auf unterschiedlichen Positionen (Modric als moderner Zehner, Banega und Wilshere als defensive Achter, also nominell als einer von zwei Sechsern) eine hochpressende ballbesitzorientierte Mannschaft mit ihrer individuellen Leistung vor taktische Probleme gestellt haben. Sie konnten sich des Pressings entledigen und konnten dann im Angriffsspiel der eigenen Mannschaft weiterhin für Gefahr sorgen. Spanien gewann gegen die Kroaten denkbar knapp, während Wilsheres Arsenal gar gewinnen und Banega zumindest ein Unentschieden in den jeweiligen Spielen erringen konnten.
Dieser Effekt könnte weiter verstärkt und als Konterspielweise zu solchen Teams genutzt werden, wenn der Sechser ebenfalls ein Teil einer solchen Spielweise wird. Die vertikale moderne Sechs wäre ein Akteur, der defensiv und technisch Busquets kopiert, aber einen größeren Aktionsradius nach vorne besitzt – was der Katalane übrigens ebenfalls einige Male tat und auch Xavi in dessen Position schon zu ersetzen wusste.
Aufgaben und Absicherung ohne klassischen Spielaufbau oder aus dem aktiven Spielverlauf heraus
Als vertikale moderne Sechs gibt es gegen tief stehende Mannschaften die zusätzliche Aufgabe sich offensiv miteinzuschalten. In Partien, wo man ballbesitztechnisch unterlegen ist, gilt es den Pressingwall zu durchbrechen und vertikal nach vorne zu kommen – also öfter mit Ball als ohne. Die Absicherung ist hier durch eine gemäßigte enge Viererkette gegeben, da ohne klassischen eigenen Spielaufbau gespielt wird und die Positionen im Aufbauspiel nicht so breit sind. Das Ziel ist eine schnelle Überbrückung durch das Zentrum, während die Breite nach Überwinden des Pressingwalls durch Flügelstürmer geboten wird. Diese sollen die gegnerische Abwehrkette auseinander ziehen und sie nach hinten drängen oder mit Horizontalläufen die Schnittstellen anspielbar machen. Als zusätzliche Defensivoption kann sich entweder der ballfernere Achter fallen lassen oder – falls mit Doppelsechs gespielt wird – der Partner absichernd hinter den durchbrechenden Sechser bewegen. Damit gäbe es eine 5:5-Aufteilung oder eine 6:4-Aufteilung in Defensive und Offensive, womit gut attackiert werden kann.
hier sieht man, wie es aussieht, wenn man in eine Pressingfalle tappt. Der linke Innenverteidiger am Ball, die Passwege werden ihm von einer Mannschaft in einem aggressivausgerichteten 4-3-3 abgeschnürt. Anspiel auf den Sechser, in weiterer Folge wird dieser angelaufen. Er stoppt den Ball, wird leicht bedrängt und der halbrechte Innenverteidiger steht dann vor einem Problem. Normalerweise kommt der lose Ball in den Raum oder macht einen Befreiungsschlag.
Selbst eine 7:3-Aufteilung wäre bei richtiger Ausnutzung des gegnerischen Angriffspressing erfolgsversprechend, wenn der Gegner bewusst in die Tiefe und zum vertikalen modernen Sechser gelenkt wird. Er agiert dann somit als spieldrehender Sechser, der nicht innerhalb seines Sichtfelds agiert, sondern durch eine vorhergehende Analyse und seine Spielintelligenz mit Drehungen (siehe Banega) sein Sichtfeld verlagert, was eine enge Ballführung, Fähigkeiten im Dribbling und Dynamik auf den ersten Metern benötigt. Etwas, was eher klassischen Sechsern wie Luiz Gustavo und ähnlichen oftmals abgeht.
Das Sichtfeld muss nämlich noch stärker gedreht werden, als es bei ersteren Aufteilungen wäre. Es wird nicht nur gedreht beziehungsweise in eine Seite verlagert, sondern wird im Idealfall gänzlich gekippt. Bei mehr Leuten im Angriff reicht eine Drehung, dann kann der Pass gespielt werden – bei weniger Anspielstationen in der Diagonale ist es wichtig, eine Übersicht über das gesamte vordere Feld zu haben. Bei einem 7:3 ist es außerdem wichtig, dass der Sechser auch wirklich weit mit nach vorne geht.
Dafür wird der Gegner wie erwähnt aggressiver angelockt, was durch einen längeren oder öfter vorkommenden Ballbesitz des vertikalen Sechsers erzeugt wird. Mit mehreren Anspielen wird der Gegner auch etwas auseinander gezogen und es sollte sich zwischen den zentralen Spielern eine Lücke auftun, durch welche der vertikale Sechser stoßen kann.
in diesem Fall kann das Sichtfeld gekippt (also um 180° gedreht) werden, es entsteht eine Gleich- oder Überzahlsituation. Nach Situation können beide Achter mitgehen und auch beide Flügel – oder auf einer Seite beide und auf der anderen Seite einer (der Flügelstürmer im Normalfall), während einer absichert. Die Flügelstürmer können in die Lücken gehen, einer der Achter kann den zweiten Innenverteidiger okkupieren und mit dem zweiten Achter kann der Sechser eine Kombination spielen, um vorbei zu kommen
Damit wird der Gegner in seiner Kompaktheit auch stärker zerrissen, da er bei nur drei gegnerischen Spielern innerhalb seines tiefen Defensivbundes mit einer höheren Anzahl aufrücken darf. Tut er das nicht, dann gibt es mit sieben Spielern genügend Anspielstationen, um den Ball zu behaupten und auf eine Öffnung zu warten.
Aufgaben und Absicherung bei klassischem Spielaufbau
Wird das übliche Aufbauspiel praktiziert, dann sollte der Sechser weniger vertikal agieren und versuchen als Durchlaufstation schnell den Ball zirkulieren zu lassen. Damit soll die starke Raumorientierung solcher pressenden Mannschaften ausgehebelt werden und über die freie Seite oder die beim Verschieben entstehenden Löcher in der Mitte gespielt werden. Werden die eigenen Spieler dennoch konstant zugestellt, aufgrund einer tieferen Stellung des Gegners oder herausragendem Verschieben, dann würde dem Sechser wieder die Aufgabe zufallen, sich vertikal zu bewegen.
Damit bricht er das gegnerische Defensivmuster auf und sorgt für eine Überraschung, was die mannorientierten Raumzuteilungen aufbricht. Damit wird entweder ein Mann frei oder aber es sind Räume für den ballstarken Sechser offen, der das Spiel mit dem Ball am Fuß eine Zone höher verlagern kann. Bei weiteren spielstarken Akteuren in der Spielfeldmitte und auf den defensiven Flügeln kann die gegnerische Mannschaft konsequent nach hinten gedrängt werden und dadurch einer Monopolisierung des Ballbesitzes entgegengewirkt werden. Als Beispiel dazu gibt es das Spiel zwischen Spanien und Italien bei der Europameisterschaft in der Gruppenphase, wo so etwas Ähnliches im Kollektiv mit dem Viereck Motta-Pirlo-Chiellini-De Rossi gemacht wurde, während Flügelläufer Giaccherini die spanischen Pressingzuordnungen aufbrach.
hier wird das Sichtfeld auf eine Seite verlagert, er hat nun mehr Raum und kann zumindest den Achter halbwegs sicher anspielen. Die Kippung beziehungsweise die Drehung seines Körpers hängt natürlich vom Pressing ab. Hier wird er organisierter gepresst, weswegen er sich in den Rücken des Gegners hineindrehen könnte. Auch nach vorne ginge es, wenn er etwas frontaler aber bei gleicher Aggressivität gepresst wird.
Im Idealfall bringt ein spielstarker vertikaler Sechser also einen höheren Ballbesitz, eine sicherere Ballzirkulation, Verbesserung im Passspiel in sämtliche Richtungen sowie einen zusätzlichen Akteur gegen die massierte gegnerische Zentrale.
Duncan, Arie, Toninho, Josep, Frank, Fernando – und Niccolò?
In der Geschichte des Fußballs gab es auf allerhöchstem Niveau nur wenige solche Spieler, die von hinten nach vorne agierten und das Spiel gestalten. Mit Pelé, Messi, Di Stefano, Cruijff und noch einigen gab es das umgekehrte durchaus. Doch durch das Erhöhen der Pressinglinie und gleichzeitig das Prinzip der Raumverknappung, welches zur gesamtmannschaftlichen Kompaktheit führt, entstanden die modernen Äquivalente nie dazu. Früher war dies nicht nötig, da es eine klarere Rollenverteilung gab.
Allerdings gab es einige Spieler, die ansatzweise ein ähnliches Spiel verfolgten. Unter anderem die Michels-Akteure Rijkaard und Haan, wobei letzterer nie als alleinige Sechs spielte und beide nicht das gesamte Feld beackern. Sie sind eher zwei-Drittel-Spielgestalter, wenn man ihren Radius auf die Zonen aufteilen möchte. Ebenso wie Toninho Cerezo, der durch Zico und Socrates in der Offensive etwas beengt war. Ähnliches trifft auch auf Guardiola und Redondo zu, wobei letzterer an seinen besten Tagen durchaus bis zum Strafraum aufrückte. Er ist somit der geistige Vater des vertikalen modernen Sechsers, welche die moderne Variante der argentinischen Vier darstellt, an der sich die kreativen Sechser der Neuzeit orientieren.
Im Mutterland des Fußballs gab es jedoch einst einen Spieler, der die Redondo-Rolle als drei-Drittel-Spielgestalter noch besser personifizierte. Duncan Edwards starb in der Tragödie von München, doch er gilt bei englischen Experten bis heute als der Maßstab für Talent und Potenzial. Ohne Schwächen ausgestattet konnte er als Verteidiger agieren oder im Mittelfeld als „box-to-box“-Akteur auflaufen. Das beeindruckende daran war, dass er durch seine technische und physische Überlegenheit diese Rolle so dominant interpretierte, dass er als der Taktgeber seiner Mannschaft bezeichnet wurde. Zahlreiche Anekdoten prägen bis heute das Bild des außerhalb Englands unbesungene Helden. Es ist eine Tragödie für den gesamten Fußball, dass diese Rolle von ihm nie geprägt werden konnte – in den Folgejahren war es dann der stürmende Zehner Pelé, der taktisch und spielerisch für neue Trends auf dem Globus sorgte sowie eine Nummer und eine Position unsterblich machte, während er für lange Zeit die Zone eines Spielgestalters zementierte. Und bis heute ist es eigentlich immer nur „eine“ Zone, wo der Spielgestalter tätig sein kann.
Doch was nicht ist, kann noch werden – es scheint, als ob in Inters Jugendakademie zumindest nach solchen Spielertypen gesucht wird und sie wertgeschätzt werden; wie auch in der Bundesliga unter beispielsweise Jürgen Klopp, der sich jedoch eher auf die Suche nach einem „totalen Spielmacher“ begibt. Doch dazu kommen wir ein anderes Mal. Image may be NSFW. Clik here to view.
Immer wieder bekommt man es im Taktiksprech mit dem Begriff „falsche Neun“ zu tun. Für Laien ein relativ nichtssagendes Attribut, welches ihnen nur eines impliziert: „da stimmt doch was nicht.“ Image may be NSFW. Clik here to view.
Besonders, wenn man der besseren Hälfte erklären möchte, wieso die Nummer Zehn beim FC Barcelona eine falsche Neun ist. Als Antwort erhält man dann: „klar ist der eine falsche Neun, der hat ja auch die Zehn.“ Und im Grunde ist die Erklärung auch treffender als vieles, was im Internet auffindbar ist. Auch die Engländer dachten sich in den Dreißigern beim Österreicher Matthias Sindelar und in den Fünfzigern beim Ungarn Nandor Hidegkuti vermutlich „da stimmt doch was nicht.“
das „Schmieranskiteam“ der Österreicher mit Matthias Sindelar als Mittelstürmer
Nominell liefen die beiden als Mittelstürmer im 2-3-2-3 nach Jimmy Hogan auf, dem klassischen Donaufußballsystem. Österreich verlor 1934 im Halbfinale gegen Italien, welche den eingebürgerten Luis Monti auf Sindelar abstellten. Auch sie agierten im 2-3-2-3, aber mit tieferen Halbstürmern, welche eher als Mittelfeldspieler gesehen wurden. Monti hatte dadurch mehr Unterstützung und deckte den generischen Stürmer als defensiver Mittelfeldspieler ab. Auch da „stimmte doch was nicht“. In den folgenden Jahren sollte dies zur Mode werden und sich später zum geistigen Vorvater des Vorstoppers entwickeln. War Monti somit die erste falsche Sechs?
Der Mythos der Neuartigkeit
Die Spielweise Hidegkutis gegen England oder Sindelars gegen ebendiese war jedoch keine bahnbrechende Neuerung, wie es teilweise kommuniziert wird. Vielmehr war es in österreichischen, ungarischen und tschechischen Teams in der Vorzeit des zweiten Weltkriegs üblich, dass meist der zentrale Stürmer sich fallen ließ. Dies lag daran, dass diese Teams eine Mischung aus dem englischen „dribbling game“ und dem schottischen „passing game“ praktizierten. Die zurückfallenden Stürmer stellten dann in der Tiefe einen Mann mehr dar, ließen ihre Position verwaisen und öffneten Räume zum Kreuzen und für Diagonalläufe.
Der Grundgedanke war ähnlich wie heute und gegen englische Nationalmannschaften ließ sich dies auch nach dem zweiten Weltkrieg noch einfach spielen – diese hatten noch weite Züge ihres „dribbling game“ in der Spielweise, der Trainer wurde noch abschätzig behandelt und das Herstellen von Anspielstationen war noch individuell, meist rein in vertikalen Linien, was für Vorhersehbarkeit sorgte. Darum waren die Spielweisen von Sindelar vor und Hidegkuti nach dem zweiten Weltkrieg solche Schocks für die Engländer. Taktisch waren sie aufgrund ihrer Geringschätzung der eigenen Trainer dem Kontinent bereits unterlegen. Einige Ausnahmen wie Chapman hatten in den Dreißigern zwar das WM-System gebastelt, doch dieses wurde auf dem Kontinent adaptiert und konstant erweitert.
die Mannschaft von River Plate Mitte und Ende der 40er gilt als einer der Vorreiter des totalen Fußballs, ihre Spielweise wurde schon als 1-0-10 beschrieben. Pedernera ließ sich fallen und öffnete Räume – auch Di Stefano entstand in dieser Dekade aus der Jugendarbeit just dieses Vereines. Die vorderen Fünf hatten allerdings ohnehin nur lose Positionszuweisungen
Hidegkuti war letztlich nur eine Verknüpfung früherer und moderner Systeme. In Südamerika gab es beispielsweise mit Ademir 1950 und Leonidas 1938 auch mitspielende Mittelstürmer, was auch an dem offenherzigen Umgang mit dem Thema Taktik lag. Fachdiskussionen waren kein Tabuthema und so entwickelte sich auch die Diagonale als Alternative zum WM-System sowie das 4-2-4 der 58er-Mannschaft. Auf dem Kontinent wurde ein WW als Konkurrenz zum WM gebastelt und die Ungarn spielten 1954 gar mit einem asymmetrischen WM und der „falschen Neun“.
Die Gründe sind die unterschiedlichen Anforderungen im Bereich der Taktik, des Umschaltens und der Physis. Vor achtzig Jahren gab es noch fünf Stürmer an vorderster Front, es war schlicht logisch, dass sich entweder der zentrale Akteur oder einer der beiden Halbstürmer zurückbewegte. Im Kurzpassspiel nach Trainern wie Hogan, Bukovy, Reynolds und Sebes war es sogar essentiell und im Fußball des Wunderteams war es logisch, um möglichst viele Anspielstationen zu haben. Das Zauberwort ist Dominanz und Dauer des Ballbesitzes.
die Königlichen spielten im Finale von 1960 mit dieser Aufstellung und Di Stefano als „falscher Neun“
Vor der Erfindung des Pressings wurde der Ball bei einem Angriff noch länger gehalten, das Tempo war geringer, der Mittelstürmer konnte sich zurückfallen lassen und Räume für insbesondere weite Bälle öffnen. Ab den Sechzigern ging es zu Systemen mit weniger Stürmern über, zu mehr Defensive und die Zeit des Umschaltens kam. Zeugnis dieser Spielweise war der Catenaccio, den Nereo Rocco populär und Helenio Herrera erfolgreich machte. In dieser Dekade folgte durch Maslov in Osteuropa und Michels in Westeuropa auch das Pressing, das im Verbund mit einer erhöhten Athletik kam. Die Zeit am Ball wurde verringert, die offensiven Mannschaften konnten sich kaum eine falsche Neun erlauben.
Durch die Taktik wird das Kollektiv wichtiger
Di Stefano, Pelé und Cruijff hatten allesamt gemeinsam, dass sie mit ihrer Vereinsmannschaft die spielerisch dominanteste Elf ihres Kontinents stellten sowie zumeist auch taktisch dem Gegner überlegen waren. Dadurch und dank ihrer individuellen Brillanz konnten sie diese Spielweise ausüben. Bei Cruijff und Pelé kam die Eingespieltheit der Mannschaft hinzu, wobei Cruijff dank der Ähnlichkeit der Nationalmannschaft, dem Happel’schen Ansatz bei Feyenoord und der Polyvalenz des Kollektivs diese Rolle auf die nahezu selbe Art und Weise auch außerhalb Ajax‘ bekleiden konnte. Di Stefano hatte bei Real eine spielerisch enorm starke Mannschaft noch bevor das Pressing eingeführt wurde und desweiteren galt er als extrem ausdauernd, was seine Spielweise ermöglichte.
Später fehlte es an solchen Mannschaften, die alles dominierten. Das Pressing, die hohe Athletik und ein stärkerer Fokus auf Taktik hatten sich europaweit durchgesetzt. Rigide Formationen lösten die Fluidität oder zumindest Flexibilität im Sinne des Positionsspiels ab, viele Topmannschaften glichen einer Schablone und befanden sich in gewissen taktischen Aspekten wie der Raumdeckung oder Raumverknappung noch in einer Umbruchphase. In Deutschland dauerte diese gar noch bis in das neue Jahrtausend hinein. Erst seit der kollektiven Anpassung an einen „weltweiten Defensivstandard“, wie es Christoph Biermann beschrieb, mit Viererkette und Raumdeckung begann wieder die sprunghafte Entwicklung der Taktiken, die verstärkt im Bereich der Umsetzung von vorgegebenen Spielphilosophien zu finden sind.
Eine Rückkehr der falschen Neun ist unmöglich, weil der Begriff nichts mit der früheren Spielweise zu tun hat
Durch die höheren Finanzen, verbesserte Jugendarbeit und die Aufhebung der Legionärsbeschränkungen steigt die Qualität in der Breite. Dadurch kann trotz Pressings und Defensivspiel länger der Ball in den eigenen Reihen zirkuliert werden. Branchenprimus ist hier der FC Barcelona, an deren Ballbesitzzeiten im Angriffsablauf niemand herankommt. Es ist die ideale Lebensgrundlage für die (eigentlich einzige unbestrittene) falsche Neun im Weltfußball, welche vor achtzig Jahren noch häufiger vorkam. Und womöglich sollte man sich deswegen hinterfragen, ob der Begriff „falsch“ nicht irreführend ist.
Viel eher hat sich die Definition der falschen Neun in den letzten Jahren verselbstständigt. Sie ist abgesehen von Messi im Konstrukt FC Barcelona kaum einzuhalten, ähnlich wie es nie den angeblichen weltweiten Konsens über die Spielweise einer klassischen spieldiktierenden Nummer Zehn gab. Historisch gesehen ist die falsche Neun nichts als anderes als ein spielmachender Mittelstürmer – wieso die Position also nicht auch so bezeichnen?
Messi lässt sich nur bei Ballbesitz so tief fallen – doch auch Alves, Busquets (oder Abidal) und Iniesta bespiel(t)en bei längeren Kurzpassstafetten durchgehend andere Positionen, wie man hier gut sehen kann. Sind sie deswegen „falsch“?
Bleibt man bei der Beschreibung „falsch“ und überlegt sich, wieso ausgerechnet diese Eigenschaft als primäres Attribut gewählt wurde, kommt man zu folgendem Schluss: der Mittelstürmer, die Nummer Neun, lässt seine Position über längere Zeit verwaisen und bewegt sich woanders hin, obwohl er auf dem Papier dort spielen müsste. Heutzutage ist dies nur in absoluten Ausnahmefällen möglich und wie es scheint auch nur bei einer Mannschaft, nämlich dem FC Barcelona. Dort müssten jedoch auch Dani Alves als falscher Zweier, Busquets als falscher Sechser und womöglich Iniesta als falscher Achter bezeichnet werden, denn allesamt suchen sie sich andere Räume im Ballbesitz, was schlicht daran liegt, dass es ihnen ihre Mannschaft auf einmalige Weise im modernen Fußball gewährt.
Darum sollte das semantische Konstrukt der falschen Neun abgelegt werde. Es ist nicht nur eine nicht zu verallgemeinernde Beschreibung in der Moderne, welche früheren Spielern nicht gerecht wird; auch diese Spieler würden dieser Definition im modernen Fußball nur vereinzelt gerecht werden können, die Beispiele und eine generelle Erklärung findet man übrigens auch in diesem Artikel von TR.
Desweiteren verhindert der Begriff „falsche Neun“ auch das Entstehen unterschiedlicher Variationen eines solchen Mittelstürmertypus und der passenden Bezeichnung dafür. Hierzu folgt noch ein weiterer taktikhistorischer Artikel, in welchem wir mögliche Alternativen und Variationen der „falschen“ Neun beschreiben. Würden diese nämlich woanders oder in einer anderen Zeit auf diese Art und Weise spielen wollen, würde es wohl ebenfalls heißen – „da stimmt doch was nicht.“ Image may be NSFW. Clik here to view.
Ein weiterer Artikel im Zuge unserer „Woche der Falschen Neun“ – diesmal geht es um die verschiedenen Varianten dieses Spielertyps.
Wie bereits im Artikel über die Verwendung und Entstehung des Begriffes „falsche Neun“ angemerkt, beengt diese Definition nicht nur die passende Beschreibung aktueller und historischer Spielertypen , sondern auch die Entstehung unterschiedlicher Ausprägungen des Mittelstürmers abseits der Begrenzung allein auf den Raum um ihre Grundposition herum.
In diesem Artikel zeigen wir die unterschiedlichen Varianten der „falschen“ Neun, ihren Verwendungszweck und einen Ausblick in die Zukunft. Unter anderem auch die Spielweise Karim Benzemas, welcher sich im 4-3-3 der Franzosen zwar „fluid“, aber doch anders als beispielsweise ein Lionel Messi, Johan Cruijff, Rajko Mitic oder Nandor Hidegkuti zeigte.
Wieso überhaupt die falsche / spielmachende Neun?
Die Nutzung der „spielmachenden Neun“ (die klassische „falsche Neun“) hat mehrere Gründe: neben dem Verwaisen der Stürmerposition zum Herstellen von Überzahl im Mittelfeld kann sie auch allgemein zum Ausnutzen der gegnerischen positions- oder mannorientierten Raumdeckung genutzt werden. Bei einer raumorientierten Raumdeckung oder einer klassischen Manndeckung würde die falsche Neun beispielsweise weniger Effekt haben, die generelle Spielweise wäre jedoch schwerer auszuführen und generell anfälliger.
Barcelona im Wandel der Zeiten; mit Kubala und Cruijff hatten sie schon vor Messi eine „falsche Neun“
Im Normalfall wird diese Spielweise aufbauend genutzt. Sie soll Kreativität im Angriffsvortrag und Stabilität im Spielaufbau bringen. Ein weiterer positiver Aspekt ist das Chaos in den gegnerischen Abwehrreihen, das durch die Freirolle entsteht; insbesondere historisch bei Cruijff und Hidegkuti hatte dies fatale Auswirkungen. Ideal zeigte sich dies beim 6:3-Erfolg der goldenen Ungarn auswärts gegen England im Wembley-Stadion.
Bei der modernen Version, allen voran Messi, aber auch früher Totti, sieht man oft, wie die falsche Neun bei hohem gegnerischem Druck (zumeist in Form von Mittelfeldpressing) dabei hilft, zentral Dreiecke zu bilden oder bei einer Manndeckung im Mittelfeld die frei gewordenen Räume zu nutzen, um die Rolle des Spielgestalters zu übernehmen. Dadurch nutzt sie die Starrheit der gegnerischen Viererketten, um Überzahl ab dem zweiten Spielfelddrittel zu schaffen. Selbst bei mannorientierter Raumdeckung traut sich kein Spieler aus der Viererkette, die falsche Neun bis weit in die gegnerische Hälfte zu verfolgen. Im ersten Drittel wäre das Zurückfallen der falschen Neun übrigens kontraproduktiv, da es zu kraftraubend wäre, der Raum noch enger ist und ein moderner Torhüter diese Aufgabe in der Tiefe übernehmen kann.
Allerdings sollte hier unterschieden werden zwischen einer tiefen und einer hohen spielmachenden Neun. Letzteres entspricht eher Totti oder auch Zlatan Ibrahimovic an bewegungsfreudigeren Tagen. Wie bereits im vorherigen Artikel erklärt profitiert Messi enorm von der Spielweise seiner Mannschaft, weswegen er sich auch so tief orientieren kann. Ibrahimovic oder auch andere spielmachende Mittelstürmer können dies nicht, verrichten aber ähnliche Offensivaufgaben im letzten Drittel statt im zweiten. Die „spielmachende tiefe Neun“ wird vorrangig bei längerem Ballbesitz und nicht bei Kontern genutzt, teilweise wird sie sogar erst durch die eigene Sicherheit und daraus resultierende zeitliche Dauer im Aufbauspiel möglich. Mannschaften mit weniger Ballbesitz haben – wenn sie denn mit einem potentiellen Spielgestalter im Sturmzentrum spielen – eine „spielmachende hohe Neun“, wie sie beispielsweise der erwähnte Ibrahimovic darstellt. Umgangssprachlich wird er jedoch kaum als „falsche Neun“ bezeichnet, was daran liegt, dass er sich deutlich näher in und um seine Grundposition in der Formation herum bewegt. Dies ist aber mehr Ausdruck der Spielweise seiner Mannschaft, als seiner individuellen Aufgaben.
Weitere Varianten der Neun
Allerdings muss die moderne Variante der beweglichen Neun nicht zwingend aufbauend und stabilisierend genutzt werden. Sie kann auch zur Verstärkung der Defensive genutzt werden – also ein Mittelstürmer, der seine Position im Defensivspiel verwaisen lässt und seine Abwehrarbeit jenseits des üblichen Rückwärtspressingrahmens ableistet. Ein Thomas Müller in Topform könnte beispielsweise eine solche Position herausragend ausführen, da er die nötige Ausdauer und Spielintelligenz mitbringt, um sich im Defensivspiel effektiv zu beteiligen.
Santos in der Saison 1962-63 – auch Pelé könnte als eine spielmachende Neun gesehen werden, während in der Nationalmannschaft Vavá ansatzweise eine ausweichende und/oder eine defensive Neun verkörperte
Eine solche „defensive Neun“ wird aber kaum genutzt. Die Gründe liegen auf der Hand: es fehlt bei Befreiungsschlägen oder schnellem Umschalten eine Anspielstation in der Tiefe und klassische Mittelstürmer disqualifizieren sich oftmals wegen ihrer technischen Mängel in Ballsicherung und Passspiel deswegen. In früheren Systemen mit mehreren Stürmern vorne gab es allerdings die Möglichkeit mit einer defensiven Neun zu agieren; Alfredo Di Stefano war ein solcher Spieler, auch John Charles und Georgi Asparuhov an besten Tagen zeigten Ansätze davon.
Der Waliser Charles war nicht nur als Mittelstürmer Weltklasse, sondern galt als einer der besten Innenverteidiger seiner Zeit und wurde zum besten ausländischen Spieler der Serie A im vergangenen Jahrhundert gewählt, noch vor Platini, Maradona und Co. Er brachte die nötigen defensiven Fähigkeiten mit, um diese Rolle effektiv auszuführen. Außerdem hatte er mit Boniperti und Sivori zwei sehr ballstarke und torgefährliche Halbstürmer im 3-2-2-3 hinter sich, die auch unter Druck Pässe behaupten (Sivori) sowie selbst nach vorne gehen konnten (Boniperti). Ähnliches gab es bei Di Stefano mit Francisco Gento auf links als diagonalem Außenstürmer, Ferenc Puskas im Sturmzentrum, Hector Rial (und später Luis De Sol) neben ihm und noch einigen mehr.
Die dritte große Variante des Nicht-Mittelstürmers ist jene der „umschaltenden Neun“. Mit Erhöhung der Athletik, der Wichtigkeit des Umschaltspiels und des Zusperren des Ballungsraumes offensives Zentrum, was für das Sterben der klassischen Zehn ursächlich war, könnte die Zeit für diesen dritten Ableger der falschen Neun kommen. Der bereits erwähnte Karim Benzema ist ein solcher Stürmer. Er lässt sich weder bei eigenem noch bei gegnerischem Ballbesitz fallen, sondern im Umschaltmoment, also dem Wechsel des Ballbesitzes. Nicht nur, dass er sich am Gegen- und Angriffspressing beteiligt, was ohnehin zum Standard für einen Mittelstürmer wird, auch im offensiven Umschaltspiel spielt er eine Schlüsselrolle.
Real im Umschaltmoment mit Benzema auf Raumsuche und aufrückenden Flügeln
Durch seine Spielintelligenz und hervorragende Technik kann er sich in die richtigen Räume fallen lassen und sich dadurch anspielbar machen. Er bietet seinen Mitspielern in der Defensive somit eine weitere Anspielstation in der Mitte. Zumeist entstehen durch die Begrenzung des Abseits auf die Mittellinie gewisser Löcher zwischen den Linien bei hohem gegnerischem Aufrücken. Es war exakt jener Raum, welchen Özil bei der WM 2010 entlang der gesamten Horizontale beackerte – eine ähnliche Rolle übernimmt Benzema auf allerhöchstem Niveau. Durch sein dynamisches Anbieten in freien Räumen zieht er entweder einen Verteidiger mit und öffnet eine Lücke oder er besitzt ausreichend Zeit, um sich zu drehen und angriffseinleitend tätig zu werden.
Eine weitere Möglichkeit, meist im Verbund mit der umschaltenden Neun ist das Ausweichen auf die Flügelpositionen. Dies liegt zumeist daran, dass durch die geöffnete Lücke in der eigenen wie der gegnerischen Formation und das schnelle Konterspiel sich die Flügelstürmer diagonal Richtung Sturmzentrum orientieren. In weiterer Folge übernimmt der nominelle Mittelstürmer die Position eines der eingerückten Mittelstürmer und spielt als „ausweichende Neun“. Agiert die Mannschaft mit viel Ballbesitz weit vorne im Feld und der Mittelstürmer passt sich den Bewegungen seiner Außenstürmer an, öffnet Räume durch horizontale Bewegungen oder das Kollektiv spielt offensiv-fluid, dann entstehen solche Ausweichbewegungen isoliert vom Zurückfallen im Umschaltspiel.
Zukunftsaussichten
Im Zeitalter der taktischen Neuerungen und der exorbitanten Dynamik verändern sich viele Aufgabengebiete. Die Mannschaften suchen nach Möglichkeiten bislang isolierte Spieler verstärkt miteinzubeziehen – das begann beim Stopper, ging über den Torwart bis zum Mittelstürmer. Doch auch die Möglichkeiten solcher Anpassungen verändern sich stetig. Immer wichtiger wird das Pressing und die Idee der defensiven Neun hat ihre Möglichkeit vor einigen Jahren verpasst, könnte aber als „pressende Neun“ in einigen Jahren Erfolge feiern.
Inwiefern die falsche Neun, wie sie beispielsweise Messi darstellt, einen Siegeszug feiern wird, bleibt abzuwarten. Zu hoch scheint ihre Abhängigkeit von längeren Ballbesitzphasen und somit einer individuell starken Mannschaft. Allerdings könnte sich durch die bessere Technikschulung von klein auf, die verbesserten Spielweisen im Aufbauspiel und den hohen Professionalismus, der sich auf die Eingespieltheit auswirkt, durchaus ein Trend zum Ballbesitzfußball entwickeln. Dann würde die tiefe spielmachende Neun ihren Siegeszug erst beginnen und sich an den Erfolgen aus der fußballerischen Urzeit orientieren können. Welche beweglichen Neuner sich letztendlich durchsetzen werden, wird also das Resultat einer der kollektiven Entwicklungen im Weltfußball. Voraussichtlich wird es einmal mehr auf eine Mischung herauslaufen, wie es auch TR in seinem Artikel erläutert.
Die starre / feste / klassische Neun wird also höchstwahrscheinlich die positiven und verwirklichbaren Aspekte der beweglichen / fluiden / falschen Neun und ihrer Untervarianten aufnehmen, wodurch sich unterschiedliche Stürmertypen mit Möglichkeit zur Anpassung an den Gegner entwickeln werden. Image may be NSFW. Clik here to view.
Niccolò ist eigentlich ein ganz normaler Junge. Er spielt gerne Fußball und teilt diese Leidenschaft mit allen in seiner Mannschaft – der U11 von Traditionsverein Inter Mailand. Niccolò ist auch der Kapitän dieser Mannschaft, obwohl er nicht der auffälligste seines Jahrgangs ist. Im Gegenteil: vielen fällt er gar nicht auf. Es ist eher der Endverwerter seiner Pässe, der Mittelstürmer, den sie nur den kleinen Prinzen nennen, welcher aufgrund seiner zahlreichen Tore Blickfang für Publikum und Beobachter zu sein scheint.
Doch für das geübte Auge ist Niccolò der mit Abstand beste Spieler auf dem Platz, denn vereint in sich spielerische Eigenschaften, die ihn fußballerisch zumindest ein bisschen vom „ganz normalen Jungen“ unterscheiden. In der Geschichte Inter Mailands gab es einige herausragende Spieler: ob „Phänomen“ Ronaldo, Halbstürmer Mazzola, Spielmacher Luis Suarez, Weltklasseausputzer Picchi oder Vereinslegende Facchetti – sie alle sind Legenden eines der größten Vereine Europas und der Welt.
Der vertikale moderne Sechser als Zukunft des Fußballs?
Es scheint unwahrscheinlich, dass Niccolò jemals auf dieses Niveau kommen wird – doch wie alle genannten Spieler bringt er etwas Neues in die Welt des Fußballs. Er steht Symbol für einen Trend, der noch nicht im Kommen ist und in der Geschichte des Fußballs ohnehin selten vorkam: den modernen Typus eines defensivorientierten zentralen Mittelfeldspielers, der ohne feste Position im eigenen Ballbesitz das gesamtmannschaftliche Spiel koordiniert. Ein Spielertyp wie Fernando Redondo.
Dies war das besondere an Niccolò. Defensiv fing er Bälle ab und ließ sich bei Ballbesitz seiner Mitspieler instinktiv fallen oder rückte auf. Mit beeindruckender Antizipation schloss er ballnahe Lücken oder zog sich auf seine Stammposition vor der Abwehr zurück. Bei Balleroberung setzte der fast mager wirkende und groß gewachsene Kapitän im schwarz-blauen Trikot nie eine Grätsche ein, er lief Bälle ab und nutzte seine Technik, um sich aus eventuell resultierenden Gegenpressingsituationen zu befreien.
In den ersten Minuten wirkte er wie ein junger Busquets, doch im weiteren Spielverlauf gab es einige Szenen, in welchen er den Ball durch das Mittelfeld trieb oder sich – falls die Absicherung der eigenen Mannschaft sowie die Lücken im gegnerischen Defensivverbund vorhanden waren – gar im letzten Spielfelddrittel mit Vertikalläufen in den Rücken der Abwehr anbot. Ein Tor, mehrere Vorlagen und die gesamte Koordinierung der Rückwärts- und Vorwärtsbewegung zeugten von einer herausragenden Leistung. Die Fragen sind, wie sich eine solche Spielweise auf höherem Niveau auswirkt sowie ob ein solcher Aktionsradius im Spitzensport möglich ist.
Die vertikale moderne Sechs – wofür?
Aufgrund des steigenden technischen Niveaus in der Breite wie in der Spitze, der hohen Athletik und dem Konsens einer taktisch geordneten kollektiven Ausrichtung gegen den Ball im Profifußball verengt sich der Raum in der Mittelfeldzentrale weiter. Der Untergang der klassischen Zehn ist ein Testament an diese Veränderung, welche sich immer weiterzieht. Der Ballbesitzfußball des FC Barcelona sowie deren Pressing sind ein klares Zeugnis für diese Entwicklung.
Einem starken Angriffspressing ausgesetzt sehen sich zahlreiche Mannschaften überfordert. Oftmals kommt der Ball gar nicht zu den spielstarken Flügelstürmern oder Halbstürmern, welche unter Umständen den Ball unter einer solchen Bedrängnis behaupten könnten. Meistens zerschellt der eigene Spielaufbau gegen die Katalanen im zweiten Spielfelddrittel beziehungsweise zu Beginn dieses Feldabschnittes. Den Sechsern oder dem Sechser fehlt es an der nötigen Technik und Spielstärke, außerdem sind auch die Achter Stresssituationen nicht gewohnt. Anders ist es – abermals – bei den Katalanen, welche mit Busquets eine passstarke Sechs auch unter höchster Bedrängnis besitzen. Xavi kann das gesamte Spielfeld beackern, was jedoch primär am hohen Ballbesitz der Katalanen liegt – durch das langsamere Vorrücken ist es für ihn möglich, sich innerhalb des Angriffsverlaufs von seiner Position vor der Abwehr bis an den Strafraum vorzubewegen.
Das Ziel einer konternden Mannschaft sowie spielstarken Mannschaften mit vertikalem Ballbesitzspiel sollte das Aufbauen einer mitaufrückenden Sechs sein, welche unter Bedrängnis den Ball behaupten kann sowie ruhige Pässe spielen kann. Gegen stark pressende Mannschaften kann damit der Pressingwall umgangen werden, ohne durch viele zentrale Spieler eine spätere Unterzahlsituation mit wenig Aussicht auf Erfolg im letzten Spielfelddrittel in Kauf genommen werden.
Im Gegenteil wird bei Durchbrechen des Pressingwalls die gegnerische Mannschaft vor große Probleme gestellt: die Spieler vorne sind außerhalb ihrer Position und laufen in die falsche Richtung, die Mannschaft ist in ihrer Kompaktheit zerrissen und die Abwehr sieht sich Gleich- oder Überzahlsituationen vor. Aufgrund dessen wird der Gegner gezwungen, sich anzupassen und das Pressing tiefer oder mit weniger Mann aufzuziehen, was der eigenen Mannschaft mehr Zeit in Ballbesitz erlaubt.
Interessante Beispiele dafür sind Akteure wie Luka Modric, Ever Banega und Jack Wilshere, die alle auf unterschiedlichen Positionen (Modric als moderner Zehner, Banega und Wilshere als defensive Achter, also nominell als einer von zwei Sechsern) eine hochpressende ballbesitzorientierte Mannschaft mit ihrer individuellen Leistung vor taktische Probleme gestellt haben. Sie konnten sich des Pressings entledigen und konnten dann im Angriffsspiel der eigenen Mannschaft weiterhin für Gefahr sorgen. Spanien gewann gegen die Kroaten denkbar knapp, während Wilsheres Arsenal gar gewinnen und Banega zumindest ein Unentschieden in den jeweiligen Spielen erringen konnten.
Dieser Effekt könnte weiter verstärkt und als Konterspielweise zu solchen Teams genutzt werden, wenn der Sechser ebenfalls ein Teil einer solchen Spielweise wird. Die vertikale moderne Sechs wäre ein Akteur, der defensiv und technisch Busquets kopiert, aber einen größeren Aktionsradius nach vorne besitzt – was der Katalane übrigens ebenfalls einige Male tat und auch Xavi in dessen Position schon zu ersetzen wusste.
Aufgaben und Absicherung ohne klassischen Spielaufbau oder aus dem aktiven Spielverlauf heraus
Als vertikale moderne Sechs gibt es gegen tief stehende Mannschaften die zusätzliche Aufgabe sich offensiv miteinzuschalten. In Partien, wo man ballbesitztechnisch unterlegen ist, gilt es den Pressingwall zu durchbrechen und vertikal nach vorne zu kommen – also öfter mit Ball als ohne. Die Absicherung ist hier durch eine gemäßigte enge Viererkette gegeben, da ohne klassischen eigenen Spielaufbau gespielt wird und die Positionen im Aufbauspiel nicht so breit sind. Das Ziel ist eine schnelle Überbrückung durch das Zentrum, während die Breite nach Überwinden des Pressingwalls durch Flügelstürmer geboten wird. Diese sollen die gegnerische Abwehrkette auseinander ziehen und sie nach hinten drängen oder mit Horizontalläufen die Schnittstellen anspielbar machen. Als zusätzliche Defensivoption kann sich entweder der ballfernere Achter fallen lassen oder – falls mit Doppelsechs gespielt wird – der Partner absichernd hinter den durchbrechenden Sechser bewegen. Damit gäbe es eine 5:5-Aufteilung oder eine 6:4-Aufteilung in Defensive und Offensive, womit gut attackiert werden kann.
hier sieht man, wie es aussieht, wenn man in eine Pressingfalle tappt. Der linke Innenverteidiger am Ball, die Passwege werden ihm von einer Mannschaft in einem aggressivausgerichteten 4-3-3 abgeschnürt. Anspiel auf den Sechser, in weiterer Folge wird dieser angelaufen. Er stoppt den Ball, wird leicht bedrängt und der halbrechte Innenverteidiger steht dann vor einem Problem. Normalerweise kommt der lose Ball in den Raum oder macht einen Befreiungsschlag.
Selbst eine 7:3-Aufteilung wäre bei richtiger Ausnutzung des gegnerischen Angriffspressing erfolgsversprechend, wenn der Gegner bewusst in die Tiefe und zum vertikalen modernen Sechser gelenkt wird. Er agiert dann somit als spieldrehender Sechser, der nicht innerhalb seines Sichtfelds agiert, sondern durch eine vorhergehende Analyse und seine Spielintelligenz mit Drehungen (siehe Banega) sein Sichtfeld verlagert, was eine enge Ballführung, Fähigkeiten im Dribbling und Dynamik auf den ersten Metern benötigt. Etwas, was eher klassischen Sechsern wie Luiz Gustavo und ähnlichen oftmals abgeht.
Das Sichtfeld muss nämlich noch stärker gedreht werden, als es bei ersteren Aufteilungen wäre. Es wird nicht nur gedreht beziehungsweise in eine Seite verlagert, sondern wird im Idealfall gänzlich gekippt. Bei mehr Leuten im Angriff reicht eine Drehung, dann kann der Pass gespielt werden – bei weniger Anspielstationen in der Diagonale ist es wichtig, eine Übersicht über das gesamte vordere Feld zu haben. Bei einem 7:3 ist es außerdem wichtig, dass der Sechser auch wirklich weit mit nach vorne geht.
Dafür wird der Gegner wie erwähnt aggressiver angelockt, was durch einen längeren oder öfter vorkommenden Ballbesitz des vertikalen Sechsers erzeugt wird. Mit mehreren Anspielen wird der Gegner auch etwas auseinander gezogen und es sollte sich zwischen den zentralen Spielern eine Lücke auftun, durch welche der vertikale Sechser stoßen kann.
in diesem Fall kann das Sichtfeld gekippt (also um 180° gedreht) werden, es entsteht eine Gleich- oder Überzahlsituation. Nach Situation können beide Achter mitgehen und auch beide Flügel – oder auf einer Seite beide und auf der anderen Seite einer (der Flügelstürmer im Normalfall), während einer absichert. Die Flügelstürmer können in die Lücken gehen, einer der Achter kann den zweiten Innenverteidiger okkupieren und mit dem zweiten Achter kann der Sechser eine Kombination spielen, um vorbei zu kommen
Damit wird der Gegner in seiner Kompaktheit auch stärker zerrissen, da er bei nur drei gegnerischen Spielern innerhalb seines tiefen Defensivbundes mit einer höheren Anzahl aufrücken darf. Tut er das nicht, dann gibt es mit sieben Spielern genügend Anspielstationen, um den Ball zu behaupten und auf eine Öffnung zu warten.
Aufgaben und Absicherung bei klassischem Spielaufbau
Wird das übliche Aufbauspiel praktiziert, dann sollte der Sechser weniger vertikal agieren und versuchen als Durchlaufstation schnell den Ball zirkulieren zu lassen. Damit soll die starke Raumorientierung solcher pressenden Mannschaften ausgehebelt werden und über die freie Seite oder die beim Verschieben entstehenden Löcher in der Mitte gespielt werden. Werden die eigenen Spieler dennoch konstant zugestellt, aufgrund einer tieferen Stellung des Gegners oder herausragendem Verschieben, dann würde dem Sechser wieder die Aufgabe zufallen, sich vertikal zu bewegen.
Damit bricht er das gegnerische Defensivmuster auf und sorgt für eine Überraschung, was die mannorientierten Raumzuteilungen aufbricht. Damit wird entweder ein Mann frei oder aber es sind Räume für den ballstarken Sechser offen, der das Spiel mit dem Ball am Fuß eine Zone höher verlagern kann. Bei weiteren spielstarken Akteuren in der Spielfeldmitte und auf den defensiven Flügeln kann die gegnerische Mannschaft konsequent nach hinten gedrängt werden und dadurch einer Monopolisierung des Ballbesitzes entgegengewirkt werden. Als Beispiel dazu gibt es das Spiel zwischen Spanien und Italien bei der Europameisterschaft in der Gruppenphase, wo so etwas Ähnliches im Kollektiv mit dem Viereck Motta-Pirlo-Chiellini-De Rossi gemacht wurde, während Flügelläufer Giaccherini die spanischen Pressingzuordnungen aufbrach.
hier wird das Sichtfeld auf eine Seite verlagert, er hat nun mehr Raum und kann zumindest den Achter halbwegs sicher anspielen. Die Kippung beziehungsweise die Drehung seines Körpers hängt natürlich vom Pressing ab. Hier wird er organisierter gepresst, weswegen er sich in den Rücken des Gegners hineindrehen könnte. Auch nach vorne ginge es, wenn er etwas frontaler aber bei gleicher Aggressivität gepresst wird.
Im Idealfall bringt ein spielstarker vertikaler Sechser also einen höheren Ballbesitz, eine sicherere Ballzirkulation, Verbesserung im Passspiel in sämtliche Richtungen sowie einen zusätzlichen Akteur gegen die massierte gegnerische Zentrale.
Duncan, Arie, Toninho, Josep, Frank, Fernando – und Niccolò?
In der Geschichte des Fußballs gab es auf allerhöchstem Niveau nur wenige solche Spieler, die von hinten nach vorne agierten und das Spiel gestalten. Mit Pelé, Messi, Di Stefano, Cruijff und noch einigen gab es das umgekehrte durchaus. Doch durch das Erhöhen der Pressinglinie und gleichzeitig das Prinzip der Raumverknappung, welches zur gesamtmannschaftlichen Kompaktheit führt, entstanden die modernen Äquivalente nie dazu. Früher war dies nicht nötig, da es eine klarere Rollenverteilung gab.
Allerdings gab es einige Spieler, die ansatzweise ein ähnliches Spiel verfolgten. Unter anderem die Michels-Akteure Rijkaard und Haan, wobei letzterer nie als alleinige Sechs spielte und beide nicht das gesamte Feld beackern. Sie sind eher zwei-Drittel-Spielgestalter, wenn man ihren Radius auf die Zonen aufteilen möchte. Ebenso wie Toninho Cerezo, der durch Zico und Socrates in der Offensive etwas beengt war. Ähnliches trifft auch auf Guardiola und Redondo zu, wobei letzterer an seinen besten Tagen durchaus bis zum Strafraum aufrückte. Er ist somit der geistige Vater des vertikalen modernen Sechsers, welche die moderne Variante der argentinischen Vier darstellt, an der sich die kreativen Sechser der Neuzeit orientieren.
Im Mutterland des Fußballs gab es jedoch einst einen Spieler, der die Redondo-Rolle als drei-Drittel-Spielgestalter noch besser personifizierte. Duncan Edwards starb in der Tragödie von München, doch er gilt bei englischen Experten bis heute als der Maßstab für Talent und Potenzial. Ohne Schwächen ausgestattet konnte er als Verteidiger agieren oder im Mittelfeld als „box-to-box“-Akteur auflaufen. Das beeindruckende daran war, dass er durch seine technische und physische Überlegenheit diese Rolle so dominant interpretierte, dass er als der Taktgeber seiner Mannschaft bezeichnet wurde. Zahlreiche Anekdoten prägen bis heute das Bild des außerhalb Englands unbesungene Helden. Es ist eine Tragödie für den gesamten Fußball, dass diese Rolle von ihm nie geprägt werden konnte – in den Folgejahren war es dann der stürmende Zehner Pelé, der taktisch und spielerisch für neue Trends auf dem Globus sorgte sowie eine Nummer und eine Position unsterblich machte, während er für lange Zeit die Zone eines Spielgestalters zementierte. Und bis heute ist es eigentlich immer nur „eine“ Zone, wo der Spielgestalter tätig sein kann.
Doch was nicht ist, kann noch werden – es scheint, als ob in Inters Jugendakademie zumindest nach solchen Spielertypen gesucht wird und sie wertgeschätzt werden; wie auch in der Bundesliga unter beispielsweise Jürgen Klopp, der sich jedoch eher auf die Suche nach einem „totalen Spielmacher“ begibt. Doch dazu kommen wir ein anderes Mal. Image may be NSFW. Clik here to view.
Immer wieder bekommt man es im Taktiksprech mit dem Begriff „falsche Neun“ zu tun. Für Laien ein relativ nichtssagendes Attribut, welches ihnen nur eines impliziert: „da stimmt doch was nicht.“ Image may be NSFW. Clik here to view.
Besonders, wenn man der besseren Hälfte erklären möchte, wieso die Nummer Zehn beim FC Barcelona eine falsche Neun ist. Als Antwort erhält man dann: „klar ist der eine falsche Neun, der hat ja auch die Zehn.“ Und im Grunde ist die Erklärung auch treffender als vieles, was im Internet auffindbar ist. Auch die Engländer dachten sich in den Dreißigern beim Österreicher Matthias Sindelar und in den Fünfzigern beim Ungarn Nandor Hidegkuti vermutlich „da stimmt doch was nicht.“
das „Schmieranskiteam“ der Österreicher mit Matthias Sindelar als Mittelstürmer
Nominell liefen die beiden als Mittelstürmer im 2-3-2-3 nach Jimmy Hogan auf, dem klassischen Donaufußballsystem. Österreich verlor 1934 im Halbfinale gegen Italien, welche den eingebürgerten Luis Monti auf Sindelar abstellten. Auch sie agierten im 2-3-2-3, aber mit tieferen Halbstürmern, welche eher als Mittelfeldspieler gesehen wurden. Monti hatte dadurch mehr Unterstützung und deckte den generischen Stürmer als defensiver Mittelfeldspieler ab. Auch da „stimmte doch was nicht“. In den folgenden Jahren sollte dies zur Mode werden und sich später zum geistigen Vorvater des Vorstoppers entwickeln. War Monti somit die erste falsche Sechs?
Der Mythos der Neuartigkeit
Die Spielweise Hidegkutis gegen England oder Sindelars gegen ebendiese war jedoch keine bahnbrechende Neuerung, wie es teilweise kommuniziert wird. Vielmehr war es in österreichischen, ungarischen und tschechischen Teams in der Vorzeit des zweiten Weltkriegs üblich, dass meist der zentrale Stürmer sich fallen ließ. Dies lag daran, dass diese Teams eine Mischung aus dem englischen „dribbling game“ und dem schottischen „passing game“ praktizierten. Die zurückfallenden Stürmer stellten dann in der Tiefe einen Mann mehr dar, ließen ihre Position verwaisen und öffneten Räume zum Kreuzen und für Diagonalläufe.
Der Grundgedanke war ähnlich wie heute und gegen englische Nationalmannschaften ließ sich dies auch nach dem zweiten Weltkrieg noch einfach spielen – diese hatten noch weite Züge ihres „dribbling game“ in der Spielweise, der Trainer wurde noch abschätzig behandelt und das Herstellen von Anspielstationen war noch individuell, meist rein in vertikalen Linien, was für Vorhersehbarkeit sorgte. Darum waren die Spielweisen von Sindelar vor und Hidegkuti nach dem zweiten Weltkrieg solche Schocks für die Engländer. Taktisch waren sie aufgrund ihrer Geringschätzung der eigenen Trainer dem Kontinent bereits unterlegen. Einige Ausnahmen wie Chapman hatten in den Dreißigern zwar das WM-System gebastelt, doch dieses wurde auf dem Kontinent adaptiert und konstant erweitert.
die Mannschaft von River Plate Mitte und Ende der 40er gilt als einer der Vorreiter des totalen Fußballs, ihre Spielweise wurde schon als 1-0-10 beschrieben. Pedernera ließ sich fallen und öffnete Räume – auch Di Stefano entstand in dieser Dekade aus der Jugendarbeit just dieses Vereines. Die vorderen Fünf hatten allerdings ohnehin nur lose Positionszuweisungen
Hidegkuti war letztlich nur eine Verknüpfung früherer und moderner Systeme. In Südamerika gab es beispielsweise mit Ademir 1950 und Leonidas 1938 auch mitspielende Mittelstürmer, was auch an dem offenherzigen Umgang mit dem Thema Taktik lag. Fachdiskussionen waren kein Tabuthema und so entwickelte sich auch die Diagonale als Alternative zum WM-System sowie das 4-2-4 der 58er-Mannschaft. Auf dem Kontinent wurde ein WW als Konkurrenz zum WM gebastelt und die Ungarn spielten 1954 gar mit einem asymmetrischen WM und der „falschen Neun“.
Die Gründe sind die unterschiedlichen Anforderungen im Bereich der Taktik, des Umschaltens und der Physis. Vor achtzig Jahren gab es noch fünf Stürmer an vorderster Front, es war schlicht logisch, dass sich entweder der zentrale Akteur oder einer der beiden Halbstürmer zurückbewegte. Im Kurzpassspiel nach Trainern wie Hogan, Bukovy, Reynolds und Sebes war es sogar essentiell und im Fußball des Wunderteams war es logisch, um möglichst viele Anspielstationen zu haben. Das Zauberwort ist Dominanz und Dauer des Ballbesitzes.
die Königlichen spielten im Finale von 1960 mit dieser Aufstellung und Di Stefano als „falscher Neun“
Vor der Erfindung des Pressings wurde der Ball bei einem Angriff noch länger gehalten, das Tempo war geringer, der Mittelstürmer konnte sich zurückfallen lassen und Räume für insbesondere weite Bälle öffnen. Ab den Sechzigern ging es zu Systemen mit weniger Stürmern über, zu mehr Defensive und die Zeit des Umschaltens kam. Zeugnis dieser Spielweise war der Catenaccio, den Nereo Rocco populär und Helenio Herrera erfolgreich machte. In dieser Dekade folgte durch Maslov in Osteuropa und Michels in Westeuropa auch das Pressing, das im Verbund mit einer erhöhten Athletik kam. Die Zeit am Ball wurde verringert, die offensiven Mannschaften konnten sich kaum eine falsche Neun erlauben.
Durch die Taktik wird das Kollektiv wichtiger
Di Stefano, Pelé und Cruijff hatten allesamt gemeinsam, dass sie mit ihrer Vereinsmannschaft die spielerisch dominanteste Elf ihres Kontinents stellten sowie zumeist auch taktisch dem Gegner überlegen waren. Dadurch und dank ihrer individuellen Brillanz konnten sie diese Spielweise ausüben. Bei Cruijff und Pelé kam die Eingespieltheit der Mannschaft hinzu, wobei Cruijff dank der Ähnlichkeit der Nationalmannschaft, dem Happel’schen Ansatz bei Feyenoord und der Polyvalenz des Kollektivs diese Rolle auf die nahezu selbe Art und Weise auch außerhalb Ajax‘ bekleiden konnte. Di Stefano hatte bei Real eine spielerisch enorm starke Mannschaft noch bevor das Pressing eingeführt wurde und desweiteren galt er als extrem ausdauernd, was seine Spielweise ermöglichte.
Später fehlte es an solchen Mannschaften, die alles dominierten. Das Pressing, die hohe Athletik und ein stärkerer Fokus auf Taktik hatten sich europaweit durchgesetzt. Rigide Formationen lösten die Fluidität oder zumindest Flexibilität im Sinne des Positionsspiels ab, viele Topmannschaften glichen einer Schablone und befanden sich in gewissen taktischen Aspekten wie der Raumdeckung oder Raumverknappung noch in einer Umbruchphase. In Deutschland dauerte diese gar noch bis in das neue Jahrtausend hinein. Erst seit der kollektiven Anpassung an einen „weltweiten Defensivstandard“, wie es Christoph Biermann beschrieb, mit Viererkette und Raumdeckung begann wieder die sprunghafte Entwicklung der Taktiken, die verstärkt im Bereich der Umsetzung von vorgegebenen Spielphilosophien zu finden sind.
Eine Rückkehr der falschen Neun ist unmöglich, weil der Begriff nichts mit der früheren Spielweise zu tun hat
Durch die höheren Finanzen, verbesserte Jugendarbeit und die Aufhebung der Legionärsbeschränkungen steigt die Qualität in der Breite. Dadurch kann trotz Pressings und Defensivspiel länger der Ball in den eigenen Reihen zirkuliert werden. Branchenprimus ist hier der FC Barcelona, an deren Ballbesitzzeiten im Angriffsablauf niemand herankommt. Es ist die ideale Lebensgrundlage für die (eigentlich einzige unbestrittene) falsche Neun im Weltfußball, welche vor achtzig Jahren noch häufiger vorkam. Und womöglich sollte man sich deswegen hinterfragen, ob der Begriff „falsch“ nicht irreführend ist.
Viel eher hat sich die Definition der falschen Neun in den letzten Jahren verselbstständigt. Sie ist abgesehen von Messi im Konstrukt FC Barcelona kaum einzuhalten, ähnlich wie es nie den angeblichen weltweiten Konsens über die Spielweise einer klassischen spieldiktierenden Nummer Zehn gab. Historisch gesehen ist die falsche Neun nichts als anderes als ein spielmachender Mittelstürmer – wieso die Position also nicht auch so bezeichnen?
Messi lässt sich nur bei Ballbesitz so tief fallen – doch auch Alves, Busquets (oder Abidal) und Iniesta bespiel(t)en bei längeren Kurzpassstafetten durchgehend andere Positionen, wie man hier gut sehen kann. Sind sie deswegen „falsch“?
Bleibt man bei der Beschreibung „falsch“ und überlegt sich, wieso ausgerechnet diese Eigenschaft als primäres Attribut gewählt wurde, kommt man zu folgendem Schluss: der Mittelstürmer, die Nummer Neun, lässt seine Position über längere Zeit verwaisen und bewegt sich woanders hin, obwohl er auf dem Papier dort spielen müsste. Heutzutage ist dies nur in absoluten Ausnahmefällen möglich und wie es scheint auch nur bei einer Mannschaft, nämlich dem FC Barcelona. Dort müssten jedoch auch Dani Alves als falscher Zweier, Busquets als falscher Sechser und womöglich Iniesta als falscher Achter bezeichnet werden, denn allesamt suchen sie sich andere Räume im Ballbesitz, was schlicht daran liegt, dass es ihnen ihre Mannschaft auf einmalige Weise im modernen Fußball gewährt.
Darum sollte das semantische Konstrukt der falschen Neun abgelegt werde. Es ist nicht nur eine nicht zu verallgemeinernde Beschreibung in der Moderne, welche früheren Spielern nicht gerecht wird; auch diese Spieler würden dieser Definition im modernen Fußball nur vereinzelt gerecht werden können, die Beispiele und eine generelle Erklärung findet man übrigens auch in diesem Artikel von TR.
Desweiteren verhindert der Begriff „falsche Neun“ auch das Entstehen unterschiedlicher Variationen eines solchen Mittelstürmertypus und der passenden Bezeichnung dafür. Hierzu folgt noch ein weiterer taktikhistorischer Artikel, in welchem wir mögliche Alternativen und Variationen der „falschen“ Neun beschreiben. Würden diese nämlich woanders oder in einer anderen Zeit auf diese Art und Weise spielen wollen, würde es wohl ebenfalls heißen – „da stimmt doch was nicht.“ Image may be NSFW. Clik here to view.
Ein weiterer Artikel im Zuge unserer „Woche der Falschen Neun“ – diesmal geht es um die verschiedenen Varianten dieses Spielertyps.
Wie bereits im Artikel über die Verwendung und Entstehung des Begriffes „falsche Neun“ angemerkt, beengt diese Definition nicht nur die passende Beschreibung aktueller und historischer Spielertypen , sondern auch die Entstehung unterschiedlicher Ausprägungen des Mittelstürmers abseits der Begrenzung allein auf den Raum um ihre Grundposition herum.
In diesem Artikel zeigen wir die unterschiedlichen Varianten der „falschen“ Neun, ihren Verwendungszweck und einen Ausblick in die Zukunft. Unter anderem auch die Spielweise Karim Benzemas, welcher sich im 4-3-3 der Franzosen zwar „fluid“, aber doch anders als beispielsweise ein Lionel Messi, Johan Cruijff, Rajko Mitic oder Nandor Hidegkuti zeigte.
Wieso überhaupt die falsche / spielmachende Neun?
Die Nutzung der „spielmachenden Neun“ (die klassische „falsche Neun“) hat mehrere Gründe: neben dem Verwaisen der Stürmerposition zum Herstellen von Überzahl im Mittelfeld kann sie auch allgemein zum Ausnutzen der gegnerischen positions- oder mannorientierten Raumdeckung genutzt werden. Bei einer raumorientierten Raumdeckung oder einer klassischen Manndeckung würde die falsche Neun beispielsweise weniger Effekt haben, die generelle Spielweise wäre jedoch schwerer auszuführen und generell anfälliger.
Barcelona im Wandel der Zeiten; mit Kubala und Cruijff hatten sie schon vor Messi eine „falsche Neun“
Im Normalfall wird diese Spielweise aufbauend genutzt. Sie soll Kreativität im Angriffsvortrag und Stabilität im Spielaufbau bringen. Ein weiterer positiver Aspekt ist das Chaos in den gegnerischen Abwehrreihen, das durch die Freirolle entsteht; insbesondere historisch bei Cruijff und Hidegkuti hatte dies fatale Auswirkungen. Ideal zeigte sich dies beim 6:3-Erfolg der goldenen Ungarn auswärts gegen England im Wembley-Stadion.
Bei der modernen Version, allen voran Messi, aber auch früher Totti, sieht man oft, wie die falsche Neun bei hohem gegnerischem Druck (zumeist in Form von Mittelfeldpressing) dabei hilft, zentral Dreiecke zu bilden oder bei einer Manndeckung im Mittelfeld die frei gewordenen Räume zu nutzen, um die Rolle des Spielgestalters zu übernehmen. Dadurch nutzt sie die Starrheit der gegnerischen Viererketten, um Überzahl ab dem zweiten Spielfelddrittel zu schaffen. Selbst bei mannorientierter Raumdeckung traut sich kein Spieler aus der Viererkette, die falsche Neun bis weit in die gegnerische Hälfte zu verfolgen. Im ersten Drittel wäre das Zurückfallen der falschen Neun übrigens kontraproduktiv, da es zu kraftraubend wäre, der Raum noch enger ist und ein moderner Torhüter diese Aufgabe in der Tiefe übernehmen kann.
Allerdings sollte hier unterschieden werden zwischen einer tiefen und einer hohen spielmachenden Neun. Letzteres entspricht eher Totti oder auch Zlatan Ibrahimovic an bewegungsfreudigeren Tagen. Wie bereits im vorherigen Artikel erklärt profitiert Messi enorm von der Spielweise seiner Mannschaft, weswegen er sich auch so tief orientieren kann. Ibrahimovic oder auch andere spielmachende Mittelstürmer können dies nicht, verrichten aber ähnliche Offensivaufgaben im letzten Drittel statt im zweiten. Die „spielmachende tiefe Neun“ wird vorrangig bei längerem Ballbesitz und nicht bei Kontern genutzt, teilweise wird sie sogar erst durch die eigene Sicherheit und daraus resultierende zeitliche Dauer im Aufbauspiel möglich. Mannschaften mit weniger Ballbesitz haben – wenn sie denn mit einem potentiellen Spielgestalter im Sturmzentrum spielen – eine „spielmachende hohe Neun“, wie sie beispielsweise der erwähnte Ibrahimovic darstellt. Umgangssprachlich wird er jedoch kaum als „falsche Neun“ bezeichnet, was daran liegt, dass er sich deutlich näher in und um seine Grundposition in der Formation herum bewegt. Dies ist aber mehr Ausdruck der Spielweise seiner Mannschaft, als seiner individuellen Aufgaben.
Weitere Varianten der Neun
Allerdings muss die moderne Variante der beweglichen Neun nicht zwingend aufbauend und stabilisierend genutzt werden. Sie kann auch zur Verstärkung der Defensive genutzt werden – also ein Mittelstürmer, der seine Position im Defensivspiel verwaisen lässt und seine Abwehrarbeit jenseits des üblichen Rückwärtspressingrahmens ableistet. Ein Thomas Müller in Topform könnte beispielsweise eine solche Position herausragend ausführen, da er die nötige Ausdauer und Spielintelligenz mitbringt, um sich im Defensivspiel effektiv zu beteiligen.
Santos in der Saison 1962-63 – auch Pelé könnte als eine spielmachende Neun gesehen werden, während in der Nationalmannschaft Vavá ansatzweise eine ausweichende und/oder eine defensive Neun verkörperte
Eine solche „defensive Neun“ wird aber kaum genutzt. Die Gründe liegen auf der Hand: es fehlt bei Befreiungsschlägen oder schnellem Umschalten eine Anspielstation in der Tiefe und klassische Mittelstürmer disqualifizieren sich oftmals wegen ihrer technischen Mängel in Ballsicherung und Passspiel deswegen. In früheren Systemen mit mehreren Stürmern vorne gab es allerdings die Möglichkeit mit einer defensiven Neun zu agieren; Alfredo Di Stefano war ein solcher Spieler, auch John Charles und Georgi Asparuhov an besten Tagen zeigten Ansätze davon.
Der Waliser Charles war nicht nur als Mittelstürmer Weltklasse, sondern galt als einer der besten Innenverteidiger seiner Zeit und wurde zum besten ausländischen Spieler der Serie A im vergangenen Jahrhundert gewählt, noch vor Platini, Maradona und Co. Er brachte die nötigen defensiven Fähigkeiten mit, um diese Rolle effektiv auszuführen. Außerdem hatte er mit Boniperti und Sivori zwei sehr ballstarke und torgefährliche Halbstürmer im 3-2-2-3 hinter sich, die auch unter Druck Pässe behaupten (Sivori) sowie selbst nach vorne gehen konnten (Boniperti). Ähnliches gab es bei Di Stefano mit Francisco Gento auf links als diagonalem Außenstürmer, Ferenc Puskas im Sturmzentrum, Hector Rial (und später Luis De Sol) neben ihm und noch einigen mehr.
Die dritte große Variante des Nicht-Mittelstürmers ist jene der „umschaltenden Neun“. Mit Erhöhung der Athletik, der Wichtigkeit des Umschaltspiels und des Zusperren des Ballungsraumes offensives Zentrum, was für das Sterben der klassischen Zehn ursächlich war, könnte die Zeit für diesen dritten Ableger der falschen Neun kommen. Der bereits erwähnte Karim Benzema ist ein solcher Stürmer. Er lässt sich weder bei eigenem noch bei gegnerischem Ballbesitz fallen, sondern im Umschaltmoment, also dem Wechsel des Ballbesitzes. Nicht nur, dass er sich am Gegen- und Angriffspressing beteiligt, was ohnehin zum Standard für einen Mittelstürmer wird, auch im offensiven Umschaltspiel spielt er eine Schlüsselrolle.
Real im Umschaltmoment mit Benzema auf Raumsuche und aufrückenden Flügeln
Durch seine Spielintelligenz und hervorragende Technik kann er sich in die richtigen Räume fallen lassen und sich dadurch anspielbar machen. Er bietet seinen Mitspielern in der Defensive somit eine weitere Anspielstation in der Mitte. Zumeist entstehen durch die Begrenzung des Abseits auf die Mittellinie gewisser Löcher zwischen den Linien bei hohem gegnerischem Aufrücken. Es war exakt jener Raum, welchen Özil bei der WM 2010 entlang der gesamten Horizontale beackerte – eine ähnliche Rolle übernimmt Benzema auf allerhöchstem Niveau. Durch sein dynamisches Anbieten in freien Räumen zieht er entweder einen Verteidiger mit und öffnet eine Lücke oder er besitzt ausreichend Zeit, um sich zu drehen und angriffseinleitend tätig zu werden.
Eine weitere Möglichkeit, meist im Verbund mit der umschaltenden Neun ist das Ausweichen auf die Flügelpositionen. Dies liegt zumeist daran, dass durch die geöffnete Lücke in der eigenen wie der gegnerischen Formation und das schnelle Konterspiel sich die Flügelstürmer diagonal Richtung Sturmzentrum orientieren. In weiterer Folge übernimmt der nominelle Mittelstürmer die Position eines der eingerückten Mittelstürmer und spielt als „ausweichende Neun“. Agiert die Mannschaft mit viel Ballbesitz weit vorne im Feld und der Mittelstürmer passt sich den Bewegungen seiner Außenstürmer an, öffnet Räume durch horizontale Bewegungen oder das Kollektiv spielt offensiv-fluid, dann entstehen solche Ausweichbewegungen isoliert vom Zurückfallen im Umschaltspiel.
Zukunftsaussichten
Im Zeitalter der taktischen Neuerungen und der exorbitanten Dynamik verändern sich viele Aufgabengebiete. Die Mannschaften suchen nach Möglichkeiten bislang isolierte Spieler verstärkt miteinzubeziehen – das begann beim Stopper, ging über den Torwart bis zum Mittelstürmer. Doch auch die Möglichkeiten solcher Anpassungen verändern sich stetig. Immer wichtiger wird das Pressing und die Idee der defensiven Neun hat ihre Möglichkeit vor einigen Jahren verpasst, könnte aber als „pressende Neun“ in einigen Jahren Erfolge feiern.
Inwiefern die falsche Neun, wie sie beispielsweise Messi darstellt, einen Siegeszug feiern wird, bleibt abzuwarten. Zu hoch scheint ihre Abhängigkeit von längeren Ballbesitzphasen und somit einer individuell starken Mannschaft. Allerdings könnte sich durch die bessere Technikschulung von klein auf, die verbesserten Spielweisen im Aufbauspiel und den hohen Professionalismus, der sich auf die Eingespieltheit auswirkt, durchaus ein Trend zum Ballbesitzfußball entwickeln. Dann würde die tiefe spielmachende Neun ihren Siegeszug erst beginnen und sich an den Erfolgen aus der fußballerischen Urzeit orientieren können. Welche beweglichen Neuner sich letztendlich durchsetzen werden, wird also das Resultat einer der kollektiven Entwicklungen im Weltfußball. Voraussichtlich wird es einmal mehr auf eine Mischung herauslaufen, wie es auch TR in seinem Artikel erläutert.
Die starre / feste / klassische Neun wird also höchstwahrscheinlich die positiven und verwirklichbaren Aspekte der beweglichen / fluiden / falschen Neun und ihrer Untervarianten aufnehmen, wodurch sich unterschiedliche Stürmertypen mit Möglichkeit zur Anpassung an den Gegner entwickeln werden. Image may be NSFW. Clik here to view.
Das Konzept der falschen Neun gilt im modernen Fußball als enorm schwer zu verteidigen. Der Gegner kann Überzahl im Mittelfeld herstellen, reißt die Kette auseinander und öffnet somit Löcher für seine Mitspieler. Außerdem erhöht er den Ballbesitz und in indirekter Folge die Möglichkeit des Herausspielens von qualitativen Chancen sowie geringerer Gefahr durch Konter aufgrund der möglichen Distanz des Gegners zum eigenen Tor.
Sich selbst bringt er mit Dynamik und somit einem Vorteil gegenüber den Verteidigern in die nötigen Zielräume der Abwehr, was die Torgefahr erhöht. Desweiteren kann er sich flexibel an die Passmuster seiner Mannschaft und die Löcher in der gegnerischen Formation anpassen. Die Positionierung in der Offensive ist somit „richtiger“ und kann individuell problemlos angepasst werden.
Diese Faktoren machen die falsche Neun bei richtiger Umsetzung sehr gefährlich. Insbesondere bei der weitgehend gängigen Spielweise der mannorientierten Raumdeckung und des starren Kettenspiels der Abwehrreihe ist es fatal, wie beispielsweise das 5:0 Barcelonas gegen Real Madrid 2010 eindrucksvoll beweis. Darum sollte man aus einer taktiktheoretischen Perspektive verschiedene Lösungsansätze diskutieren, welche zur Neutralisation genutzt werden könnten.
Raumorientierte Manndeckung
Eine Möglichkeit wäre es, die Kette und das Spiel mit der Raumdeckung zu verändern. Die Kette würde dann je nach Szenario aus drei eher zentralen Akteuren bestehen, welche den Raum verdichten. Die Seiten werden je nach Überlegung von höheren Spielern, also den Flügelverteidigern oder Außenstürmern, besetzt oder gar verwaisen lassen. Durch drei zentrale Spieler ist der Raum geringer, man steht kompakter und kann die falsche Neun stärker in die Mangel nehmen sowie flexibel Zugriff auf sie erhalten. Insbesondere der zentrale Spieler kann sich nach vorne bewegen und sie nach vorne verfolgen.
hier ein Beispiel, wie man gegen die falsche Neun (personifiziert durch eine symmetrisierte Aufstellung Barcelonas mit Messi) mit wechselnden Manndeckern vorgehen könnte. Der Manndecker wechselt je nach Zone, das Mittelfeld kann ähnliches bei der gegnerischen Doppelacht betreiben. Die dargelegte Variante ist natürlich sehr defensiv, am Grundprinzip ändert es nichts – es kann auch mit zwei Innenverteidiger oder nur zwei Sechsern oder beidem gespielt werden mit daraus resultierender höherer Offenheit
Eine Alternative wäre es, wenn die falsche Neun auch nur in einer bestimmten Zone von dem dazugehörigen Spieler manngedeckt werden würde. Bewegt sie sich aus der Zone heraus, dann wird Übergeben. Allerdings ist dies riskant, da es nur geringen Schutz vor dem Überladen bietet und der Moment der Übergabe von anderen Spielern genutzt werden könnte. Jedoch ist das Grundprinzip gut und kann in Kombination mit einer flexiblen Raumaufteilung des Kollektivs funktionieren. So wäre es eine Idee, dass sich das Mittelfeld tiefer stellt, wenn die falsche Neun ins Mittelfeld zurückgeht. Der Raum zwischen den Linien wird verringert, die raumorientierte Manndeckung kann nun von den Mittelfeldspielern mit zusätzlicher Absicherung übernommen werden. Ganz nach dem Prinzip der Absicherung wäre die nächste Variante.
Rückkehr zum Libero
Den (vermeintlich) modernen Trend der falschen Neun lässt sich womöglich auch mit der Rückkehr zu einem freien und vertikal hinter der Kette verschobenen Mann in der Defensive entgegen wirken. Beispielsweise könnte eine Viererkette mit zusätzlicher Absicherung dahinter oder ein Manndecker in einer Dreierkette mit zusätzlichem Libero gespielt werden. Die Mannschaft könnte dann aggressiv herausrücken und pressen, während der Ausputzer absichernd agiert und die von der falschen Neun geöffneten Räume sichert.
hier sieht man die jeweiligen Systeme mit Libero, einmal mit 1-3-4-2 und einmal im 1-4-4-1. Der Kreis symbolisiert in diesem Fall den jeweiligen defensiven Aktionsradius
Allerdings gibt es bei dieser Variante viele Probleme. Der Libero bedeutet einen weiteren Mann in der Mittelfeld weniger und somit noch stärkere Unterzahl im Mittelfeld. Geht man jedoch von einer auf Konter angelegten Spielweise aus, dann wäre der Libero durchaus eine interessante Idee. Er kann das Spiel mitaufbauen und nach unterbrochenen Angriffen sofort Konter initiieren, bei denen er im Normalfall mehr Zeit und Raum haben sollte, als ein klassischer Innenverteidiger oder Sechser. Womöglich könnte er gar eine Hybridrolle übernehmen, in welcher er nicht durchgehend als Stopper agiert, sondern sich selbst in die Kette einordnet und einen Spieler daraus befreit. Dieser würde dann eine flexible Deckung auf die falsche Neun übernehmen und somit wäre das Problem des freien Spielers und der Unterzahl in der Mitte zumindest in Ansätzen beseitigt.
Eine weitere Möglichkeit wäre ein „Mittelfeldlibero“, beispielsweise eine Art freier Mann in einem 4-1-4-1-System. Dieser kann dann bei Bedarf ein besonders Augenmerk auf die tiefe spielmachende Neun legen, ansonsten aber als klassischer Staubsauger und Defensivorganisator vor der Viererkette agieren. Problematisch ist hier, dass er keine Absicherung hinter der Abwehr bietet und somit Lochpässe nicht aufhalten kann, außerdem durch eine eingespielte Mannschaft einfach entblößt werden kann. Die Halbräume werden durch das zusätzliche Band im Mittelfeld geöffnet, was gegen eine Mannschaft wie Barcelona oder eine falsche Neun wie Messi fatal sein kann.
Allerdings könnte man eine ähnliche Spielweise auch auf weniger komplexe Art und Weise haben.
Der Kettenhund
Generell wäre es eine Möglichkeit der gegnerischen falschen Neun schichtweg einen Sonderbewacher entgegen zu stellen. Die restliche Anordnung würde dann quasi auf Zehn gegen Zehn in der taktischen Planung und Analyse hinauslaufen, während der Manndecker die falsche Neun möglichst im Alleingang ausschalten soll. Die große Frage ist hierbei immer, wer dafür geopfert wird. Im Prinzip wird meistens aus der gängigen Formation ein Spieler aus dem Defensivverbund herausgerissen und soll eine Manndeckung übernehmen. Gegen Messi taten dies beispielsweise einmal Pepé als nomineller Sechser und ein anderes Mal Carvalho als Innenverteidiger. Sie lösten sich aus der Position in ihrer Grundformation heraus und spielten dann gegen Messi bei dessen Ballannahme.
Die Formation und Anordnung als solche blieb aber gleich. Eine Anpassung an das defensive 10-Mann-Spiel hätte jedoch dieses taktische Mittel noch interessanter gemacht. Man könnte beispielsweise ein 4-3-2 spielen, ein 4-4-1 oder ein 4-2-3, wie es Real in dieser Hinsicht tat. Eine isolierte Betrachtung der Formation mit ausgeblendeten Manndecker sowie der offensiven Phase mit ihm in der Formation ist dennoch unumgänglich. Dadurch wird es möglich, die Mannschaft besser anzupassen und mehrere Szenarien durchzuspielen, in welcher Probleme durch die falsche Neun aufgeworfen und Lösungen gefunden werden können.
Besitzt man nicht nur einen zweikampfstarken und bissigen Manndecker, sondern einen intelligenten Defensivspieler, kann der Kettenhund zum Abdrängen genutzt werden. Er verfolgt dann keine aggressive und oftmals riskante Spielweise, sondern soll die falsche Neun schlicht von ihren idealen Wegen abdrängen und dadurch das Spiel der gegnerischen Mannschaft nachhaltig schädigen. Indem er ihn in schwache Schusspositionen bringt oder von Mitspielern isoliert, verringert er die ausgehende Gefahr enorm.
Das passive Abwehrpressing
Eine kollektive – und umstrittene – Möglichkeit wäre es, die falsche Neun ohne explizite Zuteilung normal agieren zu lassen, allerdings in den resultierenden Zweikämpfen durch die Bank passiv zu agieren. Dies stellt einen Kompromiss dar, in welchem man niemanden opfert und die normale Formation wie Aufstellung spielen lassen kann. Aber dafür verändert sich das Zweikampfverhalten, was in gewisser Weise einer Art Schadensbegrenzung entspricht. Durch das passive Abwehrpressing soll der Laufweg des Gegners geleitet werden und sein Dribbling weniger erfolgreich gestaltet werden.
Ziel sollte es sein, dass der Gegner nur unter akut einsetzender Bedrängnis sowie aus ungünstigen Positionen abschließen kann. Indem man weder in den Zweikampf geht noch eine Grätsche ansetzt, kann die falsche Neun verfolgt und beim Abschluss behindert werden. Dies kann jedoch auch ins Auge gehen – es ist letztlich ein Tanz auf Messers Schneide, wie die Halbfinale von Chelsea in der vergangenen Saison (aber auch im Finale und unter Hiddink 2009) gezeigt haben. Sowohl Roberto di Matteo als auch Guus Hiddink verhängten in Ansätzen ein Grätschverbot, wiesen ihre Akteure zu Spielbewegungen an und verlangten sichere Defensivaktionen. Der Zweikampf sollte so lange hinausgezögert werden, bis er möglichst erfolgreich bestreitet werden kann.
Im Spiel gegen die falsche Neun ist dies besonders interessant, weil sie nicht nur viel von ihrer Wirkung verliert, sondern die gegnerische Mannschaft in ihrer eigenen Spielweise einsperrt. Sie verschieben den Ball dank ihrer Überzahl, werden aber von den gefährlichen Zonen isoliert und besitzen keine Sturmspitze als Ersatz. Dadurch entsteht quasi ein Spiel in Trance, in welcher die gleichen Bewegungen wiederholt werden, ohne dass Erfolgswahrscheinlichkeit steigt.
Isolation & Pressing
Die nächste kollektivtaktische Idee ist das Versperren von Passwegen, was sich allerdings wegen der enormen Beweglichkeit der falschen Neun schwierig gestalten dürfte. Wichtig ist eine präzise Analyse der Bewegungsabläufe des gegnerischen Kollektivs, um die Passmuster zu erkennen und eine mögliche Anordnung zu schaffen, in welcher der Mittelstürmer isoliert werden kann.
ein mögliches Pressingszenario mit den drei wichtigen Deckungsschatten – es verhindert ein direktes Anspiel auf Messi, ein indirektes Anspiel über Pedro und erhöht durch die Deckung auf Busquets den generellen Druck
Interessant wäre es hierbei, wenn lokales Pressing betrieben wird, um mögliche Passgeber spezifisch unter Druck zu setzen und mit dem Deckungsschatten die Passwege zur falschen Neun zuzustellen. Das lokale Pressing kann dabei auch auf die falsche Neun praktiziert werden, natürlich im Verbund mit einer Pressingfalle. In bestimmten Situationen oder Positionen werden Räume zur falschen Neun offen gelassen, um Pässe auf den Zielspieler in der Offensive zu provozieren. Sobald der Pass gespielt wird, klappt die Falle zu und es wird attackiert.
Rückwärtspressing als weitere Alternative des Pressings
Ähnliche Attacken in Intervallform mit einem festgelegten Auslöser könnten auch vom Mittelfeld praktiziert werden. Im Normalfall wird Rückwärtspressing von den Stürmern nach Angriffspressing ausgeübt, welche ihre Außenverteidiger in der klassischen Defensivarbeit unterstützen. Gelegentlich gibt es auch Mittelstürmer, welche den gegnerischen Spielaufbau in dessen zweiter Phase im Mittelfeld stören, beispielsweise Tevez‘ Pressing auf Yaya Toure gegen Barcelona in der Saison 2007/08. Auch Mario Gomez zeigte dies in Ansätzen, in einer Partie gegen den BVB oder Inter Mailand in der Van-Gaal-Ära sogar auf großem Niveau.
Das gleiche Grundprinzip liegt einem solchen Rückwärtspressing auf die falsche Neun zugrunde. Befindet sie sich vor der Mittelfeldkette, dann kann sie auf die übliche Weise gepresst werden, sobald sie sich in den gefährlichen Zonen zwischen den Linien aufhält, dann wird die Kette des Mittelfelds nach hinten gezogen. Sie zieht sich nach dem Prinzip der Raumverknappung Richtung Ball und soll möglichst eng um die ballführende falsche Neun agieren.
durch Rückwärtspressing des Mittelfelds wird der Raum zwischen den Linien komprimiert
Dies sorgt dafür, dass die falsche Neun darunter leidet, dass sie als einziger Stürmer agiert – die Bälle aus dem Mittelfeld können zwischen den Linien angenommen werden, doch die beiden Ketten können dank des mangels an einem zweiten zentralen Stürmer problemlos eng gezogen werden. Die Gefahr liegt dann über den Flügeln, bei einer vor dem Zusammenziehen gegebenen Kompaktheit ist die Bedrängnis auf die falsche Neun aber im Normalfall ausreichend hoch, um präzise Anspiele oder gar Kombinationen zu verhindern.
Dadurch könnte auch das Raumfressen in neuer Ausführung praktiziert werden. Beim Raumfressen lassen sich die Spieler der Mittelfeldkette zumeist bei inversen Ausflügen der gegnerischen Flügelstürmer antizipativ nach hinten fallen und leiten die Bewegung des Ballführenden nach vorne, während sie zeitgleich den Raum zwischen den Linien verschlossen haben. Dank des Rückwärtspressing könnte bei einer passenden Zuteilung das aktive Pressing mit dem passiven Raumfressen kombiniert werden.
Defensivfluidität
Es gibt auch zwei weitere und etwas skurrile Möglichkeiten gegen die falsche Neun vorzugehen. Die erste Variante wäre eine fluide Besetzung von Räumen in der Defensive. Die Mannschaft passt sich durchgehend an die neuen durch die falsche Neun geschaffenen Begebenheiten an und nimmt danach die ideale Position ein. Wie bei der Offensivfluidität erfordert dies ein exorbitantes Maß an hervorragenden und spielintelligenten Akteuren, das Risiko ist auch enorm hoch – ein minimaler Mangel an Konzentration in einem hochkomplexen taktischen Gebilde reicht aus, um das gesamte Konstrukt in sich einstürzen zu lassen.
In der Theorie erhält man aber durch eine solche Spielweise ideal Zugriff auf flexible Ballbesitzmannschaften, welche normalerweise die Grundlage für eine falsche Neun darstellen. Mit der fluiden Bewegung im Raum und passender Eingespieltheit kann man die Bewegungen des Gegners ideal verfolgen und dagegen vorgehen. Ein Kompromiss zwischen dem hohen Risiko und den Stärken wäre das Einsetzen von gewissen Stützpfeilern: beispielsweise einem festen Spieler im defensiven Zentrum oder ähnlichem.
Hier ist die „feste“ Komponente die Viererkette, die fluide Komponente befindet sich davor und wird abgesichert. Es wird jener Raum flexibel attackiert, in welchem die Pässe auf die falsche Neun kommen und wo sie selbst agiert, was diese teilweise Fluidität als sicherste und effektivste Spielweise prädestiniert.
Ansätze von Fluidität sind hier zu sehen:
Veränderung des Kettenspiels
Es gibt ein großes Dogma im Fußball, welchem ich mich in einem gesonderten großen Artikel eines schönen Tages widmen werde: nämlich die Horizontalität des Kettenspiels. Die Bänder in einer Mannschaft werden in der Abwehr nahezu immer und oftmals auch noch im Mittelfeld als Kette organisiert, welche bei Herausrücken eines Spielers horizontal auf dessen Position einrückt oder als gesamte je nach Ballposition verschiebt.
Als spezielle Variante gegen die falsche Neun, wäre eine Veränderung des Kettenspiels eine innovative wie riskante und komplexe Lösung. In gewisser Weise wird dies bei der fluiden Dreifachsechs sogar genutzt, sie organisiert sich teilweise als eine Dreieckskette, wo der Sechser, der keinen Zugriff auf Ball und Gegner hat, auf eine nicht mehr besetzte Position seiner Partner verschiebt.
Interessant wäre der Faktor „Kompression“ durch eine Nutzung einer vertikalen Kette im Zuge der Kompaktheit im spezifischen Raum der falschen Neun. Das bedeutet, dass in der Formation, welche auch immer dies sein mag, eine vertikale Linie vom Verteidiger bis nach vorne gezogen wird. Die Formation kann danach ausgerichtet werden, beispielsweise ein 3-3-3-1 mit zwei engen Anordnungen der drei Akteure in Mittelfeld und Angriff. Gegen Barcelona wäre dies ohnehin ein interessantes System, weil es sehr eng gespielt werden kann, was die Mitte überlädt.
Falls die falsche Neun nun im Mittelfeld attackiert wird, verschiebt einer der Akteure aus seiner Grundposition heraus. Zumeist wird sich einer der drei Sechser aus dem zweiten Band in einem hypothetischen 3-3-3-1 auf eine Seite bewegen, woraufhin die vertikale Kette greift. Die Position des Sechsers ist verwaist, doch sowohl der Akteur davor als auch jener dahinter schiebt den Raum zu.
Dieser ist kompakt, kann nicht bespielt wird; wie oft sieht man bei Messi Situationen, wo er nach einem erfolgreichen Dribbling scheinbar endlose Räume zwischen den Linien vor sich hat? – auch Pässe auf aufgerückte Nebenmänner wie Raumsucher Iniesta sind bekanntlich gefährlich.
Riskant bei einer solchen Spielweise ist natürlich der Raum dahinter sowie die geöffnete Schnittstelle. Im Zuge dessen sollte das horizontale Kettenspiel beibehalten sowie eine Abseitsfalle genutzt werden. Sobald der Sechser einrückt, schiebt nicht nur der Innenverteidiger dahinter nach vorne, sondern auch die Partner. Die Abseitsfalle sollte Tiefenläufe neutralisieren, danach kann dann das horizontale Kettenspiel zur Versperrung der Schnittstelle ebenfalls genutzt werden.
Weniger riskant und damit realisierbar(er) ist das vertikale Kettenspiel im Angriff und Mittelfeld. Wenn der Stürmer attackiert, sollten der Sechser und der Innenverteidiger dahinter nach schieben, ansonsten bieten sich wieder jene Räume, welche Mannschaften wie Barcelona mit ihren sich anpassenden Passmustern bespielen wollen. Dadurch wird die Kompaktheit beibehalten und der gegnerischen Mannschaft das Spiel mit der falschen Neun als Akteur zwischen den Linien erschwert. Image may be NSFW. Clik here to view.
In den bisherigen Artikeln der Serie haben wir bereits kurz erklärt, dass im modernen Fußball die die tiefespielmachende bewegliche Neun deswegen nur sporadisch auftauchte, weil durch die erhöhte Athletik eine gewisse Dominanz in Form von Ballbesitz nötig war.
Früher gab es diese Athletik und das daraus resultierende kompakte und kollektive Pressing über das gesamte Spielfeld nicht, weswegen die spielmachende Neun noch Gang und Gäbe war. Doch ein gewisses Grundmaß an kontrolliertem Ballbesitz ist nicht die einzige Soll-Voraussetzung für dieses taktische Mittel.
Es fällt auf, dass im nach-dem-WM-System-Zeitalter des Fußballs vorrangig ein Dreiersturm und seine Variationen dafür genutzt wurden. Ajax Amsterdam und der FC Barcelona in den 70ern mit Johan Cruijff, Lionel Messi bei den Katalanen seit 2009 sowie Francesco Totti bei der Roma Mitte der letzten Dekade. Hierzu sei gesagt, dass Totti eher eine hohe spielmachende Neun war, welche oftmals als umschaltende Neun fungierte.
Auch die Roma spielte auf Ballbesitz und mit drei Stürmern – von der Rollenverteilung her
Trotzdem hatten die Römer in 32 von 38 Ligaspielen mehr Ballbesitz als der Gegner und kamen im Schnitt auf fast 59% Ballbesitz, was eine starke Quote ist; in der Folgesaison lagen sie sogar nur vier Mal unter 50%, einmal zu zehnt, dreimal ohne falsche Neun. 59% bedeutet auch einen höheren Ballbesitz als Mannschaften wie Gladbach, Dortmund, Bilbao, Real, City, Swansea und United in der vergangenen Saison. Neun Mal lagen die Roma der 06/07er-Saison sogar über 65% Ballbesitz; Barcelona hatte in der gleichen Spielzeit mit Ronaldinho, Deco und Co. elf Mal über 65% Ballbesitz, in der siegreichen CL-Saison von 2005/06 waren es sogar nur sechs bei einem Durchschnittswert von knapp unter 60%.
die Roma 2007 im Spiel gegen Inter. Davor war es noch Mancini oder Tavano, der auf links agierte und auf rechts spielten Taddei oder Wilhelmsson
Eine Übersicht über die Partien mit weniger Ballbesitz klärt auch auf, wie es in jenen Spielen dazu kam:
Zwei Spiele ohne falsche Neun, einmal gegen Parma mit zwei Stürmern und einmal gegen Catania mit Vucinic vorne
Zwei Spiele gegen den späteren CL-Finalisten AC Mailand, wo sie beide Male früh in Führung gingen und sich aufs Kontern verlegten
Ein Spiel gegen Reggina mit 28 Torversuchen
Ein Spiel gegen Inter unter Roberto Mancini mit Ibrahimovic, Adriano und Figo vor einer defensiven, aber sehr spielstarken Dreierkette aus Stankovic, Zanetti und Cambiasso im 4-3-1-2, was in 51% Ballbesitz resultierte
Das letzte Saisonspiel, ein spektakuläres 4:3 gegen Messina
Die Formation war dennoch weitestgehend von der Rollenverteilung einem Dreistürmersystem entsprechend. Neben Totti agierten in diesem 4-3-3-0-System nämlich mit Rodrigo Taddei oder Christian Wilhelmsson einen dribbelstarken und vertikalen Flügelstürmer, der auch diagonal in die Mitte ziehen konnte. Dazu gesellte sich ein inverser Flügelstürmer in Amantino Mancino oder gar ein verkappter Mittelstürmer, wie es Francesco Tavano darstellte.
Dies ähnelt stark der Aufstellung Barcelonas mit Messi im Zentrum, dazu einen wie David Villa oder Thierry Henry auf links und einen wie Pedro oder Sanchez auf rechts. Unterschiede gab es in der Spielstärke dennoch, doch drei Akteure mit Stürmeraufgaben waren es dennoch, auch wenn die Roma mit einem nominell zentraloffensiven Akteur auflief. Zentral hatten sie mit Simone Perrotta einen zusätzlichen Mittelfeldspieler, welcher sich primär über seine Laufarbeit definierte – nicht über die Offensive oder eine Rolle als Stürmer.
Wieso der Dreiersturm für die falsche Neun wichtig ist
Die spielgestalterische und tiefe Interpretation des Mittelstürmers sorgt bekanntlich nicht nur für Überzahl im Mittelfeld, sondern auch für eine fehlende Besetzung des Mittelstürmers. Diese vakante Position sorgt oftmals dafür, dass ein stürmerloses System viel Kritik erhält – beispielsweise bei der Europameisterschaft, wo Spanien medial einstecken musste, ob ihrer Spielweise und der fehlenden Durchschlagskraft.
Doch Spanien tat sich immer dann schwer, wenn sie neben der falschen Neun zwei weitere Mittelfeldspieler auf den Flügeln hatten, die auch von der Aufgaben- und Rollenverteilung her so agierten. Dadurch fehlte es ihnen trotz hoher Außenverteidiger an der Breite im letzten Drittel, das Zentrum war sogar zu sehr überladen und nach vorne gab es keine Anspielstationen in der Tiefe.
ein 4-2-3-1 mit tiefer spielmachender Neun hängt immer davon ab, wie sich der zentraloffensive Akteur dahinter und die Flügelstürmer verhalten. Hier sieht man ein hypothetisches ineffektives Beispiel gegen ein 4-4-1-1
Vicente Del Bosque versuchte dies durch eine flexible Besetzung des Mittelstürmerposten zu beheben oder eben durch eine Einwechslung eines Stürmers auf dem Flügel. Andere Ansätze wie die schon erwähnten sehr hohen Außenverteidiger oder ähnliches funktionierten nur in bestimmten und seltenen Situationen, sind aber nicht konstant anwendbar.
Bei einem Dreiersturm hat die falsche Neun die passenden Freiheiten. Die beiden Mitspieler bieten Anspielstationen in der Breite und in der Tiefe, sie binden die gegnerischen Außenverteidiger und bei richtiger Positionierung oder in späteren Angriffsphasen (bspw. wegen überladender Außenverteidiger) die gegnerischen Innenverteidiger.
Die falsche Neun ist somit beim Zurückfallen in das Mittelfeld nicht zu verfolgen, hat dort ausreichend Räume zwischen den Linien und kann im Angriff bei richtigem Timing ungedeckt zum Abschluss aus dem Rückraum oder in bespielbaren Zonen vor dem Tor kommen. Anders sieht es bei alternativen Systemen aus.
Wenn man das Attribut „stürmerlos“ wörtlich nimmt …
… hat man ein großes Problem. Stellt man die Mannschaft in einem 4-2-3-1 (als Variante des 4-5-1 und nicht des 4-4-2, 4-3-3 oder 4-2-4) oder auch einem 4-1-4-1 auf, dann gibt es mit einer Spielweise des Mittelstürmers als falsche Neun fast nur Nachteile. Ohne die Flügelstürmer fehlt die Bindung der gegnerischen Viererkette in die Breite und auf Außen, das Isolieren des Innenverteidigers zur Verfolgung ins Mittelfeld funktioniert einfach.
bei einem 4-1-4-1 haben die beiden Innenverteidiger Vorteile gegen die falsche Neun, können sie verfolgen und die Flügel können nur schwer überladen werden, FALLS die Außenspieler ihre Rollen als Mittelfeldspieler und nicht als Stürmer interpretieren
Der Gegner kann auch durch die mangelnde Bindung nach hinten problemlos aufrücken, die Kompaktheit erhöhen und dadurch den Bewegungsraum der falschen Neun einengen. In gewisser Weise erzeugt das Zurückfallen der falschen Neun einen Mechanismus, welcher der gegnerischen Abwehrkette ein ideales Signal zum Aufrücken bietet und auch schwer durch Tiefensprints auszuhebeln ist.
Ist ein Stürmer wirklich genug?
Sogar bei zwei Stürmern kann die falsche Neun eine kontraproduktive Taktik bei einer erfahrenen Abwehrkette des Gegners sein. Wichtig ist hier, ob der zweite Stürmer entweder mit seiner Athletik und seiner Bewegung die Kette tief halten oder gar eine Rolle wie Alexis Sanchez beim FC Barcelona verkörpern kann.
Der Chilene läuft nominell als Flügelstürmer auf, aber beackert die gesamte Horizontale. Dadurch bindet er die Abwehr hinten und kann jederzeit mit einem Vertikalsprint in den Raum dahinter eindringen. Dadurch verkörpert er durchgehend Gefahr, welche eine starre und zentrale positionierte Neun nicht vermag.
Dennoch sollte man bedenken, dass bei einer Spielweise aus falscher und starrer Neun zumeist die letztere die Laufwege und das Ankommen mit Geschwindigkeit an den idealen Plätzen beengen wird. Ähnlich verhält es sich auch bei einem Vier-Stürmer-System, wobei diese Spielweise aufgrund der durchgehend breitegebenden Flügelstürmer etwas besser zu spielen ist.
Neben dem System mit drei Stürmern ist auch die Anordnung mit deren fünf interessant, weil sie durch die räumliche Nähe zu zwei Halbstürmern jederzeit mit Rochaden überraschen kann sowie die Flügelstürmer die nötige hohe Breite geben. Dies war auch die Mitursache für die vielfach vorkommenden spielmachenden Neuner in den Zeiten des Fußballs vor Pressing und Co.
Zusammenfassend sei gesagt, dass die Formation als solche nicht wichtig ist – es ist die Anzahl der Stürmer im Sinne der Rollenverteilung, nicht ihrer genauen Position; was sich dann auch auf eine mögliche Installation der fluiden Neun auswirkt.
Wie Vicente del Bosques und Josep Guardiolas Alternativen mit der flexiblen Besetzung durch David Silva und Co., dem Einsatz von Alexis Sanchez als horizontaler oder auch Cesc Fabregas als vertikaler Ersatz gibt es natürlich wie immer Ausnahmen von der Regel. Dennoch ist es aus einer taktischen Sichtweise ideal, wenn es drei oder fünf Akteure gibt, wovon der zentrale Akteur die falsche Neun bekleidet. Image may be NSFW. Clik here to view.
Ein Artikel über die taktischen Anpassungen von Pep Guardiola, der seine Mannschaft durchgehend veränderte und unberechenbar machte. Jener Trainer, der in seiner Zeit beim FC Barcelona nicht nur die wohl bekannteste tiefe spielmachende Neun installierte, sich immer wieder neu erfand, aber dennoch konstant mit ähnlichen Schlüsselspielern und einer gleichbleibenden Spielphilosophie zu agieren.
Wie wir bereits im vorherigen Teil unserer Serie erläutert haben, benötigt man für die tiefe spielmachende Neun neben einer passenden Spielphilosophie und der dazugehörigen Umsetzung auch die passende Formation – idealerweise ein Dreistürmersystem, mit welcher Anordnung dahinter auch immer. Doch diese Formation muss keineswegs starr bleiben, sondern bietet selbst bei einer Fixierung auf drei Angreifer großen Spielraum für mikrotaktische Anpassungen.
Das Schlüsselspiel
Wirklich ins Rampenlicht trat die fluide Neun erst am 2. Mai 2009. Der FC Barcelona hatte sich am 15. Spieltag mit einem 2:0 im Clásico abgesetzt, doch Real Madrid konnte mit einer beeindruckenden Aufholjagd von 17 Siegen und einem Unentschieden in 18 Partien Druck auf die Katalanen ausüben. Die Meisterschaft schien wieder nahe, doch Pep Guardiola und sein Protegé aus Argentinien sollten diesen Traum zerstören.
13 Schüsse auf das Tor, 63% Ballbesitz und sechs Treffer mit vier Scorerpunkten von Xavi, drei von Messi sowie nur neun begangenen Fouls zeichneten das Bild eines an offensiver Perfektion grenzenden Spektakels. An jenem schicksalsträchtigen Tag in Madrid zerstörte Lionel Messi die mannorientierte Raumdeckung vor 100 Millionen Zusehern auf der ganzen Welt.
Am 25. November 1953 hatte Nandor Hidegkuti in einer ähnlichen Position die Manndeckung ad absurdum geführt – vor etwas kleinerer Kulisse gelang der goldenen Mannschaft der Ungarn („aranycsapat“) im Wembley-Stadion gegen das Mutterland des Fußballs ebenfalls ein Auswärtssieg mit sechs erzielten Treffern. Wie einst Harry Johnston wussten weder Christoph Metzelder noch der ehemalige Weltfußballer Fabio Cannavaro, ob sie Messi verfolgen sollten oder nicht. Was tat er auch in ihrem Sichtfeld, während sich Eto’o und Henry wo anders bewegten? Da stimmte doch was nicht.
An jenem Samstag, in dem Edin Dzeko und Grafitè unter Felix Magath die Hoffenheimer mit 4:0 und 45% Ballbesitz abschossen und Bayern sich unter Interimstrainer Heynckes mit 69% Ballbesitz zu einem 2:1 gegen Gladbach quälte, schienen die Katalanen nicht nur ein ganz anderes Spiel zu spielen, sondern es bereits zu revolutionieren.
Was war geschehen?
Bis heute gilt Lionel Messis Aufstellung als falsche Neun in dieser Partie als überraschend und riskant. Doch Pep Guardiola wusste exakt, worauf er sich einließ. Bereits im Alter von 17 Jahren hatte Messi auf dieser Position Luft in der ersten Mannschaft Barcelonas sammeln sollen, auch unter Frank Rijkaard erhielt er einige Kurzeinsätze auf dieser Position – wie es der Niederländer auch mit Ronaldinho und Eidur Gudjohnsen versuchte. In diesen Kurzeinsätzen erzielte Messi einige Tore, wurde aber zugunsten von Stürmerstar Samuel Eto’o auf den rechten Flügel geschoben. Auch bei der U21-Weltmeisterschaft lief Messi nominell als Mittelstürmer auf.
Guardiola wusste also genau, worauf er sich einließ – riskant, aber nicht unmöglich. Nur wenige Wochen zuvor wurde auch Bojan Krkic auf dieser Position probiert, die Mannschaft sollte sich bereits an die Laufwege eines anderen Stürmers anpassen. Gegen Real dann der Schock für Juande Ramos, ähnlich, wie es Guardiola später mit Cristian Tello gegen José Mourinho versuchen sollte. Es funktionierte, aber etwas überraschend wurde die falsche Neun wieder ad acta gelegt.
Im Sommer 2009 kam Zlatan Ibrahimovic und ersetzte Samuel Eto’o. Der großgewachsene Schwede sollte mit Messi, Krkic und Co. harmonieren, doch im weiteren Saisonverlauf spielte er sich nach guter Anfangsphase selbst aus der Mannschaft. Zum Saisonende hin wurde Messi abermals als falsche Neun gegen Valencia und Real Madrid genutzt, es bahnte sich also der Formationswechsel der nächsten Saison an.
Lionel Messis Idealposition
Statt der zusätzlichen Option eines kopfballstarken und kräftigen Hünen im Zentrum verlangte Guardiola nach mehr Beweglichkeit. David Villa wurde verpflichtet, noch bevor Ibrahimovic gegangen war; zugegeben, es hätten im bevorstehenden Rauten-4-3-3 beide als Halbstürmer neben beziehungsweise vor Messi agieren können, doch Villa war wohl nie als Konkurrent oder Ersatz für Ibrahimovic eingeplant.
die Aktionsradien der jeweiligen Akteure zu Beginn des Rauten-4-3-3
In der Saison 2010/11 folgte letztlich ab dem dritten Spieltag die endgültige Umstellung des Systems. Nach der Niederlage gegen Hercules im zweiten Saisonspiel lief Lionel Messi nun als falsche Neun auf. Im weiteren Saisonverlauf sollte Pedro Rodriguez sich in die Mannschaft spielen, die Experimente mit Bojan Krkic oder Andrés Iniesta auf dem Flügel scheiterten ebenso wie Villas Aufstellung als Mittelstürmer.
Stattdessen entwickelte sich ein 4-1-2-1-2 mit zwei relativ eng agierenden Flügelstürmern. Nach sechs Siegen in Folge bei einem Torverhältnis von 23:3 empfingen die Katalanen zuhause Real Madrid. Das 5:0 war ein weiteres Schlüsselspiel, Messi legte Villa innerhalb von drei Minuten zwei Tore auf unnachahmliche Weise auf – gleichzeitig schloss Barcelona seine Aufholjagd ab, überholte die Madrilenen und gab die Tabellenführung nicht mehr her.
Der detaillierte taktische Plan dieses anfänglichen Systems
Die Voraussetzungen für den theoretischen Part sind nun gegeben. Guardiola griff immer wieder gerne in seine Trickkiste mit Messi als falscher Neun, stellte in vielen Spielen im Spielverlauf um oder implementierte gar ein 4-2-4 in den Schlussphasen. Aber erst eineinhalb Jahre später wurde die falsche Neun zur Norm und ab da begannen die vielfältigen Anpassungen.
In der anfänglichen Spielweise banden die beiden Stürmer vor / neben Messi jeweils zwei Mann. Sie agierten sehr tornah und bewegten sich zwar in der Nähe des Außenverteidigers, okkupierten in ihren Bewegungen aber auch die Innenverteidiger und hinderten diese an der Verfolgung von Lionel Messi.
Die Breite gaben da noch die Außenverteidiger im letzten Spielfelddrittel. Auch ohne seinen kongenialen Partner Messi sorgte Alves für Wirbel auf der gesamten rechten Außenbahn, auf links übernahm Iniesta die Rolle, da Abidal zu Beginn noch etwas unpassend im System Barcelona erschien: zu groß, zu defensiv, zu langsam. Die Flügelposition auf links übernahm deswegen situativ Andrés Iniesta, welcher dort ebenfalls seine Idealposition fand.
Immer wieder wich er zwischen seiner nominellen Position als halblinker Achter auf den Flügel und schob von dort wieder hinein. Er infiltrierte die Räume zwischen den Linien, ergänzte Messi und sorgte für die nötige Ballsicherheit, wo es am engsten war. Als Nadelspieler ließ er schon beinahe abgestorbene und in Sackgassen manövrierte Spielzüge mit seiner einmaligen Technik und Spielintelligenz wiederauferstehen, gleichzeitig öffnete er für die Stürmer Räume, bespielte die Schnittstellen und zog Gegenspieler von Xavi weg. Dieser hatte alle Zeit der Welt, um das Spiel zu kontrollieren – wie bei seinen vier Assists im Mai 2009.
Anpassung durch veränderte Asymmetrie
Im Laufe der Zeit suchte Guardiola aber nach Verbesserungen und insbesondere nach etwas anderem: mehr Raum und mehr Kontrolle. Nicht umsonst waren Maxwell und Adriano im Kader, langfristig sollten sie wohl die nötige Höhe und Breite auf links geben, um die Asymmetrie zu beseitigen.
Abidal spielte im weiteren Verlauf höher (alternativ auch Maxwell oder Adriano) und dies wirkte sich auf die Bewegungen der anderen Spieler positiv aus
Sie sollten Iniesta entlasten und die Flügel wie Alves auf rechts beackern, doch es sollte letztlich doch Abidal sein, der einen Sprung nach vorne machte und diese Position im Laufe der Zeit hervorragend interpretierte.
Zurückhaltend genug, dass die Synergien und Bewegungen von Iniesta nicht abstarben; ausreichend genug, dass der schmächtige Europameister aus Fuentealbilla bei Bedarf woanders hin orientieren könnte, ohne das Spiel einzuengen. Die Abhängigkeit von Iniesta wurde verringert, seine Verletzungen hatten noch gegen Inter in der Vorsaison ein mögliches CL-Finale gekostet. Allerdings sollte Guardiola sich damit nicht zufrieden geben, es wurden weitere Anpassungen vorgenommen.
Das Vorwegnehmen gegnerischer Anpassungen
Eine große Stärke des Trainers der Blaugrana war die unentwegte Veränderung seines Systems, weswegen sein Team schwierig zu berechnen war. Bevor sich der Gegner durch das Isolieren eines Defensivspielers nach vorne, die Umstellung auf eine Dreierkette oder eine extrem enge Viererkette anpassen konnte, schob Guardiola Stück für Stück seine Flügelstürmer in die Breite.
Damit erhielt Messi mehr Raum in der Zentrale, der Gegner musste sich neu anpassen und die Außenverteidiger wurden entlastet, da man nun durchgehend ausreichend Breite im letzten Spielfelddrittel hatte. Es war kein Wunder, dass Guardiola später die Position des Flügelstürmers als laufintensivste bezeichnete, denn die beiden mussten nicht nur die Breite geben, sondern immer wieder in die Mitte ziehen und Schnittstellenpässe verwerten. Dazu kam die enorme Arbeit im Pressing, welche letztlich mit Villa, Pedro und Messi enorm gut funktionierte.
die Außenstürmer agierten breiter, die Rollen veränderten sich abermals und Messi erhielt (noch) mehr Zugriff auf den effektiven Raum vor dem Tor
Um diese Arbeit zu verringern, wurden die Pressingphasen verkürzt und die Ballbesitzphasen erhöht, was dank der Anpassungen gut funktionierte. Hinzu kamen neue Akteure wie Sergio Busquets, welche dabei halfen. Jener spielt auch bei der Nutzung der falschen Neun eine enorme Rolle.
Wie Sergio Busquets auf die tiefe spielmachende Neun wirkte
Diese Spielweise von Guardiolas Mannen kam in eine Zeit, wo viele Mannschaften sich generell stärker an den Gegner anzupassen begannen und viele nur noch mit einem Stürmer agierten. Der Raum war dadurch enger, die Kompaktheit geringer und die falsche Neun von mehr Gegner eingeschlossen. Mit dem breiten Flügelstürmern öffneten sie zwar die Wege nach vorne, aber im Mittelfeld wurde es durch die vielen Spieler eng.
Busquets half dabei, die gegnerischen Pressingzonen peu à peu nach hinten zu schieben. Wie im Blog von AllasFCB zu lesen, gab es beispielsweise am 20. Februar 2011 eine Partie, wo Busquets sich defensiv als Linksverteidiger präsentierte, dann aber wiederum ins Mittelfeld aufrückte. In unserer Mannschaftsanalyse vor einem Jahr zeigten wir auch, dass sich Busquets im Aufbauspiel wie auch bei der Absicherung zwischen die Innenverteidiger fallen ließ. Die Außenverteidiger konnten nicht nur im Angriffsverlauf höher aufrücken, sondern sich längerfristig hoch positionieren.
Dadurch gab es mit den abgesicherten Innenverteidigern, den hohen Außenverteidigern und den Flügelstürmern, welche nun je nach Gegner eng, breit oder asymmetrisch agieren konnten (siehe den Verweis auf obiges Spiel), in allen drei Dritteln auf beiden Seiten breitegebenden Spielern. Die horizontale Kompaktheit des Gegners war somit trotz fünf Mittelfeldspielern ungemein schwer zu halten, dazu wurden Konter besser abgefangen und die Defensive konnte bei Bedarf zu einer Fünferkette umgestellt werden.
Dies war in gewisser Weise auch die Reaktion auf sehr tiefe Systeme, in welchen Busquets teilweise in Manndeckung von einem der Angreifer oder einem hängenden Stürmer genommen wurde. Um dies zu neutralisieren und in die Zonen bis zu Messi zu kommen, rückte einer der Innenverteidiger auf. Das war aber riskant und sorgte für Instabilität, Risiko sowie eine Asymmetrie. Der Innenverteidiger konnte auch nur die frontalen Räume, also nur eine Seite, ansteuern und bespielen, weswegen sich ein abermaliger Formationswechsel anbahnte.
Guardiola belebt die Dreierkette wieder und besetzt das Sturmzentrum flexibel
Die situative Spielweise mit tiefem Busquets wurde dann in der Folgesaison zur Norm. Barcelona implementierte ein 3-3-4/3-4-3-System, in welchem auch jemand anders als Busquets zentral agieren konnte. War es Busquets in der Mitte, dann konnte sogar mit einer Art Zweierkette oder asymmetrischer Dreierkette gespielt werden. Aber auch andere Aspekte wurden variiert, wie zum Beispiel mit welcher Intensität und Ausrichtung gespielt wurde.
Durch diese Dreierkette konnten sie starkpressende Zwei-Stürmer-Systeme besser auseinandernehmen, hatten überall Breite gegen ein System mit Raute und ermöglichten die flexible Besetzung des Sturmzentrums durch Neuzugang Cesc Fabregas, welcher verhindern konnte, dass Messi von einem direkten Gegenspieler aus der Abwehr einfach verfolgt wurde oder ein Fehlen von Iniesta in eventuellen 4-3-3-Aufstellungen so schwerwiegend wie in der Saison 2009/19 war.
in der Folgesaison wurde die Dreierkette installiert – um die Veränderungen des Systems (ohne veränderte Spielertypen) darzulegen, nutzen wir die gleiche nominelle Aufstellung
In diesem System gab es bei perfekter Spielweise fünf Spielgestalter, eine sattelfeste Abwehr mit zwei breiten Innenverteidigern, situativer Breite im Mittelfeld und breiten Flügelstürmern trotz möglicher Doppelbesetzung des Sturmzentrums; kurz gesagt, es war der ideale Verbindung zwischen den unterschiedlichen 4-3-3-Systemen, dem früheren 4-2-4-Alternativsystem und der situativen Dreierkette, welche überarbeitet wurde.
Die fluide Neun hatte somit noch mehr Freiheiten, weil sie theoretisch gar nicht mehr die Sturmspitze okkupieren musste und dennoch nicht im Ansatz verfolgt werden konnte. Außerdem hatte sie mehr Mitspieler und Kombinationspartner bei gleichbleibender Breite. Die Anzahl der Kombinationspartner wurde dann noch erhöht, indem weitere Stürmer ins Mittelfeld gezogen wurden.
Alexis Sanchez, die fluide Neun und das Zweistürmersystem
Wichtig dafür war die Verpflichtung von Alexis Sanchez. In jenen Spielen, wo sich immer mehr Akteure im Mittelfeld versammelten, schien er mit seinen Horizontalläufen die gegnerische Viererkette nahezu alleine in die Tiefe zu drücken. Immer wieder brach er seine Horizontalläufe ab, startete in die Tiefe und setzte sie wieder fort. Die Abwehr des Gegners hatte beim Aufrücken eine Barriere, weil sie immer wieder Acht geben mussten, ob nicht einer Sanchez hinterherlief, ein gefährlicher Pass in die Tiefe kam oder jemand schlecht aufrückte. Auch das kommunikative Übergeben an den Nebenmann verlangsamte das Aufrücken, die Kompaktheit war somit weniger schnell hergestellt und Barcelona hatte mehr Raum.
Dies sorgte für einen Mann mehr in der Mitte sowie Experimente mit Iniesta oder gar Thiago und Fabregas auf dem Flügel. Messi hatte immer mehr Kombinationspartner bei weniger Gegenspielern, was nötig war, weil viele Gegner vom 4-2-3-1 auf ein 4-3-3 umstellten, in welchem sie mit fluider Dreifachsechs agierten. Diese flexible Spielweise sollte von Barcelona einfach noch komplexer gemacht und mit zahlreichen Überladungen ineffektiv gemacht werden.
Später reagierten sie auch noch mit aufrückenden Halbspielern der Dreierkette und einem tieferen (statt höheren) zentralen Abwehrspieler, was dann für die viel diskutierte umgekehrte Pyramide sorgte. Auch hier sollte die falsche Neun, welche ein zunehmend großer Faktor für das eigene Team und das gegnerische Defensivspiel wurde, aus dem Klammergriff der immer kollektiv defensiver werdenden Teams befreit werden.
Guardiola verband dies auch mit einem aufrückenden zentralen Spieler aus dem Mittelfeld heraus, wodurch er bereits vor del Bosque bei der spanischen Nationalmannschaft die Position des Mittelstürmers flexibel besetzen ließ. Es waren auch die stärksten Partien von Fabregas im blau-roten Trikot, eines der hervorragendsten Spiele sollte mit diesem System auch dargelegt werden – jenem fulminanten 8:0 gegen Osasuna, welches in meinen Augen bis heute die Krönung von Guardiolas Trainerleistung darstellt.
Es sollten schließlich die letzten Anpassungen Guardiolas sein, welcher im Sommer 2012 sein Amt niederlegte. Seine Veränderungen waren taktisch immer interessant und schlüssig, er erhöhte nicht nur konstant die Torquoten seines Mittelstürmers, sondern auch den kollektiven Ballbesitz und beweist die Verbindung zueinander.
Und womöglich können wir in einigen Monaten oder Jahren auf die Veränderungen seines Nachfolgers, Tito Villanova, und das Weiterführen dieser Anpassungen zurückblicken und diesen Artikel ergänzen. Mit der schablonierten flexiblen Stürmerbesetzung im 4-3-3 hatte er schon eine Idee, welche bei uns Analysten Hoffnungen aufleben lässt.
Im nächsten Teil unserer Serie beschäftigen wir uns passenderweise damit, was für einen Spieler man benötigt, um die falsche Neun maximal bespielen zu können – in Form einer Spieleranalyse von Lionel Messi. Image may be NSFW. Clik here to view.
Während Felix Baumgartner sich als Falscher Astronaut aus der Stratossphäre zurückfallen ließ, diskutierte Spielverlagerung den zurückfallenden Stürmer.
Am gestrigen Abend gesellten sich drei unserer Autoren zum Talk über das SV Thema der Woche*. Moderator TE ließ sich vom freien Fall ein wenig von seinen Aufgaben ablenken, weshalb RM und MR in ihrer Diskussion im freien Messi-Stil sehr weitläufig durch die verschiedenen Themenfelder drifteten. Nach allgemeinen Gedanken zur falschen Neun gingen wir zu mannschaftsspezifischen Überlegungen über. Über die die deutsche Nationalmannschaft kamen wir abschließend noch zu einer möglichen „nächsten Stufe“ der Angreifer-Flexibilität.
*Eine Woche geht bei uns übrigens immer von Dienstag bis Dienstag, schließlich kann der Liga-Spieltag bei Fußballanalysten nicht das Wochenende darstellen.
Barcelonas 3-1-3-3 wurde im Spiel gegen Celta Vigo aus der Kiste geholt, allerdings mit ein paar Anpassungen. In diesem theoretischen Artikel diskutieren wir die Vor- und Nachteile dieses Systems.
Die Schlüsselfigur
Die Grundlage dieses Systems ist neben der Klasse der Katalanen und ihrem exorbitanten Ballfokus ein besonderer Spieler: Sergio Busquets. Für viele unterschätzt, für manche überbewertet und für mich der wichtigste Spieler in dieser besonderen Anordnung des FC Barcelona.
Barcelona im 3-1-4-2/3-1-3-3 beim Auswärtssieg gegen Real Madrid
Vermutlich könnte kein anderer Fußballer dieser Welt seine Rolle bekleiden, denn er gibt dem Spiel Balance, sichert die Offensive ab, fügt sich in die Defensive ein und bestimmt indirekt durch seine Präsenz die Angriffszonen seiner Mannschaft. Eine Mammutaufgabe, deren Komplexität kaum nachzuvollziehen ist.
Busquets spielte diese Rolle dann so, dass er nominell vor der Abwehr begann, aber je nach der kollektiven Bewegung seine Position veränderte. Er holte sich einige Bälle weit vorne, wenn er die Chancen auf einen Ballgewinn als sicher ansah, ansonsten kümmerte er sich um die Defensivkompaktheit.
Dies bedeutete, dass er etwaiges Aufrücken der Abwehrspieler absicherte oder sich in Schnittstellen bewegte, wodurch eine Viererkette entstand. Einige Male, als es das gegnerische Angriffstempo erforderte, wich er sogar auf die Position des Außenverteidigers aus, was bedeutete, dass Jordi Alba, Adriano oder Dani Alves als Innenverteidiger agierten.
Aufrückende Hybridverteidiger
Sowohl Alba als auch Adriano hatten ohnehin keine klassischen Rollen – weder ihre eigenen als (offensivorientierte) Außenverteidiger noch die üblichen Innenverteidigerpositionen. Während Javier Mascherano in der Mitte postiert war, schoben sie das Spiel in die Breite und bei Versperrung der Passwege auch in die Höhe.
Mit Busquets sowie den zwei ballfernen Verteidigern konnten diese Ausflüge auch abgesichert werden, womit Tito Vilanova ein stabileres Fundament für sein taktisches Mittel der aufrückenden Innenverteidiger hat. Dadurch können mannorientierte Pressingsysteme, wie es beispielsweise gegen Marcelo Bielsas Bilbao geschah, auseinandergenommen werden. Entweder man lässt den Innenverteidiger und somit auch den Ball enorm weit nach vorne oder man weicht von seinem Mann, um den Ballführenden zu attackieren.
Dadurch wird allerdings natürlich einer der Akteure frei, was von Barcelona prompt genutzt werden würde. Deshalb ist Vilanova der sporadisch aufrückende Innenverteidger auch wichtig, weil man ohne größere Systemumstellungen sofort auf unterschiedliche gegnerische Raumdeckungen reagieren kann. Mit einer Dreierkette kann man dies mit einer passenden Breite im ersten Drittel sowie einem zentralen Akteur und daraus resultierenden Vorstößen über die gesamte Platzhorizontale verbinden.
Doch im 3-1-3-3 ist nicht nur die Rolle der „Verteidiger“ eine andere, sondern auch die Spielerverteilung im Mittelfeld verändert sich.
Erhöhung der Kombinationsspieler
Noch vor wenigen Jahren spielte Barcelona im klassischen 4-3-3-System mit einem tieferen Linksverteidiger, zwei gleichberechtigten Achtern, Yaya Touré auf der Sechs und ohne tiefe spielmachende Neun. Stück für Stück wurde diese Anordnung und positionelle Interpretation verändert, was zu höherem Ballbesitz führte.
Sie installierten Sergio Busquets als Ballzirkulator und Stabilisator, Lionel Messi als tiefe spielmachende Neun, Andrés Iniesta wurde zum Nadelspieler und der Linksverteidiger Eric Abidal schaltete sich stärker in die Offensive mit ein. Somit hatten sie statt Alves, Pique, Xavi, Iniesta, Messi und Henry (erste Saison) zwei Kombinationsspieler mehr, wobei zwei weitere eine passendere Rolle erhielten.
Mit dem 3-1-3-3 wird ein ähnlicher Weg gegangen. Im Prinzip ist dies eine andere Herangehensweise an das gleiche Ziel, wie es schon mit der Aufstellung gegen Santos ohne wirklichen Verteidiger probiert wurde. Auch gegen Celta gab es mit Adriano / Alves, Mascherano und Alba als Abwehrspieler keinen einzigen gelernten Innenverteidiger, ein Zeugnis der totalen Fußballphilosophie Guardiolas und Vilanovas. Es gibt schlicht keine positionelle Bindung oder grundlegende Anordnung, sondern eine Aufstellung nach passenden Spielertypen, nach Rollenverteilungen und Positionsinterpretationen.
Im Endeffekt können sie durch Cesc Fabregas und Lionel Messi je nach Situation mit variierenden Zehnern, Neunern oder den jeweils „falschen“ Ausführungen davon agieren. Sie besitzen viele Akteure, die sowohl horizontal als auch vertikal spielen können (Xavi, Iniesta), zwei vertikale und durchschlagskräftige Akteure in der Spitze (Fabregas, Messi), einen enorm horizontalen Stabilisator (Busquets) und unterschiedliche Rollenspieler auf den Außen zwecks Breite, Torgefahr und Raumöffnung. Dadurch gibt es aber nicht nur Vorteile.
Überfluidität
Bereits unter Guardiola begannen die Positionen zu verschwimmen. Dabei wichen sie von der niederländischen Flexibilität im totalen Fußball, welche insbesondere von Louis van Gaal im Sinne des Positionsspiels in den Neunzigern wiederbelebt wurde, und gingen in eine fluide Anordnung des Mittelfelds über, welche sich vertikal fortsetzte. Das heißt, dass Xavi, Iniesta und Messi sich frei bewegten, wobei Messi und Iniesta in die Halbräume gingen.
Diese Fluidität griff auch auf andere Spieler über, welche sich situativ enorm frei bewegten, beispielsweise Alves‘ diagonale Läufe in den Strafraum oder Sanchez‘ Horizontalläufe und Tiefensprints. Ohne ein 4-3 oder 3-3-Pressinggerüst war aber das Angriffspressing in ruhenden Situationen nicht mehr zu spielen, die Rückkehr auf die Positionen hätte aufgrund des Konterfokus der Gegner unter Umständen zu lange gedauert.
Es war in dieser Übergangsphase zur kontrollierten Fluidität, dass Barcelona ihr Gegenpressing intensivierte und erhöhte. Dabei wurden die kurzen Verbindungen zwischen den Akteuren, weswegen lange und/oder riskante Bälle verpönt waren, genutzt, um möglichst schnell den Gegner im Vorwärtsgang zu behindern.
ein Mann mehr in der Mitte – oder doch lieber doppelt besetzte Außenbahnen?
Problematisch wird es aber, wenn die Fluidität zu groß wird und der Gegner bei seinen Befreiungsschlägen auch unter Bedrängung Räume ansteuern kann. Dies entsteht, wenn die Spieler zu eng zueinander und zu zahlreich in bestimmten Zonen sind, wodurch auch ein ungenauer Pass zu einem Mitspieler gehen kann.
Darum entscheiden sich auch zahlreiche sehr unterlegene Teams zu einer ultradefensiven Spielweise – sie zwingen Barcelona nicht nur zu enormen Aufrücken, sondern auch zu vielen balancezerstörenden Überladungsbewegungen im Kollektiv. Diese öffnen Löcher öffnen, welche selbst Busquets nicht durchgehend zu stopfen vermag.
Bei diesem 3-1-3-3 hat Barcelona zwar einen Verteidiger mehr, doch es ist immer eine Lösung an der Kippe: rücken sie mit auf, öffnen sich wieder Löcher; bleiben sie tief, verliert man einen Mann in der Mitte oder offenbart große Räume wegen mangelnder Defensivkompaktheit.
Mangelnde Breite im zweiten Drittel?
Ein weiterer Punkt ist die Herstellung von Breite im Mittelfeld, wo der Gegner das Spielfeld theoretisch sehr eng machen könnte. Mit einer fluiden Dreifachsechs könnten hier Räume zugestellt werden und die Pässe auf die Seiten dienen nicht mehr als Befreiung aus der kompakten Mitte. Allerdings wird dies von zahlreichen Mannschaften, welche oftmals im 4-4-1-1 auftreten, nur selten genutzt.
Desweiteren haben sie einen zentralen Spieler mehr, der dann situativ Breite herstellen kann. Insbesondere Iniesta und Messi können dies auf ihre ganz eigene Art und Weise hervorragend machen, wodurch das Aufbauspiel auch stärker über die Halbräume kommt, wo die zwei Nadelspieler ausweichen. Orientiert sich der Gegner theoretisch in einem engen 4-3-3 mit Manndeckungen auf die Abwehrspieler, dann können Iniesta und Messi über die Außen das Spiel instruieren und gefährlich zwischen die Linien kommen.
Kombinationszwang?
Ein weiterer positiver Punkt ist auch, dass durch drei fixe Abwehrspieler die letzte Kette enger steht, aber dank Busquets verbreitert werden kann. Bei Kontern kann der Gegner somit nicht mehr „hinter“ die Außenverteidiger kommen, weil es schlicht keine gibt. Stattdessen können sie aus einer engeren und tieferen Stellung mit besserem Timing auf die Außen ziehen, wodurch sie immer vier Mann hinten haben.
Dadurch können Vorstöße nicht sofort per Sprint und losem Raumpass hinter die Abwehr gefährlich werden, sondern müssen eine weitere Anspielstation für einen Doppelpass oder ein riskantes Dribbling bedienen. In dieser Zeit können die Barcelona-Spieler aus dem Raum zwischen den Linien zurückkommen und gar rückwärtspressen, während der Gegner aus seiner tiefen Position erst einmal aufrücken muss.
Problematisch ist dabei, dass Barcelona durch die offensive Ausrichtung der Mittelfeldspieler und das situative Zurückfallen Busquets‘ Räume zwischen den Linien öffnet. Dadurch wird obiger Punkt teilweise relativiert, wenn der Gegner hervorragend umschaltet. Kommt noch der Faktor Überfluidität zum Tragen, wird aus dem Kombinationszwang für den Gegner kein Nachteil, sondern ein Vorteil wegen eines erzwungenen zusätzlichen Mitspielers in der Offensive.
Fazit
Ein System, wie jedes andere? Es besitzt Stärken und Schwächen, doch aufgrund der zahlreichen interessanten Spielertypen ist es auch ein einmaliges System, welches seine Schwächen (bspw. die mangelnde Breite im Aufbauspiel) durch die katalanischen Spieler in der Zentrale kaschiert. Gleichzeitig wirft es für die Mannschaft einige weitere Fragestellungen auf, unter anderem an die Abstimmung der Abwehrspieler und Busquets’ Limit in der Spielintelligenz. Gegen tiefstehende Mannschaften könnte es aber durchaus noch ein paar Mal zum Einsatz kommen, insbesondere bei Genesung der verletzten Defensivakteure. Und wer weiß, vielleicht ändert Vilanova für Mourinho ebenfalls wieder die Frage … Image may be NSFW. Clik here to view.
Ein kurzer allgemein-taktiktheoretischer Abriss, der sich mit den Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen Absicherungsarten für einen aufrückenden Außenverteidiger im Positionsspiel beschäftigt.
Absicherung durch zentral abkippenden Sechser, Dreierreihe und Innenverteidiger
Die erste Möglichkeit ist das Erzeugen einer Dreierreihe mithilfe eines Sechsers, der sich zentral abkippen lässt. Man steht somit in einer Dreierreihe gut abgesichert da, der Innenverteidiger kann als im Normalfall defensivstärkster Akteur direkt hinter dem Außenverteidiger absichern und somit maximal effektiv verteidigen.
Der Außenverteidiger kann dem Innenverteidiger den Ball zurückspielen und dieser hat als (oftmals sehr spielstarke) Anspielstation den zurückfallenden Sechser, der das Spiel drehen oder anderweitig strategisch arbeiten kann. In dem in der Grafik geschilderten Szenario kippt der ballferne Sechser ab. Dadurch hat der Außenverteidiger ein Dreieck mit dem eingerückten Außenstürmer und dem ballnahen Sechser. Dies kann situativ der „Zehner“ in diesem hypothetischen 4-2-3-1 noch erweitern.
Eine solche Spielweise, nur oftmals ohne Mittelstürmer, mit einer anderen Formation und dafür mit breiterem ballfernen Außenstürmer wird oft vom FC Barcelona gespielt.
In dieser Ausrichtung befindet sich der offene Raum für Konter auf der anderen Seite, wo eventuell der Außenverteidiger noch Zugriff erhalten könnte oder das Gegenpressing auf dieser Seite ausreichend stark ist, um Seitenwechsel zu vermeiden. Alternativ kann der Außenverteidiger nicht die Breite geben, sondern ins Mittelfeld gehen und dort eine zusätzliche Anspielstation geben.
Bei intelligenten und dynamischen Akteuren im Kollektiv ist diese Spielweise zu empfehlen, denn der Außenverteidiger erhöht die lokale Kompaktheit im Kombinationsspiel, kann womöglich ebenfalls kreativ wirken, aus Engen befreiend wirken und im Gegenpressing unterstützten. Alternativ kann er erkennen, falls die Seite versperrt ist und geplante Spielverlagerungen seiner Mitspieler antizipieren und sich dann wieder in die Breite begeben.
Unter anderem Marcel Schmelzer beim BVB wurde zu einer solchen Spielweise angewiesen.
Eine weitere Variation dieser Spielweise wäre es, wenn nicht der ballferne Sechser nach hinten abkippt, sondern der ballnahe Sechser sich zurückfallen lässt. Dies öffnet zwar ein Loch und zerstört das Dreieck, doch gleichzeitig entstehen interessante Synergien. Gegen mannorientierte Verteidigungsspielweisen kann so ein Gegner weggezogen werden und der „Zehner“ kann in den nun offenen Raum gehen. Hinter ihm kann im Zentrum der ballferne Sechser aufrücken und als box-to-box-Spieler für Aufruhr sorgen.
Damit diese Wechselwirkungen effektiv sind, benötigt es aber der passenden Spieler und einer guten Abstimmung mit einstudierten Offensivspielzügen.
Absicherung durch verschobene Dreierreihe und Innenverteidiger
Die nächste Variante ist eine Dreierreihe, die aus den beiden Innenverteidigern und dem ballfernen Außenverteidiger besteht. Hier ist die große Frage, wer dem Spiel die Breite gibt. Soll es der ballferne Außenstürmer machen? Soll es überhaupt jemand machen? Alternativ könnte man einfach darauf spekulieren, dass man das Kamel durchs Nadelöhr gehen lassen kann und spielt über diese Enge mit einer ordentlichen Absicherung in einer 3-2-Abwehrformation.
Andererseits kann man den in diesem Szenario linken Außenstürmer auf der Seite kleben lassen und ein paar Probleme in der offensiven Umschaltphase ins letzte Spielfelddrittel erleiden. Interessant wäre ein situatives Herausweichen des eingerückten Außenverteidigers diagonal in offene Räume und präzise gespielten Seitenwechseln, um sowohl eine passende Absicherung als auch eine situative Breite erzeugen zu können.
In dieser formativen Änderungsphase könnte sich der ballferne Sechser für den nach vorne eilenden Außenverteidiger fallen lassen oder (riskanter und effektiver) als Durchlaufstation für Kurzpässe auf diese Seite und in den Lauf des Außenverteidigers fungieren.
Auch hier ist die Frage, welche Spieler man besitzt und wie man aufbaut. Baut man ohnehin mit einem abkippenden Sechser auf, erscheint diese Verteidigungsspielweise wiedersinnig. Baut man gemächlich und primär über die Halbräume und Flügel auf, kann diese wohl am besten praktiziert werden, weil der zweite Sechser im Zentrum dem ballnahen Partner viele Freibewegungen ermöglicht.
Absicherung durch herauskippenden Sechser und Dreierreihe mit zwei Innenverteidigern
Eine weitere Möglichkeit wäre das Absichern direkt durch den Sechser. Hier ist besonders die Bewegung positiv zu bewerten. Erst, wenn der Außenverteidiger auch wirklich hoch ist, bewegt sich der Sechser auf die Seite und schafft eine gependelte Dreierreihe mit den beiden Innenverteidigern.
Die Innenverteidiger verschieben ballorientiert mit, müssen aber ihre Partnerschaft nicht aufgeben und nicht in die Breite ziehen. Für sie ist die Spielweise einfacher, während der Sechser natürlich aufmerksam und intelligent verschieben muss. Das Einrücken des ballnahen Sechsers eröffnet im Idealfall natürlich Räume für seinen Partner im Mittelfeld und den Zehner, die davon sogar profitieren können.
Gleichzeitig kann man die Kompaktheit in diesem Bereich erhöhen und sich nach Pressingerfolgen besser aus Engen lösen. Allerdings kann diese Spielweise auch sehr schädlich sein, wenn sie nicht zeitig hineinrücken und der Gegner den herauskippenden Sechser nicht wie ein Esel verfolgt, sondern sich im richtigen Moment löst und ordentlich mit seinem Deckungsschatten arbeitet.
Agiert man mit einem herauskippenden Sechser, also einem Sechser, der sich im Aufbauspiel auf die Seiten und ins Loch zwischen Außen- und Innenverteidiger fallen lässt, geht die Bewegung in der Mitte zwar verloren, aber die Stabilität ist größer.
Die Frage lautet wiederum natürlich, ob die Spieler für eine solche Spielweise geeignet sind, wie man aufbaut und wie defensivstark der herauskippende Sechser sowie wie intelligent und dynamisch seine umgebenden Spieler sind. In der Theorie mutet dies allerdings als die eleganteste Lösung an. Die riskanteste dürfte die nächste sein.
Absicherung durch zwei Innenverteidiger
Alternativ kann man auch einfach auf den dritten Mann pfeifen und schlicht mit den beiden Innenverteidigern absichern. In dieser Grafik sieht man sofort die Probleme.
Der ballferne Raum ist ungedeckt, der Raum zwischen den Linien ist sehr groß, wogegen man mit tieferen Sechsern in einer 2-2-Formation und verschobenen Ketten vorgehen könnte oder die Innenverteidiger höher schieben, die Kompaktheit somit erhöhen, aber dadurch natürlich den Raum hinter sich und in der Diagonale noch stärker öffnen.
Um gegen diese Gefahren arbeiten zu können, hat man allerdings ein verbessertes Gegenpressing durch die höhere Anzahl an Spielern um den Ball herum. Sechs Spieler haben Verbindung zueinander, ohne dass die Breite vernachlässigt wird oder jemand absichern müsste. Dadurch wird das Pressing für den Gegner ebenfalls erschwert und Ballverluste sollten geringer werden. Der FC Barcelona spielt auch vereinzelt so und löst Drucksituationen über ihre Spielstärke und über ihre Bewegung – dass dies keine Option für den Standard ist, sollte klar sein.
Alles in allem dürfte diese Spielweise die schwierigste sein. Aktuell spielen aber die Bayern in dieser Saison mit einer Variante davon, einer Art Mischlösung, um genauer zu sein. Mit Manuel Neuer haben sie einen Torhüter, der sehr viel Raum absichern kann, mit Dante und Boateng zwei athletische Innenverteidiger, situative Mannorientierungen mit viel Zugriff und vielen antizipativen wie intelligenten Bewegungen.
Dadurch können sie entweder gut im Gegenpressing arbeiten oder die dynamischen David Alaba und Philipp Lahm rücken in Halbpositionen ein, wo sie entweder schnell Breite geben oder schnell nach hinten eilen und aushelfen können. Wie das gegen stärkere Mannschaften aussieht, bleibt abzuwarten.
Noch was?
Eine weitere Möglichkeit wäre die Spielweise mit durchgehend tiefen und somit stabilen Außenverteidigern. Diese würde aber in der Offensive für Probleme sorgen. Alternativ könnte mit taktisch komplexen Konstrukten unterschiedlicher Ausführungen gespielt werden, wie bspw. mit durchgehenden Positionswechsel in 1-2-Formationen in der Defensive oder ähnliches, was aber ein ungeprüftes Novum darstellen würde. Image may be NSFW. Clik here to view.