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Die Manndeckung

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Die zwei hauptsächlich genutzten Deckungsarten im Fußball sind die Manndeckung und die Raumdeckung. In diesem Artikel erklären wir die unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen der Manndeckung, inkl. ihrer Vor- und Nachteile.

Allgemeines zur Manndeckung

Die Manndeckung – wo man bekanntlich elf Esel auf dem Platz hat, Zitat Ernst Happel – war zwischen den 20er- und späten 50er-Jahren die mit Abstand am öftesten praktizierte Spielweise. Auch darüber hinaus und in den 70ern wurde sie noch teilweise genutzt, danach erlebte sie ab den 80ern eine Wiedergeburt. Die chronologischen Anfänge der jeweiligen Phasen waren natürlich in den jeweiligen Ländern unterschiedlich und auch ihr zeitliches Ende sollte ganz verschieden sein. So war es in Deutschland noch bis in die späten 90er und länger der Standard, seine Gegner in Manndeckung zu nehmen. Der BVB bekam beispielsweise auch deswegen im Jahre 2001 gegen die Bayern ziemlich eines auf die Nüsse, der deutsche Fußball sollte ab den frühen 2000er-Jahren generell eine Krise erleben.

Doch es gab früher und gibt in der aktuellen Zeit immer wieder Bestrebungen, die eigene Mannschaft stärker mit einer Manndeckung agieren zu lassen. Wie wir noch sehen werden, gibt es sogar viele Varianten der Manndeckung, die noch zum Standard gehören.

Bevor man darüber in eine taktische oder gar fußballphilosophische Debatte gehen kann, sollte man sich deswegen zuerst mit den unterschiedlichen Varianten der umstrittenen und als veraltet geltenden Manndeckung vertraut machen.

Die Manndeckung im Kollektiv

Zuerst erklären wir die Manndeckungsspielweise, welche im gesamten Kollektiv praktiziert wird sowie ihre Varianten.

Variante 1: Die strikte Manndeckung / Nummerndeckung

Die strikte Manndeckung, von mir gerne auch als klassische oder rigide Manndeckung bezeichnet, dürfte wohl die bekannteste sein. Sollte der Gegenspieler am Vorabend zu viel getrunken haben, dann bekommt man es wegen der Nähe durch seine Fahne mit – manchmal kann man ihm auch die Haare halten. Ob das Wissen über das genaue Befinden des Gegners inklusiver dessen Ausdünstungen (Lilian Thuram soll sich im Vorfeld von Spielen mit Zwiebeln eingerieben haben, um seine Gegenspieler zu verwirren) einen taktischen Vorteil herstellen, wollten wir aber nicht erörtern.

fixe Manndeckung: jeder hat einen Gegenspieler, die Stürmer sind befreit, es gibt einen Libero als freien Mann / Raumdecker

Die fixe Manndeckung: jeder hat einen Gegenspieler, die Stürmer sind befreit, es gibt einen Libero als freien Mann / Raumdecker

Im Endeffekt geht es bei der Manndeckung um eines: Jeder Akteur erhält einen fixen Gegenspieler, der mehr oder minder für neunzig Minuten verfolgt wird. Der Spruch: „wenn er aufs Klo geht, dann verfolgst du ihn“ oder „er muss deinen Atem spüren“ stammt aus eben diesen Unzeiten des Fußballs. Diese bezeichnen die aggressive Variante dieser Spielweise, während Herbert Chapman als „Erfinder der Manndeckung“ beim Arsenal FC Mitte der 20er-Jahre eine lose Manndeckung installierte. Es reichte, wenn man seinen Gegner im Auge und in seiner Nähe behielt, wodurch man jederzeit Zugriff herstellen konnte.

Aus taktischer Sicht ist die Umsetzung der Manndeckung simpel: das tägliche Brot des Kreisklassenverteidigers besteht dank dieser simplen Anweisung lediglich aus einer disziplinierten und körperlich betonten Verfolgung.

Fußballprofessor Ralf Rangnick bezeichnete diese Spielweise als „Nummerndeckung“, weil hier zumeist der auf dem Papier direkte Gegenspieler entsprechend seiner Rückennummer übernommen und quer über den Platz verfolgt wurde.

Mit der Zeit und Situation (bei guten Trainern oder intelligenten Spielern) wurde dies natürlich angepasst, im Finale des europäischen Supercupfinales 1975 zwischen dem FC Bayern und Dynamo Kyiv stellte Dettmar Cramer seine Manndecker entsprechend den Veränderungen Kyivs um; der Rechtsverteidiger, der Sechser und der Linksverteidiger tauschten, der defensivstarke Joseph Weiß deckte nun Rechtsaußen Slobodyan, im Landesmeisterpokalfinale hatte er zuvor den zentraleren Billy Bremner aus dem Spiel genommen. Es wurde nun nicht mehr rigoros nach den gegenüberliegenden Positionen eingeteilt, sondern für die Schlüsselspieler des Gegners ein geeigneter Manndecker (auf Kosten des eigenen Offensivspiels) gesucht.

Die Vorteile der starren Manndeckung sind ebenfalls klar: einfache Spielweise, keine Kommunikationsprobleme beim Übergeben und Verschieben, kein besonderes taktisches Training, das Ausspielen der im Idealfall überlegenen Athletik und ein durchgehendes Augenmerk auf gegnerische Schlüsselspieler.

Die taktischen Schwächen wiederum liegen ebenso auf der Hand. Besonders gut vorgeführt wurden sie von fluiden und flexiblen Angriffsreihen, insbesondere natürlich der goldenen Mannschaft der Ungarn in den frühen 50ern, auf Ungarisch auch „Aranycsapat“ genannt.

Als Schlüsselspiel wird hier oftmals das Spiel gegen die individuell keineswegs drastisch unterlegenen Engländer im Wembley-Stadion 1953 genannt, wo der Gastgeber gegen den vermeintlichen Außenseiter vom Kontinent mit 3:6 unterging.

Das Problem war gar nicht das naheliegende, nämlich die Verfolgung des Gegenspielers und eine Raumöffnung dadurch, sondern ein anderes.  Jimmy Johnston verfolgte Nandor Hidegkuti nämlich gar nicht, sondern blieb auf seiner Position.

Die Gegner kamen letztlich viel über rechts, was womöglich damit zu tun hatte, dass Winterbottom und Johnston vor dem Spiel über Hidegkuti diskutiert hatten – mit folgender Auswirkung: nach der Unterhaltung beschlossen sie, dass Johnston ihn nicht verfolgen sollte, wie es die Schweden davor erfolgreich praktiziert hatten, sondern einer aus dem Mittelfeld dies übernehmen sollte, wohl der linke Halbspieler im 3-2-2-3. – RM

Die Engländer waren also weder großartig überrascht noch ratlos – sie waren schlicht machtlos. Hidegkuti hatte keinen Verfolger und stellte Überzahlen sowie Verbindungen her; England wurde abgeschossen. Am 23. Mai 1954 gab es übrigens ein Rückspiel, gut möglich, dass man hier nicht den „Fehler“ machen wollte und der Mittelläufer dann Hidegkuti verfolgte. Das Ergebnis spricht zumindest für diese Variante: England verlor mit 1:7 noch höher.

Spielt man mit kollektiver Nummerndeckung / strikter Manndeckung, dann gibt es relativ viele und relativ einfach herzustellende Probleme. Der Gegner kann seinen Gegenspieler wegziehen und Räume öffnen. Er kann Positionen wechseln und für Verwirrung sorgen, er kann sich zurückfallen lassen und dann die gegnerische Formation zerstören, damit ein Loch entstehen lassen oder à la Hidegkuti seinen Gegenspieler verlieren und gekonnt in gezielten Räumen Überzahlen herstellen.

Ein guter individualtaktischer Spieler könnte beispielsweise auch seinen Gegenspieler zu einem anderen Verteidiger mitführen, dazwischen Raum öffnen, sich mit einer Drehung um seinen Gegenspieler in den Raum winden und mit Raum- sowie Geschwindigkeitsvorteil direkt die Schnittstelle infiltrieren. Selbst mit einem freien raumdeckenden Verteidiger hinter einer manndeckenden Abwehrreihe wäre dies möglich, wenn auch nur indirekt: hier öffnet man einfach auf einer Seite Raum für die Mitspieler durch die Bewegung zum Libero, was einen Angriff ermöglicht. Danach zieht der Angreifer mit einer Drehung nach innen und kann ins Angriffsspiel kombinativ eingreifen.

Man sieht: Das Ausspielen dieser Eselei ist sowohl kollektiv als auch individuell unbegrenzt. Dennoch gab es – neben dem freien Mann dahinter – weitere Lösungsansätze, welche zu einer zweiten großen Variante der Manndeckung führten.

Variante 2: Die flexible Manndeckung

Die flexible oder von mir auch gerne übergebende Manndeckung genannte Spielweise bezeichnet eine Abart der Nummerndeckung. Hierbei wird der Gegenspieler zwar verfolgt, aber bei Möglichkeit an einen anderen Mitspieler übergeben. Dadurch können Rochaden zweier gegnerischer Spieler oder das Kreuzen zweier Stürmer besser abgefangen werden, allerdings können kommunikative Probleme entstehen.

In einer flexiblen Manndeckung wird der einrückende Stürmer nicht verfolgt, sondern an den eigentlich freien Libero "übergeben"

In einer flexiblen Manndeckung wird der einrückende Stürmer nicht verfolgt, sondern an den eigentlich freien Libero „übergeben“

In den Niederungen des Amateurfußballs ist zum Beispiel zu beobachten, dass es nicht kommuniziert wird, wenn ein Außenspieler in die Mitte rückt und dadurch ist er plötzlich ohne Gegenspieler. In seltenen Fällen kann es auch passieren, dass der eine Akteur seinen Gegenspieler verfolgt und der andere diese übernehmen wollte; dann sind zwei bei einem Spieler und der Sturmpartner des gedoppelten Akteurs lacht sich einen.

Alles in allem ist diese Spielweise die heute am öftesten praktizierte Variante der kollektiven Manndeckung und stellt eine logische Weiterentwicklung dar. Die Gegenspieler können nicht nur an Mitspieler übergeben werden, sondern auch einfach in den Raum.

Dies wurde unter anderem von den Münchnern in den frühen 70ern unter Dettmar Cramer praktiziert. Wichen gegnerische Spieler in die Tiefe, um Überzahlen zu erzeugen, wurden sie verfolgt und dann an einen Gegenspieler übergeben. Dieser wiederum konnte seinen Gegenspieler nach vorne in den Raum übergeben.

Dadurch wurden die Bayern tiefer und kompakter, während der freie Mann des Gegners hinter einen dichten Abwehrblock gestellt wurde, was das Erzeugen von Überzahlen zumindest ansatzweise schwieriger machte.

Mit dieser Spielweise ist auch in gewisser Weise eine Art Pressing möglich. Die Abwehrspieler des Gegners werden nicht manngedeckt und die raumdeckenden Offensivakteure der eigenen Mannschaft spielen tiefer. Sie unterstützen dann vereinzelt ballorientiert den Manndecker beim Attackieren seines Gegners oder können einen Mann übernehmen, was die defensiveren Manndecker befreit.

Wirklich durchgehend und organisiert praktiziert wurde dies allerdings nie. Normalerweise wurden die Offensivspieler von Defensivaufgaben befreit, die Defensivspieler spielten in Manndeckung und gegnerische Verteidiger wurden nur beim Aufrücken von den Offensiven verfolgt.

Heutzutage wird diese übergebende Manndeckung allerdings situativ sehr häufig genutzt. Vorrangig bei gegnerischen Kontern wird in Strafraumnähe auf die Stürmer eine Manndeckung übernommen. Die Logik dahinter ist, dass die Räume bereits offen sind und der Gegner nur noch den Vorwärtsgang ohne viel Raumspiel sucht und deswegen diese situative Manndeckung die einzige effektive Vorgehensweise ist.

Ansonsten ist diese kollektive Manndeckungsvariante weitestgehend ausgestorben und wird nur noch individuell genutzt, wozu wir noch kommen werden. Vorher schließen wir das Kapitel der kollektiven Manndeckungen noch mit der dritten Variante ab.

Variante 3: Die raumorientierte Manndeckung

Diese letzte geschilderte Alternative, die raum- oder zonenorientierte Manndeckung wird sogar in der Bundesliga noch vereinzelt genutzt, unter anderem von Dieter Hecking bei seinem Ex-Verein, dem 1. FC Nürnberg.

Hier steht die Mannschaft zumeist in ihrer positionsorientierten Raumdeckung da, wozu wir in einem anderen Artikel noch kommen werden. Aus ihren Positionen haben sie einen gewissen abzudeckenden Raum vor und um sich. Verirrt sich ein gegnerischer Spieler in diesen Raum, dann wird er in eine Manndeckung übernommen.

Verlässt der Gegner den Raum ohne Ball, dann bewegt sich der eigene Spieler wieder zurück auf seine Position in der Grundformation. Dies ist in gewisser Weise eine Kompromisslösung zwischen Mann- und Raumdeckung. Das Kollektiv steht in einer kompakten raumdeckenden Anordnung da und stellt daraus gezielt Manndeckungen her. Somit wird Bewegung ins Spiel gebracht, der Gegner soll bei der Ballannahme eng gedeckt und damit bedrängt sein, während das Kollektiv keine Räume öffnen soll.

Die raumorientierte Manndeckung, wo der Spieler nur zur Manndeckung übergeht, weil ein Gegenspieler in seine "Manndeckungszone" eingedrungen ist

Die raumorientierte Manndeckung, wo der Spieler nur zur Manndeckung übergeht, weil ein Gegenspieler in seine „Manndeckungszone“ eingedrungen ist

Dabei kann diese Spielweise so praktiziert werden, dass die Position schlichtweg offen bleibt oder dass das Loch durch kollektives Verschieben beziehungsweise einen ersetzenden Spieler gefüllt wird. Dadurch bleibt die Formation kompakt, aber eventuell entstehen in anderen Räumen Löcher und insbesondere bei schnellen Doppelpässen können diese fehlenden Spieler anvisiert werden.

Ein Vorteil ist aber wiederum, dass Probleme beim Verschieben und räumlichen Übergeben oftmals nicht auffallen, weil sie seltener werden und schwieriger bespielt werden können. Das Momentum aus der gegnerischen Aktion kann durch eine intelligente Attackierung zerstört werden und daraus der Angriff verzögert, abgeleitet oder unterbrochen werden.

Generell ist es eine manchmal mehr, manchmal weniger schwierige Spielweise mit vielen komplexen und intensiven Bewegungen, die einen interessanten Kompromiss, aber wohl keine Dauerlösung darstellt.

Variante 4: Die situative Manndeckung

Während die dritte Variante eine Mischung aus Raumdeckung und Manndeckung gehört, aber noch zu der Manndeckung gehört, ist bei der situativen Manndeckung eher eine Raumdeckung das oberste Prinzip. Dennoch zähle ich sie zu den Manndeckungen, weil bei starker Intensität und Umsetzung sie das auffälligste Merkmal der jeweiligen Mannschaft sind.

Zur Erklärung dieser Spielweise: Aus einer Raumdeckung heraus werden bei dieser Mischvariante ebenfalls oft Manndeckungen hergestellt. Ein Beispiel gibt es im Pressing, wo zum Beispiel der SC Freiburg mit den Mittelstürmern die Passwege zustellt, also raumdeckend und optionsorientiert agieren, während die Sechser die gegnerischen Sechser in Manndeckung übernehmen, um sie sofort attackieren zu können. Allerdings spreche ich hier natürlich nicht von einer kollektiven Manndeckung der Freiburger, sondern von einem situativ angewandten taktischen Mittel.

Alternativ und viel stärker können bei gegnerischen Kurzpassstafetten auch im Mittelfeld auf sich freilaufende Spieler kurzzeitig Manndeckungen hergestellt werden, welche dann nicht anspielbereit sind – der Gegner muss zurückspielen und der Manndecker wird wieder zu einem Raumdecker. Diese Variante als eigene zu bezeichnen, reicht beispielsweise beim Spiel von Rayo Vallecano gegen den FC Barcelona oder bei der Spielweise Swanseas nicht. Gleichwohl wird dies von diesen beiden Teams gespielt und gehört zu den interessanten Eigenschaften einer optionsorientierten Raumdeckung. Auch die Bayern mit ihrem intelligentem Pressing dieser Rückrunde zeigen oftmals situative Manndeckungen.

Keine Mannschaft spielt diese Spielweise aber durchgehend, obwohl sie eine interessante und sehr risikoreiche Variante wäre. Eine noch flexiblere Variante der Spielweise Bilbaos würde dieses taktische Mittel wohl am ehesten verkörpern.

Die Manndeckung bei Individuen

Aktuell wird die Manndeckung jedoch vorrangig bei einzelnen Spielern genutzt. Man möchte damit bestimmte Gefahren einschränken oder die Abstimmung in der eigenen Mannschaft erleichtern, weswegen man die Manndeckung vereinzelt wieder aufleben lässt. Hier gibt es zwei große Varianten, die wir kurz anreißen.

Variante 1: Manndeckung auf Schlüsselspieler

Die am weitesten verbreitete und noch sehr oft genutzte Manndeckungsspielweise dürfte der Kettenhund auf einzelne strategisch wichtige Spieler des Gegners sein. So gab es in der Bundesliga einen Manndecker auf Mats Hummels beim BVB oder im El Clásico von Sami Khedira auf Andrés Iniesta. Die Unterschiede liegen auf der Hand: beim BVB wollte man den spielgestalterischen Innenverteidiger und somit das Aufbauspiel aus der Tiefe heraus ersticken, bei Barcelona sollte der Nadelspieler abgedeckt werden und dadurch das gegnerische Ballbesitzspiel ohne Raumgewinn und Stabilität bleiben.

"boah, der Innenverteidiger ist so gefährlich, mein lieber Mann, den decken wir lieber mann"

„boah, der Innenverteidiger ist so gefährlich, mein lieber Mann, den decken wir lieber mann“

In dieser Spielweise ist das raumdeckende Grundgerüst gegeben und es werden nur einzelne Spieler aus der Grundformation heraus isoliert. Sie übernehmen dann eine Manndeckung, können aber oftmals wieder zurück in die Grundformation eingehen. Je nach Aggressivität der Spielweise wechselt man also zwischen einer fixen und einer situativen Manndeckung. Dieses taktische Mittel wird auch die nächsten Jahre überdauern und ist bei intelligenter Nutzung grundsätzlich durchaus eine gute Idee und keine Eselei.

Variante 2: Manndeckung auf bestimmte Positionen oder in bestimmten Zonen

Als zweite Variante können nicht einzelne Spieler manngedeckt werden, sondern nur in einer bestimmten Zone oder auf einer Position. Ein gutes Beispiel wäre das Spiel gegen die falsche Neun: diese wird von einem Innenverteidiger manngedeckt, dann an einen Mittelfeldspieler übergeben oder gar fix manngedeckt. In diesem Fall geht es nicht um den Spieler und seine individualtaktischen Fähigkeiten, sondern seine Bedeutung für die Bewegung in der Gruppen- und Mannschaftstaktik, die unterbunden werden soll. Alternativ kann auch bei situativer Sturmbesetzung immer der jeweilige wechselnde Mittelstürmer gedeckt werden, um ein besseres Beispiel zu geben.

aus dem 4-4-2 verschiebt eine Mannschaft asymmetrisch, der linke Außenstürmer übernimmt eine "Mannorientierung" auf den Außenverteidiger, der Rest rückt ein; dies ist eine raumverknappende und situativ bespielte Variante der Manndeckung auf bestimmte Positionen

aus dem 4-4-2 verschiebt eine Mannschaft asymmetrisch, der linke Außenstürmer übernimmt eine „Mannorientierung“ auf den Außenverteidiger, der Rest rückt ein; dies ist eine raumverknappende und situativ bespielte Variante der Manndeckung auf bestimmte Positionen

Die Standardnutzung dieser Spielweise befindet sich auf Außen. Hier wird den jeweiligen Außenstürmern der gegnerische Außenverteidiger zugeordnet und dem Außenverteidiger der Außenstürmer. Dadurch soll verhindert werden, dass der Gegner durch das Hinterlaufen frei wird oder die dribbelstarken Flügel des Gegners ihr Sichtfeld einfach zum Tor drehen können. Oftmals wird mit dieser Spielweise das gegnerische Aufbauspiel in die Mitte zurückgelenkt oder es wird mit Pressingfallen gearbeitet.

Dabei formierten sich die Bremer einmal mehr in ihrer 4-1-4-1-Formation, die passend zur Leverkusener Spielweise adjustiert wurde.

Auf den Flügeln orientierten sich die Außenstürmer sehr mannorientiert und ließen sich weit nach hinten fallen, wenn sie den Ball nicht hatten. Dadurch konnte Leverkusen die hohen und breiten Außenverteidiger nicht ideal nutzen, sondern musste stärker über die Mitte kommen.  – RM

Noch was?

Langfristig könnte die Manndeckung zurückkehren; doch nicht in altem Gewand, denn die Spieler sind in puncto Athletik wohl zu sehr auf einem ähnlichen Niveau, die Trainer sind zu ausgefuchst und nur vereinzelt könnte eine klassische Manndeckung durch das Kollektiv noch erfolgreich sein.

Aber eine moderne Variante könnte eventuell für eine Renaissance sorgen: die raumverknappende Manndeckung oder eventuell eine kollektiv und aggressiv durchgesetzte situative Manndeckung. Bei Ersterem würde zum Beispiel Arrigo Sacchis Dogma der Kompaktheit und den vier Referenzpunkten mit einer Mann- statt einer Raumdeckung beachtet werden. Anstatt in einer raumdeckenden Formation vereinzelte Manndecker einzubauen, wie es aktuell gemacht wird, könnte es dann in einer manndeckenden Mannschaft „Raumdecker“ geben, welche Löcher schließen und situativ Pressingfallen aufbauen.

Die Raumdecker müssen dabei keine fix eingeteilten Akteure sein, sondern können aus dem verknappten ballfernen Raum  gezogen werden. Die ballfernen Manndecker übernehmen in eingerückter Position einen Mann, wodurch ein Dominoeffekt entsteht und die vielen Raumdecker befreit. Im Grunde wurde dies mit dem Libero als freiem Mann und Raumdecker bereits in einer Einzelvariante gespielt.

Mit fortschreitender Dynamik und Spielintelligenz könnte diese Spielweise – welche wie erwähnt ansatzweise in den 70ern von den Bayern gespielt wurde – für neue Wege in der Fußballtaktik sorgen. Hier wird aber nicht nur eine Dimension, die Länge des Platzes, „verknappt“, sondern auch die Breite, der Faktor Raum als solcher und der Faktor Zeit / Stress. Ob und wann es soweit ist, werden wir noch sehen (oder eben nicht).

Es gäbe weitere Konstrukts und Verfeinerungen der klassischen Manndeckung; beispielsweise durch Doppeldeckungen im Zuge einer kompakten Grundformation oder noch einige weitere skurrile Ideen, auf die wegen mangelnder Referenzen im Leistungssport in diesem erklärenden und taktiktheoretischen Artikel nicht weiter eingegangen wird.

Spielverlagerung wünscht ein frohes neues Jahr!

P.S.: Auf Leserwunsch noch meine Idee der raumverknappenden Manndeckung:

Torhüter am Ball. Die Manndeckungen bei Team Blau sind klar erkennbar

Torhüter am Ball. Die Manndeckungen bei Team Blau sind klar erkennbar

Der Torhüter spielt nun einen Pass zum halbrechten Innenverteidiger

Der Torhüter spielt nun einen Pass zum halbrechten Innenverteidiger

 

 

 

 

Die im Kollektiv manndeckend agierende Mannschaft geht ins Pressing über. Die Spieler werden nicht "übergeben", sondern "übernommen", wenn man präzise sein möchte oder eben verfolgt. Die raumdeckenden Akteure zwischen den Außenverteidigern übernehmen entweder den Mann (halbrechts) oder schieben frei ins Zentrum (halblinks)

Die im Kollektiv manndeckend agierende Mannschaft geht ins Pressing über. Die Spieler werden nicht „übergeben“, sondern „übernommen“, wenn man präzise sein möchte oder eben verfolgt. Die raumdeckenden Akteure zwischen den Außenverteidigern übernehmen entweder den Mann (halbrechts) oder schieben frei ins Zentrum (halblinks)

 

In diesem Bild sehen wir die neuen Zugriffe und die "Raumverknappung" bzw. ihre Effekte genauer. Der ballferne Außenstürmer löste sich und geht auf den Innenverteidiger und behält dennoch ein Auge auf seinen Hintermann. Der intelligente linke Außenstürmer von Team Rot bewegt sich gut, er wird lose vom rechten Verteidiger verfolgt, der gleichzeitig ein Auge auf den ballfernen Außen hält. Das ist auch der Mitgrund, wieso sich der halblinke Sechser in die Mitte bewegte.

In diesem Bild sehen wir die neuen Zugriffe und die „Raumverknappung“ bzw. ihre Effekte genauer. Der ballferne Außenstürmer löste sich und geht auf den Innenverteidiger und behält dennoch ein Auge auf seinen Hintermann. Der intelligente linke Außenstürmer von Team Rot bewegt sich gut, er wird lose vom rechten Verteidiger verfolgt, der gleichzeitig ein Auge auf den ballfernen Außen hält. Das ist auch der Mitgrund, wieso sich der halblinke Sechser in die Mitte bewegte.

 


Die Raumdeckung

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Die zwei hauptsächlich genutzten Deckungsarten im Fußball sind die Manndeckung und die Raumdeckung. In diesem Artikel erklären wir die unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen der Raumdeckung, inkl. ihrer Vor- und Nachteile.

Allgemeines zur Raumdeckung

Die Raumdeckung gilt als die erste gespielte Spielweise. Dabei hatte die ursprüngliche Raumdeckung sehr wenig mit der aktuellen Spielweise zu tun, weil die Organisation fehlte. Eher könnte man es als Chaosdeckung bezeichnen, wo jeder herumlungerte, wie es ihm passte und gelegentlich zur Balleroberung überging.

Heutzutage ist die Raumdeckung alles andere als chaotisch. Mit fortschreitender Athletik, Spielintelligenz und insbesondere der Professionalisierung löste sie die Manndeckung ab, weil die Spieler individuell in der Breite stärker wurden und sich im Kollektiv besser abstimmten. Dadurch sind die Schnittstellen enger und besser abzudecken, was die Anfälligkeit der Raumdeckung zwischen den horizontalen und besonders den vertikalen Linien abschwächt.

In den späten Achtzigern wurde die Raumdeckung um eine weitere Komponente erweitert, nämlich die Raumverknappung. Dabei wurde das Spiel prinzipiell kompakter gehalten und mithilfe der Faktoren Zeit, Raum und den fußballspezifischen Regeln wie Abseits das effektiv bespielbare Spielfeld komprimiert. Dabei werden vier Referenzpunkte von Arrigo Sacchi genannt:

 „Unsere Spieler hatten vier Referenzpunkte: den Ball, den Raum, den Gegner und die eigenen Mitspieler. Jede Bewegung musste in Beziehung zu diesen Referenzpunkten passieren. Jeder Spieler musste entscheiden, welcher dieser Referenzpunkte seine Bewegungen bestimmen sollte.“ – Arrigo Sacchi

Die Mannschaft muss diese beim Verschieben und Pressen beachten, um keine Löcher zu öffnen und im Grundgerüst weiterhin raumdeckend und gleichzeitig stabil agieren zu können.

Jedoch sollte beachtet werden, dass mit dem ballorientierten Spiel nicht die Raumdeckung als solche gemeint ist. Das ballorientierte Spiel bezeichnet die individuelle und kollektive Anpassung an die Bewegung des Balles, welche mit der Raumdeckung im Normalfall, aber eben nicht zwingend, einhergeht, und viel stärker beim Pressing sowie beim Agieren mit der Raumverknappung zum Vorschein kommt.

Rein theoretisch ist es durchaus möglich, dass auch in einer Raumdeckung ohne Ballorientierung gespielt wird. Beispielsweise war es früher in zahlreichen Teams durchaus üblich, dass man keinen Gegenspieler manngedeckt hat, sondern in einer Raumdeckung agierte, aber dennoch keineswegs ballfern einrückte oder durchgehend Richtung Ball verschob.

Ebenso ist es ein Fehler zu glauben, die vier Referenzpunkte nach Sacchi gelten nur bei der Raumvernappung und dem Pressing. Sie werden generell im Defensivspiel und im Angriffsspiel genutzt, desweiteren dienen Vorzüge von bestimmten Referenzpunkten als Ursachen für die unterschiedlichen Raumdeckungsspielweisen.

Die Raumdeckung im Kollektiv

Zuerst erklären wir die Raumdeckungsspielweise, welche im gesamten Kollektiv praktiziert wird sowie ihre Varianten.

in diesem Artikel gehen wir in allen Spielszenen von einer 4-4-2-Defensivformationen aus

in diesem Artikel gehen wir in allen Spielszenen von einer 4-4-2-Defensivformationen aus

Variante 1: Die positionsorientierte Raumdeckung

Bei der positionsorientierten Raumdeckung ist der Referenzpunkt der „Mitspieler“. Dies wird vereinfacht so gespielt, dass die Mannschaft in einem geschlossenen Block agiert. Dieser Block ist nichts anderes als eine Formation, in der die jeweiligen Positionen klar verteilt sind und in gewisser Weise die eigene Position „gedeckt“ wird. Die Bezeichnung Positionsdeckung könnte deswegen ebenfalls genutzt werden.

Ein Beispiel sind die Gladbacher unter Lucien Favre oder auch früher Valeriy Lobanovskiys Dynamo Kyiv. Bei den Gladbachern ist auffällig, wie effektiv sie hin und her verschieben und dabei oftmals kaum Druck auf Gegner oder Ball ausüben. Stattdessen konzentrieren sie sich auf Angriffsvereitelung durch Raumkontrolle. Das gegnerische Team lässt den Ball zirkulieren, die Gladbacher verschieben dabei so schnell und präzise, dass die bei dieser Variante zumeist vermeintlich offenen Außenbahnen nicht bespielt werden können.

Gleichzeitig wird dabei die vertikale und horizontale Kompaktheit gewahrt, weswegen der Gegner auch innerhalb des Blockes kaum Raum findet. Spielt er dennoch in den engen Raum, dann schieben die Linien aufeinander zu (oder nur eine Linie verschiebt, je nach Spielphilosophie) und verschließt den Raum. Dadurch wird der Gegner zeitlich unter Druck gesetzt, was in Ballgewinnen durch Fehlpässe oder anderen technischen Fehlern resultiert.

Merkmale dieser Raumdeckungsspielweise sind also das im Normalfall sehr klar erkennbare Kettenspiel in Abwehr und Mittelfeld, das Anbieten der Außenbahnen und die geraden Linien. Die Formation muss aber keineswegs aus gleich breiten Ketten oder gleichen Abständen zwischen den Mannschaftsteilen bestehen, wird aber zumeist so praktiziert, um die Schnittstellen und den Zwischenlinienraum möglichst gering zu halten.

Im Endeffekt wirkt diese Spielweise oftmals etwas passiv, weil bei intelligenter und vorsichtiger gegnerischer Ballzirkulation nur wenig Druck erzeugt werden kann. Favre spielte sich in dieser Saison damit, dass er den Raum zwischen den Linien auseinanderzog oder die Linien intelligent aufrückten und dadurch dann Zugriff im Pressing erhielten.

Beispielhafte Spielszene zur positionsorientierten Raumdeckung

Hier sehen wir die positionsorientierte Raumdeckung

Szene zur positionsorientierten Raumdeckung

Der Gegner baut über die rechte Seite auf, es scheint ein 4-1-2-3 als Abart des 4-3-3 mit breiten Flügelstürmern zu sein. Wir stehen aus grafischen Gründen in einer ultradefensiven Formation da.

Der Gegner spielt nach rechts, die Mannschaft verschiebt als Kollektiv auf die Seite. Die vermeintlich offene Seite für den Flügelstürmer wird plötzlich sehr eng, er kann nicht sicher angespielt werden. Der Ball geht in die Mitte, unser (halb)linker Mittelstürmer erhält Zugriff und geht ins Pressing über, die Mannschaft folgt seinem Beispiel und geht dieselben Laufwege.

Man nähert sich dem Gegner langsam und Schritt für Schritt, wirkt bisweilen etwas passiv. Als Gegenleistung für die Passivität und den geringeren Zugriff ist man aber stabiler und kompakter, Pässe in den Zwischenlinienraum sind schwierig und können durch Verengung der Mannschaftsteile komprimiert werden.

Variante 2: Die mannorientierte Raumdeckung 

Bei der mannorientierten Raumdeckung gibt es eine Grundformation, in welchem verstärkt zum Referenzpunkt „Gegner“ verschoben wird. Aus der jeweiligen Grundposition orientieren sich die eigenen Spieler also flexibel in ihrem abzudeckenden Raum, um eine gewisse Distanz auf den positionsnächsten Gegenspieler zu wahren.

Der Unterschied zur Manndeckung ist somit klar. In der Manndeckung orientiert man sich sehr straff an einem Gegenspieler, oftmals sogar nur an einem einzigen und verfolgt diesen. In der Raumdeckung deckt man den Raum um seine Position herum, verschiebt seine Position aber lose an einem beliebigen nahen Gegenspieler und bleibt dadurch in der Nähe dessen.

In gewisser Weise ist es eine Kompromisslösung aus positionsorientierter Raumdeckung und Manndeckung. Der Vorteil gegenüber der Manndeckung ist das geringere Öffnen von Löcher, der Vorteil gegenüber der positionsorientierten Raumdeckung ist der erhöhte Zugriff durch die geringere Distanz zu den jeweiligen Gegenspielern.

Beispielhafte Spielszene zur mannorientierten Raumdeckung

Szene zur mannorientierten Raumdeckung

Szene zur mannorientierten Raumdeckung

Der gegnerische rechte Außenverteidiger erhält den Ball, die eigene Mannschaft verschiebt nach links. Auffällig natürlich, dass die Sechser sich unterschiedlich verhalten: einer orientiert sich am gegnerischen halbrechten Achter, einer am Mittelstürmer. Der eigene Mittelstürmer orientiert sich ebenfalls mannorientiert, allerdings nicht klassisch, sondern eben im Raum: er verstellt den Passweg zum gegnerischen Sechser, der hinter den beiden Achtern spielt.

Alternativ hätte sich der zweite, halbrechte Sechser der eigenen Mannschaft auch am gegnerischen halblinken Achter orientieren können und der Außenstürmer wäre im Raum geblieben. So wurden aber dennoch sämtliche Passwege und Optionen direkt (durch Deckungsschatten oder gar situative Manndeckungen) oder indirekt (durch Zugriffe und Engen) versperrt.

Der gegnerische Außenverteidiger riskiert nicht den Linienpass, sondern spielt zurück. Die eigene Mannschaft schiebt darum heraus, der Mittelstürmer löst sich vom Raum um seinen vermeintlichen Gegenspieler und geht ins Pressing über. Der ballferne Außenstürmer schiebt nach außen; bis der gegnerische Innenverteidiger den Ball verarbeitet und weiterspielen kann, ist der eigene Außenstürmer wieder in der Nähe des gegnerischen Außenverteidigers. Zentral überläuft der halblinke Sechser der eigenen Mannschaft den gegnerischen halbrechten Achter und orientiert sich nun „plötzlich“ am Sechser des gegnerischen Teams.

In gewisser Weise könnte man sagen, dass die mannorientierte Raumdeckung im Gegensatz zur positionsorientierten Raumdeckung nicht auf den Zugriff und somit das Pressing wartet, sondern ihn sucht. Der Unterschied zur Manndeckung besteht wiederum, dass die Gegenspieler nicht verfolgt werden oder an andere übergeben, sondern im Raum stehen gelassen werden und man sich jederzeit neu orientieren kann. Desweiteren orientiert man sich nicht am Gegenspieler als solchen, sondern an dessen Aktionsraum und der Zugriffsdistanz.

Variante 3: Die raumorientierte Raumdeckung

In dieser dritten Variante, die aber deutlich seltener als die mann- und die positionsorientierte Raumdeckung genutzt wird, ist der Referenzpunkt der Raum. Dabei verschiebt das Kollektiv Richtung dem in diesem Moment effektiv bespielbaren Raum und versucht diesen zu besetzen.

Auf dem Papier klingt das intelligent, möchte man meinen. Der Raum würde überladen und längere Kurzpassstafetten des Gegners würden durch viel Druck zerstört werden können. In der Praxis ist dies aber nicht der Fall, wenn die Gegner ansatzweise spielintelligent sind. Sie können dann in die vielen geöffneten Räume, insbesondere ballfern, stoßen und die gegnerische Formation zerstören.

Ein Beispiel war das Spiel zwischen Valencia und Malaga, wo Valencia durch eine raumorientierte Raumdeckung die Fluidität und die situativen Engen Malagas einschränken wollte, was vollends scheiterte.

Beispielhafte Spielszene zur raumorientierten Raumdeckung

Spielszene zur raumorientierten Raumdeckung

Spielszene zur raumorientierten Raumdeckung

In gewisser Weise der verschollene Zwilling der Manndeckung, was Eselei betrifft. Der Pass geht wie gehabt auf den gegnerischen Außenverteidiger, die gesamte Mannschaft orientiert sich am neuen Spielraum.

Sie erhalten keinen Zugriff, der Pass geht in die Mitte, man verschiebt neu in den Raum. Was passiert?

Richtig, ballfern sind freie Räume. Bei jeder Raumdeckung (mit Raumverknappung zumindest) entstehen freie Räume, bei der raumorientierten Raumdeckung entstehen sie jedoch durchgehend als miteinhergehendes Naturell dieser Spielweise. Sie werden auch so groß, dass sie nicht nur über lange gefährliche Diagonalbälle bespielbar sind, sondern bei halbwegs intelligenten Gegnern auch Kurzpassstafetten – wie in diesem Fall.

Im Spiel zwischen Valencia und Malaga versuchte es Valencia ansatzweise mit dieser Deckung und scheiterte. Im Artikel findet man auch ein paar schöne Bilder von laola1.tv inkl. kurzer Erklärung dazu.

Variante 4: Die optionsorientierte Raumdeckung

Bei der optionsorientierten oder gerne auch ballorientierten Raumdeckung ist der Referenzpunkt der Ball – wie kann er uns Schaden zufügen, wie verhindern wir das? Die Mannschaft verschiebt aus ihrer Position unterschiedlich heraus, je nach Positionierung des Balles und den Möglichkeiten, die sich für den Gegner daraus ergeben.

Diese Spielweise wird von Swansea praktiziert und auch ansatzweise vom FC Barcelona. Dabei ist wichtig, dass die Spieler spielintelligent sind und gut aufeinander abgestimmt, ansonsten werden zahlreiche Löcher geöffnet und die Formation zerrissen.

Beispielhafte Spielszene zur optionsorientierten Raumdeckung

Szene zur optionsorientierten Raumdeckung

Szene zur optionsorientierten Raumdeckung

Gleiches Szenario, abermals unterschiedliche Bewegung. Es kommt ein Pass nach rechts (von „uns“ aus links), die Mannschaft verschiebt. Der eigene Rechtsverteidiger denkt sich aber, „boah ey, wenn da jetzt ein geiler Diagonalball kommt, gibt’s Ärger“ und löst sich aus dem Kettenmechanismus.

Der linke Außenstürmer der eigenen Mannschaft stellt den gegnerischen Rechtsaußen in seinen Deckungsschatten, während der halblinke Sechser einen gefährlichen Pass zum gegnerischen Mittelstürmer durch den offenen Raum verhindert. Der linke Mittelstürmer stellt den gegnerischen halbrechten Achter mit seinem Deckungsschatten zu, sein Partner, der rechte Mittelstürmer rückt auch deshalb antizipativ auf.

Wieso tut er das? Wir sehen es in der Angriffsentwicklung. Der Pass des gegnerischen Außenverteidigers kommt riskant in die Mitte, der linke Mittelstürmer versucht ihn abzufangen, scheitert und läuft weiter; jetzt ist der gegnerische Außenverteidiger in seinem Deckungsschatten. Der zweite Mittelstürmer kann pressen und attackiert den gegnerischen Sechser.

Die eigene Mannschaft rückt auf, die ballfernen Außenspieler orientieren sich auf die Seite: gewinnt man den Ball, stößt man in den freien Raum, wird er weitergeleitet, deckt man die ballferne Seite vor Diagonalbällen ab.

Die Raumdeckung bei Individuen

Unter Umständen könnte auch mit vereinzelten „Raumdeckern“ in Misch- oder Manndeckungssystemen agiert werden. Auch wenn dies nicht der Norm entspricht, widmen wir uns kurz zwei solcher Möglichkeiten, obwohl die Einsatzmöglichkeiten wohl unendlich sind.

Variante 1: Der Libero

Der bekannteste freie Mann in der Geschichte des Fußballs ist der Libero. Dieser agiert traditionell hinter einer Abwehrkette, besitzt keinen Gegenspieler und deckt somit freie Räume. Mit dem Libero wollte man die vielen offenen Löcher der Manndeckung bekämpfen – hinter der herumwirbelnden Manndeckungsbastion stand der Libero als Fels in der Brandung, positionierte sich antizipativ hinter Löchern, fing Bälle in diese Löcher ab oder übernahm frei gewordene Spieler.

(geplante!) Aufstellung der Bayern im europäischen Supercup 1975 gegen Dynamo Kyiv mit Libero Beckenbauer hinter einer manndeckenden Mannschaft

(geplante!) Aufstellung der Bayern im europäischen Supercup 1975 gegen Dynamo Kyiv mit Libero Beckenbauer hinter einer manndeckenden Mannschaft

Variante 2: Raumdeuter und Raumdecker

Manche Spieler agierten auch als freie Akteure vor der Abwehr; teilweise sogar in raumdeckenden Systemen. Sie spielten dabei eine aus der Formation isolierte Rolle oder eine andere Raumdeckung, als die Mitspieler. So könnte ein absichernder Sechser der einzige im Mittelfeld sein, der positionsorientiert spielt und dadurch die Stellung hält, während seine Mitspieler sich manndeckend oder in einer mannorientierten Raumdeckung organisieren.

Andererseits könnte auch ein nomineller Zehner sich als „Jäger“ organisieren und sich immer dort positionieren, wo gerade der Gegner hinspielt. Dann würde er von einer Rolle als nomineller Zehner immer wieder auf Halbpositionen pendeln und dort den Raum kompakter machen.

Noch was?

Eigentlich sogar sehr viel. Man kann noch viel mehr Referenzpunkte einbauen, die im Pressing und insbesondere im Gegenpressing instinktiv eine größere Gewichtung erhalten, und daraus neue Raumdeckungsmöglichkeiten bauen. Eine Zeitdeckung wäre dabei ebenso möglich wie eine Balldeckung, eine Strukturdeckung, eine Dynamikdeckung und noch vieles vieles mehr.

Gleichzeitig gibt es auch bei den einzelnen, oben geschilderten Raumdeckungsspielweisen massig unterschiedliche Varianten. Diese betreffen das Verschieben, die Involvierung in die Defensivarbeit (siehe Cristiano Ronaldos Zocken), die genaue Umsetzung des defensiven Positionsspiels, mögliche Asymmetrien, das defensive Umschaltverhalten zur Grundformation zurück, usw. usf.

Diese oben beschriebene Liste soll nur einen groben Überblick über die zwei großen und zwei kleineren Nutzungsweisen der Raumdeckung liefern; außerhalb dieser vier Varianten gibt es noch einige Möglichkeiten, sich neu zu erfinden; innerhalb dieser vier Varianten gibt es ebenfalls unglaublich viele Variationen.

Wie verschiebt die Kette beim Herausweichen eines Spielers? Presst man rückwärts oder kehrt man auf seine Position zurück? Wie genau teilt man das auf, wie presst man eventuell rückwärts und was machen die auf ihren Positionen verbliebenen Spieler? Wer sichert wann ab?

Die Möglichkeiten sind dank der zahllosen Kombinationen und den vielen komplexen Facetten des Spiels unendlich, was den Fußball auch so ungeheuer vielfältig macht.

Selbst das als Standard genutzte Raumdeckungssystem ist nicht klar zu definieren. Die meisten Mannschaften wechseln das, mischen es positionell sowie mit situativen oder flexiblen Manndeckungen durch und variieren in den unterschiedlichen Phasen des Defensivspiels. Aus einer positionsorientierten Raumdeckung bei tiefem Aufbau des Gegners, um stabil und organisiert zu stehen, wird dann beispielsweise eine mannorientierte Raumdeckung, wenn der Gegner höher steht, um schneller Zugriff zu erhalten. Während der Pressingphase ist man dann zumeist optionsorientiert und deckt mögliche Passwege oder ähnliches ab. Einen Defensivstandard als solchen gibt es nicht.

Unterschiede und Deckungsarten im Gegenpressing

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Das geflügelte Taktikwort der vergangenen Bundesliga-Saisons war wohl Gegenpressing. Die Dortmunder wurden dank des Gegenpressings Meister, die Bayern zogen nach und befinden sich aktuell unangefochten an der Tabellenspitze. Der FC Barcelona wurde unter Pep Guardiola mit einer herausragenden Nutzung von Angriffs- und Gegenpressing zwei Mal Champions-League-Sieger. Doch ist Gegenpressing gleich Gegenpressing?

Unterscheidung 1: Vorbereitung des Gegenpressings

Das Gegenpressing umfasst nicht nur die Bewegung des Kollektivs zum Ball, sondern auch die vorherige Stellung und Positionierung. Oftmals wird das Gegenpressing mit einem mentalen Aspekt gleichgesetzt. Dies stimmt auch zum Teil. Schalten die Spieler nach Ballverlust ab, entsteht keine sofortige Arbeit gegen den Ball, die Chance auf das Gegenpressing vergeht somit ungenutzt.

Die Spieler müssten entweder wegen ihres Naturells oder wegen des Drills darauf sofort umschalten und gegen den Ball arbeiten. Im Normalfall ist es eine Kombination aus Training, Psyche und Charakter.

Doch auch die Taktik spielt eine Rolle. Eine Mannschaft kann noch so schnell nach Ballverlust umschalten und intensiv nach vorne gegen den Ball arbeiten, ein Gegenpressing wird nur dann erfolgreich, wenn die vorhergehende Stellung der einzelnen Spieler in Ordnung ist. Eine extrem breite Formation mit numerischer Unterzahl wird im Gegenpressing ineffektiv sein, eine offensivkompakte Formation mit vereinzelten Engen hingegen nicht.

Der Trainer kann also im Vorhinein bereits festlegen, wo die Mannschaft enger und wo breiter stehen soll. Dadurch kann beispielsweise gezielt auf etwaige Stärken des Gegners in bestimmten Räumen oder eigene Schwächen (wegen riskanter Offensivspieler oder komplexe Spielzüge) eingegangen werden.

Wo will ich durchgehend enger und kompakter stehen, um ein mögliches Gegenpressing maximal effektiv zu gestalten? Ab wann werde ich enger und wie eng?

Unterscheidung 2: Raumdeckung im Gegenpressing

Im Gegenpressingprozess, also dem Ablauf selbst, kann man wiederum ebenfalls einige Unterscheidungen machen. Die große Frage ist hierbei, an welchen Referenzpunkten man sich orientiert.

Dabei sind es  nicht die gleichen Referenzpunkte, wie in der Raumdeckung oder dem klassischen Pressing. Im Gegenpressing steht man in einer stark verschobenen und verrückten Formation da und presst direkt auf den Ball. Die Frage ist, wie man den Ball dann erobern möchte. Es gibt hier vier große Unterschiede.

Spielraumorientiertes Gegenpressing:

Das Gegenpressing der Dortmunder zum Beispiel fällt in diese Kategorie.

Man orientiert sich sehr stark am Spielraum des Gegners. Der Gegner wird zugestellt, zugepresst und im Idealfall gibt man ihm keine Luft zum Atmen. Alle möglichen Lauf- und Passwege werden ihm zugestellt oder gezielt geöffnet, was meist durch die vorhergehende Vorbereitung in der Anordnung entsteht.

Dadurch kann man ihn beispielsweise Richtung Außen lenken und gezielt im Gegenpressing den Ball abnehmen oder aufgrund des zugestellten Raumes immer näher rücken und den Ball klassisch erobern.

Beispielszene

spielraumsorientiertes Gegenpressing

spielraumorientiertes Gegenpressing

Der linke Außenverteidiger der roten Mannschaft überlief seinen Gegenspieler und spielte in die Mitte. Dort erhält der eingerückte linke Außenstürmer der roten Mannschaft den Ball, dreht sich und verliert ihn durch zu weites Vorlegen an den gegnerischen Rechtsverteidiger.

Der ballnächste Gegenspieler presst, die Spieler der roten Mannschaften schieben nun automatisch in den Raum hinein. Sie erkennen, dass der Gegner zwei Räume hat und sie besetzen nicht diese, sondern positionieren sich an diesen. Ein schöner Nebeneffekt entsteht dadurch: der Gegner wird den Pass oftmals spielen und er wird abgefangen, wenn er ungenau ist oder der Gegner wartet mit seiner Entscheidung, was die Möglichkeit einer längeren Bewegung auf ihn zu und somit größere Enge bedeutet.

Zugriffsorientiertes Gegenpressing:

Das Gegenpressing der Bayern dürfte am ehesten in diese Kategorie fallen.

Zumeist wird der gegnerische Ballführende nicht durch das Kollektiv gepresst, sondern durch ein bis zwei Akteure in der Nähe, während sich die anderen nicht an ihren Positionen orientieren, sondern die jeweiligen nächsten Gegenspieler in eine Art Manndeckung nehmen. Diese kurzeitige situative Mannorientiertheit sorgt dafür, dass man nach Pässen des Gegners jederzeit Zugriff erhalten und in den Zweikampf gehen kann. Der Druck auf den Ballführenden ist somit nicht extrem groß, aber soll ausreichend sein, um ihn nach hinten zu drängen oder zur sofortigen Aktion zu zwingen.

Beispielszene

zugriffsorientiertes Gegenpressing

zugriffsorientiertes Gegenpressing

Der linke Außenverteidiger der roten Mannschaft überlief seinen Gegenspieler und spielte in die Mitte. Dort erhält der eingerückte linke Außenstürmer der roten Mannschaft den Ball, dreht sich und verliert ihn durch zu weites Vorlegen an den gegnerischen Rechtsverteidiger.

Während der ballnächste Akteur –der Ballverlierer in diesem Fall – presst, schieben die jeweiligen Spieler der roten Mannschaft in Richtung ihrer Gegenspieler und orientieren sich mannorientiert. In diesem Fall kann der Pass noch einfacher gespielt werden, aber es entstehen viele Zweikämpfe und oftmals können die Gegenspieler gedoppelt werden. Es sind also keine 50:50-Bälle, sondern es gibt wegen der Bewegung der roten Mannschaft und der Struktur des Angriffs einen Vorteil für die Mannschaft in Rot.

Passwegorientiertes Gegenpressing:

Seit Pep Guardiola spielt auch der FC Barcelona mit einem Gegenpressing, welches stärker antizipativ und vorrangig auf die Passwege orientiert ist.

Dabei schieben die umliegenden Akteure im Gegenpressing so auf den Ballführenden, dass sie ihm bestimmte Passwege öffnen und versperren. Es wird nicht der Raum als solcher kompakter oder es entstehen Zweikämpfe, sondern man provoziert bewusste Pässe in vermeintlich freie Räume und fängt diese dann ab. Dies geschieht durch das Leiten von Pässen in strategisch ungünstige Richtungen (beispielsweise diagonal auf die Außen in eine Unterzahlsituation) oder in jenen Raum, den beispielsweise beim FC Barcelona Sergio Busquets abdeckt.

Beispielszene

passwegsorientiertes Gegenpressing

passwegorientiertes Gegenpressing

Der linke Außenverteidiger der roten Mannschaft überlief seinen Gegenspieler und spielte in die Mitte. Dort erhält der eingerückte linke Außenstürmer der roten Mannschaft den Ball, dreht sich und verliert ihn durch zu weites Vorlegen an den gegnerischen Rechtsverteidiger.

Sie bewegen sich – im Idealfall – minimal später los oder nähern sich bogenartig, können dann aber die Pässe abfangen. Alternativ nutzen sie ihren Deckungsschatten und verhindern eindeutig die Pässe auf den Gegenspieler. Sie stellen sie klar zu und provozieren lange Bälle oder Rückpässe des Gegners, wodurch aus dem Gegenpressing ein „normales“ Pressing im Sinne der klassischen Vorwärtsverteidigung wird.

Ballorientiertes Gegenpressing:

Die erste Mannschaft, die ein kollektives Gegenpressing spielte, dürften die Niederländer bei der WM 1974 gewesen sein.

Es war in gewisser Weise ein chaotisches Gegenpressing, weil die Akteure sich allesamt stark auf den Ballführenden und nicht seine Möglichkeiten konzentrierten. Damals war dies wahrscheinlich sogar die bessere Alternative, weil die einzelnen Spieler in den Kleingefechten um den Ball nicht so geschult waren und die gegnerischen Spieler nach der Balleroberung nicht so organisiert und geschult in der Pressingresistenz waren.

Beispielszene

ballorientiertes Gegenpressing

ballorientiertes Gegenpressing

Der linke Außenverteidiger der roten Mannschaft überlief seinen Gegenspieler und spielte in die Mitte. Dort erhält der eingerückte linke Außenstürmer der roten Mannschaft den Ball, dreht sich und verliert ihn durch zu weites Vorlegen an den gegnerischen Rechtsverteidiger.

In diesem Fall verschieben prinzipiell alle Spieler zum Ball und pressen. Dies öffnet die Passmöglichkeit auf den Spieler in der Mitte, auf den wiederum gepresst wird. Ist der Verteidiger nicht hervorragend in der Ballverarbeitung, dann wird diese Passoption im weiteren Aufrücken vernichtet und höherer Druck auf den Ballführenden ausgeübt.

Statistik

Mich interessierte in diesem Sinne auch, ob die unterschiedlichen Gegenpressingvarianten in den Statistiken sichtbar würden. Folgende Hypothese wurde von mir gestellt: Bayern müsste mit ihrer zugriffsorientierten Spielweise hervorragend in der Zweikampfkompetenz sein, aber schwächer in der Pressingkompetenz, weil sie weniger Bälle abfangen. Der BVB wiederum müsste schwächer im Zweikampf sein, aber besser in der Pressingkompetenz, während der FC Barcelona das Gegenteil zu den Bayern darstellen müsste.

Die Zahlen dazu passen. Ich habe die Mittelwerte der drei zentralen Mittelfeldspieler der jeweiligen Teams berechnet. Beim Gegenpressing müsste man sie am stärksten voneinander unterscheiden können, weil sie Hauptnutznießer sind. Die Außenverteidiger sind da meist zu breit oder gar zu tief, die Stürmer sind die „Presser“ und jene, die den Ballverlust verbuchen, während die Mittelfeldspieler entweder die Bälle abfangen oder in die Zweikämpfe gehen. Aus graphischen Gründen habe ich übrigens die Werte mit 100 multipliziert.

Zweikampfkompetenz des Mittelfelds

Zweikampfkompetenz des Mittelfelds

Kaum überraschend: Gündogan und Co. sind in den direkten Zweikämpfen stärker als Busquets und Partner, während die Bayern klar am stärksten sind. Diese eindeutige Überlegenheit führe ich unter anderem auf das gute Gegenpressing und die Zugriffsorientierung zurück. Die Bayern kommen nicht nur öfter, sondern besser in die Zweikämpfe, die Katalanen hingegen überaus selten und oftmals in misslicherer Lage.

Pressingkompetenz des Mittelfelds

Pressingkompetenz des Mittelfelds

In der Pressingkompetenz zeigen sich aber die Vorteile der Spielweise des FC Barcelona.

Mit 174,37 sind sie sehr weit an der Spitze, während Dortmund mit 86,10 den zweiten Platz belegt. Auffällig ist hierbei, dass die Bayern mit ihrer herausragenden Defensive weiter hinten sind. Leicht erklärbar durch die andere Spielweise: die Münchner sammeln weniger lose Bälle auf, unterbrechen weniger Pässe und gewinnen stattdessen die deswegen provozierten Zweikämpfe. Gleichzeitig ist die Stabilität für die Defensive größer und die Chancenqualität für den Gegner geringer, falls er sich aus dem Gegenpressing herauswinden kann.

Noch was?

Nicht viel. Die Übergänge sind fließend, weil die jeweiligen Mannschaften und insbesondere die Spieler sich natürlich situativ anpassen und anpassen sollen; es geht viel mehr um eine generelle Orientierung in vielen Aktionen der Mehrzahl der Spieler. Man soll das ebenso wenig verwechseln, wie Gegenpressing mit normalem Pressing, wie es leider so oft geschieht. Das Gegenpressing ist die unmittelbare und sofortige Arbeit gegen den Ball nach einem Ballverlust vom Kollektiv, während das Pressing die grundlegende Arbeit gegen den Ball aus der Formation heraus ist.

Herausrücken im Zentrum bei Manndeckungen

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Ein Artikel über individualtaktische Qualität und die Folgen einer schlechten Umsetzung. Zumindest ist dies die Intention des Artikels. Schon oft wurde von einigen Lesern gefragt, ob es möglich wäre, gruppentaktische oder individualtaktische Sachen in Verbindung mit den jeweiligen Qualitäten der ausführenden Spielern zu setzen.

Vorab: Solche Artikel zu machen ist nicht ganz so einfach. Es gibt nur sehr wenige taktisch analysierbare Bewegungen (eigentlich kaum welche), die nur ein einziger Spieler oder nur eine exklusive Spielergruppe macht und sonst niemand in der weiten Welt des Fußballs. Ein Artikel darüber würde wohl zu Diskussionen über die Einmaligkeit führen – darum habe ich in diesem Fall versucht, einen allgemeingültigen taktischen Aspekt zu erklären und möchte dann kurz die Verbindung zu einem praktischen Beispiel finden.

Die individualtaktische Bewegung bezieht sich in diesem taktiktheoretischen Artikel auf das Herausrücken bei einer Manndeckung im Mittelfeld. Dabei soll gezeigt werden, dass nicht nur die taktische Vorgabe, also zum Beispiel „Ihr Zwei deckt einfach eure Gegenüber!“, wichtig ist, sondern auch die Qualität der jeweiligen Spieler in dieser Disziplin.

Um dieser Erklärung ein praxisnahes Gesicht zu geben, werde ich gegen Ende ganz kurz das Spiel zwischen dem FC Bayern und dem FC Barcelona als Beispiel wählen; um genauer zu sein: Javi Martínez und Bastian Schweinsteiger gegen Andrés Iniesta und Xavi. Dieser Artikel soll dennoch vorrangig zeigen, was die Grundaspekte des Herausrückens bei einer Manndeckung sind.

Die generellen Nachteile einer Manndeckung

Als Manndecker hat man nämlich einen großen Nachteil: Im Normalfall ist man der reagierende Spieler. Der Gegner hat dadurch logischerweise einige Vorteile.

1)      Der individuelle sichere Informationsvorteil: Der Gegner weiß, was er machen wird. Wohin bewegt er sich? Wie bietet er sich an? Wohin weicht er aus? Wie wird er den Ball annehmen? Der Manndecker kann versuchen solche Sachen zu antizipieren, aber es ist überaus schwierig.

2)      Der kollektive sichere Informationsvorteil: Der Gegner weiß (im Normalfall) auch, wie sich das Aufbauspiel seiner Mannschaft gestaltet. Wohin bewegen sich die Mitspieler? Wo werden Räume frei? Wen kann ich sofort oder gar blind anspielen, wenn ich gepresst werde? Dadurch wird der Nachteil des Reagierens auf zwei oder mehr gegnerische Spieler ausgedehnt.

3)      Der kollektive unsichere Informationsvorteil: Hier kann der Gegner wissen, wie und wann sein Mitspieler anspielt. Allerdings kann er sich dessen oft nicht sicher sein, weil die Wechselwirkungen des gegnerischen Pressings und der Bewegungen sowie die individuelle Qualität des Mitspielers (und der Gegner) hineinwirken. Wird mein Mitspieler dann abspielen, wie er es im Normalfall tut? Wird er mich ansehen oder wird er blind spielen? Wann genau soll ich mich freilaufen? Dieses „Wann“ ist auf hohem Niveau potenziell spielentscheidend – es wird oft als „Automatismus“ bezeichnet, der aber durchaus präzise trainiert werden kann. Weil dies aber nicht immer getan wird und viel von externen Faktoren abhängt, hat hier der Gegner nur „vielleicht“ einen Vorteil oder er ist dem Manndecker gleichwertig: Beide wissen es nicht ganz genau, aber können es antizipieren.

4)      Der Geschwindigkeitsvorteil:  Aus diesen drei Informationsvorteilen entsteht natürlich ein motorischer Vorteil. Der Gegner kann loslaufen und Fahrt aufnehmen und sich selbst einen kleinen Raum „freilaufen“; kommt der Ball dann im richtigen Moment mit der richtigen Stärke, wird es der Manndecker schwer haben. Selbst bei höchster Konzentration, Aufmerksamkeit, Antizipation und Reaktionsschnelligkeit wird er zumindest ein kleines bisschen Raum für einen kurzen Moment aufgeben müssen.

5)      Der Anpassungsvorteil:  Eine Konsequenz aus den ersten drei Punkten. Dank einer eigenen Analyse oder eines externen Ratschlags sowie natürlich dem Geschwindigkeitsvorteil kann sich der gegnerische Spieler an seinen Manndecker anpassen und erhält dadurch einen weiteren Vorteil gegenüber dem reagierenden Spieler.

Diese Aspekte sind ebenfalls Gründe, wieso eine Manndeckung selten (auf dem gesamten Platz) genutzt wird. Es reicht, wenn sich ein Spieler falsch bewegt, falsch antizipiert oder falsch attackiert, um ausgespielt zu werden. Wird er überspielt, hat der Gegner nicht nur eine Überzahl, sondern die eigene Mannschaft ein großes Problem: Wer attackiert den neuen Ballführenden? Wer lässt seinen Mann stehen und was passiert mit dem?

Hinzu kommen gruppentaktische Nachteile, wie das Öffnen von Räumen beim manndeckenden Verfolgen freier Gegenspieler für Pässe oder Kurzpasskombinationen, die vielen Möglichkeiten für Diagonalpässe, die oftmals hohe Effektivität von Positionswechseln und Fluidität oder gar das bewusste Erzeugen von Reizüberflutung für die Gegner, was deren Defensivbewegungen zusätzlich destabilisiert.

Die praktische Bedeutung

Um diese Nachteile zu neutralisieren, wird die Manndeckung oftmals situativ, also nur in bestimmten Fällen, verwendet. Alternativ sind es auch lose Manndeckungen – also mit Übergeben an einen anderen Manndecker –, um  das Öffnen von Löchern oder Unterzahlsituationen zu vermeiden. Die gängigste Variante sind aber nur vereinzelte Manndeckungen mit mehreren „Raumdeckern“.

Das Grundprinzip wurde bereits beim Libero angewendet: Ein freier raumdeckender Akteur schließt die gefährlichsten Zonen und Löcher, sichert ab oder übernimmt gar einen Gegenspieler, falls dieser sich freispielen kann. Sehr grob vereinfacht könnte man also sagen, dass es heutzutage eine große Anzahl von „Liberi“ in bestimmten Anordnungen (z.B. im gängigen 4-4-2-Defensivsystem) mit vereinzelten Manndeckern unterschiedlicher Ausprägungen auf bestimmten Positionen innerhalb dieser Formation gibt.

Die meisten Teams im modernen Fußball nutzen dabei Mischformen aus Mann- und Raumdeckung. Eine sehr oft praktizierte Form ist eine positions- oder mannorientierte Raumdeckung im 4-4-2 mit losen zonalen Manndeckungen bei den Innenverteidigern gegen die gegnerischen Stürmer und relativ klaren Manndeckungen auf den Außenbahnen.

Die Erklärung dafür ist logisch. Auf den Außenbahnen können die Außenstürmer zocken, wenn die gegnerischen Außenverteidiger nicht aufrücken. Die Außenverteidiger können die meist dribbelstarken gegnerischen Außenstürmer problemlos stellen, innen den Weg nach innen versperren und haben dann die Außenlinie als Hilfe.

Zusätzlich hilft der einfache Fakt, dass diese drei Positionen beziehungsweise diese fünf Spieler bei fast jedem Gegner relativ statisch besetzt sind: Klassischer Mittelstürmer, klassische, diagonale oder maximal leicht inverse Flügelstürmer und natürlich zumeist nur vertikal aufrückende Außenverteidiger. Das einfache Motto „wo kein Chaos und gefährlicher Raum, da Manndeckung akzeptabel“ kann hier also als kleine Faustregel genutzt werden.

Die Manndeckung ist also dank der Außenlinie, der Entfernung zum Tor (Rückwärtspressing möglich, etc.) und natürlich der Absicherung durch die jeweiligen zentralen Spieler relativ simpel zu spielen; die Innenverteidiger können die Außenverteidiger beim Attackieren des ballführenden gegnerischen Flügelstürmers im Zuge der Raumverknappung hervorragend diagonal absichern und eine 3-1-Stellung herstellen.

Durch die Mittelfeldspieler und eine hohe vertikale wie ballnahe Kompaktheit können Passwege in die Mitte zugesperrt werden. Dadurch reicht es oftmals, den Gegner zu stellen, ihm den Außenweg aufzumachen und ihn dort abzudrängen. Dies erfordert weder viel Antizipation noch komplexe taktische Bewegung.

Anders sieht es im zentralen Mittelfeld aus. Im Spiel gegen den FC Barcelona zeigten Martinez und Schweinsteiger die hohe Kunst der intelligenten und individualtaktisch qualitativ hochwertigen Manndeckung.

Das intelligente mannorientierte Herausrücken als defensive Qualität

Wie in unserer Analyse zum Spiel bereits erklärt, haben sich die beiden Münchner relativ klassisch an den spanischen Welt- und Europameistern orientiert. Thomas Müller und Mario Gomez kümmerten sich um Sergio Busquets, wodurch die formative Überzahl der Katalanen im Mittelfeld neutralisiert und ihr Ballbesitzspiel nach hinten verlagert wurde. Sehr oberflächlich gesagt: Bayern spielte nicht mit 4-4-2 gegen 4-3-3, sondern mit einem 4-4-2-0 gegen ein 4-1-2-3; also einer Überzahl im ersten und einer Gleichzahl im zweiten Mittelfeldband.

Doch nicht nur die Bayern haben gegen Barcelona im 4-4-2-0 gepresst. Es gab auch einige andere Teams mit diesem Ansatz, doch nicht immer war diese Spielweise ein voller Erfolg. Man sieht: Auch die individuelle Qualität ist wichtig, ebenso wie das Timing. Sehen wir uns hierzu als Erklärung drei unterschiedliche Verläufe einer beispielhaften Szene an.

Szene 1

Szene 1

Die Bayern stehen in ihrem 4-4-2-0, Barcelona baut in einem 2-3-2-3 das Spiel auf. Xavi ist wegen des Deckungsschattens von Thomas Müller nicht anspielbar, Sergio Busquets wird von zwei Spielern flankiert. Barcelona muss aufbauen, als ob sie von einem Angriffspressing gestört werden – die Innenverteidiger haben aber dennoch alle Zeit der Welt am Ball. Ein interessantes Paradox, mit welchem Bayern jener formativen Streckung, die Barcelona über sich ergehen lassen musste, entging. Bayern stand dennoch hoch und hatte hinter dem Ball Überzahl.

Szene 2

Szene 2

Xavi befreit sich aus Müllers Deckungsschatten und bietet sich für den spielaufbauenden halbrechten Innenverteidiger an. Xavis Sichtfeld beschränkt sich auf hinten; wobei man das nicht so genau nehmen sollte. Sein direktes Sichtfeld, in welches er sofortige Pässe spielen kann, ist nach hinten; sein indirektes Sichtfeld hingegen, also sein Informationsstand über die Positionierung von Mit- und Gegenspielern im Raum, ist deutlich größer. Xavi weiß, wo sich Schweinsteiger befindet und Schweinsteiger weiß, dass Xavi das weiß. Daraus ergibt sich ein schönes Dilemma.

Szene 3

Szene 3

Schweinsteiger reagiert nun und rückt Xavi auf die Pelle. Er verfolgt ihn mannorientiert und Xavi nimmt in der Zwischenzeit den Ball an. Martinez ist etwas eingerückt, Gomez etwas tiefer, Müller stellt Busquets zu und die Mannschaft steht in einer kaum definierbaren Formation da. Es gibt jetzt drei mögliche Verlaufswege.

Szene 3.1a

Szene 3.1a

In diesem Szenario nimmt Xavi den Ball an und Schweinsteiger war beim Verfolgen, ob aufgrund physischer Ursachen oder wegen mangelnder Aufmerksamkeit, Reaktionsschnelligkeit oder Antizipation zu langsam. Xavi kann sich drehen, bevor er gepresst wird und hat das Sichtfeld nach vorne. Ein Spieler der Klasse Xavis kann einen schnellen und präzisen Pass auf den Rechtsaußen spielen.

Szene 3.1b

Szene 3.1b

Der Rechtsaußen hat mehrere hypothetische Optionen. Ein Abpraller auf den Flügel und eine Überladung desselben ist möglich, ebenso ein Pass zu Messi oder gar ein langer flacher Pass auf Busquets. Im weiteren Spielverlauf kann die Seite gewechselt und/oder der Raum „erobert“ werden. Ein paar Kurzpässe, Bayern müsste nach  hinten weichen und auf Schweinsteiger warten. Barcelona wäre höher positioniert und würde den Ball gegen eine desorganisierte Bayern-Mannschaft laufen lassen.

Szene 3.2a

Szene 3.2a

In diesem Szenario geht Schweinsteiger nun zu schnell nach vorne. Xavi nutzt sein Wissen um die Positionierungen der jeweiligen Spieler und dreht sich einfach um Schweinsteiger. Während Xavi problemlos dank seinem Schwung durch die Drehung schnell an Fahrt aufnehmen kann, muss Schweinsteiger erst stehen bleiben, sich drehen und nach hinten starten. Xavi kann nun den Raum infiltrieren oder einen Pass spielen.

Szene 3.2b

Szene 3.2b

Xavi rückt mit Ball am Fuß nach vorne auf.  Der Rechtsaußen ist in der Schnittstelle anspielbar, die Messi erweitert, oder er öffnet Raum für Alves. Schafft Bayern es diese Probleme zu neutralisieren, so ist dennoch Xavi am Ball und kann aufrücken. Messi unterstützt ihn, Iniesta kann einrücken – es entsteht eine 3:2-Stellung im Zwischenlinienraum. Keine gute Ausgangssituation, Martinez und Dante werden im Zuge ihrer eigenen situativen Manndeckungen ebenfalls taktisch komplex gefordert.

Szene 3.3a

Szene 3.3a

Im letzten Szenario macht Schweinsteiger alles richtig. Er rückt intelligent und rechtzeitig heraus, geht nicht zu voreilig mit dem Körper in den Zweikampf, sondern lässt Xavi den Ball annehmen und bedrängt ihn dann. Dadurch hat Xavi Probleme bei der Ballverarbeitung und kann sich nicht drehen. Sein direktes Sichtfeld bleibt nach hinten beschränkt, sein indirektes Sichtfeld verliert an Aktualität.

Szene 3.3b

Szene 3.3b

Xavi muss sich eine neue Position suchen. Eine Möglichkeit ist ein direkter Rückpass, eine andere eine Körpertäuschung und die Flucht in den freien Raum hinter Dani Alves.

Szene 3.3c

Szene 3.3c

Schweinsteiger nimmt die Verfolgung im Regelfall aber nicht auf. Theoretisch ginge es – Xavi würde gepresst werden und eventuell den Ball verlieren. Praktisch war dies aber unwahrscheinlich, dafür ist er zu gewieft und ein einfacher Pass nach hinten würde ihn befreien. Theoretisch wäre es auch möglich, dass dieser Pass nach hinten einen anschließenden Vertikalpass in die Lücke nach vorne und einen Schnellangriff Barcelonas, wie bei einem Konter, einleiten würde. Praktisch war dies aber unwahrscheinlich. Eher wurden solche Situationen vermieden, um nicht zu viel Chaos zu erzeugen, die Positionen und Kompaktheit zu wahren und keine schnellen Kurzpasskombinationen in den freien Raum zu ermöglichen. Schweinsteiger zieht sich also zurück, es entsteht ein ballorientiert verschobenes 4-4-2. Müller kann sich lose an Xavi orientieren, Gomez geht Richtung Busquets.

Fazit

Lose, zonale und situative Manndeckungen sind wieder in Mode. Aber nur selten gibt es sie im Kollektiv oder gar nur im Zentrum. Die Ursache dafür liegt in der gruppen- wie individualtaktischen Komplexität dieser Spielweise. Doch die Bayern zeigten gegen Barcelona, wie so etwas intelligent gespielt werden kann – doch dafür reicht nicht die alleinige Vorgabe einer solchen Spielweise, sondern auch die qualitativ hochwertige Umsetzung der Spieler und ein präziser Plan des Trainers. Jupp Heynckes selbst sprach von drei klar definierten Pressingzonen, die eingehalten werden mussten.

Der moderne Fußball ist so weit entwickelt, dass aufgrund der technischen Stärke der Spieler, der Analyse und der hohen Trainingszeit (Einstudieren von Automatismen, gegnerspezifischen Spielzügen, etc.) nicht nur die Offensive, sondern auch die Defensive immer komplexer wird. Ein technisch starker Spieler ohne die nötige Laufarbeit, Spielintelligenz oder Konzentration kann seine Räume oder Gegenspieler nicht kontrollieren. Ein Dauerläufer und Kämpfer benötigt ebenfalls die taktische Intelligenz, um vom Gegner nicht als Köder genutzt zu werden.

Auch deshalb sollte das Defensivspiel höher geschätzt werden. Das Offensivspiel wird von den meisten Fans (durchaus zu Recht) bevorzugt, weil es „schwieriger“ gilt. Es ist schöner anzusehen, weil man dafür mehr Fähigkeiten benötigt. Es sorgt für Bewunderung und Erstaunen. Doch auch im Defensivspiel gibt es solche herausragenden Fähigkeiten, die für „Oh“s und „Wow“s sorgen können.

Aktuell fehlt es wohl nur an der nötigen Aufmerksamkeit – obgleich Spieler wie Franco Baresi, Paolo Maldini oder Alessandro Nesta diese durchaus erfahren haben. Sie schafften den Spagat zwischen einer eleganten und von individueller Qualität geprägten Spielweise und einem destruktiven Defensivspiel. Diese Entwicklung im modernen Fußball darf gerne weitergehen; aktuell scheint das Offensivspiel vorne zu liegen.

Allgemeine Gegenmittel zur Offensivfluidität

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Was tut man, wenn der Gegner offensiv ohne feste Positionen spielt?

Zur Einstimmung auf das CL-Finale zwischen dem FC Bayern München und dem BVB hat Kollege TR einen Artikel zu Offensivfluidität geschrieben. Darin führt er die jeweiligen unterschiedlichen Offensivfluiditäten der gegnerischen Teams aus. Bei einer solchen Spielweise hat es der Gegner nicht leicht. Die Zuständigkeitsbereiche sind anders, die übliche Raumdeckung ist oftmals anfällig, weil man in bestimmten Zonen immer wieder in Unterzahl sein wird, während die eigene Überzahl in aus dem Spiel genommenen Räumen stattfindet.

Diese Fluidität in der Offensive ist ein in den letzten Jahren extrem wichtiger Faktor geworden. Der FC Barcelona unter Josep Guardiola, Real Madrid situativ unter José Mourinho oder eben die zwei Branchenprimen der deutschen Liga nehmen ihre Gegner oftmals durch dieses taktische Mittel auseinander. Dieser Artikel soll ein Dutzend allgemeine Punkte beleuchten, wie man dagegen vorgehen kann

1.       Verhindern der Entstehung von Offensivfluidität

„Zerschlagen, was noch gar nicht entstanden ist“ – so definierte der große Ernst Happel einst seine Spielphilosophie. Auch die Spitzenmannschaften der heutigen Zeit spielen auf diese Art und Weise. Gegen die Münchner versuchte beispielsweise der BVB besonders gerne die Defensive des Gegners von seiner Offensive abzugrenzen.

Dies wurde mit drei großen taktischen Mitteln umgesetzt: Die Mittelfeldspieler rückten nach vorne heraus und pressten die gegnerischen Sechser (Schweinsteiger und Martinez), wodurch diese zumeist den Ball schnell auf die Seite oder nach hinten spielen mussten. Eine Offensivfluidität in der Mitte konnte dadurch kaum entstehen.  Das Herausrücken führte außerdem zum Isolieren von bestimmten Spielern und Pärchen. Beim richtigen Herausrücken entsteht ein vergrößerter Deckungsschatten.

Bei einem 4-5-1 kann z.B. Ilkay Gündogan auf Bastian Schweinsteiger pressen. Allerdings presst er nicht nur, sondern kann bestimmte Passverbindungen kappen – zum Beispiel auf Franck Ribéry, der sich als verkappter Spielgestalter oftmals in die Halbräume positioniert. Damit dies effektiv wird, sollte Gündogan im Pressing unterstützt werden.

Das geschah zum Beispiel durch ein Rückwärtspressing von Lewandowski. Dieser stand oftmals in der Nähe von Martinez und übte Druck aus, wenn er den Ball erhielt. Der Baske musste auf Schweinsteiger spielen, der dann von Gündogan und Lewandowski angelaufen wurde. Letzterer nahm Martinez in seinen Deckungsschatten und kappte dadurch die Verbindung zwischen diesen beiden.

„Robert Lewandowski hielt sich nah am Münchner Sechser und bewegte sich zum Ball hin um ihn herum, sodass seine Verbindung zu den Innenverteidigern abgeschnitten wurde und er somit als Verbindungspunkt nach vorne fehlte. Kamen nun beispielsweise Pässe auf Schweinsteiger, rückt der Pole auf ihn nach und konnte Martinez dabei in seinem mitziehenden Deckungsschatten kaltstellen, wodurch auch die seitlichen Verbindungen des Spaniers abgeschnitten waren.“ – Zitat aus MRs Analyse zum Herbst-Spiel, dem 1:1

2.       Formative Veränderung und konsequente Überzahl in der Mitte im zweiten Drittel

In obigem Szenario wurde das Verhindern der Offensivfluidität beim Erklären der Umsetzung schon in einem hypothetischen 4-5-1 geschildert. Dieses 4-5-1 ist aber bereits eine eigene Variante potenzieller taktischer Mittel gegen eine gegnerische Offensivfluidität.

Durch die fünf Mann im zweiten Band wird der zentrale Raum enorm stark verengt. Es gibt einen „Sechser“ und zwei Halbspieler – im Gegensatz zur Raute (dem 4-3-1-2) haben sie aber kaum Verantwortungsbereiche auf den Flügeln, sondern eigentlich nur in den Halbräumen. Dadurch ist dieser Raum extrem verdichtet.

Zusätzlich hat die gesamte Formation nur drei Bänder, wodurch ein kompakteres Spiel leichter ermöglicht wird. Somit ist nicht nur die horizontale Kompaktheit enorm, sondern auch die vertikale. Es gibt kaum offene Räume in formativen Löchern (bspw. die offensiven Flügel bei einem 4-3-1-2) und die Akteure des Gegners tun sich durch die extreme Enge enorm schwer.

Formative Kompaktheit und Überzahl im Mittelfeld. Unterschiedliche Akteure können auf den hinterlaufenden Außenverteidiger herausrücken, dies kann auch unterschiedlich abgesichert werden. Zentral gibt es situative Mannorientierungen, der Mittelstürmer in der diagonalen Schnittstelle steht im Deckungsschatten.

Formative Kompaktheit und Überzahl im Mittelfeld. Unterschiedliche Akteure können auf den hinterlaufenden Außenverteidiger herausrücken, dies kann auch unterschiedlich abgesichert werden. Zentral gibt es situative Mannorientierungen, der Mittelstürmer in der diagonalen Schnittstelle steht im Deckungsschatten.

Wird die Offensivfluidität des Gegners weiterhin praktiziert, stößt er nämlich immer wieder in Engen, anstatt sich durch diese Offensivfluidität in freie Räume bewegen zu können. Diese werden bewusst, wenn überhaupt, auf den Außen angeboten – was den Gegner im Idealfall zu einer starreren und flügellastigen Spielweise zwingt, um zumindest in den Raum hinter den beiden Flügelstürmern zu kommen.

Im schlechtesten Fall wird natürlich der Raum hinter der Mittelfeldkette bespielt, falls die eigene Mannschaft die vertikale Kompaktheit nicht ordentlich praktiziert.

3.       Raumorientierte Spielweise im Verbindung mit Manndeckung

Als andere Alternative kann die Raumdeckung umgestellt werden. Viele Teams agieren mit einer positions- oder mannorientierten Raumdeckung. Bei der raumorientierten Raumdeckung verschieben enorm viele Spieler in Richtung des gerade aktiv bespielten Raums des Gegners. Dadurch kann man zwar im Idealfall eine extreme Kompaktheit in Ballnähe erzeugen, aber steht in anderen Räumen offen.

Bei einer hohen gegnerischen Offensivfluidität und einer eigenen defensiven wie tiefen Ausrichtung kann diese aber umgesetzt werden, weil der Gegner ohnehin selbst den Raum aufgibt, um in Ballnähe Überzahl zu haben. Diese wird bei einer raumorientierten Deckungsart gekontert. Allerdings muss dann beachtet werden, wie der Breitengeber des Gegners abgedeckt wird.

4.       Variables Übernehmen des Breitengebers

Das Abdecken des Breitengebers – also jenem Akteur, der dem Spiel die Breite gibt und dadurch Schnittstellen und Räume in der Mitte öffnet – kann gar als eigenes taktisches Mittel gespielt werden. Agiert der Gegner zum Beispiel ausschließlich mit den gleichen Breitengebern im letzten Spielfelddrittel, also immer dem Außenverteidiger, dann kann dieser von einem Manndecker verfolgt werden. Dadurch werden die eigenen Außenverteidiger frei, um extrem eng an den Innenverteidigern zu agieren. Damit können die Schnittstellen versperrt werden.

Alternativ können auch die Außenverteidiger oder gar der eigene Flügelstürmer sehr eng manndeckend an den freien Offensivspielern des Gegners agieren; der jeweils andere gliedert sich in die Viererkette ein und übernimmt dann das Pressen des Breitengebers, also dem hinterlaufenden Außenverteidiger.

Auf Außen gibt es einen festen ballnahen Manndecker, es entsteht eine 4-4-1(+1)-Situation. Freie Spieler gibt es ballfern und in der Abwehrkette. Alternative Manndeckungszuteilungen bedeuten unterschiedliche freie Spieler.

Auf Außen gibt es einen festen ballnahen Manndecker, es entsteht eine 4-4-1(+1)-Situation. Freie Spieler gibt es ballfern und in der Abwehrkette. Alternative Manndeckungszuteilungen bedeuten unterschiedliche freie Spieler.

Gegen die Bayern ist dies jedoch schwerer zu praktizieren, weswegen der BVB es auch nicht tat – die Münchner spielen nämlich mit diagonalen und „vorderlaufenden“ Außenverteidigern, desweiteren überladen sie auch Flügelzonen mit dem Mittelstürmer enorm gut.

5.       Konterfluidität

Eine weitere Alternative um Offensivfluidität zu bespielen, ist das taktische Mittel Defensivfluidität. Klingt komisch, ist aber so. Was ist aber die Defensivfluidität eigentlich? Im Endeffekt ist es die freie Bewegung der Defensivspieler, die problemlos auf andere Positionen rücken oder jeweils auf unterschiedlichen Positionen und gegen unterschiedliche Gegenspieler agieren können. Dies kann zum Beispiel durch Manndeckungen gegen einen offensivfluiden Gegner geschehen oder durch eigene Positionswechsel.

Ein Beispiel dafür ist die fluide Dreifachsechs. Im Mittelfeld gibt es dann drei defensive Spieler im Zentrum, die bei gegnerischem Ballbesitz allerdings keine feste Position haben. Je nach gegnerischer Bewegung können sie zwischen einer flachen Drei, einer 1-2 oder einer 2-1-Formation variieren, sie können flexibel auf den Ballführenden herausrücken und die verbliebenen Akteure unterstützen oder sichern ab.

Ein Negativbeispiel: Einer der Sechser denkt sich: "Huch, der gegnerische Sechser steht aber frei" und rückt heraus; der andere rückt nach und deckt die freie Passoption ab. Allerdings kann der Gegner hier jetzt eine schnelle Überzahl herstellen.

Ein Negativbeispiel: Einer der Sechser denkt sich: „Huch, der gegnerische Sechser steht aber frei“ und rückt heraus; der andere rückt nach und deckt die freie Passoption ab. Allerdings kann der Gegner hier jetzt eine schnelle Überzahl herstellen.

Bei einer Fluidität in der Defensive und bei gegnerischem Ballbesitz ergeben sich gewisse Probleme: Bei schwacher Bewegung entstehen Löcher, es erfordert eine enorme Spielintelligenz und es ist eine instabile Spielweise, wenn sie nicht ordentlich geplant wird. Auch darum wird diese Spielweise kaum praktiziert.

6.       Das Raumfressen

Ein komplexeres taktisches Mittel ist das „Raumfressen“: Dieser blumige Begriff passt dabei sehr gut auf die Spielweise. Bei der Offensivfluidität wird versucht, in offene Räume zu kommen. Beim Raumfressen wird dies zwar erlaubt, aber die Effektivität dieses Raumes wird zerstört, indem der gegnerische rauminfiltrierende Lauf in seiner Ausführung behindert wird.  Dies kann entweder durch ein Leiten des Laufes in ungefährliche Zonen passieren oder das Verändern der eigenen formativen Stellung, um den vom Gegner kontrollierten Raum in seiner Beschaffenheit zu verändern.

Klingt kompliziert, ist aber einfach. Ein Beispiel: Der rechte Flügelstürmer rochiert in die Mitte und empfängt den Ball in der Schnittstelle zwischen den beiden Sechsern. Theoretisch könnte man ihn nun einfach pressen und Druck entfachen. Beide Sechser könnten herausrücken, würden aber den Zwischenlinienraum öffnen. Beim „Raumfressen“ wird aber eine Passoption versperrt und nur ein Akteur presst den Ballführenden. Das Pressing ist aber nicht aggressiv, sondern soll ihn in ungefährliche Zonen leiten, beispielsweise auf die Außenbahn.

Gleichzeitig rückt der eigene Außenstürmer in Richtung Mitte und versperrt die Schnittstelle, öffnet aber den Raum auf der Seite. Aus der aussichtsreichen Position mit der Option auf einen offenen Zwischenlinienraum oder schnelle Kurzpasskombinationen wurde der Angriff fast unmerklich auf dem Flügel abgelenkt, wo der Gegner einfacher gepresst und auch isoliert werden kann.

Der halblinke Sechser/Achter agiert sehr passiv und leitet den Genger in die Mitte. Die anderen Spieler sind bereit zum Infiltrieren des Zwischenlinienraums, doch die blauen Pacmans fressen den Raum.

Der halblinke Sechser/Achter agiert sehr passiv und leitet den Genger in die Mitte. Die anderen Spieler sind bereit zum Infiltrieren des Zwischenlinienraums, doch die blauen Pacmans fressen den Raum.

Sie stehen nun tiefer, die Schnittstellen sind geringer, der Zwischenlinienraum kaum noch existent. Der Ballführende wird nun stärker attackiert.

Sie stehen nun tiefer, die Schnittstellen sind geringer, der Zwischenlinienraum kaum noch existent. Der Ballführende wird nun stärker attackiert.

 

Weil der Ballführende gleich den Ball abspielt oder sich eben schon im ineffektiven Raum befindet, kann der Achter zurückkehren, die Mitspieler machen Platz. Die Schnittstellen waren immer zu, der Gegner hat außerdem Raumverlust erfahren. Das Kollektiv der Blauen kann übrigens auch einfach herausrücken und dem zurückkehrenden Achter entgegengehen. Dann haben sie sogar Raumgewinn.

Weil der Ballführende gleich den Ball abspielt oder sich eben schon im ineffektiven Raum befindet, kann der Achter zurückkehren, die Mitspieler machen Platz. Die Schnittstellen waren immer zu, der Gegner hat außerdem Raumverlust erfahren. Das Kollektiv der Blauen kann übrigens auch einfach herausrücken und dem zurückkehrenden Achter entgegengehen. Dann haben sie sogar Raumgewinn.

7.       Isolation und Abgrenzung

Das Isolieren kann ebenfalls als alleiniges taktisches Mittel praktiziert werden. Dies ist nicht so einfach: Wie isoliert man sich frei bewegende Akteure voneinander? Mit etwas Vorbereitung ist das praktikabel. Auch die fluiden Bewegungen starten aus einer Grundposition heraus. Bei der Ballannahme können die Akteure voneinander isoliert werden; es folgt ein Rückpass oder die Suche nach Raum.

Rücken sie zusammen, dann wird das Isolieren durch das Zustellen von Passwegen solange praktiziert, bis die Gegner enorm eng stehen; danach können sie sich in diesem engen Raum den Ball zuschieben, aber haben keine Option, um den kompakt zusammengeschobenen Block vor sich zu umspielen. Auch Seitenwechsel sind kaum möglich, weil die Möglichkeit von mehreren Kurzpässen über die Mitte auf die Seite durch das Zusammenziehen kaum umsetzbar ist. Es muss also ein Rückpass oder ein langer Ball erfolgen, um in den offenen Raum zu kommen.

Die praktische Umsetzung der Isolation ist ebenfalls einfacher, als man glaubt. In einem tiefen 4-5-1 können die Halbspieler jeweils die Passwege auf den zentralen Verbindungsgeber verhindern. Rückt der Außenstürmer dann mit Ball am Fuß in die Mitte wird der Passweg solange versperrt, bis es aufgrund der Nähe nicht mehr möglich ist. Hier kann mit harmonischen und koordinierten Bewegungen der Gegner bei seinen Anbietbewegungen aus der eigenen Formation geworfen worden. Anstatt dass dann ein Kurzpass in den Zwischenlinienraum erfolgt, kommt er plötzlich vor 2 oder mehr Gegenspieler. Womit wir wieder beim Raumfressen wären.

Überlädt der Gegner aber bereits vor der Ballannahme eine bestimmte Zone, so kann der freigewordene Spieler, sei es einer aus der Mitte oder ein Außenspieler (der Außenverteidiger übernimmt den Breitengeber), dank seiner räumlichen Befreiung ebenfalls den Raum. Hier wären wir wieder bei Punkt 3 und auch Punkt 4.

8.       Fokus auf die maximale Kompaktheit

Die klassische Spielweise gegen eine fluide Mannschaft dürfte aber wohl die „Einfachste“ sein: So kompakt wie möglich bleiben und sich nicht beirren lassen. Eine positionsorientierte Raumdeckung im 4-5-1 oder 4-4-2 mit enormer horizontaler und vertikaler Kompaktheit. Dabei wird ein hoher Fokus auf das horizontale ballseitige Einrücken zum Ball gelegt und eine enorme Enge im Zwischenlinienraum. Der Ballbesitz würde wohl dem Gegner überlassen, es gäbe aber eine hohe Stabilität.

9. und 10.       Hohe Proaktivität oder Passivität?

Dieser Punkt beschreibt die Wahl zwischen zwei Extremen im individual- und gruppentaktischen Verhalten. Um die Offensivfluidität zu neutralisieren, kann einerseits mit enormer Proaktivität gespielt werden: Die Akteure in Abwehr und Mittelfeld rücken viel heraus, übernehmen situative Manndeckungen, belauern Passwege oder überladen Zonen instinktiv, bevor der Ball hinkommt. Der Gegner soll dadurch zwar fluide spielen, aber bei Ballannahmen, Rochaden oder Kombinationen werden sie sehr früh und sehr aggressiv gepresst. Eine solche Spielweise praktizieren die Dortmunder immer wieder erfolgreich, beispielsweise beim Herausrücken der Mittelfeldspieler nach vorne oder dem Herausrücken der Innenverteidiger in den Zwischenlinienraum, um Passempfänger dort vorzeitig zu stören.

Das andere Extrem wäre eine enorme Passivität im Zweikampf, wie es Chelsea phasenweise praktizierte. So soll zum Beispiel auch Guus Hiddink im Jahre 2009 bei Chelsea gegen den FC Barcelona „befohlen“ haben, nicht zu grätschen, individualtaktisch nicht aggressiv zu pressen und sich so weit wie möglich zurückzuhalten, bis man die ideale Möglichkeit vorfindet. Durch das passive Mitverfolgen des Ballführenden, ist das Isolieren von Passoptionen und das Leiten von Läufen einfacher. Es erhöht die Stabilität, auch wenn es den eigenen Raum aufgibt.

11.   Zonale Manndeckungen

Eine weitere, klassischere Option ist die zonale Manndeckung. Hier könnten in bestimmten Zonen jeweils Manndeckungen übernommen werden. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine eher merkwürdige Antwort auf die gegnerische Offensivfluidität. Die Überzahl wird nicht neutralisiert, doch es ergeben sich interessante Dynamiken im Pressing. So wird der fluide Spieler beim Anbieten – hier also ohne Ball – immer von einem nahen Gegenspieler lose manndeckend übernommen. Wieso lose?

Spielt man das aggressiv, entstehen zu große Lücken. Wird es aber lose gespielt, so rückt man nur etwas heraus. Im Endeffekt wird dadurch eine Pressingfalle aufgebaut: Der rochierende Spieler ist anspielbereit, aber kann sofort dynamisch gepresst werden. Gleichzeitig kann der Pass auf diesen Gegenspieler als Mechanismus für die eigene defensive Organisation dienen. Kommt der Pass, so rückt der zuständige Spieler nicht nur ein bisschen, sondern nun gänzlich heraus und presst.

Die anderen Spieler lassen sich je nach Ausrichtung entweder fallen und sichern den offenen Raum ab, oder orientieren sich ebenfalls als aggressive Manndecker an Gegenspieler in ihrem Zuständigkeitsbereich. Idealerweise kann sich der Gegner nicht ordentlich nach vorne drehen, aber seine nahen Anspielstationen sind versperrt und er muss nach hinten spielen oder verliert den Ball.

Hier sehen wir die räumlichen Zuteilungen. Kommt ein Spieler in den Raum, orientiert man sich lose mannorientiert an ihm.

Hier sehen wir die räumlichen Zuteilungen. Kommt ein Spieler in den Raum, orientiert man sich lose mannorientiert an ihm.

Beim Pass greift der Mechanismus. Sofort wird Druck entfacht und die Passoptionen sind ebenfalls verstellt.

Beim Pass greift der Mechanismus. Sofort wird Druck entfacht und die Passoptionen sind ebenfalls verstellt.

12.   Der Libero und die Manndecker

Die letzte Möglichkeit wäre es, wenn es im „fluiden“ Raum einfach eine Vielzahl von Manndeckern mit einigen Raumdeckern gibt. Im Mittelfeld gäbe es dann einen Mittelfeldlibero, einen oder zwei „klassische Liberos“ (soll heißen: Die Innenverteidiger agieren ohne Zuteilung) in der Abwehr und der oder die Stürmer als rückwärtspressende Unterstützer. Die Fluidität wird neutralisiert, das Überladen von Räumen verhindert, die Raumdecker können mit ihrer Spielintelligenz gezielt absichern oder unterstützen. Einfach, aber unter Umständen sehr effektiv.

Ballbesitz – Ein taktiktheoretischer Diskurs

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Der Ballbesitz ist als Philosophie überbewertet, als Mittel aber unterbewertet.“

In einer unserer täglichen Diskussionen über Fußball ließ Kollege MR, der mit TR kompetenteste Fußballexperte, den ich kenne, diesen Nebensatz fallen. Beiläufig, gelangweilt. Doch er ist mir lange Zeit im Gedächtnis geblieben, weil er perfekt umschreibt, was ich mir seit Jahren denke und was sich in den letzten 3-4 Jahren verfestigte: Im Fußball wird nicht „zu defensiv“ gedacht, sondern zu sehr im Rahmen der Defensive. Offensivstrategien sind oftmals nur grob existent, es werden einzelne Abläufe und Spielzüge einstudiert, aber nicht situationsorientierte und veränderbare Grundideen instrumentalisiert.

Der Ballbesitz wird aber von einigen Trainern propagiert, unter anderem Louis van Gaal oder eben Josep Guardiola. Seit insbesondere der Letztere und seine große Barcelona-Mannschaften in den Fokus geraten ist, gibt es ein neues In-Wort unter Fußballfans: „Ballbesitzfußball“, „possessionplay“. Damit bezeichnet man die Philosophie, den Ball in den eigenen Reihen zu halten und geordnet anzugreifen.

Selten wurde etwas Einfaches dermaßen überschätzt und selten wurde die Tragweite von etwas Simplem so übersehen. Jede Mannschaft spielt Ballbesitzfußball – dann, wenn sie nicht kontern konnte und konstruktiv den Angriff aufbauen muss. Das Problem ist, dass lange Zeit nur wenige Teams konstruktiv aufbaute, sondern einfach versuchte zu flanken oder einen bestimmten Spieler anzuspielen.

Schon vor 20-30 Jahren begann die Entwicklung zu einem geplanten Offensivspiel. Wirklichen Einzug in das Bewusstsein des Sesselanalysten hielt sie aber erst im modernen Zeitalter der Globalisierung, der einfachen Zugänglichkeit von Massenmedien, der schnellen Informationsverarbeitung und –vermittlung. Angetrieben durch den neuen Bayerntrainer, welcher mit dem extremen Ballbesitzfokus diese Spielkomponente sichtbarer werden ließ und den Fokus im Angriffsspiel auf solche grundlegenden Aspekte wie Raum, Dynamik und Zeit legte.

Die wahre Bedeutung des Ballbesitzfußballs

Ballbesitzfußball wird immer mit sich selbst gleichgesetzt: Jede Mannschaft mit Fokus auf Ballbesitz gilt als äquivalent zu einer anderen. „Man spielt auf Ballbesitz“. Eine simplifizierende Vereinfachung – und ein fataler Fehler.

Um die Unterschiede zu erklären, hole ich ein bisschen aus. Eine ballbesitzorientierte Mannschaft hat zumeist 55-80% Ballbesitz. Sie hält den Ball also viel länger in ihren Reihen und sie spielen auch anders nach vorne als die klassischen Fußballteams. Viele Teams versuchen nämlich nach dem Ballgewinn viel Raum zu überbrücken und schnelle Abschlüsse zu generieren.

Doch bei den auf Ballbesitz fokussierten Mannschaften werden offensive Umschaltmomente teilweise aufgegeben, der Gegner kann dann seine Ordnung herstellen und zuerst wird nach hinten gespielt. Dieser Aspekt ist oftmals das Ziel von Kritik. Der Gedanke, dass der Ball nach Ballgewinnen so schnell wie möglich vor das gegnerische Tor kommen soll, ist noch sehr dominant. Wenn der Gegner tief steht, kann man – so hört man es oft – ja gar nicht zum Erfolg kommen. Dabei hat die Aufopferung der direkten Nutzung der Umschaltmomente auch sein Positives.

Nicht nur der Gegner kann seine Ordnung herstellen, sondern auch man selbst. Eine Mannschaft, die ihre offensive Ordnung herstellen kann, verfügt über einige Vorteile. Sie kann planen, sie kann einstudierte Abläufe testen, sie kann den Moment, den Raum und gar die genaue Situation ihrer Angriffe bestimmen. Durch dieses gefächerte Arsenal an Offensivoptionen entsteht eine höhere Variabilität in den unterschiedlichen Schemen und grundlegenden Abläufen. Diese Variabilität gilt es zu definieren, um sie analytisch betrachten und vergleichen zu können.

Oftmals wird der Ballbesitz in einen „defensiven“ und „offensiven“ Ballbesitz unterteilt. Diese Verteilung ist ziemlich griffig und logisch. Es geht um die Motivation der Ballzirkulation – will ich den Ball haben, um dann angreifen zu können, oder will ich den Ball haben, damit der Gegner nicht angreifen kann? Diese Differenz sorgt dann für Unterschiede im Risikoverhalten und in der Höhe der Ballzirkulation.

Aber diese Unterscheidung ist viel zu einfach. Sie bietet zwar einen systemphilosophischen und taktikpsychologischen Einblick, jedoch keine Erklärung über die genauen taktischen und strategischen Vorgänge in Ballbesitz. Alternativ könnte der Ballbesitz nicht nur in „offensivorientiert“ und „defensivorientiert“ klassifiziert werden; ein „penetrierender“ (beispielsweise bei Kontermannschaften), ein „zirkulierender“ (die aktive Suche nach Lücken wie bei Barcelona) und ein „abwartender“ Ballbesitz (passive Suche nach Lücken, auf Sicherheit bedacht, oftmals mit Einzel- statt Teamaktionen in den penetrierenden Aktionen) wären taktiktheoretisch ebenfalls passende Synonyme.

Doch selbst eine vergrößerte Kategorisierung in „offensiv/penetrierend“ , „neutral/zirkulierend“ und „defensiv/abwartend“ kaschiert die Mängel dieser Definition nur wenig.

Wie bespiele ich meinen Gegner?

Vielmehr sollte auf die unterschiedlichen Abläufe in der Angriffsbespielung geachtet werden. Hier folgt es eine Definition und versuchte Übersicht über die Varianten, wie ein Angriff ausgespielt werden kann.

  • Überzahlerzeugend

Grundprinzip: In bestimmten Räumen oder um bestimmte Spieler wird versucht eine Überzahl zu erzeugen, damit diese Zone kontrolliert werden kann. Aus diesen Räumen kann dann durch die Überzahl in andere Räume kombiniert oder Angriffe direkt eingeleitet werden.

Beispiel: Lionel Messis Zurückfallen aus dem Neunerraum. Manchmal geht er nur in den Zwischenlinienraum oder in den Zehnerraum, manchmal lässt er sich aber eher nach rechts oder in den Sechserraum fallen. Je nach Gegner, Situation und Gegenmaßnahmen gegenüber Messi gibt es hier unterschiedliche Räume, meistens ist aber das Ziel die Erzeugung von Überzahl im Zentrum, um den strategisch wichtigsten Punkt zu kontrollieren.

  • Raumorientiert/-attackierend

Grundprinzip: Bei dieser Spielweise versucht man Raum zu öffnen und diesen bespielen zu können. Dort können dann entweder Pässe hindurch gespielt oder Dribblings gefahren werden.

Beispiel: Bei einer mannorientierten Spielweise der Innenverteidiger kann sich beispielsweise der Mittelstürmer zurückfallen lassen, um ein Loch zu öffnen. Der Außenstürmer kann dann diagonal in die Mitte ziehen, wo er Lochpässe empfangen kann. Auch raumöffnende Läufe bei Alleingängen sind möglich, sh. dieses vereinfachte und weniger kollektive Beispiel von Jermaine Defoe oder auch Andrés Iniesta.

  • Schwachpunktfixiert

Grundprinzip: Es wird ein Schwachpunkt, ein gewisser taktischer Mechanismus oder ein bestimmter Spieler ausgemacht, der dann bespielt werden muss. Dies kann wiederum auf unterschiedliche Art passieren, „rein schwachpunktfixiert“ wäre das Improvisieren von Angriffen, lediglich die Angriffsrichtung wird vorgegeben.

Beispiel: Ein langsamer Verteidiger soll andauernd mit Dribblings oder Lochpässen attackiert werden oder ein individuell enorm schwacher Spieler des Gegners soll. In gewisser Weise versuchte Sir Alex Ferguson dies mit Positionswechseln von Cristiano Ronaldo (bzw. einer positionellen Freirolle) von Spiel zu Spiel oder auch gegen die Bayern 2009/10 mit Nani vs. Badstuber und vielen Dribblings zu provozieren.

  • Einzelspielerfokussiert

Grundprinzip: Im Offensivspiel werden einer oder mehrere bestimmte Spieler gesucht, die dann mit ihren Fähigkeiten den Unterschied ausmachen sollen. Dies dürfte wohl die bekannteste Form des Ballbesitzspiels sein. Im Zweifel wird dann einfach ein Pass auf Spieler X gespielt; dieser soll dann durch Dribblings, Weitschüsse oder Kreativität im Passspiel für einen erfolgreichen Angriffsverlauf sorgen.

Beispiel: Das treffendste Beispiel der Fußballgeschichte dürfte Diego Maradona sein. Der kleine Argentinier hatte zumeist eine Freirolle, rückte dann je nach Lust und Laune in die Spitze auf und war zeitweise Mittelstürmer, ließ sich auf die Seite fallen und wurde zum Außenstürmer, instruierte das Spiel aus der Zehner-Position als Nadelspieler und klassische Zehn oder ließ sich in den Sechserraum fallen und organisierte den Angriff bereits aus der Tiefe heraus. Ziel der Mannschaft war es, ihm den Ball zu geben und sich danach einfach freizulaufen.

  • Positionswechselorientiert

Grundprinzip: Bei diesem Angriffsstil wird durch den Tausch von Positionen Chaos in der gegnerischen Abwehr erzeugt und oftmals werden im Zuge der Positionswechsel Pärchen oder Dreiecke gebildet, die kurz bespielt werden können. Die Mannschaft ist durchgehend in Bewegung, Manndeckungen können sich hier nur schwer halten, weil durch die kurzen Engen Verwirrung der Zuordnungen entstehen und bei den Positionswechseln auch der Manndecker seine ursprüngliche Zone verlassen müsste, was zumeist kontraproduktiv ist. Man stelle sich vor, beim Gegner gibt es einen Positionstausch von Zehner und Libero (früher oft Gang und Gäbe), wodurch der eigene (klassische) Mittelstürmer sich plötzlich im eigenen Sechserraum wieder findet, während der defensivstarke Sechser vorne herumscharwenzelt und bei Kontern die erste Anspielstation geben soll.

Beispiel: Insbesondere die niederländische Nationalmannschaft der 70er und Ajax Amsterdam prägten diesen Spielstil. Sie wechselten zumeist entlang der vertikalen Linien, einige Male aber auch entlang der Horizontalen. Der FC Barcelona macht dies in kleinerem Ausmaß entlang anderer Linien und teilweise nur bei bestimmten Spielern. Im modernen Fußball ist es aber ohnehin eher ein „positionssicherndes“ oder „staffelungerzeugendes“ statt „positionswechselndes“ Spiel geworden. Das moderne Positionsspiel handelt meistens vom Verlassen von Räumen und der Absicherung dieser verlassenen Räume im Sinne der Raumverknappung. Die hohe Effektivität der Positionswechsel, welche die großen „totaal-voetbal“-Mannschaften der 70er vor- und ausmachten, ist in Zeiten der Raumdeckung geringer geworden.

  • Gegnerziehend

Grundprinzip: Das Herstellen der Kompaktheit in Ballnähe des Gegners wird genutzt, um dadurch auf einfache Art und Weise Räume zu erzeugen. Beim Pressing, insbesondere in der eigenen Hälfte, versucht eigentlich jede Mannschaft um den Ball herum eine Überzahl herzustellen. Zumeist schieben die umliegenden und ballfernen Akteure nach, es entstehen lokale Kompaktheiten. Innerhalb dieser können aber Lücken entstehen, die der Gegner nutzen kann – oder sie entstehen eben ballfern.

Beispiel: Das wohl beste Beispiel ist ein Nadelspieler wie Iniesta oder ein Superstar wie Lionel Messi. Iniesta hält einfach den Ball lange und verzögert sein Abspiel, bis sich gewisse Mini-Freiräume für seine Mitspieler in Ballannahme und -verarbeitung auftun. Messi wird oftmals ohnehin mit losen Manndeckungen oder veränderten Zuständigkeitsbereichen stärker eingeengt, wodurch die Mitspieler naturgemäß etwas freier sind.

  • Pressingprovozierend

Grundprinzip: Ist eine Mannschaft nicht im Stande oder will sie nicht den Ball wirklich für einen konstruktiven Angriff nutzen, so kann sie durch eine tiefe Ballzirkulation das gegnerische Pressing provozieren, um sich dadurch Räume zu schaffen, die sie anderweitig, aus welchen Gründen auch immer (mangelnde raumöffnende Strategien, extreme Kompaktheit beim Gegner, Unterzahl bei eigenen Angriffen) nicht erhalten. Hat der Gegner eine riskante Pressingstrategie, können auf diese Art und Weise auch formative Löcher bespielt werden.

Beispiel: Manuel Neuers raumgreifende lange Bälle machen im Prinzip genau das. Die Münchner bringen ihn bei hohem Pressing des Gegners ins Spiel, lassen den Ball kurz zirkulieren und Neuer kann dann mit einem langen Ball offene Räume bespielen. Auch die Dortmunder mit Mats Hummels‘ langen Bällen sind dazu im Stande. Es dürfte eine der intuitivsten und einfachsten Strategien sein.

  • Balldynamisch

Grundprinzip: Hier wird die technische Stärke der Spieler für schnelle Kurzpässe mit nur einer Ballberührung genutzt. Indem die Spieler dynamisch ein Dreieck herstellen und dieses extrem schnell bespielen, können sie mehrere Pässe sofort aneinanderreihen und einen Raum problemlos umspielen, ohne dass der Gegner überhaupt Zugriff erhält. Im Endeffekt wird hierbei nur die einfache Tatsache genutzt, dass der Ball einen deutlich stärkeren Antritt und eine unbegrenzte Geschwindigkeit haben kann, der Mensch jedoch nicht; nur oft haben diese Menschen auch nicht die nötige Technik für ein solches Ballbesitzspiel.

Beispiel: Der FC Barcelona praktiziert dies in sehr engen Räumen oder bei hohem gegnerischen Pressing, in welchem die längeren Anspielstationen blockiert sind bzw. eine Gruppe von Spielern isoliert wurden. Sie versuchen mit nur einem Kontakt und sehr scharfen Pässen die Gegner zu umspielen, obwohl diese rein theoretische Zugriff auf die jeweiligen Akteure hätten. Doch bis sie die letzten 1-2 Schritte machen, ist der Ball schon beim nächsten Spieler und mit ein paar Pässen kann das Pressing ausgehebelt werden.

  • Spielzugserzeugend

Grundprinzip: In Ballbesitz wird versucht, dass man gewisse Abläufe abspult bzw. abspulen kann. Der Vorteil liegt darin, dass diese im Training konstant eintrainiert werden können, wodurch sie gelegentlich etwas effektiver sind. Nachteilig ist die extreme Fokussierung auf solche Sachen, da sie zu Starrheit und Berechenbarkeit führen kann.

Beispiel: Oftmals sind Flankenangriffe auf diese Weise organisiert. Bestimmte Bewegungen in den Halbräumen sollen die Pass- und Laufwege auf dem Flügel öffnen, die raumöffnenden Akteure ziehen dann gar selbst in die Mitte und sind dann zusätzliche Abnehmer dieser Flanken. Michael Ballacks Kopfbälle nach Willy Sagnols Halbfeldflanken sind unter Bayernfans heute noch berüchtigt.

  • Gegenpressingvorbereitend

Grundprinzip: Ballbesitz? Hmm. Nicht so prall. Lieber nochmal einen Umschaltmoment erzeugen. Hier wird mit langen Pässen oder absichtlichen Ballverlusten ein Kampf um zweite Bälle erzeugt bzw. Gegenpressing gespielt, um daraus dann anzugreifen. Der Gegner rückt oftmals nicht ordentlich zurück oder zu früh auf, wodurch sich einfache Räume auftun. Werden solche Ballverluste geplant, kann man sie natürlich auch einfacher und konstanter gewinnen, indem man sich vorzeitig strategisch richtig positioniert.

Beispiel: Unter Guardiola arbeitete gelegentlich der FC Barcelona mit solchen Mitteln, aber auch die Dortmunder oder viele schwächere Teams kommen extrem über ihre Fähigkeiten im Spiel gegen die zweiten Bälle. Auch bei Abstößen kann das Grundprinzip sehr gut gesehen werden: Die Teams ballen sich in einer Zone, wohin ein langer Ball kommt, während ballfern schon Spieler bereit stehen, um in mögliche Lücken stoßen zu können.

Sonst noch?

Eine Kategorisierung und Definition aller möglichen (Teil-)Varianten ist natürlich nicht möglich. Es wird immer neue Ideen und Varianten geben, immer entstehen neue Verbindungen oder es ergeben sich durch die Umstände des modernen Fußballs extreme Situationen. Ein Beispiel wäre Mourinhos Inter im Rückspiel gegen den FC Barcelona 2009/10, als sie letztlich „ballbesitzverlierend / umschaltmomentaufgebend / angriffsverzichtend“ spielten.

Weitere Sachen, die oft vernachlässigt werden, sind die psychologischen Varianten des Ballbesitzspiels, wo der Gegner durch den andauernden Ballbesitz in sicheren, aber pressingnahen Zonen frustriert wird. Dies gehört nicht zum Angriff und der Variante selbst, ist aber eine Art der Anwendung von Ballbesitz, die über den bloßen Angriff herausgeht. Besonders bei Rückständen ist dies taktikpsychologisch von großer Bedeutung, wenn gegen ein 0:1 gespielt werden muss, der Gegner sich aber partout kurz vor der Mittellinie den Ball zuschiebt und sofort jene Räume bespielt, die sich öffnen, wenn man zum Pressing übergehen möchte – womit wir wieder bei einer der obigen Strategien wären.

Doch auch innerhalb dieser verschiedenen Typen ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten; nicht nur in der Umsetzung, sondern auch philosophisch. Kollege MR kategorisierte beispielsweise Mannschaften in der Offensive nach „Schablonen, Muster und Improvisation“; manche Teams haben eine Angriffsschablone und verfolgen diese durchgehend. Teams, die quasi als Muster spielen, orientieren sich an der Schablone, verändern diese aber durchgehend, passen sie an und äffen nicht die Bewegungen aus dem Training nach, sondern wissen um das grundlegende Prinzip hinter diesen Bewegungen, was ihnen Variabilität ermöglicht. Bei der Improvisation fehlen einfach die Abläufe und die Spieler versuchen auf sich alleine gestellt solche instinktiv zu erzeugen.

Neben den grundlegenden Varianten hinter den einzelnen Kategorien spielt natürlich auch die Intelligenz der Umsetzung eine Rolle. Der Ballbesitz kann wie der „Kick and Rush“ als „percentage football“ aufgebaut werden. Soll heißen: In Zonen, wo der Gegner enorm kompakt steht, individuell oder gruppentaktisch überlegen ist, wird der Ballbesitz schnell weiterzirkuliert, in der Offensive werden diese Räume gemieden. Stattdessen konzentriert man sich auf gegnerische Schwachpunkte, in diesem Räumen werden immer wieder Pässe gespielt und Dribblings versucht; womit wir wiederum bei einer der obigen Varianten und einem primären Fokus wären.

Fazit

Wie man sieht, gibt es unterschiedliche strategische Vorgehensweisen in Ballbesitz. Der Ballbesitz als Philosophie ist eher eine Richtlinie, viel Ballbesitz zu haben und den Umschaltmoment aufzugeben; aber es bedeutet nicht, dass in Ballbesitz schön oder geplant gespielt wird. Zwar geht dies oft Hand in Hand, weil sich Trainer mit einem gewissen Hauch von „Ballbesitzphilosophie“ natürlich darüber Gedanken machen, was sie mit dem Ballbesitz anfangen wollen.

Aber es gibt auch Trainer, die weniger philosophisch und stattdessen eher pragmatisch angehaucht sind, die dennoch ihre Mannschaften hervorragend in Ballbesitz ausrichten und sie mit unterschiedlichen Ausrichtungen auf hohem Niveau angreifen lassen. Ein gutes Beispiel dafür ist Lucien Favre. Als Trainer von Borussia Mönchengladbach lässt er eher einen konservativen und defensiv angehauchten Fußball spielen: Tiefes Pressing, Passivität in der gegnerischen Hälfte, konservative Positionsauslegung in der Offensive auf Schlüsselpositionen (Sechser, Außenverteidiger) und einen hohen Fokus auf den Umschaltmoment.

Doch wenn der Umschaltmoment aufgegeben wird, dann verbindet Favre oft mehrere grundlegende Aspekte des Ballbesitzfußballs. Es gibt raumöffnende Bewegungen, um Spielzüge erzeugen zu können, man versucht mit einer tiefen Ballzirkulation Pressing zu provozieren und diese Lücken mit extremer Dynamik im Kombinationsspiel zu kombinieren. Auch bestimmte gegnerische Aspekte im Defensivspiel werden bespielt, wie es Favre gegen die Bayern mit ihrem mannorientierten Gegenpressing tat.

Aber oftmals werden solche Sachen schlicht und ergreifend nicht beachtet. Es gibt einzelne Spielzüge, einen Fokus auf Einzelspieler bei sich selbst und beim Gegner, jedoch nur wenige kollektive Aspekte. Ein Umstand, der sich in Zukunft ändern sollte.

Was bedeutet „falsch“ in der Taktik? | ein Diskurs

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Falsche Neun, falsche Sechs, falsche Eins, falsche Fuffziger, falscher Trainer, falsche Diskussion.

Im Fußball hört man immer wieder den Begriff „falsch“, oftmals wird er auch als Modewort verwendet und dient noch öfter als übertriebene Kritik und Satire an den zahlreichen Taktikbloggern dieser Erde. Persönlich sind wir übrigens keine Fans vom Begriff „falsch“, weil er unpräzise, inkorrekt und inflationär verwendet wird. Dennoch ist dieser Begriff überaus interessant und teilweise auch sehr aussagekräftig, weswegen ich mir in diesem Artikel Mühe gebe, um für eine richtige Definition einzutreten und auch die Ursprünge dieses Begriffs etwas zu klären.

Was soll der Begriff „falsch“ denn bedeuten?

Die erste mir bekannte Nennung des Begriffs „falsch“ in der Fußballtaktik stammt noch aus einer Zeit vor Lionel Messi. Eine Abhandlung von „World class coaching“ über die Geschichte des brasilianischen Fußballs aus dem Jahre 2006 beschrieb Rivellino als falschen Flügelstürmer („false winger“). Dieser rückte beim Weltmeister von 1970 in die Mitte, Tostao (und ganz selten Pelé) wichen auf links aus, Rechtsaußen Jairzinho zog es von rechts in die Mitte, während sich Pelé dann wiederum oft halbrechts positionierte.

Die gleiche Abhandlung erwähnt noch zwei weitere solcher falscher Flügelstürmer: Eduardo bei Cruzeiro 1976 als Rechtsaußen im asymmetrischen 4-3-3 (Entwicklung zum 4-4-2) vor dem extrem offensiven und hinterlaufenden Nelinho sowie Rechtsaußen Tita im 4-3-1-2/4-4-2 bei Flamengo 1981 mit Zico auf der Zehn und dem offensivstarken Leandro als Rechtsverteidiger.

In diesem Artikel wird der Begriff „falsch“ also für Akteure verwendet, welche ihre Position für längere Dauer verließen und diese sogar verwaisen ließen. So wich beim 1970er-Team Everaldo nur selten nach vorne, Tostao fand sich oft in den Halbräumen, statt auf der Außenlinie. Das gleiche Vorgehen hinsichtlich der Definition gab es drei Jahre nach „World class coaching“ beim wohl bekanntesten und dem für viele „ersten“ Artikel zur Falschheit eines Spielers.

Jonathan Wilson schrieb im Guardian am 27. Oktober 2009 über Carlos Tevez‘ Rolle bei United, über Lionel Messi beim FC Barcelona und über Francesco Totti beim AS Rom unter Luciano Spalletti. Sie stellten Mittelstürmer da, die „falsch“ seien, da sie sich aus ihrer Position als eigentliche Nummer Neun herausbewegten und diese nicht mehr besetzten. Danach führt Jonathan Wilson noch einige historische Beispiele an: Matthias Sindelar beim österreichischen Wunderteam bzw. dem „Schmieranskiteam“, Adolfo Pedernera bei River Plates „La Maquina“, usw. usf.

In einem späteren Kommentar beim Guardian listet Wilson noch einige andere Beispiele auf,  nämlich G.O. Smith von den Corinthians 1890, Nolo Ferreira von Independiente in den 20ern oder Vsevelod Bobrov of Dinamo Moscow in 40ern. Das soll allerdings kein Artikel zur falschen Neun werden, diesen haben wir ja bereits geschrieben, welcher im Rahmen unserer „Woche der falschen Neun“ erschienen ist. Zurück zur Falschheit also.

Probleme mit der Definition – welche und wieso?

Die Definition ist also klar, wenn man sich die Entstehung des Begriffs ansieht.

Ein Spieler lässt seine Position längerfristig verwaisen, sie wird nicht im Positionsspiel von einem anderen übernommen. Passend dazu wird der Begriff im Kroatischen übrigens sogar als „lažna“ (z.B. falsche Neun = „lažna  devetka“) bezeichnet, was sich nicht nur mit falsch übersetzen lässt, sondern gar mit „verlogen“ und „trügerisch“ wortverwandt ist und damit die Bedeutung dieser Positionsinterpretation noch idealer trifft. Eine „gelogene Neun“ also: Sie behauptet, sie wäre eine Neun, ist es aber nicht. Eine nahezu perfekte Definition.

In dieser Gif sieht man die unterschiedlichen Ausprängungen. Wer die GIF als Galerie mit Standbildern sehen möchte, kann auch einfach darauf klicken.

In dieser Gif sieht man die unterschiedlichen Ausprängungen. Wer die GIF als Galerie mit Standbildern sehen möchte, kann auch einfach darauf klicken. Diese Grafik zeigt, wie sich die Laufwege bzw. hier die sogenannte „Heatmap“ verändern, wenn eine identische Position in einer fast identischen Formation auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert wird.

Warum aber ist die zusätzliche und nicht explizit gesagte Einschränkung wichtig, dass diese Position beziehungsweise der sie unmittelbar umgebende Raum nicht (konstant und längerfristig) von jemand anders im Sinne des Positionsspiels übernommen wird? Ganz einfach: Ansonsten wäre einfach jede Position falsch.

Jeder Außenstürmer wäre ein falscher Außenstürmer, wenn er bei eigenem Ballbesitz in die Mitte rückt. Jeder Außenverteidiger wäre falsch, weil er entlang der Vertikale in die Spitze stößt und die Breite auch im letzten Spielfelddrittel gibt. Jeder spielgestaltender Sechser wäre falsch, wenn er abkippt oder herauskippt. Fakt ist aber, dass sich bei nahezu jeder Mannschaft der Welt die grundlegende Formation und die Defensivformation bei eigenem Ballbesitz verändern und meistens extrem verändern.

Aus solchem Übereifer in versuchten Definitionen und der hochgestochenen Sprache entsteht dann oftmals eine weniger korrekte Beschreibung der Umstände, anstatt einer richtigen, wenn auch vielleicht komplexeren. Und am Ende gibt es noch eine komplett falsche Mannschaft, die womöglich auch auf dem falschen Stadion gegen den falschen Gegner spielt.

Ein zweites großes Problem in der Definition ist, dass viele die Falschheit als „falsch“ im Sinne von einer unorthodoxen Positionsbesetzung verstehen. Nur weil Mario Götze auf der Mittelstürmerposition spielt, ist er nicht automatisch eine falsche Neun. Es kommt immer darauf, wie er diesen Posten auslegt. Doch leider werden viele wunderbare Diskussionen über spielverändernde Rollenverteilungen dadurch abgetötet. Oftmals ist es spielentscheidend, ob, wie, wann und wohin Messi seine Mittelstürmerposition beim FC Barcelona gegen Gegner XY verließ.

Eine Debatte über die Falschheit Cristiano Ronaldos und die Umsetzung in bestimmten Schlüsselpartien hätte womöglich ein verändertes Licht auf seine Position und die Madrider Konter werfen können. Stattdessen werden die Rollen dieser beiden Weltstars wegen ihrer Bekanntheit auf die am häufigsten vorkommende und die populistische Art behandelt und dadurch degradiert.

Darum sollte man sich um eine klare Definition des Begriffs „falsch“ bemühen.

Voraussetzungen und Zukunftsaussicht

Die zwei großen bzw. eigentlich einzig notwendigen Prämissen für eine Definition als „falsch“ wären Folgende:

  1. Die Position bzw. die umliegenden Räume und/oder orthodoxen Verantwortungsbereiche werden vom dem dafür zuständigen Spieler für längere Zeit verlassen. Wenn sie nur kurz verlassen werden, handelt es sich eher um einen improvisierten Hilfsakt, einen Fehler, taktische Indisziplin oder einen Spielzug.
  2. Die verlassene Position wird nicht längerfristig und konstant im Offensivspiel von jemand anderem eingenommen, zumindest nicht im Zuge eines Positionstausches. Hierbei muss die Art und Weise der Übernahme also betrachtet werden. Wenn zum Beispiel Fabregas für Messi in die Spitze stößt und die Position übernimmt, dann ist er entweder eine falsche Zehn oder es ist ein Spielzug. Hier sind die Konsequenzen, die Dauer und die Art und Weise wichtig. Auch hier wird (wurde) dies von Spiel zu Spiel unterschiedlich praktiziert mit verschiedenen Auswirkungen, manchmal mit Positionswechsel, manchmal ohne diesen und manchmal etwas mit einem anderen und deutlich komplexeren Mechanismus (gleiche Position mit unterschiedlicher Bespielung und Sichtfelddrehung als Ziel; da könnte ein eigener Artikel kommen). Gleiches gilt für einen einrückenden Flügelstürmer, der die Position dann übernimmt.

Eventuell könnte noch argumentiert werden, dass die ursprüngliche Position nach Ballverlusten wieder eingenommen wird, doch in Zeiten des Gegenpressings und der defensiven Flexibilität wäre dies wohl zu einengend und unnötig. Ein weiterer Aspekt könnte auch der Fokus auf diesen Spieler liegen, wobei auch dies nicht zeitgemäß wäre,  immer mehr Mannschaften spielen mit mehr als einer (situativen) Freirolle und Positionswechseln in ihren Spielzügen.

Wirklich viele falsche Positionen gibt es also nicht. Früher spielten manche Mannschaften mit einem aufrückenden Innenverteidiger, zum Beispiel Ajax oder Barcelona in den 90ern, obgleich deren Position oftmals von einem anderen eingenommen wurde (war zum Beispiel bei Milan situativ der Fall, wenn Rijkaard hinten spielte). Für den Libero früherer Tage sicherte bekanntlich auch der Vorstopper oder der tiefe Zehner ab, ein klarer Positionswechsel also.

Zu den wenig verbliebenen Umsetzungen dieser taktischen Positionsfalschheit gehört also die „Falsche Neun“ und die „Falsche Zehn“ (wobei es in diesem Fall durchaus Übernahmen durch andere Akteure, beispielsweise die Außenstürmer, gibt). Dabei darf man aber nicht vergessen, dass auch bei diesen unterschiedliche Arten und Weisen gibt; eine falsche Neun muss nicht immer ins Mittelfeld zurückfallen, sie muss nicht immer spielgestaltend sein und nicht immer von einem unorthodoxen Spielertyp besetzt werden. Einen Artikel dazu haben wir übrigens ebenfalls schon geschrieben.

Was hierbei auffällt ist natürlich, dass sich die positionelle Falschheit auf offensive Positionen zu beschränken scheint. Doch Halt, bei den Bayern gibt es einen neuen Trend; die falschen Außenverteidiger, die wir in einem bald folgenden Artikel analysieren werden.

Der „falsche“ Außenverteidiger

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Erst vor ein paar Tagen haben wir den inflationären Umgang mit „falschen Positionen“ beklagt, heute legen wir nach: mit den „falschen Außenverteidigern“. Denn besser kann man die Rolle der Außenverteidiger von Bayern München nicht beschreiben.

Innovationen sind selten im Fußball, doch sie gibt es. Ein Grund, wieso viele die Fußballtaktik als „zyklisch“ bezeichnen, ist wohl die mangelnde Kreativität, weswegen oft im „try-and-error-Verfahren“ auf alte und teilbewährte Praktiken und Taktiken zurückgegriffen wird. Aber manchmal sind Innovationen möglich, obwohl es schon so viele alte Sachen gab. Aktuell darf man bei den Bayern (und ansatzweise dem FC Barcelona) solch eine Innovation bewundern.

Diese spielen nämlich seit Neuestem mit „falschen Außenverteidigern“. Den inflationären Begriff „falsch“ haben wir jüngst diskutiert, in diesem Fall ist er aber passend. Man könnte sie auch pendelnde, zentrale, hineinkippende (der wohl passendste Begriff) oder innere Außenverteidiger nennen, gleichzeitig gibt es noch potenzielle Nutzungen, die es noch nicht gibt, aber geben könnte.

Einrückende Außenverteidiger wäre ebenfalls eine Option, aber würde wohl besser zu Außenverteidiger passen, die sich Richtung Mitte bewegen, wenn sie ballfern stehen, um besser absichern zu können. Dies wird u.a. vom BVB praktiziert, dazu kommt aber noch ein eigener Artikel.

Widmen wir uns lieber den taktischen Hintergründen der falschen Außenverteidiger.

Guardiolas Überzahlfußball und die falsche Zwei statt der falschen Neun

Bayerns neuer Trainer ist bekannt dafür, dass er Lionel Messi beim FC Barcelona als Mittelstürmer aufstellte, aber ihn anwies diese Position zu verlassen, sie verwaisen zu lassen und sich ins Mittelfeld zurückfallen zu lassen. Guardiola selbst erklärte dies bei einem Gastvortrag in einer südamerikanischen Universität, wo er sagte, man wolle damit das gegnerische Team vor Probleme stellen.

Diese müssten bei einem zurückfallenden Stürmer diesen entweder mit einem Innenverteidiger verfolgen und dadurch Räume öffnen oder eben auf ihrer Position bleiben und dafür eine Unterzahl in der so wichtigen Mittelfeldzone in Kauf nehmen. Bei den Bayern hat Guardiola aktuell durch die vielen Verletzungen keinen solchen Stürmertypen zur Verfügung und/oder möchte nicht damit spielen.

Dennoch werden in der Mitte Überzahlen hergestellt, nämlich durch die Außenverteidiger. Interessant ist hierbei, dass die Grundgedanken, Konsequenzen und Effekte bei einem in die Mitte ziehenden Außenverteidiger im Aufbauspiel jenen sehr ähnlich sind, die es bei einem Mittelstürmer Typus Messi gibt.

Bei der tiefen spielmachenden Neun können die Innenverteidiger nicht nach vorne rücken oder nur ein paar Meter, da sie durch die aktuell vorherrschende Taktiklehre auf ihre Position und einen gewissen Raum gebunden sind. Es gab bereits Partien, wo Messi sich auf Höhe Iniesta fallen ließ, bis dorthin verfolgt wurde, und dann einfach noch weiter zurückfiel, bis vor das gegnerische Mittelfeld. Spätestens dann verlor er seinen Manndecker und es entstand eine Überzahl.

Bei den Außenverteidigern verhält es sich ähnlich. In den meisten Systemen verfolgen die Außenspieler ihren jeweiligen Gegenüber mannorientiert. Der Außenverteidiger verfolgt den gegnerischen Flügelstürmer, der Flügelstürmer verfolgt den gegnerischen Außenverteidiger. Wenn der gegnerische Außenspieler in die Mitte rückt, übergibt man ihn entweder an einen Mitspieler oder – deutlich öfter – in den Raum.

Gegen City, Minute 13. Die Bayern verschoben zuvor sehr ballorientiert, Rafinha hatte den Ball und spielte einen langen Seitenwechsel auf Dante. Schon dort war Alaba eingerückt und Ribéry blieb breit. In dieser Szene behalten sie dies bei, Navas presst Dante, doch Alaba bietet sich gut an und erhält den Ball. Er verlagert dann wieder auf Robben - City darf herumsprinten.

Gegen City, Minute 13.
Die Bayern verschoben zuvor sehr ballorientiert, Rafinha hatte den Ball und spielte einen langen Seitenwechsel auf Dante. Schon dort war Alaba eingerückt und Ribéry blieb breit. In dieser Szene behalten sie dies bei, Navas presst Dante, doch Alaba bietet sich gut an und erhält den Ball. Er verlagert dann wieder auf Robben – City darf hinterherlaufen.

Die Dortmunder haben zum Beispiel die Läufe der Münchener Außenstürmer Robben und Ribéry nach hinten geleitet und/oder durch die eigene Kompaktheit isoliert. Bei einem ohne Ball in die Mitte pendelnden Außenverteidiger ist dies wesentlich schwieriger. Von ihm geht keine unmittelbare Gefahr aus, außerdem kann er sich ohne Ball deutlich einfacher und präziser freilaufen. Selbst wenn der Außenverteidiger mannorientiert verfolgt wird, kann er sich anspielbar machen. Dabei lässt er den Ball einfach zu den zentralen Mittelfeldspielern in die Deckungsschatten der gegnerischen Stürmer prallen, welche mit dieser Spielweise umspielt werden sollen.

Und auch wenn der Außenverteidiger gut manngedeckt wird und nicht freisteht, gibt es dennoch einen positiven Effekt: Der Flügelstürmer kann direkt angespielt wird, es wird viel Raum überwunden und die gegnerische Formation ist offen. Da der Flügelstürmer, bei den Bayern Ribéry und Robben/Shaqiri, bei einem im Halbraum stehenden Außenverteidiger meistens sehr breit und hoch steht, ist er entweder anspielbar oder er öffnet Räume in der Viererkette der gegnerischen Abwehr. Eine win-win-Situation.

Schöne Szene. Alabas enge und zurückhaltende Positionierung sorgt für Verwirren bei Bittencourt und öffnet Räume für Kroos auf der Acht. Bei klassischen Außenverteidigern, dem Dogma des Breitegebens und auch einem 4-2-3-1 sind solche Szenen fast unmöglich.

Schöne Szene: Alabas enge und zurückhaltende Positionierung sorgt für Verwirren bei Bittencourt und öffnet Räume für Kroos auf der Acht. Bei klassischen Außenverteidigern, dem Dogma des Breitegebens und auch einem 4-2-3-1 sind solche Szenen fast unmöglich.

Wie genau funktioniert dieses Freilaufen aber?

Wichtig ist natürlich, dass der Zeitpunkt und die Situation richtig erkannt wird. Der Trainer kann nicht das Spiel anhalten und ihnen mitteilen, sie sollen doch jetzt bitte einrücken, aber er kann ihnen vor dem Spiel Richtlinien geben. Fakt ist nämlich, dass ein dauerndes Einrücken nicht möglich ist. Dann könnte der Gegner mit einem 4-2-2-2 agieren, in welchem er ein Quadrat in der Mitte und zwei breite Stürmer im Pressing hätte. Die Überlegenheit in der Mitte wäre nicht mehr vorhanden, die Breite im Aufbauspiel wäre ebenfalls zerstört.

Die Spieler müssen erkennen, wann sie wie einrücken können. Ein Beispiel: Wenn der Gegner presst, die Seiten zustellt, aber noch keinen Zugriff auf die Innenverteidiger oder gar die Sechser hat, kann man einrücken und sich in den Schnittstellen anbieten, je nach Situation vor oder hinter dem gegnerischen Mittelfeld.

Das Dogma der „Breite im Spiel“ wird somit situativ aufgelöst und dürfte das Bahnbrechendste an dieser Veränderung sein. Breite im Spiel gilt eigentlich als ein Muss; wie soll man sich sonst Raum schaffen? Heutzutage sind die Fußballer aber technisch und taktisch so gut, dass die Breite nicht immer bzw. immer seltener benötigt wird. Langfristig könnte gar der Trend dahingehen, dass nicht situativ die Breite aufgegeben wird, sondern nur noch situativ hergestellt wird.

Bei Guardiola wird dieses situative „Enge geben“ bereits praktiziert, es gibt zwei große Varianten.

Die erste ist das Hereinkippen hinter das gegnerische Mittelfeld, was gemacht wird, wenn Lahm abkippt und die beiden Achter in der Mitte verbleiben. Die beiden Achter werden vom Gegner zugestellt und sind kaum anspielbar. Dann bewegen sie sich nach hinten und kommen tiefer. Entweder sie werden nun frei oder sie öffnen den Zwischenlinienraum, in welchen sich die Außenverteidiger freilaufen können. Sie stehen dann im Zwischenlinienraum und bieten sich für Schnittstellenpässe an. Kommt ein solcher Pass, muss das gegnerische Mittelfeld rückwärtspressen und die Außenverteidiger spielen zu den Achtern zurück.

Emre Can verfolgt Rafinha mannorientiert, aber Schweinsteiger erkennt dies und geht auf den Flügel, Shaqiri zog in die Mitte. Can bleibt stehen, Rafinha geht weiter und spielt auf Lahm, der dann dank Alabas aufrücken auf Ribéry verlagern kann. Donati muss herausrücken.

Emre Can verfolgt Rafinha mannorientiert, aber Schweinsteiger erkennt dies und geht auf den Flügel. Shaqiri zieht in die Mitte. Can bleibt stehen, Rafinha geht weiter und spielt auf Lahm, der dann dank Alabas aufrücken auf Ribéry verlagern kann. Donati muss herausrücken und öffnet eine Lücke.

Gegen sehr tiefstehende Gegner ist dies ebenfalls eine Variante, um die Mitte flexibel zu besetzen und in die Zwischenlinienräume zu kommen.

Hier öffnet Alaba Ribéry ein weiteres Mal, dieses Mal für Dante. Alaba sprintet nach vorne, Spahic muss extrem viel Raum covern, wenn Donati herausrückt. Mit drei Pässen findet sich  Bayern bzw. Alaba plötzlich in Strafraumnähe wieder.

Hier öffnet Alaba Ribéry ein weiteres Mal, dieses Mal für Dante. Alaba sprintet nach vorne, Spahic muss extrem viel Raum covern, wenn Donati herausrückt. Mit drei Pässen findet sich Bayern bzw. Alaba plötzlich in Strafraumnähe wieder.

Eine andere Möglichkeit ist das Hereinkippen vor das gegnerische Mittelfeld. Wenn die Innenverteidiger isoliert werden oder auch die Dreierkette (inklusive des abgekippten Sechsers also), können die Achter nach vorne statt nach hinten rücken und die gegnerische Mittelfeldreihe zurückschieben. Die Außenverteidiger haben dann genug Raum, um in der Mitte den Ball anzunehmen und sich Anspieloptionen zu suchen und darauf zu warten, dass sie attackiert werden. Wenn dies geschieht, werden die Achter im offensiven Mittelfeld frei. Alternativ können sie auch einfach einen indirekten Seitenwechsel vollführen.

Gegen City rückte Alaba auch in hoher Position in die Mitte: hier zieht er Navas mit, Richards wagt sich nicht an Navas, seinem nominellen Vordermann, vorbei und City steht in einer fehlerhaften Fünferkette da. Ribéry und Robben können kombinieren, diese Szene stammt aus der Drangphase der Münchner - und sie war eine Ursache derselben.

Gegen City rückte Alaba auch in hoher Position in die Mitte: hier zieht er Navas mit, Richards wagt sich nicht an Navas, seinem nominellen Vordermann, vorbei und City steht in einer fehlerhaften Fünferkette da. Ribéry und Robben können kombinieren, diese Szene stammt aus der Drangphase der Münchner – und sie war eine Ursache derselben.

Vor- und Nachteile?

Nun, die Vorteile wurden bereits angeschnitten. Es gibt eine größere Flexibilität und mehr Anspieloptionen im Aufbauspiel, teilweise können bei stark manndeckenden Gegnern – wie es Leverkusen teilweise gespielt hat – die Flügelstürmer dadurch freigespielt und sehr einfach viel Raumgewinn verbucht werden. Im Idealfall wird die Mitte überladen und es kann mit ein oder zwei Pässe eine Ebene in der Ballzirkulation gewonnen werden, ohne direkt mit den Spielern eine Ebene nachrücken zu müssen.

Auch das „Vorderlaufen“ kann einfacher praktiziert werden. Bei den Bayern wurde dies schon in der Vorsaison ein paar Mal praktiziert. Alaba lief nicht hinter Ribéry in die Spitze, sondern vor ihm, während dieser auf den Flügel ging. Sie erhöhten dadurch die Flexibilität in der Offensive, waren schwerer zu decken, öffneten Räume in der gegnerischen Viererkette, die dann Alaba anlief und nahe am Sechzehner zu gefährlichen Flanken und teilweise sogar Abschlüsse kam.

Hier noch ein Paradebeispel für das Hereinkippen. Alaba löst sich von Farfan und geht in die Mitte. Geht Farfan mit, kann Dante Ribéry anspielen. Das geschieht nicht, Alaba spielt auf Schweinsteiger, der - wie auch Rafinha - extrem frei steht. Kroos macht das Mittelfeld tief, Pressing der Schalker somit mit zwei Läufen und zwei Pässen überwunden.

Hier noch ein Paradebeispel für das Hereinkippen. Alaba löst sich von Farfan und geht in die Mitte. Geht Farfan mit, kann Dante Ribéry anspielen. Das geschieht nicht, Alaba spielt auf Schweinsteiger, der – wie auch Rafinha – extrem frei steht. Kroos macht das Mittelfeld tief, Pressing der Schalker somit mit zwei Läufen und zwei Pässen überwunden.

Dieses Vorderlaufen kann nun noch einfacher und dynamischer gespielt werden. Alaba bleibt nach seinen Pässe oft weiter in der Mitte und kann dann situativ in die Spitze starten, weil Ribéry das Spiel extrem breit macht. Zudem überläuft Alaba ihn nicht im Sprint, sondern wartet in der Mitte auf den richtigen Moment, bis er die Unterstützung durch die Achter und den Mittelstürmer hat. Seine Entscheidungsfindung ist einfacher und vielfältiger; zuvor musste er aus einer breiten Position diagonal zum Sechzehner starten, jetzt kann er den gleichen Laufweg z.B. auch spiegelverkehrt machen oder die gleichen Effekte mit einem vertikalen Lauf erzielen.

Was Vorteile hat, muss aber auch Nachteile haben – doch diese halten sich in Grenzen. Der größte Nachteil ist natürlich die Komplexität der Umsetzung und die benötigten Spieler dafür. Laufen sich die Spieler zu spät oder zu früh frei, können sie nicht angespielt werden. Bewegen sich die Achter oder Sechser falsch, stimmt die Absicherung und die räumliche Aufteilung nicht. Können die Innenverteidiger oder die Sechser keinen präzisen Pass (unter Bedrängnis) spielen, läuft ein gefährlicher Konter mit offenen Flügeln bzw. breiten Schnittstellen.

Hierbei muss man auch die Intelligenz der bayrischen Achter, die Aufopferungsbereitschaft der Flügelstürmer und natürlich die herausragende Präzision im Positionsspiel von Alaba, Rafinha und Lahm loben. Auch Dante und ganz besonders Boateng, der bei dieser Spielweise oft breit auffächert, gefährliche Situationen für die hineingekippten Außenverteidiger antizipiert und sich dann teilweise gar mit Vertikalläufen am Flügel anbietet.

Exemplarische Szene: Gegner presst im 4-3-3 mit einem AS-IV-Pärchen. Er möchte damit den Außenverteidiger im Deckungsschatten haben und maximalen Druck erzeugen. Der hereinkippende Außenverteidiger schiebt in die Mitte und stellt Überzahl her, der LZM öffnet ihm den Raum. Interessanter Aspekt: Unter Pep sind es die Bayern, die auf diese Art und Weise oft pressen. Ob Pep gegen sich selbst Schach spielt?

Exemplarische Szene: Gegner presst im 4-3-3 mit einem AS-IV-Pärchen. Er möchte damit den Außenverteidiger im Deckungsschatten haben und maximalen Druck erzeugen. Der hereinkippende Außenverteidiger schiebt in die Mitte und stellt Überzahl her, der LZM öffnet ihm den Raum. Interessanter Aspekt: Unter Pep sind es die Bayern, die auf diese Art und Weise oft pressen. Ob Pep gegen sich selbst Schach spielt?

Die größten Probleme entstehen dennoch im defensiven Umschaltmoment nach Ballverlusten, hier wären weite Räume offen und viele Spieler stehen auf für sie möglicherweise unpassenden Positionen. Durch die hohe Kompaktheit in der Mitte kann allerdings sofort ein Gegenpressing praktiziert werden. Je höher der Ballverlust stattfindet, umso effektiver ist diese Spielweise und umso besser abgesichert ist sie. Zwecks Absicherung wird diese Spielweise aber auch etwas asymmetrisch angelegt, Alaba kippt höher hinein, Rafinha etwas tiefer.

Fazit

Obgleich sich dieser Artikel auf die Bayern konzentrierte, ist diese Spielweise nicht exklusiv auf sie beschränkt und der Beitrag soll die theoretischen Aspekte erläutern. Die Bayern dienen eher zur präzisen Beschreibung, die unsere Leser auch im Kopf haben; und ein anderes Beispiel mit Erinnerungsfaktor gibt es leider nicht. Einen durchaus lesenswerten Artikel auf Englisch zu diesem Thema gibt’s auch, hier geht es gar fast nur um Alaba.

Alles in allem ist diese Nutzung der Außenverteidiger hochinteressant und wohl bislang in der Fußballgeschichte nicht (auf diese Art und Weise) vorgekommen. Sie zeigt auch den Trend, verstärkt Engen im Kombinationsspiel zu schaffen und diese zu bespielen. Dadurch werden anderswo Räume erzeugt, während man sich in den engen Situationen auf die technische Stärke der eigenen Spieler verlässt. In einer Zeit, in welcher selbst der Außenverteidigerersatz und ein 21jähriger Österreicher Nadelspielerfähigkeiten und herausragende taktische Intelligenz mitbringen, kann man das schon machen.

Viel interessanter ist aber, wie das Dogma des durchgehenden Breitegebens ansatzweise aufgelöst wird und dies Vorteile mit sich bringt, um die spielstrategisch wichtigste Zone (die Mitte) nun nicht durch Spieler aus den Enden der Vertikale weiter zu stärken (aufrückende Innenverteidiger oder zurückfallende Mittelstürmer sowie viele Mittelfeldspieler), sondern das Einzugsgebiet auf die Horizontale und defensive Diagonale zu erweitern.

Zusätzlich können bestimmte Aspekte in orthodoxen taktischen Systemen sehr effektiv bespielt werden und zeigen, dass oftmals weder „alte“ (Manndeckung z.B.) noch „neue“ (Raumdeckung und Kompaktheit z.B.) Lösungen allgemeingültige Hilfsmittel gegen neue Spielweisen und Bewegungen darstellen. Wie lange die Fußballwelt wohl noch aus eckigen Formationen besteht?


Die Torwartkette

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In diesem Artikel wird die Nutzung des Torwarts im Aufbauspiel beschrieben. Eine der Entwicklungen in dieser Hinsicht könnte in Zukunft die sogenannte „Torwartkette“ sein. Im Blog von 44² wurde diese Möglichkeit und Umsetzung bereits anhand einiger Spiele von Manchester United nach der Verpflichtung David De Geas analysiert. In diesem Beitrag geht es um die drei unterschiedlichen Varianten der Torwartkette, ihre potenzielle Umsetzung und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Im Artikel selbst kommen auch ein paar Erklärungen zu taktischen Bewegungen und kleine geschichtliche Hintergründe vor.

Die tiefe Torwartkette

Diese Variante ist jene, die bereits genutzt wird – sogar relativ oft. Der FC Barcelona mit Victor Valdes nutzt diese Spielweise, um dem Angriffspressing gegnerischer Mannschaften entgegenzuwirken. Auch die Bayern mit Manuel Neuer spielen auf diese Art und Weise oder eben auch kleinere Mannschaften wie Ajax Amsterdam mit Torwart Kenneth Vermeer.

So könnte eine Aufbauszene mit tiefer Torwartkette gegen einen pressenden Gegner aussehen.

So könnte eine Aufbauszene mit tiefer Torwartkette gegen einen pressenden Gegner aussehen.

Schon in den 70ern wurde dies von Ajax, Feyenoord und der niederländischen Nationalmannschaft ansatzweise praktiziert. Auch zuvor gab es einzelne Torhüter (Radenkovic, Kreß, Carrizo) und später ebenfalls (Menzo, Bell, Busquets, Barthez, Chilavert, van der Sar), welche im Aufbauspiel intelligente Pässe spielten und bewusst eingebunden wurden.

Die Ursache ist klar: Bekanntlich kann der Torhüter nur indirekt mitpressen und sich nur in bestimmten Zonen und Situationen aktiv am Defensivspiel beteiligen; es bleiben also im Großteil des Spiels zehn gegen zehn Feldspieler. In der eigenen Hälfte kann allerdings der eigene Torwart mithelfen, um eine Überzahl herzustellen, also in gewisser Weise ein Elf gegen Zehn erzeugen um Ballverluste in der Nähe des eigenen Sechzehners zu vermeiden.

Bei dieser Spielweise positioniert sich der Torhüter bis zu 16 Meter vor dem eigenen Tor und verschiebt horizontal hin und her, um den beiden Innenverteidigern die jeweils ideale Anspielstation zu bieten. Meistens fächern die Innenverteidiger nicht nur sehr breit auf, sondern positionieren sich auch tiefer, wodurch sie nahezu in einer Reihe agieren.

In Extremfällen erreicht das solche Auswüchse, dass die Innenverteidiger nahe der Torauslinie in Eckfahnennähe stehen, während sich der Torwart fast schon an der Strafraumkante anbietet. Die Bezeichnung Torwartkette kommt auch daher, dass sie einerseits auf einer Linie miteinander agieren und andererseits sich mit ähnlichen Bewegungen zum Ball verschieben. Der Torwart ist dabei ein vollwertiger Bestandteil dieses Verschiebens, da er auf die jeweilige Ballseite verschiebt und oftmals auch bei Aufrücken des Innenverteidigers leicht in das dadurch entstandene Loch verschiebt.

Das hat zwar nichts mit einer Viererkette im klassischen Sinne gemein, die das im Defensivspiel praktiziert, aber einen fast identischen Mechanismus beschreibt; es klingt zumindest schöner und richtiger als die Bezeichnung falsche Eins, wie einige Medien mitspielende Torhüter bezeichnen. Zusätzlich zu diesem Verschieben gibt es natürlich einige weitere interessante Aspekte bei der Torwartkette.

Neben dem Vorteil einer zusätzlichen Anspielstation im Aufbauspiel kann man den Gegner mit dieser Spielweise extrem weit herauslocken, mithilfe der Mittellinie (wegen der Abseitsregel) muss er seine Kompaktheit von 20-30 Meter auf fast 50 Meter erweitern, wenn die Innenverteidiger bis zur Auslinie auffächern und/oder den Torwart ins Aufbauspiel miteinbinden. Die Bayern machen das oft so, dass sie mit tiefer Ballzirkulation den Gegner herauslocken, mit Neuer den Gegner laufen lassen und über Lochpässe Neuers in die gegnerische Formation spielen.

Der Torwart spielt auf links weiter. Gut zu sehen ist, wie viel Raum nun im Zwischenlinienraum offen ist und wie die Verbindung zueinander ist; kettenähnlich. Spielt der Gegner passiv und schiebt nicht nach, dann entsteht ein freies Dreieck vor dem halblinken Innenverteidiger.

Der Torwart spielt auf links weiter. Gut zu sehen ist, wie viel Raum nun im Zwischenlinienraum offen ist und wie die Verbindung zueinander ist; kettenähnlich. Spielt der Gegner passiv und schiebt nicht nach, dann entsteht ein freies Dreieck vor dem halblinken Innenverteidiger.

Valdes tat bei Barcelona Ähnliches, nutzt es aber aktuell eher um Räume für lange Bälle zu schaffen (was Neuer übrigens in der vergangenen Saison unter Heynckes noch tat). Diese erhöhte Laufarbeit sorgt natürlich für Probleme beim Gegner. Viele Mannschaften gehen dann aber dazu hinüber, sich mannorientiert an den potenziellen Anspielstationen zu orientieren und abzuwarten, bis der Torwart den Ball abspielt.

In diesem Fall muss er ihn dann weit herausschlagen oder auf die passende Bewegung seiner Mitspieler warten. Kommt Letztere nicht, kann der Gegner oft sämtliche Anspielstationen zustellen und ein gefährliches Pressing aufbauen.

Allerdings ist auch hier Gefahr vorprogrammiert – wenn die Abwehr so hoch steht, dass sie alle Anspielstationen abdecken kann, können Abschläge auch hinter die Abwehrreihe kommen und für gefährliche Situationen oder zumindest Raumgewinn sorgen. Somit ermöglicht die tiefe Torwartkette mehr Ballbesitz, lockt den Gegner heraus und zerstört im Idealfall dessen Kompaktheit.

Gefährlich wird es nur, wenn der Torwart nicht die nötige Passgenauigkeit und Spielintelligenz besitzt. Fehlpässe können sehr gefährlich werden und sind nicht nur auf eine schwache Technik zurückzuführen, sondern auch auf das Hereinfallen auf Pressingfallen. Apropos Spielintelligenz: ein schwaches Freilaufen sorgt für eine Sackgasse für den gepressten Innenverteidiger, was wiederum in Ballverlusten und eins-gegen-eins-Situationen münden kann.

Allerdings kann der Torwart in diesem Spielbereich noch klassisch auf Ballverluste reagieren und relativ problemlos rechtzeitig ins Tor zurückeilen oder bei schnell entstehenden Torchancen den Abschlusswinkel verkürzen und sich mit Bein und Hand in den Schuss werfen. Bei der nächsten Variante ist dies schwieriger bzw. führt die Nutzung der Hand oft zu einer Karte.

Die mittlere und hohe Torwartkette

In diesem Fall praktiziert der Gegner normalerweise kein Angriffspressing, sondern ein Abwehrpressing oder ein Mittelfeldpressing und daran passt sich der eigene Torwart an. Anstatt im eigenen Strafraum zu verbleiben, rückt er weit heraus und bietet sich weit vor dem eigenen Tor als Anspielstation an.

Diese Spielweise wird gelegentlich von den Bayern und der DFB-Elf mit Manuel Neuer praktiziert, wenn sie in extrem wichtigen Spielen am Schluss hinten liegen,  wie es gegen Italien, gegen Bayer Leverkusen und ansatzweise gegen Chelsea der Fall war. Sie ist somit auch hier eine Ausnahme.

Situativ weicht Neuer zwar manchmal nach vorne, wenn zum Beispiel im Mittelfeld ohne jeglichen Gegnerdruck ein Fehlpass passiert und der Mitspieler kein ordentliches Sichtfeld hat, aber eine wirklich konstante und extreme Umsetzungen dieser Spielweise gibt es nicht – zumindest nicht seit Kolumbien mit René Higuita im Tor.

Bei diesem Link sieht man an der Höhe, in der Higuita angespielt wird, wie so etwas aussehen – und fehlschlagen – könnte. Kolumbiens damaliger Nationaltrainer, Francisco Maturana, sprach auch davon, dass sie mit Higuita die Ideen der Niederländer von 1974 intensivieren könnten. Higuita, so sagte er vor dem Fehler bei der WM 1990, gebe ihnen die Möglichkeit nicht nur den Ball herauszuschlagen, sondern ihn auch zu behaupten und zu verteilen, egal, wie weit weg vor dem Tor.

Trotz des Fehlers war die Spielweise übrigens überaus effektiv: In 34 Spielen vor der WM 1994 verloren sie exakt eines, man gewann gar in Argentinien gegen diese mit 5:0, wurde wie 1990 Erster in ihrer Qualifikationsgruppe und Experten wie Jupp Heynckes betitelten sie schon als interessanteste und taktisch hochwertigste Mannschaft des Turniers 1990. 1993 wurden sie Dritter bei der Copa America (vier Gegentore in sieben Partien).

Noch heute wird sie in Kolumbien als eigene Version des Tiqui Taca bezeichnet und Torhüter René Higuita war mit seiner situativen Beteiligung am Aufbauspiel ein Schlüsselaspekt davon (Hausaufgabe: Szene ab 4:14 beachten und über mögliche Lösungen in Anbetracht der neuen Regeln nachdenken). In Erinnerung geblieben ist aber letztlich nur sein Fehler gegen Roger Milla, welche wohl vor einer Kopie dieser Spielweise abschreckt, obwohl diese durchaus geniale Aspekte beinhaltete (hier das Freilaufen bei 0:05-0:07 beachten).

Aus taktischer Sicht ist das schade, denn diese Taktik und ihre Vorteile (defensiv und offensiv) wären höchst interessant, besonders bei noch konstanterer Umsetzung und mit modernem Bewegungsspiel der Vordermänner oder auch in Anbetracht der modernen Pressingmechanismen des 4-2-3-1.

Beispielsweise könnte das Zustellen von zwei Innenverteidigern behoben werden. Es wäre auch kein zurückfallender Mittelfeldspieler nötig, um eine Dreierkette zu erzeugen, wodurch es einen Spieler weiter vorne gäbe. Hier ein Vergleich der Passdreiecke diesbezüglich:

Bei Klick auf das Bild öffnen sich die drei Bilder nebeneinander.

Bei Klick auf das Bild öffnen sich die drei Bilder nebeneinander. Bei der Aufbauformation ohne zurückgekippten Sechser und ohne aufgerückten Torwart sind am wenigsten Dreiecke vorhanden, die beiden Mittelstürmer des Gegners stehen normalerweise in den Kreuzen jener Pfeile, die nicht durchgezogen sind. Fällt der Sechser zurück, dann steht man besser da, aber spielt oftmals innerhalb der eigenen Formation herum. Geht der Torwart nach vorne, ergeben sich mehr Optionen, wir wir noch sehen werden.

Damit könnte ein weiterer Spieler im Aufbauspiel vorhanden sein, die Ballzirkulation wäre stabiler und die Sechser würden nicht Unterzahl im Mittelfeld riskieren, wenn sie abkippen. Stattdessen könnte man den Gegner noch weiter nach hinten drücken und Pressingversuche frühzeitig aushebeln; ein Rückpass auf den Torwart oder ein Pass ins Mittelfeld, wo man einen Akteur mehr hat, ist problemlos möglich.

Wieso wird diese Spielweise also nicht genutzt? Ein Aspekt ist sicherlich das Risiko dabei. Wird der Torwart gepresst und seine ihn umgebenden Anspielstationen in den Deckungsschatten gestellt, dann könnte der Torwart – im Normalfall nicht allzu pressingresistent – einen Fehlpass spielen oder den Ball verlieren. Dies wäre nahezu ein sicheres Gegentor, insbesondere weil die Stürmer sich im Vorwärtsgang befinden, während die eigene Mannschaft sehr hoch aufgerückt und im Aufbauspiel breit aufgefächert steht.

So sähe eine hohe Torwartkette aus. Ein Pass reicht aus, um einen großen Raum freizuspielen.

So sähe eine hohe Torwartkette aus. Ein Pass reicht aus, um einen großen Raum freizuspielen.

Diesem Risiko kann man aber auch entgegensteuern. Der Torwart kann sich etwas tiefer für eine Art umgekipptem Dreieck und als Quasi-Libero positionieren und bleibt daher bei einer tiefen gegnerischen Formation ohnehin vom Pressing befreit. Das Spielfeld ist so dicht besetzt, dass Fehlpässe in die Mitte hinein nicht allzu gefährlich sein sollten, wenn ein starkes Gegenpressing praktiziert und die Staffelung ordentlich vorbereitet wird. Im Normalfall kann man dem aber entgegenwirken, wenn dem Torwart im Zweifelsfall lange Bälle und Optionen für das Anbringen derselben erlaubt werden.

Da der Gegner einen oder mehrere Spieler für das Pressing auf den Torwart aus der Formation befreien muss, entstehen dort Löcher und eine Unterzahl. Hier könnten die zweiten Bälle gar entscheidend werden, der Torwart müsste also nicht einmal konstruktiv aufbauen, um in bestimmten Phasen eine neue Option ins Spiel zu bringen, obgleich das Risiko natürlich hoch bleibt, wenn die zweiten Bälle verloren werden.

Bei technisch starken Mannschaften kann auch die individuelle Stärke genutzt werden. Mannschaften wie der FC Bayern, der FC Barcelona oder die spanische Nationalmannschaft können selbst sehr scharfe Anspiele ihrer Torhüter ins Mittelfeld riskieren, da Akteure wie Xavi und Co. auch diese Pässe nahezu mühelos stoppen und dann in einer Enge behaupten können. In der heutigen Zeit wäre auch dank des schnelleren, beweglicheren und strukturierten Bewegungsspiels eine ganz andere Dimension mit einem hohen Torhüter im Aufbauspiel möglich.

Ansonsten gibt es eben den langen Ball auf den Flügel und eine sofortige Bewegung nach hinten. Der Torwart ist dabei nahe genug am eigenen Kasten, um einen eventuellen 75m-Schuss rechtzeitig abfangen zu können. Außerdem ist zu bezweifeln, ob unter Druck sofort nach einer Balleroberung ein ausreichend scharfer und gleichzeitig präziser Schuss aus dieser Distanz erfolgen kann. Das Gleiche trifft ebenfalls auf Konter zu, welche bei passendem Gegenpressing und gutem Umschalten unterbunden oder zumindest zeitlich verzögert werden können.

Mit tiefem Torwart ist das schon schwerer zu machen. Das ist auch der Grund, wieso die 3-4-Aufbauformation dafür sorgt, dass wenige Bälle verloren werden, aber die Ballzirkulation oftmals relativ tief bleibt.

Mit tiefem Torwart ist das schon schwerer zu machen. Das ist auch der Grund, wieso die 3-4-Aufbauformation dafür sorgt, dass wenige Bälle verloren werden, aber die Ballzirkulation oftmals relativ tief bleibt.

Unmittelbare Gefahr geht hiervon also nicht aus, wenn das taktische Fundament passt. Potenziell könnte sogar der Torwart in das Bewegungsspiel eingebunden werden und in Extremsituationen einen Innenverteidiger hinterlaufen oder seitlich herausrücken und sich dort anbieten. Manuel Neuer tat dies einmal schon in der Partie gegen Greuther Fürth, als Dante sich im 4-5-1 dem Druck eines herausrückenden Achters gegenübersah, Boateng vom Mittelstürmer abgesperrt, aber sonst sehr viel Raum offen war und Neuer kurz diagonal versetzt zu Dante auftauchte; Ansätze eines Hinterlaufens, die leider nicht bespielt wurden.

Anders sieht es bei einer noch extremeren Umsetzung dieser Grundidee aus.

Die maximale Torwartkette

Diese letzte Variante soll nur kurz erklärt werden – eine Umsetzung erscheint selbst in ferner Zukunft unwahrscheinlich zu sein. Hier würde der Torwart nicht nur in tiefen Aufbauzonen oder im Defensivspiel zum Libero werden, sondern auch im Angriffsspiel. Das Attribut „maximal“ zeigt schon, wohin die Idee führen würde: Der Torwart rückt so weit auf, wie es für ihn nur möglich ist. Er könnte – zum Beispiel gegen ultradefensive und extrem tiefe Mannschaften – auf der Mittellinie stehen und die gesamte Horizontale absichern, während sich die Innenverteidiger aktiv am Gegenpressing und Angriffsspiel beteiligen dürfen.

Dies könnte so praktiziert werden, dass der ballferne Innenverteidiger oder auch der Sechser und Außenverteidiger einrücken, während der Torwart ballnah absichert und der ballnahe Innenverteidiger sowie alle anderen gegenpressen. De facto würden sie in einer Zweierkette da stehen und den zusätzlichen Mann zur Stabilität nutzen. Wichtig wäre natürlich ein extrem schneller, zweikampfstarker und spielintelligenter Torwart. Und natürlich ein technisch sehr guter.

Die Nachteile sind natürlich klar ersichtlich – die Vorstellung Manuel Neuer im Gegenpressing einen Ball erobern zu sehen, ist dennoch ein Traum für jeden Analysten, der gegen Leverkusen fast schon erfüllt wurde. Eine ordentliche Anwendung der Torwartkette im gesamten ersten Drittel wäre allerdings bereits Stoff genug für mehrere Artikel. Mal sehen, ob und wann dies passiert. Es gibt schon vielerorts erste Ansätze.

So könnte eine maximalhohe Torwartkette aussehen. Die Innenverteidiger gehen in die offenen Flügelräume und Halbräume der gegnerischen 4-4-2-Defensivformation.

So könnte eine maximalhohe Torwartkette aussehen. Die Innenverteidiger gehen in die offenen Flügelräume und Halbräume der gegnerischen 4-4-2-Defensivformation.

Wenn dann einer der Innenverteidiger aufrückt, schieben der Torwart und der Innenverteidiger bereits antizipativ in das Loch, der Außenverteidiger geht in den Halbraum, der Flügelstürmer gibt die Breite.

Wenn dann einer der Innenverteidiger aufrückt, schieben der Torwart und der Innenverteidiger bereits antizipativ in das Loch, der Außenverteidiger geht in den Halbraum, der Flügelstürmer gibt die Breite.

Bitte den Torwart als Libero in Ballbesitz trotz meiner womöglich ungenauen oder weitreichenden Vergleiche nicht mit dem Herauslaufen bei gegnerischen Angriffen und dieser Komponente des früheren Libero-Spiels verwechseln.

Beispielhafte Pressingfallen beim 4-1-4-1

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Dieser Artikel beschreibt drei Möglichkeiten eine Pressingfalle aufzubauen, wenn aus einer 4-1-4-1-Defensivformation ins Pressing übergegangen wird.

Eine Pressingfalle bezeichnet dabei die Provokation einer Aktion des Gegners in einer bestimmten Zone in der eigenen Formation. Wird die Defensivformation im Pressing nicht verändert (oder wird nicht gepresst), ist dies natürlich schwieriger, da man entweder keine Lücke öffnen kann, ohne dem Gegner die eigene Intention offensichtlich zu machen, oder man ist wegen der geringeren Dynamik instabiler beim Zuklappen dieser Pressingfalle.

Das 4-1-4-1 ermöglicht hierbei einfache Transformationen in eine andere Formation, dabei bieten sich mehrere Möglichkeiten und Varianten. Durch diese Veränderung entsteht dann mehr Dynamik, die genutzt werden kann, um bestimmte Löcher zu öffnen, sie schnell zu verschließen und die „Falle“ zuklappen zu lassen. Dabei beginnen wir mit einer der gängigsten Varianten dazu.

Das 4-1-4-1 wird zum 4-1-3-1-1/4-1-3-2

In dieser Situation gehen wir von einem Angriffspressing aus. Zuerst wirkt die mannschaftliche Ausrichtung trotz der Höhe passiv. Das 4-1-4-1 ist positionsorientiert und der Mittelstürmer orientiert sich als Einziger mannorientiert auf einem der Innenverteidiger. Der zweite Innenverteidiger wird bewusst freigelassen.

Grundlegende 4-1-4-1-Defensivformation

Grundlegende 4-1-4-1-Defensivformation

Sobald der Pass auf den freien Innenverteidiger kommt, rückt der Achter auf seiner vertikalen Höhe auf und presst ihn. Der Mittelstürmer bleibt beim Innenverteidiger als Manndecker oder kann ihn auch in den Deckungsschatten nehmen, je nach später folgenden Mechanismen. Lässt er sich zum Beispiel diagonal zurückfallen, hat er noch immer Zugriff auf den Innenverteidiger, aber kann in der Mitte helfen. Allerdings kann sich der Innenverteidiger unter Umständen bei einem Rückpass auf den Torwart womöglich freilaufen.

Der Innenverteidiger sollte übrigens so angelaufen werden, dass er sich noch drehen kann, aber sofort nach erfolgter Drehung unter Druck ist. Dadurch kann er nicht zurückspielen und wird zu Fehlern gezwungen. Der Innenverteidiger ist – insbesondere, wenn er richtigfüßig agiert – unter Druck und kann schwer einen Pass nach vorne spielen. Der Außenstürmer schiebt auf den Außenverteidiger und kann auch etwas weiter innen stehen, um die spätere Pressingfalle noch effektiver zu machen.

Ballnaher ZM rückt auf, es entsteht eine 4-1-3-2-Pressingformation.

Ballnaher ZM rückt auf, es entsteht eine 4-1-3-2-Pressingformation.

Nun muss der Innenverteidiger einen langen Ball spielen. Ein präziser diagonaler Ball ist wegen des Drucks und im Idealfall wegen eines leicht bogenartigen Laufs des aufrückenden zentralen Mittelfeldspielers kaum möglich. Dieser Aspekt im Verbund mit dem offenen Raum in seinem Sichtfeld sollte ihn normalerweise zu einem Pass in das geöffnete Loch zwingen. Hierbei tappt er aber gleich mehrfach in eine Falle.

Ballfern kann sich der Flügelstürmer etwas zurück- und hineinfallen lassen, um den zweiten zentralen Mittelfeldspieler einrücken zu lassen; dies erzeugt dann mehr lokale Kompaktheit und noch mehr Dynamik. Außerdem hat es einen Grund, wieso die verbliebenen zentralen Mittelfeldspieler leicht asymmetrisch stehen. Sie können einerseits auf zwei unterschiedlichen Ebenen horizontal Druck erzeugen, andererseits haben sie die Möglichkeit mit viel Dynamik reinzuschieben und auch auf spezielle Begebenheiten des Gegners zu reagieren.

Hier wurde ein langer Ball auf den Flügel gespielt, der Außenverteidiger rückt heraus, die anderen Spieler verschieben. Je nach Entwicklung der Situation kann sich der Sechser zurückfallen lassen, wenn es nötig wäre.

Hier wurde ein langer Ball auf den Flügel gespielt, der Außenverteidiger rückt heraus, die anderen Spieler verschieben. Je nach Entwicklung der Situation kann sich der Sechser zurückfallen lassen, wenn es nötig wäre.

Wenn der Pass angeschnitten Richtung Mitte gespielt wird, so kann der Sechser mit Dynamik in den Zweikampf gehen. Spielt er sehr vertikal ins Loch, dann kann der Innenverteidiger herausrücken und der Sechser sich notfalls auch in die Kette zurückfallen lassen.

Bei einem Pass auf den Flügel kann der Sechser dies ebenfalls tun, um dem Außenverteidiger das Herausrücken zu ermöglichen.Sobald sich der Akteur des Gegners hier den Ball stoppt, ist er umzingelt. Er wird von allen Seiten gepresst, es konzentriert sich eine große Anzahl von Deckungsschatten auf ihn und der aufgerückte Achter kann sich ebenfalls daran beteiligen. Einen Ausweg zu finden ist schwierig, sehr schwierig. Alleine die Ballannahme könnte zu großen Problemen führen. Theoretisch könnte man dies sogar als Gegenpressingfalle bezeichnen.

Ein langer Ball in die Mitte. Es entsteht eine lokale Kompaktheit, sechs Spieler stehen um den gegnerischen Passempfänger.

Ein langer Ball in die Mitte. Es entsteht eine lokale Kompaktheit, sechs Spieler stehen um den gegnerischen Passempfänger.

Die Asymmetrie der verbliebenen Mittelfeldspieler hat übrigens auch einen anderen Grund. Bei einer Staffelung in einer Art 4-4-2 würde nämlich entweder ein 4-4-0-2, ein 4-0-4-2 oder ein 0-4-4-2 entstehen; irgendwo gäbe es ein Loch, welches größer ist als dieses, da hier die gesamte Horizontale frei wäre. Es fehlen die Deckungsschatten, um eine seitliche Ballverarbeitung des Gegners sofort zu unterbinden, was neue Situationen und Passwinkel ermöglicht. Auch bei zweiten Bällen wäre man nicht so kompakt, bei einem Herausrücken der Verteidiger wäre man anfällig für lange Bälle und Tiefensprints.

Schlechtere Staffelung im 4-0-4-2 als Beispiel.

Schlechtere Staffelung im 4-0-4-2 als Beispiel.

Die zweite Variante einer Pressingfalle funktioniert ähnlich, öffnet aber woanders Räume.

4-1-2-3 mit asymmetrischen Flügelstürmern

In dieser Situation ist die Grundformation ähnlich, allerdings versucht dieses Mal einer der Flügelstürmer Zugriff auf den zweiten Innenverteidiger herzustellen. Hierbei nimmt der Flügelstürmer den Außenverteidiger in seinen Deckungsschatten, während er den Innenverteidiger unter Druck setzt. Die beiden Achter verschieben nun in Richtung dieser Seite und stellen die Räume zu, während der Sechser absichert und fast auf einer Höhe mit den beiden Innenverteidigern agiert, die bei langen Bällen herausrücken können.

In diesem 4-1-2-3 rückt der Linksaußen auf den Innenverteidiger.

In diesem 4-1-2-3 rückt der Linksaußen auf den Innenverteidiger.

Ein Pass nach vorne ist also nicht wirklich möglich, bei Diagonalbällen schiebt die gesamte Formation hinüber. Die Mitte ist durch die drei Mittelfeldspieler zugestellt. Durch ihre positionsorientierte Spielweise in der Mitte sind sie hier sehr kompakt und können den Außenspieler isolieren, während der Außenverteidiger und der zurückpressende Flügelstürmer ins Pressing übergehen. Die Pressingfalle entsteht eben durch diese Isolation: Kommt der Ball auf den ballnahen Flügel, so können die zuvor schon dorthin verschiebenden Achter und Sechser den Raum zustellen.

Hier kommt der Ball auf den Rechtsaußen, der sofort isoliert ist, dafür aber eine bewusst freie Anspielstation besitzt; den Rechtsverteidiger für eine Direktablage.

Hier kommt der Ball auf den Rechtsaußen, der sofort isoliert ist, dafür aber eine bewusst freie Anspielstation besitzt; den Rechtsverteidiger für eine Direktablage.

Der Außenverteidiger wird durch das Loch sogar zum Aufrücken gezwungen, ist aber danach nahezu komplett isoliert. Die gesamte Formation schiebt hinüber der Sechser sichert den Zwischenlinienraum und der Flügelstürmer kann im Verbund mit dem ballnahen Achter aggressiv pressen. Pässe in die Mitte oder auf die Seiten sollten nicht möglich sein bzw. müssen in enge Räume gehen, wodurch Ballverluste wahrscheinlich werden.

Der Rechtsverteidiger hat keine Anspielstation, rückt meist mit Ball am Fuß weiter auf und wird dann mithilfe der Seitenlinie abgefangen. Der Linksaußen kann im besten Fall sofort den offenen freien Raum für Konter nutzen. Dies wurde in dieser Saison bei den Bayern schon einige Male gemacht.

Der Rechtsverteidiger hat keine Anspielstation, rückt meist mit Ball am Fuß weiter auf und wird dann mithilfe der Seitenlinie abgefangen. Der Linksaußen kann im besten Fall sofort den offenen freien Raum für Konter nutzen. Dies wurde in dieser Saison bei den Bayern schon einige Male gemacht.

Kommt der Ball vom Innenverteidiger diagonal und lang auf den ballfernen Flügel, steht der Mittelstürmer dort und kann sich am Sechserraum orientieren. Durch die Länge des Passes kann die Formation auch verschieben und ist meistens rechtzeitig dort, um die Außenspieler dort ähnlich zuzustellen wie bei der ballnahen Variante des gegnerischen Aufbauspiels.

Diese Pressingfalle ist weniger intensiv und auffällig, funktioniert aber auf ähnliche Art und Weise, gleichzeitig hat es bei Ballgewinnen interessante Vorteile im offensiven Umschaltspiel; die Bayern unter Guardiola haben beide Spielweisen bereits mehrmals praktiziert, ebenso wie der FC Barcelona. Diese zeigten in dieser Saison übrigens eine dritte interessante Variante.

Der Mittelstürmer als jagender Keilstürmer

Viele Teams agieren bei einem 4-1-4-1 mit einem relativ statischen „Keilstürmer“, der sich zwischen die beiden Innenverteidiger stellt, um die Verbindung zwischen den beiden zu kappen. Dann läuft er den Passempfänger an und drückt somit das Aufbauspiel der gegnerischen Mannschaft in eine Richtung, wodurch die eigene Mannschaft früher und stärker verschieben kann, was mehr lokale Kompaktheit bedeutet. Hierbei gibt es aber keine wirkliche Pressingfalle und auch keine Veränderung der Defensivformation zu einer anderen.

Dennoch lässt sich mit einem Keilstürmer eine Pressingfalle erstellen, wenn er aus einer seitlichen Position startet. So kann sich der verschobene Keilstürmer – wie es Messi zum Beispiel gegen Rayo tat – am gegnerischen Außenverteidiger orientieren. Er lässt beide Innenverteidiger frei und manndeckt den Außenverteidiger. Der Gegner hat nun im Aufbauspiel ein gewisses Problem.

Der verschobene Keilstürmer hat hier quasi den Außenverteidiger in seinem Deckungsschatten und kann gleichzeitig Zugriff auf den Innenverteidiger erzeugen. Das ist Pressingfalle Nummer 1. Pressingfalle Nummer 2 ist der offene Raum dahinter; ein langer Ball kann dorthin kommen, aber dann heißt es oftmals 3 gegen 2.

Der verschobene Keilstürmer hat hier quasi den Außenverteidiger in seinem Deckungsschatten und kann gleichzeitig Zugriff auf den Innenverteidiger erzeugen. Das ist Pressingfalle Nummer 1. Pressingfalle Nummer 2 ist der offene Raum dahinter; ein langer Ball kann dorthin kommen, aber dann heißt es oftmals 3 gegen 2.

Spielt er den keilstürmer-nahen Innenverteidiger an, wird dieser angelaufen und kann nicht auf den Flügel spielen. Der Außenverteidiger ist bereits manngedeckt, ein langer Ball ist keine Option. Und eine Weigerung auf diese Seite zu spielen macht das eigene Offensivspiel enorm ausrechenbar.

Wird die eine Seite ignoriert, kann der gegnerische Außenstürmer sich sogar konstant zurück- oder in die Formation hinein bewegen, wodurch er entweder Stabilität bei langen Bällen in den Zwischenlinienraum gibt oder mehr Druck erzeugt, was wiederum ein Plus für diese Spielweise ist. Beim Hineinbewegen kann er zum Beispiel mit den beiden Achtern hohe Kompaktheit erzeugen und Pässe in den Sechserraum verhindern. Dies kann auch praktiziert werden, wenn der keilstürmernahe Innenverteidiger den Ball erhält.

Dieser wird angelaufen und muss spätestens dann auf den anderen Innenverteidiger spielen, der wieder vom einfach weiterlaufenden Mittelstürmer angelaufen werden kann; dieser hat somit drei Spieler aus dem Spiel genommen, wenn er richtig gelaufen ist und dies erzeugt sehr hohe Kompaktheit, wenn es richtig umgesetzt wird. Diese Kompaktheit benötigt allerdings eine gute Abstimmung in den Bewegungen und kann auch einen großen Tribut fordern.

Der Laufweg ist für den Mittelstürmer sehr lang und kann ihn sehr erschöpfen. Bei Barcelona tat dies Messi bislang nur in vereinzelten Spielen in einigen wenigen Situationen bei Gleichstand, dabei lief er nicht im Sprint, sondern befand sich eher in einem intensiven Lauf und generell wirkte das Kollektiv erst gegen Ende aggressiv aufrückend. Eine konstante Umsetzung dieser Spielweise dürfte wohl nicht möglich sein.

Fazit

Vorab: Theoretisch gibt es eine unendliche Anzahl von möglichen Pressingfallen und Staffelungsmöglichkeiten bei denselben. In jeder Formation können durch unterschiedlichen Positionierungen und Laufwege solche Pressingfallen erzeugt werden. Das 4-1-4-1 besitzt wegen seiner Bewegungsmöglichkeiten und wegen seiner Nutzung in einem hohen Pressing gewisse interessante Merkmale, die hier exemplarisch in Form von drei Varianten geschildert wurden.

Generell ist es aber wichtig zu wissen, dass Pressingfallen existieren und genutzt werden. So redete zum Beispiel Jürgen Klopp auch davon, wie eine solche gegen Real aufgebaut wurde, was letztlich zu einem der erfolgreichen Konterangriffe führte. Unser Rat ist also: Nicht immer, wenn ein Raum bei einer Mannschaft offen ist, liegt dies an schlechtem Verschieben. Manchmal ist es auch etwas anderes:

Admiral Ackbar: Ppressingfallenresistent.

Admiral Ackbar: Eindeutig pressingfallenresistent.

Taktiktrends der Weltmeisterschaft 2014

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Diese Weltmeisterschaft bot dem Freund der Taktik und auch des spektakulären Spiels einiges. Es war (und ist) eine WM der Artenvielfalt, in welcher sich viele kleinere Trends aus dem Vereinsleben abzeichneten, aber auch neue Sachen durch den globalen Charakter der Weltmeisterschaft ins Auge stachen.

Der eindrücklichste Trend dieser Weltmeisterschaft war zum Beispiel etwas, das man in Deutschland kaum zu Gesicht bekommt.

Großer Trend Nummer 1: Dreierketten, Fünferketten, pendelnde Viererketten

Das Dogma der Viererkette ist weltweit vorherrschend. Zwar spielen sehr viele Teams mit unterschiedlichsten gruppen- und mannschaftstaktischen Varianten der Viererkette, doch das Spiel mit vier Verteidigern, die gemeinsam ballorientiert verschieben, gehört zum Standard im Hochleistungssport. Bei dieser Weltmeisterschaft gab es allerdings die Rückkehr (oder Entwicklung) zur Fünferkette. Diese Fünferkette war aber nicht immer eine klare Kette, sondern variierte von Team zu Team.

Eine Szene, bei der Spanien mal schneller vorwärts kam. Silva geht unsauber in den Freiraum, Aranguiz und Vidal kommen im Sprint zurück. Symptomatisch: Busquets und Iniesta nicht involviert. Silva wird zum Schluss von Vidal gefoult.

Bisschen Dreierkette.

Chile beispielsweise agierte am ehesten mit einer Dreierkette. Die Flügelverteidiger spielten zwar gelegentlich auf einer Höhe mit dem Innen- und den Halbverteidigern, bewegten sich aber sehr häufig komplett isoliert im Verschieben von den zentralen Akteuren. Sie gliederten sich dann ins Mittelfeld ein oder spielten isoliert aus der Mannschaft als Manndecker, während sie ballfern bestimmte Räume besetzten, ohne wirklich in einer Kette mit den Innenverteidigern zu spielen. Darum ist Chiles Ausrichtung als 3-4-1-2 oder 3-4-3, auch gegen den Ball, meist am besten beschrieben gewesen.

Bei Costa Rica hingegen war es eher eine Fünferkette, die genutzt wurde. Hier verschoben die fünf Akteure nicht nur in einer Reihe, sondern auch durchgehend gemeinsam ballorientiert. Wenn der Flügelverteidiger nach vorne rückte und presste, dann verschoben die restlichen Spieler hinterher, füllten die Räume und besetzten mit relativ ähnlich bleibenden horizontalen Abständen die Räume dahinter. Desweiteren hielt sich das Herausrücken der Flügelverteidiger in Grenzen und sorgte auch dafür, dass sie meist in einer Fünferreihe oder gar direkt auf einer Linie standen. Uruguay spielte ebenfalls auf diese Art und Weise, wobei bei Costa Rica die flexiblen Herausrückbewegungen – auch zentral – noch häufiger waren und für mehr Variabilität sorgten, desweiteren spielten sie intensiver in ihren Bewegungen.

Beispielhafte Szene für das Herausrücken der Verteidiger.

Beispielhafte Szene für das Herausrücken der Verteidiger bei Costa Rica.

Bereits in der ersten Szene eine mustergültige Demonstration aller italienischen Probleme. Chiellini wird vom Pressingkeil abgeschnitten, Cavani stellt Pirlo zu, Italiens vier Spieler werden von sieben Gegnern zugeschoben. Breite und horizontale Verbindungen generell sind nicht vorhanden. Chiellini legt den Ball unambitioniert auf Marchisio rüber, dessen Lupfer auf Balotelli wird problemlos geklärt.

Uruguay in der Fünferkette.

Die Mexikaner waren im Verschiebeverhalten wiederum anders; sie agierten eher als pendelnde Viererkette. Zentral standen häufig vier oder fünf Spieler in einer Linie, doch wenn der ballnahe Spieler herausrückte, zeigte sich, dass er aus dem Kettenverhalten eigentlich isolierbar war. Der ballferne Außenverteidiger hingegen war das nicht, er bewegte sich mit den drei zentralen Verteidigern und bei Herausrücken des ballnahen Flügelverteidigers im Pressing blieb kurzzeitig eine Viererkette inklusive Viererlinie übrig. Hatte der Gegner im Zentrum den Ball, dann spielten sie zwar tiefer und wie erwähnt mit fünf Spielern auf einer Linie, doch prinzipiell hatten sie bei den Flügelangriffen eine Viererkette und einen ballnahen Pressingspieler, der Zugriff zu erzeugen versuchte.

Mexiko offensiv, Niederlande defensiv

Mexiko offensiv, Niederlande defensiv

Sonderfälle waren die Niederlande von Louis van Gaal und Alejandro Sabellas Argentinien zu Beginn in der ersten Partie gegen Bosnien. Ein klar erkennbares und konstantes Verschiebeverhalten ist bei beiden Teams selten zu sehen gewesen; bei den einen war dies aber durchaus positiv, bei den anderen negativ. Die Albiceleste war das Negativbeispiel. Sie hatten prinzipiell eine pendelnde Viererkette aus einer Fünferlinie heraus, doch ballfern war das Einrücken bisweilen unsauber und es gab eine leicht zonale Mannorientierung des ballfernen Flügelverteidigers. Teilweise entstanden dadurch Bewegungen wie in Dreierketten. In dieser Dreierkette rückten die zentralen Spieler situativ heraus, was wegen mangelnder Absicherung und unpassenden Folgebewegungen sehr instabil war und trotz „zu Nulls“ in der Halbzeit ad acta gelegt wurde. Bis heute haben sie das nicht mehr genutzt bei dieser WM – auch im Finale ist diese Formation nicht zu erwarten.

Die Niederlande hingegen wechselte schlichtweg häufig ihre Verantwortungsbereiche und Bewegungsmuster. In einzelnen Partien und Spielphasen hatten sie eine Fünferkette oder spielten auch mit pendelnder Viererkette über längere Zeiträume, wo ballnah extrem aggressiv mannorientiert verteidigt wurde und sich der Spieler somit aus der Kette herausisoliert, während ballfern der Flügelverteidiger raumorientiert spielte. Meistens gab es aber viele Mannorientierungen, teilweise sogar in ballfernen Räumen und dadurch entstand sogar ansatzweise eine Dreierkette, je nach Mannorientierungsintensität. So gab es einzelne Momente, wo die herausrückenden Flügelverteidiger nicht von den Halbverteidigern oder den selbst erzeugten Druck abgesichert waren, sondern über die diagonal zurückfallenden Sechser mit klaren 3-4-Formationen in der Defensive, die allerdings zentral häufig offen, aber durch die drei Innenverteidiger abgesichert waren.

Und einige Male generierten die Niederländer durch ihre Mannorientierungen auch ganz seltsame Staffelungen wie das kurzzeitige 6-3-1 gegen die Argentinier (hier noch schöner), ein 4-3-3 durch einen vollständig herausgerückten und aus der Kette herausisolierten Halbverteidiger (meist Martins Indi) oder eine komplett offene Mitte, die trotzdem irgendwie nicht bespielt werden konnte (liebe Leser, hier einen lustigen Begriff über Listigkeit oder verschrobene Genialität  und Louis van Gaal als Hashtag kombinieren).  Diese Flexibilität gab es aber generell bei dieser Weltmeisterschaft häufiger zu beobachten.

Großer Trend Nummer 2: Das 4-2-3-1 ist tot, es lebe … alles andere? Ein Hoch auf die Variabilität

4-2-4 gegen 4-2-4 gab es in den 60ern, 4-3-3/1-3-3-3 gegen 4-3-3/1-3-3-3 dominierte in den 70ern, 3-5-2/5-3-2 gegen 3-5-2/5-3-2 erlitten die Zuschauer mehrmals in den 80ern und 4-4-1-1/4-4-2 gegen 4-4-1-1/4-4-2 war häufig das gängige formative Duell in den 90ern und 2000ern. Natürlich gab es immer wieder Ausnahmen oder Ligen, wo sich andere grundlegende Staffelungen etablierten. Dennoch setzte sich in den letzten Jahren das 4-2-3-1 eigentlich weitestgehend bei sehr vielen Mannschaften durch. Bei der vergangenen Weltmeisterschaft gab es zahlreiche Partien, wo zwei einander ähnliche 4-2-3-1-Formationen aufeinandertrafen. Diese Weltmeisterschaft hingegen bricht damit.

4-1-4-1, 4-3-3, 4-2-4, 4-4-2, 4-5-1, 5-4-1, 5-3-1-1, 4-3-2-1, 4-3-1-2, 5-3-2, 5-2-3 und 3-4-3: Das sind so viele Zahlen in einer Reihe, dass man direkt instinktiv nach einem „x“ sucht, auch wenn es vielleicht nur das rechts oben im Eck ist. Aber all diese Formationen konnte man bei dieser Weltmeisterschaft beobachten, sie wurden auch von unterschiedlichen Mannschaften gespielt und die Trainer dieser Mannschaften veränderten ihre Grundausrichtung häufig im Turnier oder sogar während der Spiele.

Grundformationen

Chile mit Zweierkette

Chile hatte beispielsweise gegen Australien eine Viererkette, die man aber vermutlich sogar als Zweierkette bezeichnen könnte; später stellten sie auf ein 3-4-1-2 um, welches aber gegen Spanien, gegen Brasilien und gegen die Niederlande jeweils anders von den Abläufen gehandhabt wurde. Deutschland passte ebenfalls das Pressing häufig an, spielten mal 4-3-3, mal 4-1-4-1, mal 4-4-1-1 und mal veränderten sie ihre Formation in der Situation selbst durch die Bewegung (sh. Analyse zum 7:1). Die Amerikaner warteten mit ihrem asymmetrischen 4-1-4-1-Pressing auf, in welchem ein Achter etwas höher spielte als der zweite, wodurch sie quasi eine Raute in ihrer Formation versteckten.

Natürlich gab es auch hier Mannschaften, welche mehr oder weniger in jedem Spiel das Gleiche und sehr Standard spielten (Ecuador) oder nur leicht und simpel anpassten (Kroatien, Belgien), alles in allem zeigten aber auch viele vermeintlich kleinere Mannschaften, dass sie taktisch und durchaus auch spielerisch aufgeschlossen haben. Am auffälligsten waren hierbei die Algerier, welche die Gruppe als Außenseiter überstanden und sogar Deutschland lange Zeit gewisse Probleme machten; von Chile, Costa Rica und Kolumbien ganz zu schweigen. Oder auch Uruguay: Sie spielten beispielsweise nach der Integration Lodeiros in die Stammelf auch mit einem sehr interessanten 5-3-1-1/5-2-2-1/5-2-1-2-System, in welchem sie dessen Bewegung für eine interessante Asymmetrie und Herausrückbewegungen nutzten.

In unserem WM-Spielplan kann man übrigens mehr zu den Teams und ihren Anpassungen nachlesen, wir haben zu jeder Partie exklusive Brasilien gegen Chile und Argentinien gegen Iran (Beschwerdemails an mr[at]spielverlagerung[dot]com).

Großer Trend Nummer 3: Mannorientierungen und Individualfokus

Es gab aber nicht nur positive taktische Trends bei dieser Weltmeisterschaft, sondern auch einige, die man eher skeptisch beäugen darf. Sehr viele Mannschaften bauten zahlreiche mannorientierte Elemente in ihre eigentliche Raumdeckung ein oder spielten teilweise nahezu mit einer kompletten Manndeckung. Abermals sind hier die Niederländer zu nennen, welche häufig mit unterschiedlichen Umsetzungen der Mannorientierungen und einer insgesamt eher tieferen, kompakten Ausrichtung das gegnerische Aufbauspiel zerstören konnten. Aber auch viele andere Mannschaften nutzten unterschiedliche Mannorientierungen oder Mischformen aus Mann- und Raumdeckung.

Bei Argentinien rückte zum Beispiel der Sechser neben Mascherano ebenso häufig mannorientiert nach vorne, wie die Außenverteidiger und Flügelstürmer. Auch die Brasilianer versuchten mit ihrem hohen Chaospressing durch viele Mannorientierungen Zugriff zu erzeugen, während die Algierer mit einer konsequenten Umsetzung dieser Spielweise ebenfalls relativen Erfolg feiern konnten.

Die vielfach gesehenen Mannorientierungen deuten in gewisser Weise aber auch auf einen zugenommenen Fokus auf das Individuum hin; das Gewinnen von 1-gegen-1-Situationen war bei vielen Mannschaften in zahlreichen Situationen elementar, auch wenn sie durch das kollektiv nach wie vor genutzte ballorientierte Verschieben und die Mischung mit einer Raumdeckung ausreichend gut abgesichert und unterstützt wurden. Dennoch zeigte sich dieser Fokus auch offensiv: Zahlreiche Mannschaften konzentrierten sich auf die Leistungen ihrer Einzelspieler und die Unterstützung dieser.

505 Mannorientierungen

5-0-5-Staffelung bei der Niederlande durch die Mannorientierungen

Bei Argentinien sind Di Maria und Messi in der Offensive und Mascherano gegen den Ball solche fokussierten Spieler, bei Brasilien Neymar (mit Balancespieler Oscar) und Thiago Silva, bei Bosnien Dzeko und Pjanic, bei Kroatien die Flügelstürmer und Rakitic, usw. usf. Wie sowas aber kollektiv gemacht werden kann, das zeigten die französische und deutsche Rollenverteilung. Hier wurden die Bewegungsabläufe innerhalb der Formation an die jeweiligen Fähigkeiten der Spieler angepasst; Pogba und Matuidi spielen auf der Doppelacht ebenso asymmetrisch wie Kroos und Khedira, ebenso wie die Flügelstürmer und Außenverteidiger angepasste Rollen haben.

Kleiner Trend Nummer 1: Die Einbindung der Außenverteidiger

Abgesehen von den oberen drei Punkten ließen sich nur schwer klare Trends im Nationalmannschaftsfußball erkennen; auffällig waren dennoch ein paar weitere Aspekte. Die Rolle der Außenverteidiger variierte beispielsweise. Schienen bei den letzten Weltmeisterschaften die Außenverteidiger fast nur entweder passiv Breite zu geben oder aktiv über die Flügel durchzubrechen, ist dieses Mal das Spektrum bedeutend größer.

Marcelo auf links bei Brasilien spielte häufig als Spielgestalter und wurde in bestimmten Spielen so eingesetzt, bei den Niederländern war Kuyt als Flügelverteidiger fast schon eine Ein-Mann-Flexibilitätsmaschine, der diagonal, linear und sehr offensiv oder sogar passiv im Halbraum und leicht spielgestaltend agierte, obwohl er die Position eigentlich nicht kannte. Bei Deutschland wurde über die „Innenverteidiger als Außenverteidiger“ häufig negativ berichtet, doch das Problem war eher, dass die Einbindung und die potenziellen Möglichkeiten einer solchen Spielweise nicht ordentlich genutzt wurden oder werden konnten.

Generell ist diese Ausrichtung potenziell interessant, es ist aber schwierig konstant die bestmöglichen Synergien dieser Spielweise zu erzeugen. So wäre auch im Aufbau viel möglich, zum Beispiel durch tiefe Rückfallbewegungen der Außenverteidiger und flexiblere Bewegungen der Innenverteidiger sowie des Torwarts; bei Deutschland mit Neuer und Hummels hätte man das beispielsweise interessant nutzen können. In höheren Zonen wäre es desweiteren möglich, dass man durch die Aufrückbewegungen enorm präsent und nahe am Sechserraum absichert, durch die Folgewirkungen einen sehr hohen Staffelungsdruck erzeugt und natürlich durch unterschiedliche Positionierungen im eigenen Angriffsspiel den gegnerischen Außenverteidiger wegzieht (Bernards Orientierungslosigkeit bei dem 7:1).

Spielen sie aber konstant wie beidseitig nur halb-aufrückende Außenverteidiger, dann ist die zusätzliche defensive Absicherung nicht ordentlich gegeben, ballnah werden die Räume nicht sauber geöffnet und im ersten Umschaltmoment ist für den Gegner zu viel Raum zur Geschwindigkeitsaufnahme möglich, weil das Gegenpressing nicht passend umgesetzt wird. Diese Ausrichtung ist also nicht per se schlecht, sondern potenziell gut, aber schwierig einzubinden. Nebenbei spielten auch die Belgier mit einer ähnlichen Spielweise ihrer Außenverteidiger.

Vor dem 0:3:

Bernard ist so verwirrt, dass da ein Innen- als Außenverteidiger spielt, dass er vergisst, wie man Fußball spielt.

Kleiner Trend Nummer 2: Die Entwicklung der Torhüter

Eine ähnliche Variabilität konnte man bei den Torhütern betrachten, wobei sich hier nur ein Trend durchsetzt, den es schon seit Jahren gibt: Die Torhüter sehen sich selbst immer mehr als Feldspieler. Claudio Bravo, Hugo Lloris, Jasper Cillessen, Sergio Romero und Manuel Neuer sind mitspielende Torhüter, wenn auch teilweise mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Charakteristiken. Sogar Tim Howard hat sich im Herbst seiner Karriere stärker in Richtung eines mitspielenden Torwarts entwickelt, während einige andere wiederum bis heute eher den klassischen Torwarttypus vertreten; Iker Casillas und Julio Cesar entsprechen diesem Bild noch.

Aber es wird wohl Mode werden, dass die Torhüter nicht nur auf der Linie enorm stark sind, sondern entweder in allen Bereichen sehr solide und stabil sind (Courtois, Ochoa und Keylor Navas z.B.), in einzelnen Bereichen sehr fokussiert eingebunden werden, wie beim Herauskommen (Hugo Lloris) oder dem Mitspielen mit dem Fuß (Claudio Bravo), oder schlichtweg generell in nahezu jeder Eigenschaft überragen (Manuel Neuer). Die reinen Linienschnapper, welche nur auf der Linie und im Fünfmeterraum größere Stärken besitzen, sterben aber WM für WM aus.

Manuel Neuers Heatmap; Rechte liegen bei Squawka.

Kleiner Trend Nummer 3: Erhöhte strategische Flexibilität

Neben den taktischen Anpassungen finden sich bei dieser Weltmeisterschaft auch grundsätzliche strategische Veränderungen. Gibt es eine Mannschaft, von der man sagen würde, sie hat in jedem Spiel in jeder Spielphase die gleiche Strategie verfolgt? Die Spanier kamen auf nur knapp über 60% Ballbesitz, für ihre Verhältnisse ein wohl relativ geringer Wert. Deutschland, Japan, Argentinien und Italien komplettieren die Top-5 der Ballbesitztabelle.

Deutschland? Gegen Brasilien phasenweise, gegen Frankreich über längere Zeitdauer und auch in der Gruppe spielten sie immer wieder für längere Zeit tief und konzentrierten sich eher auf das Konterspiel. Argentinien? Sie gelten bisweilen als defensivste Mannschaft seit dem Ausscheiden der Griechen, halten den Ball eigentlich dennoch selten aus Defensivgründen, sondern zirkulieren lediglich tief und greifen mit Unterzahlkontern an. Bislang spielt die Alibiceleste also in gewisser Weise den erfolgreichsten Minimalistenfußball dieser Weltmeisterschaft, trotz (und nur partiell wegen) des hohen Ballbesitzes.

Die Niederlande, Frankreich, Kolumbien oder auch die extrem auf Dominanz und Intensität ausgerichteten Chilenen wechselten ihre strategische Ausrichtung je nach Situation und Spielen, in einzelnen Phasen wich sogar Costa Rica phasenweise von ihrem Spielstil ab und hielt den Ball über längere Phasen. Die Höhe und Grundstruktur des Pressings oder die grundsätzliche Art anzugreifen wurden ebenfalls von den meisten Teams häufig gewechselt. Einen grundlegenden Spielstil, ob Konter oder Ballbesitz, konnte man weder insgesamt bei dieser Weltmeisterschaft noch innerhalb einzelner Mannschaften beobachten.

Fazit

Abgesehen von diesen Aspekten lässt sich kaum ein klarer taktischer Aspekt festmachen, der verstärkt in den Fokus geraten ist. Doch neben der Taktik gab es einige andere Dinge, welche ins Auge stachen: Die vielfältigen unterschiedlichen Spielrhythmen und Rhythmusveränderungen fand ich subjektiv überproportional häufig vorhanden. Das Spiel Kolumbien gegen Brasilien in der ersten Halbzeit und noch einige andere Spieler in Ansätzen gehörten für mich beispielsweise zu den beeindruckendsten Dynamiken, die ich jemals in einem Fußballspiel gesehen habe. Zahlreiche Partien veränderten sich auch häufig im Spiel selbst, insbesondere in der zweiten Halbzeit und in den Schlussphasen. Generell schien diese Wechselwirkung aus Taktik, Taktikpsychologie und Psychologie unter teilweise extremen Bedingungen in Brasilien stärker in den Fokus zu geraten.

Ansonsten lässt sich konstatieren: Die Fußballwelt ist im Wandel. Sie verändert sich zu einer farbenfroheren, vielfältigeren Welt und das kann man nur positiv sehen, auch wenn es einige schwache Partien gab, mehrere enttäuschende Mannschaften und viele taktische Probleme, welche auch zeigen, dass der Nationalmannschaftsfußball letztlich doch hinter dem Klubfußball liegt. Trotzdem ist die Weltmeisterschaft einmalig, denn ihr globaler Charakter bringt häufig neue Komponenten und Denkstrukturen zum Vorschein, welche dann in „besserer“ Art und Weise vom Klubfußball adaptiert und weiterentwickelt werden. Man darf gespannt sein, ob die Dreier- oder Fünferkette z.B. auch in Deutschland oder England ihre Rückkehr feiern.

Die Halbräume

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In diesem Artikel besprechen wir einen oft vernachlässigten Raum in der Taktiktheorie: Die Halbräume. In unseren Analysen haben wir diese allerdings schon öfters diskutiert und erwähnt. Vielfach wurde dabei gefragt, was genau die Halbräume denn sein sollen; der Antwort darauf möchte ich mich hier widmen. Dabei wollen wir zuerst die Halbräume kategorisieren und danach die Eigenheiten dieser Räume kurz diskutieren.

Aufteilung des Spielfelds in Zonen

Für gewöhnlich wird das Spielfeld in mehrere Teile zerlegt. Dabei gibt es mehrere unterschiedliche Vorgehensweisen. Eine Möglichkeit ist die Aufteilung des Raumes im Sinne der von der Formation vorgegebenen Aspekte. In der Vertikale gibt es dann meistens drei oder vier Linien beziehungsweise Bänder. Bei einem 4-4-2 sind es drei Bänder, bei einem 4-1-4-1 sind es vier. Zwischen den Bändern gibt es die vielfach zitierten „Zwischenlinienräume“, welche zumeist als ursächlich für das Spielgeschehen gesehen werden. Dies sind die vertikalen Linien; für die horizontalen kann dies ebenfalls gemacht werden.

Alternativ sind auch einfache Aufteilungen des Feldes möglich. Die meisten teilen hierbei jeweils die Spielhälften in drei weitere Teile sowie die Spielfeldbreite in Flügel und Mitte. Louis van Gaal unterscheidet dadurch zum Beispiel 18 Rechtecke, die eben aus sechs vertikalen und drei horizontalen Aufteilungen entstehen, in welchen es für jedes Rechteck bestimmte Aufgaben, Verantwortungen und taktische wie strategische Eigenheiten gibt.

Einteilung in 18 Rechtecke

Einteilung in 18 Rechtecke

Der Mittelstreifen dabei ist etwas breiter, es wird wie erwähnt vorrangig in „Mitte“ und „Flügel“ unterteilt. Gemäß dem Positionsspiel gibt es dabei je nach den vier Phasen in bestimmten Zonen und für bestimmte Positionen unterschiedliche Aufgaben, welche die Spieler nach Phase und im Sinne der vier Referenzpunkte Arrigo Sacchis erfüllen sollen. Ansonsten werden bei solchen reinen Zonenaufteilungen die Zonen rein geometrisch aufgeteilt. Wieder entstehen 18 Zonen, das Spielfeld wird aber einfach vertikal in sechs gleichgroße und horizontal in drei gleichgroße Bereiche aufgeteilt.

Nummeriert, inkl. der ominösen Zone 14

Nummeriert, inkl. der ominösen Zone 14

Der „Zwischenlinienraum“ bei einer tiefstehenden Mannschaft entsteht dann in der ominösen „Zone 14“, welche für viele als spielentscheidend gilt. Dazu gibt es übrigens einen lesenswerten Artikel, der auch Zahlen und wissenschaftliche Studien dazu wiedergibt.

Strategisch-taktische Einteilung des Spielfelds in der Horizontale

Persönlich spreche ich mich für eine Art der Raumeinteilung aus, die stärker auf das taktische Geschehen, strategische Schlüsselzonen und die jeweilige Realsituation ausgerichtet ist. Hier kommen die Halbräume ins Spiel. So könnte man das Spielfeld in drei grundlegende Bereiche aufteilen: Flügelräume, Halbräume, Zentrum.

Alternative Feldeinteilung in der Horizontale

Alternative Feldeinteilung in der Horizontale

Theoretisch kann man bei obigem Bild auch die Flügel noch kleiner machen, die Halbräume und die Mitte erweitern oder die drei Zonen komplett unterschiedlich in puncto Fläche einteilen, sogar eine Aufteilung in sieben horizontale Bahnen ist möglich. Das Zentrum bezeichnet aber natürlich immer den Mittelstreifen. Die Mitte wird meistens – wie auch im Schach – als wichtigste Zone gesehen. Wer die Mitte kontrolliert, kontrolliert das Spiel, heißt es. Wieso das so ist, kann man ganz einfach mit ein paar der Mitte eigenen Aspekten erklären.

In der Mitte ist zum Beispiel die Entscheidungsfreiheit größer. Es gibt keine Abgrenzung durch die Seitenauslinie. Gehen wir von acht groben und grundlegenden Richtungen aus, wohin der Ball gespielt werden kann (nach vorne, nach hinten, quer nach links, quer nach rechts sowie jeweils vier diagonale Linien), gibt es auf dem Flügel nur fünf Richtungen (nach vorne, nach hinten, quer nach links oder rechts, zwei diagonale Linien). Das bedeutet, dass der Spielraum eingeschränkt ist, wodurch auch die Präzision bei vertikalen Pässen höher sein muss.

Dies ist in der Mitte nicht der Fall. Bei einem auf das Zentrum ausgerichteten Team gibt es durch die dortige hohe Präsenz, viele Entscheidungsmöglichkeiten und damit auch mehr Optionen, Dynamik zu erzeugen. Der Gegner muss außerdem nicht nur wie beim Flügel zwei Räume verteidigen (den Flügel selbst und eben die Mitte), sondern drei (die Mitte und beide Flügel), weil beide in der Mitte unmittelbar bespielbar sind.

Auf der anderen Seite ist die Mitte regelmäßig besonders eng besetzt, sodass hier grundsätzlich weniger Zeit besteht, um Entscheidungen zu treffen. Zudem bedeuten die vielen Passrichtungen auch gleichzeitig mehr Raum, der überblickt werden muss (360°). Dadurch können Mit- und Gegenspieler leicht übersehen werden. Dieser starke Zeitmangel gepaart mit den Herausforderungen der Raumübersicht herrscht auf den Flügeln nicht. Hier ist die Staffelung zunächst weniger eng als in der Mitte. Ferner braucht der Flügelspieler nur 180° überblicken, um das ganze Feld zu sehen. Auch sind Ballverluste in den äußeren Zonen weniger problematisch, als das im Zentrum der Fall ist. Denn wie schon das Beispiel der Zone 14 zeigte, ist der Weg von der Mitte zum Tor am kürzesten, sodass dortige Ballverluste sofort Gefahr für das eigene Tor bedeuten.

Doch wieso sollten zu der Dreieraufteilung aus Flügel-Mitte-Flügel noch die Halbräume hinzukommen?

Die Tororientiertheit des Fußballspiels

Die Ursache ist einfach eine logische, welche mit dem Reglement des Fußballs zusammenhängt. Im Fußball geht es um eines, das Erzielen von Toren. Ob Romantiker oder Pragmatiker, ob Fan oder Trainer, ob Taktiker, Stratege oder Chaot oder sonstige Verteilungen: Jeder möchte letztlich, dass das Runde ins Eckige geht.

Das Tor befindet sich in der Mitte des Feldes; die eigenen und die gegnerischen Staffelungen verändern sich im Sinne des ballorientierten Verteidigens, der Raumverknappung und der Raumdeckung je nach Position des Balles. Wenn der Ball auf dem Flügel ist, stehen beide Mannschaften anders da als bei zentraler Ballposition.

Der „Halbraum“ existiert im Sinne dieser analytischen Betrachtung ebenfalls. Sieht man sich die Verschiebebewegungen der beiden Mannschaften an, erkennt man nicht nur Unterschiede, wenn sich der Ball auf dem Flügel oder in der Mitte befindet, sondern auch bei einer Position dazwischen; eben dem Halbraum.

Nehmen wir zur Erklärung dieser Unterschiede eine Situation einer Mannschaft in einer 4-4-2-Defensivformation und einer aufbauenden Mannschaft im 2-5-3. Der Sechser ist im ersten Szenario etwas abgekippt und steht nun zentral knapp vor und vertikal gesehen zwischen den Innenverteidigern. Die Mannschaft im 4-4-2 steht nun „normal“ da. Sie muss nicht verschieben und dies ist offensiv wie defensiv die grundsätzliche Staffelung. Beide Mannschaften wollen nun auf ein Tor spielen; das der verteidigenden Mannschaft. Eine Mannschaft macht dies offensiv, eine defensiv.

442 vs 253

442 vs 253

Im nächsten Szenario ist der Ball auf dem Flügel gelandet. Die verteidigende Mannschaft im 4-4-2 verschiebt, die ballnahen Außenspieler stellen Zugriff her und es entsteht eine veränderte Staffelung. Die aufgerückten Außenverteidiger werden abgesichert, die beiden Innenverteidiger stehen tiefer, ähnliches gibt es im Mittelfeld zu sehen. Die Bewegung, die Umstände und die strategischen Möglichkeiten sind anders. Naturgemäß spielt man von hier aus in Richtung Tor, die Räume sind allerdings nun deutlich dichter und ausrechenbarer.

Ball auf dem Flügel

Ball auf dem Flügel

Im letzten Szenario sehen wir uns an, was passiert, wenn der Ball im Halbraum ist. Hierzu steht der Sechser (oder ein aufgerückter Innenverteidiger) im Halbraum. Auch hier verändern sich die Staffelungen beider Mannschaften. Wir können alleine deswegen davon ausgehen, dass die Halbräume idealerweise als eigener Raum zu klassifizieren sind, denn durch die entstehende Bewegung beider Mannschaften entstehen strategische Unterschiede.

Ball im Halbraum

Ball im Halbraum

Verschieben wir innerhalb dieser drei Zonen die Ballposition, verändert sich nur wenig. Die Bewegungen werden intensiver, aber es gibt keine grundlegenden neuen Staffelungen. Somit sollte auszuschließen zu sein, dass eine weitere vertikale Dimension in der Raumaufteilung benötigt wird; einzig die Optionen und die taktikpsychologischen Aspekte (früher Abschluss um den Strafraum herum, etc.) sind unterschiedlich.

Die Diagonalität der Halbräume

Fügt man zwischen Zentrum und Flügel zusätzlich die Halbzonen ein, ergibt sich im Hinblick auf die strategischen und taktischen Eigenheiten ein differenziertes Bild:Die Sichtfelder sind ein Aspekt. In der zentralen Staffelung stehen beide Teams direkt vor dem Tor, die Sichtfelder sind jeweils vertikal. Bei Positionen im Halbraum hingegen sind die Sichtfelder nicht vertikal, sondern diagonal. Ein Akteur im Halbraum hat ebenso viele Optionen wie der zentrale Akteur, muss sich aber nicht von der Mitte wegdrehen und zur Seite spielen, sondern kann ein tororientiertes Sichtfeld in seinem Passspiel beibehalten.

Das Sichtfeld

Das Sichtfeld oder auch Gesichtsfeld setzt sich aus dem fovealen und dem peripheren Sehen zusammen. Im Gegensatz zum fovealen Sehen, bei dem die Blicklinie des Auges exakt auf ein anvisiertes Objekt ausgerichtet ist, um die maximale zentrale Sehschärfe auszunutzen, liefert das periphere Sehen grobe, unscharfe und optisch verzerrte Seheindrücke außerhalb eines festen Fixationspunktes. Im Prinzip wird beim peripheren Sehen an dem fraglichen Objekt „vorbei gesehen“. Das Gesichtsfeld hat horizontal eine binokulare (beidäugige) Ausdehnung von etwa 180-200°; vertikal circa 130°.

vertikales und horizontales Gesichtsfeld

vertikales und horizontales Gesichtsfeld

Das Gesichtsfeld kann durch den Einsatz von Blickbewegungen mit Hilfe der Augenmuskeln deutlich vergrößert werden (Blickfeld). Auf diese Weise kann allein horizontal ein Bereich von etwa 270° abgedeckt werden. Das Umblickfeld bezeichnet jenes Areal, das ein stehender Mensch ohne Verstellen der Füße bei Ausnutzung aller Bewegungsmöglichkeiten erfassen kann. Bei uneingeschränkter Bewegungsmöglichkeit des Rumpfes können in der Horizontalen 360° visuell erfasst werden.

Durch die Tororientiertheit der Sichtfelder und die Positionierung der Halbräume auf dem Spielfeld entsteht ein besonderer Effekt. Stellt man sich vor, ein Spieler blickt vom Mittelpunkt effektiv bis zu 50 Meter nach vorne (da endet immerhin das Spielfeld), kann er von seinem Standpunkt aus bei Fixierung des Tores bzw. den tornahen Räumen nur einen gewissen Abschnitt fokussieren. Blickt er in eine andere Richtung, ist dies natürlich ebenfalls so.

Passwinkelmöglichkeiten aus dem Zentrum

Passwinkelmöglichkeiten aus dem Zentrum

Wenn aber ein Spieler aus dem Halbraum diagonal in Richtung Tor blickt (oder in tornahe Räume oder zum anderen Flügel), überblickt er deutlich mehr Raum und hat somit nicht nur theoretisch mehr Optionen, sondern auch praktisch deutlich mehr Spielraum.

Passwinkelmöglichkeiten aus dem Halbraum

Passwinkelmöglichkeiten aus dem Halbraum

Gleichzeitig ist der Raum, den er nicht sieht, geringer. Damit sind jene Räume gemeint, die in seinem Rücken liegen. Weil der Spieler im Halbraum steht und (im Normalfall) ein diagonales Blickfeld in Richtung Tor beziehungsweise ins Feld hinein besitzt, hat er wenig Abstand zur Auslinie und ist ihr mit seinem Rücken zugewandt. Somit besteht nur eine geringe Gefahr, dass er beispielsweise von hinten gepresst wird oder generell unter großen Druck geraten kann.

Das Raumgreifen der Diagonalität bespielt das gegnerische Verschieben auch klar stärker als banale Vertikalität. Dieser Aspekt entsteht dadurch, dass der Ball eine höhere Maximal- und eine höhere Antrittsschnelligkeit hat sowie die Natur der relativ stabilen Ankunftsdynamik des Passendpunkts. Das erlaubt auch ein stärkeres Raumgreifen von diagonalem Passspiel.

Zusätzlich ist der Halbraum aber nicht so nahe an der Seitenauslinie, dass diese gegen ihn verwendet werden könnte, wie es bei einem Flügelstürmer oftmals der Fall ist. Der Halbraum ist somit die ideale Schnittmenge aus „ich habe genug Platz“ und „was ich nicht sehe, ist mir eh egal“.

Diesen Aspekt sollte man natürlich nicht zu wörtlich nehmen oder überbewerten. Es geht hier lediglich um eine Abklärung der grundlegenden theoretischen Sachen in einer idealen Situation, die im Spiel natürlich nicht immer vorkommen kann und darum je nach Situation betrachtet und bewerten muss; bekanntlich sind gegen manche Teams oder eher in bestimmten Situationen ja sogar die Flügel das beste Mittel zum Angriffsvortrag.

Apropos Angriffsvortrag; auch dieser Aspekt ist bei den Halbräumen als Vorteil in der Offensive zu sehen. Sie besitzen nämlich eine positive Dynamik für das Kombinationsspiel und den Raumgewinn.

Das Passspiel

Durch die tororientierte Natur des Fußballspiels und den Faktor der Deckungsschatten sind diagonale Pässe als Alternative zu vertikalen und horizontalen Pässen ein wichtiger Faktor im Fußball.

Der besondere Vorteil von Vertikalpässen nach vorne liegt darin, dass auf diese Weise direkt und somit am schnellsten Raumgewinn erzielt werden kann. Auf der anderen Seite ist bei dieser Passrichtung das Blickfeld für den Passempfänger eingeschränkt, da er regelmäßig mit dem Rücken zum gegnerischen Tor steht und somit nicht sehen kann, was hinter ihm vorgeht. Hat der Passempfänger einen Gegenspieler in seinem Rücken, kann er sich nicht zum Tor aufdrehen und muss den Ball wieder zurückspielen.

Waagerechte Zuspiele dienen in erster Linie der Spielverlagerung und dem Seitenwechsel. Auf diese Weise kann zudem Gegnerdruck vom Ball genommen werden. Durch seitliche Pässe wird jedoch kein direkter Raumgewinn erzielt, wodurch auch kein Druck in Richtung des gegnerischen Tores entsteht.

Ein vertikaler oder ein horizontaler Pass bringen jeweils nur eine einfache Richtungsänderung in die Partie, was das Bewegungsspiel für den Gegner im Verschieben weniger komplex macht. Bei einem Querpass muss der gegnerische Defensivverbund „nur“ richtig mit dem Ball verschieben. Ähnliches ist bei einem Vertikalpass der Fall. Im Grunde ergibt sich bei diesen beiden Passrichtungen nur dann eine neue und erfolversprechende Situation, wenn der Gegner eine unpassende Staffelung hatte oder nach diesen Pässen eine erneute Richtungsänderung eintritt. Bei einer Aneinanderreihung von Querpässen von einer Seite zum anderen durchläuft der Ball zwar aus strategischer Sicht unterschiedlich wertvolle Zonen, aber kommt dann auf der anderen Seite mit der gleichen theoretischen Ausgangslage an.

Ähnliches ist bei Vertikalpässen der Fall, obwohl sie mehr Gefahr einbringen, weil das vertikale Verschieben (besonders zurück nach hinten) für den Gegner schwieriger und nicht so schnell zu bewerkstelligen ist, außerdem kann ein Vertikalpass hinter die Abwehr für eine direkte Chance sorgen. Generell sind für die „Einfachheit“ der beiden Pässe jeweils extreme Zonen, wie der Strafraum, wo direkt abgeschlossen werden kann, Ausnahmen.

Ein Diagonalpass hat hingegen sowohl einen direkten Raumgewinn als auch eine Verlagerung zur Folge, was dazu führt, dass der Passempfänger ein gutes Blickfeld hat, das ihm ein sicheres Weiterspielen ermöglicht. Das Risiko des mangelnden Drucks auf den Gegner durch Horizontalpässe und der eingeschränkte Blickwinkel bei Vertikalpässen werden durch das diagonale Zuspiel umgangen. Bei diagonalen Pässen werden also die Vorteile von Vertikal- und Horizontalpässen miteinander verbunden, während die jeweiligen Nachteile neutralisiert werden.

Bei einem diagonalen Pass sind die Bewegungen, die der Gegner als Reaktion vornehmen muss, deutlich komplexer, als dies bei vertikalen und horizontalen Pässen der Fall ist. So muss sowohl die Richtung als auch die Höhe korrigiert werden und nicht bloß einer von beiden Aspekten. Meistens kommt auch noch hinzu, dass sich die gegnerischen Spieler etwas asymmetrisch verhalten müssen. Die einzelnen Verteidiger des Kollektivs müssen sich demnach leicht unterschiedlich bewegen, was ebenfalls zu mehr Fehlern führen kann.

Was hat das aber speziell mit den Halbräumen zu tun? Einerseits natürlich die eingangs erwähnte Tororientiertheit, welche in den Halbräumen oft schon halbautomatisch zu Diagonalität führt. Andererseits ist der Ort, von wo aus diagonale Pässe gespielt werden, entscheidend. Aus der Mitte führt ein diagonaler Pass weg vom Tor; vom Flügel aus führt er zwar zum Tor, aber aus einer isolierten Zone heraus und auf einen Spieler, der sich für die Annahme vom Tor wegdrehen muss.

Auch hier verbindet der Halbraum zwei positive Aspekte und schaltet die Nachteile ansatzweise aus. Vom Halbraum aus gehen diagonale Pässe entweder in die strategisch wichtige Mitte oder auf den Flügel, wo der Ball aber mit Sichtfeld ins Feld hinein und zum Tor ausgerichtet angenommen werden kann. Diese Vorteile von Diagonalität aus dem Halbraum aus und der ihm zugrundeliegende diagonale Charakter gehören ebenfalls zu den Besonderheiten dieser Zone.

Desweiteren haben diagonale Pässe einen raumgreifenden Charakter; einen erfolgreichen Querpass über 30 Meter zu spielen ist ebenso schwierig wie in der Vertikale über 30 Meter, weil der Gegner mit seinem Linienspiel die Kanäle schnell versperren kann. Ein diagonaler Pass kann diese vertikalen und horizontalen Linien „zerschneiden“, was ihm auch eine größere Wahrscheinlichkeit gibt über weite Distanzen anzukommen – oder anders gesagt: Es ergibt sich eher die Möglichkeit, einen erfolgreichen langen Pass zu spielen. Netter Nebeneffekt: Durch einen diagonalen Pass nach vorne aus dem Halbraum in die Mitte ergibt sich gleichzeitig horizontaler wie vertikaler Raumgewinn.

Ein weiterer Faktor der Diagonalität bezieht sich nicht auf die eigenen Pässe, sondern auf die gegnerischen Bewegungen.

Die Trigonometrie der Halbräume

Eine vertikale oder horizontale Bewegung ist meistens bei ähnlichem Effekt kürzer als eine diagonale Bewegung; auch das ist hier natürlich nicht absolut, sondern kontextuell zu sehen. Eine Mannschaft, die sich im 4-2-4 formiert und ihre vier Stürmer vor den gegnerischen vier Verteidigern und hinter den vier gegnerischen Mittelfeldspielern aufstellt, lässt einfachen Zugriff auf ihre Stürmer zu. Wenn die Sturmreihe jedoch enger steht, dann befinden sich die beiden Flügelstürmer in einer Zwischenposition.

Sie stehen einerseits zwischen ihrer nominellen Position und der Mittelstürmerposition, andererseits befinden sie sich auch zwischen je vier anstatt je zwei Gegenspielern. Dies klingt zwar nach unnötigem Druck und einer Erleichterung der Defensivarbeit des Gegners, doch ist eher das Gegenteil der Fall. Wenn sich die Flügelstürmer in diese Zwischenposition begeben, so muss der Gegner einen längeren Weg beim Herausrücken gehen.

Sehen wir uns dazu ein Rechenbeispiel an (juhu, Mathematik):

Wir haben zwei Viererketten; das Mittelfeld und die Abwehr stehen in einem Abstand von zehn Metern zueinander. Genau dazwischen, also bei einer gedachten Grenze von fünf Metern, agiert der Vierersturm des Gegners. Sie befinden sich exakt in einer vertikalen Linie mit den Mittelfeldspielern und Verteidigern des Gegners. Somit hat jeder Stürmer fünf Meter Abstand auf je zwei Gegenspieler. Zwischen den Spielern befinden sich je zehn Meter Abstand in der Horizontale.

Der Einfachheit bei der Berechnung halber nehmen wir an, dass das Zurücklaufen ebenso schnell wie das Vorlaufen dauert.

Schieben wir die Flügelstürmer in die Mitte und bleiben die Außenverteidiger des Gegners draußen. Gehen wir davon aus, dass die Flügelstürmer exakt fünf Meter einrücken. Nun benötigen der Außenverteidiger und der Flügelstürmer der gegnerischen Mannschaft nicht fünf Meter zum Herausrücken, sondern über sieben Meter (7,0710678); also über zwei Meter mehr, um Druck zu erzeugen, wodurch der eigene Flügelstürmer natürlich minimal mehr Platz zum Agieren und Zeit zum Reagieren hat.

Wieder stellt sich aber die Frage, wo genau der Halbraum diesbezüglich seinen speziellen Vorteil gegenüber anderen Zonen hat. In einer zentralen Zwischenposition wird man vom Tor abgelenkt, wenn der Gegner herausrückt; außerdem kann der Gegner mit den einrückenden Außenspielern bei einem herausrückenden zentralen Akteur die Mitte gut versperren und leitet auf die Flügel.

Pass durch das Mittelfeld auf den Mittelstürmer. Nicht nur, dass der Gegner hier relativ einfach stehen bleiben konnte, er hat auch eine simplere Absicherung im Herausrücken, leitet den Passempfänger auf die Seite und hat einen kürzeren Weg beim Anlaufen.

Pass durch das Mittelfeld auf den Mittelstürmer. Nicht nur, dass der Gegner hier relativ einfach stehen bleiben konnte, er hat auch eine simplere Absicherung im Herausrücken, leitet den Passempfänger auf die Seite und hat einen kürzeren Weg beim Anlaufen.

Dorthin verschiebt der Defensivverbund erneut und stellt die Grundformation her. Auf dem Flügel kann man keine Zwischenposition in diesem Sinne einnehmen. Im Halbraum jedoch zieht man im Idealfall einen zentralen Spieler heraus beziehungsweise bindet diesen zumindest, ohne das strategisch positive leitende Element des gegnerischen Herausrückens zu erlauben. Man öffnet den Flügel jedoch ebenso wie bei vorheriger Situation, wenn auch weniger, dafür aber schneller bespielbar und somit praktisch gleich effektiv.

Hier wird das Sichtfeld beim Attackieren in die Mitte geleitet, der herausrückende Außenverteidiger hat einen etwas längeren Weg und der Gegner steht etwas unorganisierter da.

Hier wird das Sichtfeld beim Attackieren in die Mitte geleitet, der herausrückende Außenverteidiger hat einen etwas längeren Weg und der Gegner steht etwas unorganisierter da.

Zusätzlich ist die Mitte nicht besetzt und somit frei, um sie mit Dynamik zu bespielen. Direkte Ablagen aus der Halbraumzwischenposition können ein Herausrücken des ballnahen zentralen Spielers provozieren, besonders bei kurzer Drehung oder „Öffnung“ zu ihm hin. Das heißt, dass der Passempfänger sich mit seinem Sichtfeld in Richtung des zentralen Spielers positioniert oder sich dorthin andeutet zu drehen, wodurch dieser zum Pressing herausgelockt werden soll. Mit der Ablage kann man dann gut in die geöffnete Schnittstelle kommen und hat dank der strategischen Besonderheit der Mitte alle Optionen in sämtliche Richtungen; Atlético Madrid und Red Bull Salzburg versuchen oft solche Schemen zu nutzen.

Gegen Dreierkettenvarianten sieht das übrigens etwas anders aus; hier ist unter Umständen die mittige Zwischenposition, wo es durch die enge Dreierkette zwei Kanäle gibt, effektiver.

Auch andere taktische Probleme ergeben sich für den Gegner durch eine solche Positionierung. Der FC Barcelona spielte von 2008/09 bis 2010/11 vorne mit einem Dreiersturm, der sich bewusst auf die Halbräume und „Zwischenpositionen“ in diesen Zonen konzentrierte. Dies war insbesondere in den beiden jeweiligen CL-Erfolgssaisons der Fall. Henry und Messi (oder Eto’o) beziehungsweise Villa und Pedro rückten aus einer breiten Position in die gegnerischen Schnittstellen. Zu dritt konnten sie vier Spieler binden; dadurch waren die Flügelräume für weites Aufrücken der Außenverteidiger genutzt werden.

Hierzu gibt es ebenfalls ein kleines Beispiel. Nehmen wir an, der Gegner spielte in einem 4-4-1-1 in der Defensive. Durch die Positionierungen der Stürmer und Außenverteidigerr wurden sie dann oft in eine 6-2-2-Rollenverteilung (statt 4-4-2) in der Defensive gezwungen, in welchem Xavi und Iniesta die defensiven und offensiven Halbräume oft bespielten, die beiden Sechser bei Ballzirkulationen viel laufen mussten und man mit Busquets einen Mann mehr in der Mitte hatte.

Verbunden wurde dies mit variablen Positionsbesetzungen der beiden Achter, dem Kurzpassspiel Barcelonas sowie flexiblen Bewegungen der Flügelstürmer und Außenverteidiger, die im Wechsel manchmal tiefer, manchmal höher, manchmal enger und manchmal breiter spielten. In der Saison 2010/11 gab es natürlich noch konstant eine zurückfallende, tief spielmachende Neun (Messi), welche für einen weiteren zusätzlichen Spieler im zweiten Drittel und in den Halbräumen sorgte.

Die – auch von Guardiola selbst erwähnte – Angst des Aufrückens des gegnerischen Innenverteidigers auf Messi entstand durch die tiefengebenden und eingerückten Flügelstürmer. In gewisser Weise banden sie zu zweit vier Spieler, da sie immer wieder andeuteten bei gegnerischem Herausrücken durch die Schnittstelle zwischen Außen- und Innenverteidiger durchzubrechen.

Auch hier ist wichtig: Die Bindung der Spieler an die Zonen und Staffelungen erzeugt diesen Effekt und muss darum immer kontextuell gesehen werden. An sich sind diese speziellen Besonderheiten der Halbraumbesetzung überaus interessant, wie Barcelona unter Guardiola auch nachdrücklich zeigen konnte. Diese variable und oft gleichzeitige Besetzung der beiden Halbräume in der Offensive, welche insbesondere mit Messi und Iniesta gemacht wurde, sorgt für einen weiteren interessanten taktischen Aspekt.

Halbraumwechsel und Halbraumverlagerungen

Unter der Ägide Guardiolas besetzten Messi und Iniesta oftmals in den Schnittstellen des gegnerischen Mittelfelds die Halbräume, eine Ebene weiter vorne taten dies Villa und Pedro. Sie konnten dadurch bei Pässen entweder den Ball nach hinten in eine offene Zone prallen lassen oder sich in den offenen Raum vor sich drehen. Durch die Positionierung in den Mittelfeldhalbräumen von Messi und Iniesta hatten diese Busquets und Xavi als zentrale Anspielstationen. Dadurch konnte Barca im Angriff schnell den Halbraum wechseln, was eine enorm effektive Strategie in ihrem Ballbesitzfußball darstellte:

Mit einem Pass in die Halbraumschnittstelle zog sich die gegnerische Mannschaft dort zusammen. Die zentralen Spieler versuchten hier meistens den Zugriff zu erzeugen, da der Flügelspieler vom Außenverteidiger Barcelonas gebunden war; der zweite zentrale Akteur musste dann natürlich den offenen Raum sichern. Bei einem Rückpass in die Mitte hatte Xavi dadurch zwei Möglichkeiten für einen direkten raumgewinnenden Pass: Den Pass durch die zentrale Schnittstelle oder die Schnittstelle im Halbraum, wo sich Messi befand.Weiters konnte Xavi aber auch querlegen auf Busquets, damit dieser einen Vertikalpass auf Messi bringen kann.

Iniestas Halbraumspaziergang kann sowohl als Passkombination genutzt werden, als auch für das Locken und Leiten des gegnerischen Defensivspiels und hierbei ist der Halbraum in beiden Fällen eine sehr interessante Zone, um dieses möglichst komplex für den Gegner zu gestalten sowie sich selbst eigene positive Folgewirkungen und bespielbare Kanäle und Passwege zu öffnen.

Iniestas Halbraumspaziergang kann sowohl als Passkombination genutzt werden, als auch für das Locken und Leiten des gegnerischen Defensivspiels und hierbei ist der Halbraum in beiden Fällen eine sehr interessante Zone, um dieses möglichst komplex für den Gegner zu gestalten sowie sich selbst eigene positive Folgewirkungen und bespielbare Kanäle und Passwege zu öffnen.

Auch hier ist der Halbraum als spezielle Zone entscheidend. Im Halbraum wird der zentrale Spieler gebunden. Bei einem solchen Pass auf den Flügel neben dem gegnerischen Block bleibt die Mannschaft kompakt. Bei einem zentralen Pass mit Rückgabe ziehen sich die beiden zentralen Mittelfeldspieler des Gegners gleich zusammen und das Zurückweichen in die vorherige Position ist einfacher. Der Halbraum hingegen hat eine öffnende Wirkung für die Mitte, welche als Durchlaufs- und Organisationszone mit ähnlich vielfältigen Möglichkeiten wie der Halbraum eine strategisch wertvolle Komponente darstellt.

Theoretisch könnte man sogar damit argumentieren, dass der Halbraum der Mitte überlegen ist. Denn der Halbraum hat die Mitte und den Flügel als Option, die Mitte jedoch nur zwei idente Halbräume mit gleichen Umbauprodukten und einer klaren Stellung zum Tor, wie bereits zuvor gezeigt wurde. Besonders wirksam sind daher direkte Verlagerungen von einem Halbraum in den anderen, was bei den Münchner Bayern schon unter Heynckes, aber auch unter Guardiola (insbesondere im Spiel gegen City) Ribéry und Robben direkt gemacht haben.

Eine Verlagerung von einem Halbraum in den anderen bildet aus mehrfacher Sicht die ideale Schnittmenge von einer großen Anzahl an strategisch wichtigen Faktoren. So wechselt der Ball nicht nur eine Zone (von Mitte in den Halbraum oder umgekehrt; vom Halbraum auf den ballnahen Flügel oder umgekehrt), was zu wenig Raumüberbrückung bedeutet, um den gegnerischen Abwehrverbund in Bewegung zu bringen, damit Lücken entstehen; aber auch nicht drei (von Halbraum auf ballfernen Flügel oder umgekehrt) oder mehr (Flügel auf Flügel), was dem Abwehrverbund genug Zeit gibt, um effektiv zu verschieben. Diese zeitliche Komponente der Passlänge aufs Verschieben des Gegners wird durch direkte Halbraumverlagerungen nicht negativ beeinflusst. Zum einen stehen Passgeber und -empfänger nah genug, um einen Flach- oder zumindest gechippten Pass spielen zu können, der nicht allzu schwer zu verarbeiten oder präzise zu spielen ist. Ferner muss der Gegner schnell verschieben, da ansonsten Lücken im Verbund entstehen, die für vertikale Pässe in die Spitze genutzt werden können.

Der Wechsel von zwei Zonen scheint also am besten zu sein, wobei die Mitte bei einem Wechsel über zwei Zonen in der Horizontale nur die Flügel zum Bespielen hat, die strategisch weniger wertvoll sind. Der Flügel kann zwar die Mitte bespielen, hat dafür aber in anderen Aspekten strategische Nachteile und ist praktisch wegen des Verschiebens und Zustellens zur Seitenauslinie hin aus praktischer Sicht schwieriger. Nichtsdestotrotz werden Pässe auf die Flügel eben auch darum von den Bayern oder Barcelona so eingebunden, dass der Gegner zum Flügel verschiebt und man dann in die Mitte verlagern und mit viel Entscheidungsfreiheit eine zurückverschiebende Mannschaft attackieren kann. Oft bewegen sich die Flügelspieler danach in den Halbraum und bieten sich in diesen an.

Damit sind die Halbraumwechsel aus strategischer Sicht wohl effektiver, weil von einem Raum mit viel Entscheidungsfreiheit und Verbindungsfunktion in zwei strategisch anders konstruierte Räume in einen weiteren solchen Raum verlagert wird. Desweiteren könnte man sogar damit argumentieren, dass von einem Flügel auf den anderen Flügel eine direkte Verlagerung praktisch gar nicht mehr möglich ist (technische Komplexität, Isolieren der Flügel, Druck auf den Flügeln), vom Halbraum auf den ballfernen Flügel jedoch noch im Rahmen des effektiv Machbaren ist.

Die Mitte hingegen hat nicht einmal die Möglichkeit in eine dritte Zone zu gehen. Ebenfalls im Rahmen des Machbaren ist die Möglichkeit einer direkten Rückverlagerung von Halbraum zu Halbraum (vom Flügel auf den Flügel zurück dürfte schwer werden). Eine direkte Rückverlagerung vom Flügel zur Mitte ist wegen der Eigenart des Flügels und des eingeschränkteren Raums ebenfalls schwierig zu praktizieren.Gleichzeitig bietet eine Rückverlagerung enorm interessante taktikpsychologische, taktische und strategische Möglichkeiten und Wechselwirkungen, welche dem Gegner insbesondere beim ballorientierten Verschieben oder bei Mannorientierungen innerhalb von diesem enorme Probleme bereiten können; generell sind Rückverlagerungen übrigens ein selten erwähnter, unterschätzter und zu wenig bewusst genutzter Aspekt im Fußball.

Auch das wertet diese Eigenschaft des Halbraums in puncto Verlagerungsmöglichkeiten sowohl qualitativ als auch quantitativ noch etwas auf. Ähnliches ist bei Positionswechseln und Überladungen in den Halbräumen der Fall.

Positionswechsel, Überladungen und die Besonderheit des Halbraums

Die Halbräume haben den schon erwähnten Vorteil der räumlichen Nähe zu allen Zonen und eine hohe Entscheidungsfreiheit; man kann dadurch aus den Flügeln und der Mitte viele Spieler als Kombinationspartner nutzen. In der Mitte ist dies zwar auch der Fall, allerdings nicht ganz mit der gleichen Synergie. Schieben alle Spieler zur Mitte, fehlt aus dem Zentrum heraus die Verlagerungsmöglichkeit über zwei Zonen auf die Flügel. Soll heißen: Hat man den Ball, dann darf man normalerweise beide Flügel in der Positionsbesetzung nicht vernachlässigen, weil es in der Mitte sonst zu eng wird. Hier stehen dann meist beide Flügel als Breitengeber nahe an der Seitenauslinie, wodurch sie als Kombinationspartner wegfallen; das bedeutet zwei bis vier (je nach Art der erwünschten Flügelbesetzung) Kombinationspartner weniger. In den Halbräumen ist dies anders.

Der Halbraum befindet sich nahe am Flügel. Der dortige Breitengeber ist somit durchaus anspielbar und fällt nicht weg. Die Spieler, die sich nominell in der Mitte und auf dem ballfernen Halbraum befinden, können ebenfalls einrücken und nahe am Halbraum mit Ball agieren, ohne dass sie ihre Zone vernachlässigen. Der ballferne Flügelspieler kann ebenfalls stärker in Richtung Zentrum einrücken und sich fast schon im Halbraum positionieren; was u.a. auch Jürgen Klopp mit dem ballfernen Außenverteidiger handhabt. Hier gibt es eine interessante Wechselwirkung mit der zeitlichen Komponente und mit der gegnerischen Raumverknappung.

Bei der zeitlichen Komponente ist es die Länge der Verlagerung, die das Einrücken unterstützt; selbst wenn der Flügelstürmer weiter einrückt (und dadurch ein mögliches, stärkeres Einrücken des ballfernen Halbraumspielers absichert), ist er trotzdem auf dem Flügel anspielbar. Sobald sich der ballbesitzende Spieler zu einer Verlagerung aufmacht, kann er sich schon in Gang setzen und zum Flügel laufen. Bis der lange Ball (bei einer direkten Verlagerung) ankommt, steht er meist schon wieder nahe an der Auslinie. Bei einer indirekten Verlagerung mit Kurzpässen über mehrere Stationen funktioniert dies ohnehin einfach. Wird zuvor aber schon der Ball verloren, kann der eingerückte Außenspieler ballfern noch weiter einrücken und besetzt sofort seine eigentliche Position in der Formation im ballorientierten Verschieben, wodurch man weniger konteranfällig ist. Die Bayern nutzten dies teilweise auch mit den falschen Außenverteidigern in dieser Saison bewusst; sie ließen die eigentlichen Breitengeber im ersten Drittel weit einrücken, öffneten für diese Räume, überluden die Halbräume dadurch und waren nach Kontern in den strategisch wichtigen Zonen zentral gut und auf den Flügeln weniger gut abgesichert.

Die zweite Wechselwirkung, mit der gegnerischen Raumverknappung, ist ebenfalls einfach und schnell erklärt: Befindet sich der Ball in der Mitte, dann steht die gegnerische Mannschaft relativ stabil da und besetzt die jeweiligen Halbräume und Mitte meistens; die Flügelspieler in einem 4-4-2 bspw. grenzen meistens nur an den Flügelräumen, weil hier ebenfalls die zeitliche Komponente im Verschieben unterstützend wirkt. Bis der Ball auf die Seite kommt, können die vermeintlich offenen Seiten komot versperrt werden. Ist der Ball jedoch im Halbraum oder auf dem Flügel, müssen die ballfernen Spieler entweder sehr weit einrücken oder sie haben Probleme in der horizontalen Kompaktheit. Hier müssen ebenfalls nicht beide Flügelspieler der eigenen Mannschaft sehr breit stehen, um neben der gegnerischen Formation als Breitengeber freizustehen, sondern können einrücken und eben auch absichern; das ermöglicht eine höhere lokale Kompaktheit in den halbraumumliegenden Zonen bei Ballbesitz dort, die sich schnell herstellen lässt.

Überladungen von Spielern aus der strategisch unwichtigsten – insbesondere in der Absicherung der eigenen Angriffe – Zone, den Flügelräumen, sind dadurch möglich; womit wir wieder bei den falschen Außenverteidigern der Münchner Bayern wären. In den Halbräumen kann somit sehr schnell durch das Einrücken von wenigen Metern überladen werden, auch Positionswechsel sind dank der hohen Anzahl von Spielern in drei Zonen (Halbraum, Mitte, Halbraum) und den kurzen Abständen dann problemlos möglich. Diese positionellen Rochaden, das kurzzeitige Verwaisen des Flügels und die generelle Besonderheit des Halbraums in diesem Aspekt sorgen also ebenfalls für weitere positive Effekte, die es ansonsten in der Mitte nicht gibt und auf dem Flügel durch die mangelnde Entscheidungsfreiheit nicht möglich sind.

Dadurch haben die Halbräume auch einen sehr kollektiven Charakter; die Möglichkeit schneller und zielgerichteter Diagonalkombinationen, die Harmonie und Rückkoppelungseffekte der Sichtfelder sowie eben die Möglichkeit viele Spieler in Kombinationen aus unterschiedlichsten Gründen unter Rücksichtnahme anderer strategischer wie taktischer Aspekte zu nutzen sorgt für eine hohe Variabilität und Konstruktivität in Mannschaftsspiel. Das ist nicht nur im Defensiv- und Offensivspiel interessant und wichtig, sondern auch in den Umschaltmomenten.

Die Halbräume in der Transition

Wer sich mit der spanischen und auch südamerikanischen Fußballschule auseinandersetzt, wird öfter auf den Satz stoßen, dass es Defensive und Offensive eigentlich nicht gibt, sondern sie „eines“ sind. Darum wurden in diesem Artikel häufig die Möglichkeiten und der Nutzen der Halbräume für die eigene, den Ball habende Mannschaft beschrieben, treffen aber dann im Umkehrschluss in der Wichtigkeit und Art der Verteidigung natürlich auch auf die defensive Mannschaft zu. Grundsätzlich ist die Aufteilung in Defensive und Offensive nur ein Hilfswerk, um für bestimmte Situationen und Phasen gewisse strategische Aspekte direkt zu implizieren und zu bedenken. Was hinter dieser Einigkeit von Defensive und Offensive steckt, ist die Vermischung von vielerlei Aspekten, die sich direkt auf die jeweils andere Spielphase auswirken. So ist ein stabiles, intelligentes, hoch angelegtes, gut abgesichertes und mit den richtigen Staffelungen versehenes Ballbesitz- und Positionsspiel eine Unterstützung für die Defensive; ein gutes Pressing und Gegenpressing wiederum beeinflussen die Offensive maßgeblich. Die Halbräume haben hier ebenfalls eine spezielle Eigenart.

Spielt man in eigenem Ballbesitz sehr halbraumorientiert, verlagert öfters von Halbraum zu Halbraum und versucht lange Ballbesitzzeiten innerhalb der Halbräume aufrechtzuerhalten, haben sie somit nicht nur prinzipiell gewisse offensive Vorteile beziehungsweise Eigenheiten, sondern ermöglichen auch die Integration interessanter Pressingmöglichkeiten nach Ballverlusten; beispielsweise ist es möglich, dass durch das Einrücken der ballfernen Flügelspieler die ballfernen Halbräume schnell besetzt und abgesichert werden. Die Spieler im Halbraum können aggressiv in die Mitte gehen, dadurch den Gegner dort pressen und Bälle erobern oder ihn auf den Flügel leiten. Der Gegner muss dann entweder um den Block herumspielen oder über jene Zone kontern, wo zuvor der Ball und somit meistens eine relativ kompakte Staffelung vorhanden war. Ebenso sind Gegenpressingfallen möglich, welche über eine vermeintlich offene, aber über die vorherige Besetzung der Halbräume einfach zu versperrende Mitte erzeugt werden.

Bei eigenen offensiven Umschaltsituationen verhält es sich ähnlich. Eine Mannschaft, die in ihrer Defensivphase die Halbräume beherrscht, kann entweder die Mitte isolieren und dort großen Zugriff erzeugen oder den Gegner direkt auf die Flügel leiten. Daraufhin ist es möglich über die Halbräume flexibel nach vorne zu gehen, sich teilweise dadurch selbst Raum zu öffnen (beispielsweise Leiten des Gegners auf den Flügel, Öffnung seiner Halbräume und Konter über diese Räume) und dann mithilfe der Halbräume vielfältige Möglichkeiten zu haben. Man kann nach Pässen aus dem „Haufen“, also aus der Lokalkompaktheit um den Ball herum, sich einfacher und freier drehen, wodurch man im Gegenpressing zumindest etwas weniger anfällig ist. Die Halbräume können über den einen Flügel spielen oder das Spiel in die Mitte oder den ballfernen Halbraum verlagern.

Pressingfalle am hypothetischen Beispiel gegen Chelsea von Atlético - nach einer Balleroberung kann man sehr schön kontern, oder?

Pressingfalle am hypothetischen Beispiel gegen Chelsea von Atlético – nach einer Balleroberung kann man sehr schön kontern, oder?

Zusätzlich stehen die meisten Teams in eigenem Ballbesitz relativ weit aufgefächert: Die breitegebende Wirkung der Flügel ist bei einem direkten Konter somit nicht mehr benötigt, sondern kann diese durch den Halbraum selbst gegeben werden. Der Gegner hat nur wenige Spieler, die viel Raum verteidigen, wodurch man diese mit weniger Breite im eigenen Angriffsspiel ausreichend genug auch über die Halbräume auseinander ziehen kann, ohne dass man wiederum selbst an Nähe und somit an bespielbaren Anspielstationen und Dynamik verliert. Gleichzeitig gibt quasi der Gegner durch die offenen Räume ohnehin Breite, sehr enge Konter wie beispielsweise von Teams von Roger Schmidt sind dadurch teilweise noch erfolgsversprechender. Auch bei Schmidt nehmen Mitte und Halbräume eine Schlüsselrolle zum Verständnis der Gefährlichkeit ihrer Konter ein.

Aber selbst wenn nicht direkt vertikalisiert wird, so ist der Halbraum im Umschaltspiel positiv wirksam. Gladbach unter Favre hatte durch ihre enge und positionsorientierte Deckung gepaart mit dem ballorientierten Verschieben (beides war in der zweiten Favre-Saison am Höhepunkt) immer eine gute Besetzung der Halbräume und kollektive Enge im offensiven Umschaltmoment. Sie konnten dann entweder direkt mit One-Touch-Kombinationen nach vorne auf Reus und dessen Offensivpartner verlagern oder sich schnell aus dem gegnerischen Gegenpressing nach hinten kombinieren und das Spiel mit tiefem, stabilem Ballbesitz neu aufbauen; Neustädter, Dante und ter Stegen waren hierbei natürlich auch dankbare Spieler für dieses System. Die Halbräume bieten also nicht nur nahezu ideale Anbindungen an unterschiedliche horizontale, sondern auch vertikale Zonen.

In gewisser Weise sind die Halbräume darum die „Verbindungszone“ unter den unterschiedlichen Zonen, während man die Mitte eher als „Organisationszone“ sehen könnte; die Flügel hingegen eignen sich speziell für Durchbrüche. Theoretisch wäre eine Unterteilung unterschiedlicher Zonencharakteristiken unter Berücksichtigung bestimmter Spieleigenarten (Ballzirkulation, Verteidigungsart, etc.) eine interessante Idee für einen zukünftigen Artikel…

… doch zuvor sehen wir uns den Grund an, wieso u.a. die Halbräume diesen Zonencharakter und einen besonderen taktischen Stellenwert haben.

Die besondere Charakteristik der Halbräume im taktikhistorischen Kontext

Wie bisher im Artikel ausgeführt haben die Halbräume einen grundlegenden strategischen Charakter, der sich in unterschiedlichen Konsequenzen, Wechselwirkungen und Eigenschaften niederschlägt. Allerdings hat der Halbraum nicht nur durch diese Basisaspekte einen ganz eigenen Charakter, sondern auch aus taktischen Gründen.

Man hat in dieser Zone oftmals wegen der am häufigsten genutzten gegnerischen Formationen einen kleinen Vorteil, was die gegnerischen Abläufe betrifft. Die Häufigkeit bestimmter Formationen – und somit auch die positiven taktischen Effekte der Halbräume – sind historisch bedingt. Formationen sind letztlich immerhin nur Anordnungen, um ein bestimmtes Ziel im Sinne der jeweiligen Spielphilosophie zu erfüllen; aus unterschiedlichen Kulturen und Traditionen in taktischer Hinsicht erwachsen ähnliche Spielphilosophien, aus diesen entstehen wiederum ähnliche Abläufe und bestimmte Formationen, die häufig sogar synonym für ein bestimmtes Land oder einen bestimmten Spielstil stehen. Letztendlich sind Formationen dadurch nur Heuristiken, welche eine vereinfachte Spielweise und Kombinationsmöglichkeiten entsprechend einer gewissen spielphilosophischen Ausrichtung sowie den dadurch bedingten Trainer- und Spielerausbildungen geben sollen.

Die Formationen als solche sind außerdem auf dem Reißbrett entstanden als Versuch einer Anordnung der Spieler, wodurch sie per se einen linearen Charakter hat. Es gibt keine runden Formationen oder willkürliche Verteilungen auf dem Spielfeld, sondern klare Strukturen in Linien oder maximal in Dreiecken, welche aber meistens ebenfalls in Linien organisiert sind und lediglich über die Linien hinweg als zusätzliche Komponente genutzt werden.

Diese beiden Aspekte – die Art der Bildung von Formationen sowie die kulturellen Eigenarten im Fußball – sorgen im Verbund mit der eingangs geschilderten Denkweise zur Kategorisierung in „Mitte“ und „Flügel“ für einen ganz eigenen, spezifischen Charakter der Halbräume. Kurzum: Weil beim Entwurf von Formationen Spieler im Halbraum nie wirklich eingeplant sind/waren, können sich im Verschiebeverhalten und bei den Kombinationsmöglichkeiten für den Gegner unangenehme Effekte ergeben; viele Mannschaften verschieben beispielsweise mit ihren zentralen Spielern nur wenig in Richtung der Flügel, andere wiederum haben Mannorientierungen auf dem Flügel selbst oder – sehr oft, besonders in England – die Flügelstürmer rücken nicht in Richtung Mitte ein.

In all diesen Szenarien sind die Halbräume extrem wirkungsvoll und vorteilhaft nutzbar. Eben weil die Halbräume in der Taktikhistorie nie wirklich beachtet wurden (exklusive einzelner Personen wie z.B. Ernst Happel), sind sie besonders effektiv und oftmals auf für den Gegner fatale Weise überraschend. So sind lange Zeit bestimmte Aspekte von 08/15-Formationen und Standardbewegungen in der Geschichte des Fußballs in den Halbräumen immer anfällig gewesen, das in der Horizontale unkompate und generell zu symmetrische 4-4-2 der 90er und 2000er z.B. ist das Paradebeispiel dafür, ob im Aufbau- (Räume neben den passiven Stürmern) oder im Offensivspiel (geweitete Schnittstellen in den Halbräumen). Dies lag auch an den üblichen gruppentaktischen Mechanismen wie den isolierten Außenspieler und deren Mannorientierungen. Mit einer besseren Staffelung und Positionierung lassen sich solche formativen Probleme natürlich in den Griff bekommen, häufig bleibt es aber in den Anfälligkeiten und gewisse Formationen besitzen bei klassischer Interpretation eben spezielle Charakteristiken, die bespielt werden können; Frei nach dem Motto: Der Ball läuft schneller.

Dazu kommen die schon erwähnten taktischen und strategischen Aspekte der Halbräume, wieso sie solche Standardeigenschaften teilweise noch effektiver bespielen konnten; die Passwinkel und Schnittstellen sind diagonal eben generell stärker zu bespielen, durch die Flügel- und Zentrumsorientierung der gegnerischen Formationen wird dieser Effekt noch verstärkt.

Man stelle sich eine Mannschaft im breiten 4-4-2 vor, wo der eigene Sechser in den defensiven Halbraum geht, ein weiterer Spieler bewegt sich im Sinne des Positionsspiels in den offensiven Halbraum auf die dort passende Anspielstationszone. Die Stürmer und die Sechser werden vermutlich weder ordentliche Mechanismen zum Abdecken haben, noch werden sie mit der entstehenden Komplexität der Verschiebebewegungen klar kommen. Weicht der Stürmer aus, öffnet er die Mitte, kann kaum Kompaktheit herstellen und wird dennoch Probleme im Zugriff haben. Wäre der Spieler auf dem Flügel, könnte er vom Kollektiv zumindest abgedrängt und isoliert werden, wäre er zentral, könnte man individuell Zugriff erzeugen. Desweiteren bleibt der verschiebende Stürmer meist auf seiner Höhe, kann also den Raum vor dem Mittelfeld nicht mehr sauber beschützen. Im heutigen raumorientierten Fußball sind diese Probleme natürlich seltener der Fall, werden aber durchaus noch gesehen. Die englische Premier League sagt Hallo. In Anbetracht all dieser Umstände drängt sich aber natürlich eine Frage auf.

Fazit: Ist der Halbraum besser als die Mitte?

Vor lauter Schwärmerei über die Halbräume wirkt es teilweise so, als ob die Halbräume nicht die zweit-, sondern die allerwichtigste Zone aus strategischer Perspektive sind. Die Mitte hat zwar zahlreiche Vorteile und ist schlichtweg die tornächste Zone, doch es gibt zahlreiche Ähnlichkeiten von Halbraum und Mitte in puncto Vorteilen. Desweiteren werden die Halbräume mit mehr Variabilität ergänzt: Aus der Mitte kann man zwei einander ähnliche Sachen bespielen, aus dem Halbraum zwei unterschiedliche Zonen, u.a. eben die Mitte. Dazu kommt die Folgewirkung; aus dem Halbraum in die Mitte zu spielen ist durch die Synergieeffekte (gegnerisches Verschieben und kurzzeitig geöffnete Räume für direkte Pässe in die Spitze) effektiver als aus der Mitte in den Halbraum zu spielen oder innerhalb der Mitte zwei Zonen zu überwinden versuchen.

Hinzu kommt der natürliche diagonale Charakter des Halbraums. Zentral sind die Sichtfelder vertikal und beim Kombinationsspiel lässt man sich etwas vom Tor wegleiten, beim Halbraum bleiben die grundlegenden Optionen und die Achtseitigkeit im Bewegungsspiel gleich, aber das Sichtfeld ist torausgerichtet. Auch das praktische Überwinden von zwei Zonen und eine dadurch weiträumige Verlagerung in den Halbraum (anstatt dem Flügel) ist effektiver aus dem Halbraum, wobei hier die Mitte natürlich zweiseitig über zwei Zonen verlagern kann, der Halbraum aber nur in je eine Richtung; wiederum hat aber der Halbraum die potenzielle Möglichkeit über drei Zonen zu verlagern, was wohl das Maximum an erfolgsstabilen Verlagerungsmöglichkeiten darstellt – Verlagerungen von Flügel zu Flügel sind dynamisch mit schneller Verarbeitung nahezu nie möglich.

Alles in allem wird die Diskussion aber hier schon zu fachlich. Fakt ist, dass die Halbräume nur selten in die mediale Öffentlichkeit geraten, obwohl sie zum gängigen Vokabular Jürgen Klopps in Spielanalyse gehören oder auch von Josep Guardiola im Positionsspiel explizit trainiert und in ihrer eigenen strategischen Bedeutung verwendet werden. Dieser Artikel soll einen groben Überblick über die strategischen Aspekte des Halbraums geben, obwohl das Thema hier natürlich nicht ansatzweise erschöpft ist; individualtaktische Aspekte und Dribblingoptionen oder gar Passmöglichkeiten (wie beeinflusst der Halbraum die Möglichkeiten von sehr stark angeschnittenen Pässen?) könnten ebenso wie spezielle gruppentaktische Abläufe oder das Verteidigen der Halbräume diskutiert werden.

Unser neuer Autor bei Spielverlagerung.com, AO, hat übrigens ebenfalls taktiktheoretische Artikel zu den Halbräumen geschrieben, die sich hier und hier finden.

Anmerkung: SV-Leser Burrinho4 schrieb in diesem und diesem Tweet zwei interessante Aspekte nieder, ebenso wie TheSoulcollector in diesem Kommentar. Kollege TW fragte daraufhin in einem privaten Chat, ob der Halbraum statisch/spielfeldabhängig oder dynamisch/gegnerabhängig sei. Meine Antwort auf ihn und somit in gewisser Weise auch auf Burrinho und TSc ist, dass der Halbraum dynamisch, aber prinzipiell situations- und dynamikabhängig ist. Das ist ja auch der Grund, wieso ballorientiertes Verschieben und Kompaktheit funktionieren (intern als Konzept der „Strategieraumkongestion“ bezeichnet). Für mich gibt es auch das effektive Spielfeld, das bespielte, das bespielbare, das potenzielle und das faktische; in welchen die Halbräume, ihre Position und ihre Beschaffenheit variieren. Aber das kommt in einem anderen Artikel, ebenso wie zur Raumauf- bzw. -einteilung. Zu Letzterem findet sich aber schon hier ein lesenswerter Artikel von unserem SV-Kollegen Marco Henseling.

Umblickverhalten und Schulterblick

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Dieser trainings- und taktiktheoretische Artikel behandelt das Umblickverhalten sowie den Schulterblick im Speziellen.

Fußballtaktik besteht aus vielen unterschiedlichen Aspekten. Strategische Aspekte, Mannschaftstaktik, Gruppentaktik, Wechselwirkungen mit dem Gegner, Umfeldbedingungen (Anpassungen an die Platzverhältnisse z.B.), der Spielstand oder auch die Berücksichtigung der jeweiligen Tagesform werden oftmals genannt. Ein Teil davon bleibt jedoch oft gänzlich unerwähnt: Die Individualtaktik.

Ursachenforschung gefragt

Individuelle Leistungen werden meistens auf undefinierbare Begriffe wie Talent oder vereinfachend auf die Qualität des Spielers zurückgeführt, ohne auf den Einfluss des Trainers, der Ausbildung, des Spielcharakters oder – ganz banal – nach den Ursachen für die Überlegenheit in technischen Teilaspekten zu suchen. Obwohl dies in einem globalen Rahmen gemacht wird, geschieht dies selten für einzelne Spieler. Beispielsweise wird Barcelonas Gesamterfolg der letzten Jahre auf die Fußballschule La Masia und die dortige Ausbildung zurückgeführt, die individuellen Fähigkeiten Xavis, Iniestas, Messis und Co. gelten jedoch als eine von Gott gegebene goldene Generation.

„Over the years I‟ve spent thousands of hours by the side of the pitch watching some of the very best players in the world train and compete. A striking difference between watching the pro‟s play and watching youth soccer players train is the amount of time the best professionals look up and around consistently and constantly.“ – Sportpsychologe Dan Abrahams

Natürlich ist es durchaus möglich, dass es nie wieder eine Spielergruppe mit so viel Talent geben wird, auch wenn es unwahrscheinlich ist. Bayern und Real sind aktuell schon sehr nahe dran. womöglich sogar ebenbürtig. Sogar das aktuelle Barcelona steht rein individuell in nichts nach, obgleich Barcelona 2011 wohl für viele nach wie vor den Zenit darstellt. Nichtsdestotrotz hat auch diese sogenannte goldene Generation von ihrer Ausbildung profitiert und konnte nur durch die Mischung ihres eigenen „Talents“ und dem nötigen Rüstzeug so gut werden. Ein Aspekt, den man besonders bei Spielern aus La Masia wiederfindet, ist dabei der Blick über die Schulter. Darum messen einige Vereine in der deutschen Bundesliga sogar bei ihren gescouteten Spielern, wie oft sie im Schnitt pro Minute über die Schulter blicken.

Das klingt zwar sehr simpel, doch die Auswirkung einer solch kleinen Bewegung kann sich drastisch äußern.

Spielintelligenz fördert die spielerische Leistung beziehungsweise ihrer Umsetzung

Die Informationsaufnahme strategischer und taktischer Aspekte in der Umgebung erleichtert nämlich das darauffolgende Dribbling beziehungsweise den Offensivzweikampf. Ein Spieler kann technisch perfekt sein, doch wenn er sich bei der Ballannahme nach hinten in den Gegner dreht, wird er den Ball dennoch im Normalfall verlieren. Gleichzeitig kann auch ein technisch schwächerer Spieler den Ball deutlich öfter behaupten und seine Aktionen erfolgreich gestalten, wenn er sich in offene Räume oder einfachere Situationen bewegt.

Der Schulterblick ist hierbei ein grundlegendes Mittel. In La Masia werden die jungen Fußballer schon von klein auf geschult sich andauernd umzusehen und ihrer Umgebung bewusst zu werden. Wo sind Räume frei? Wo kann ich mich freilaufen? Wohin kann ich mich nach der Ballannahme bewegen? Wie stehen meine Mitspieler? Wen kann ich dann wie anspielen?

„I once took a youth team player at a Premiership Academy through 10 minutes of footage of Cesc Fabregas. I asked the player what it was he noticed about Fabregas and he commented that the then Arsenal player checked his shoulders over 10 times a minute. And it appeared that every decision he made was based on what he had just seen. The world‟s best players have developed an internal tracking system that scans the immediate environment.“ – Sportpsychologen Dan Abrahams

Das gesamte Spielsystem der Katalanen, das Juego de Posición (eine in-depth-Erklärung auf Englisch gibt es hier), das dominante Kurzpassspiel mit wenigen Kontakten über mehrere Stationen, selbst ihr Defensivspiel, basiert alleine darauf, dass sich die Spieler konstant ihrer Umgebung bewusst sind. Xavi als Organisator der Mannschaft ist hierfür ein perfektes Beispiel.

Xavi als Informationsfinder

Xavi positioniert sich sehr oft genau in einer diagonalen Linie zweier gegnerischer Spieler; meistens macht er dies zwischen einem gegnerischen Sechser und einem Mittelstürmer. Erhält er hier den Ball, blickt er schon davor über seine Schultern. Er registriert, ob hinter ihm der Raum von einem einrückenden Flügelstürmer versperrt wird und wie sich die beiden Gegenspieler in seiner Nähe – also der Sechser und der Mittelstürmer – bewegen. Dadurch kann er auf ganz einfache Weise sich und seiner Mannschaft einen riesigen Vorteil verschaffen.

Xavi in der diagonalen Linie in der gegnerischen Staffelung

Xavi in der diagonalen Linie in der gegnerischen Staffelung

Rückt keiner der beiden Akteure auf Xavi, wenn dieser den Ball bekommt, kann er ihn sich stoppen und hat viel Raum zur Verfügung. Indem er sich oftmals nahe am genauen Mittelpunkt dieser gedachten Linie positioniert, sind oftmals die Zuteilungen unklar. Manchmal haben die gegnerischen Spieler aber bestimmte Verantwortungen, wie zum Beispiel einen sehr tiefen Mittelstürmer oder eine zonale Mannorientierung des Sechsers, wo dann dieser taktische Effekt nicht entsteht. Dank der Informationen, die ihm viele und zeitlich passende Schulterblicke geben, hat Xavi aber für alle anderen Situationen ebenfalls Möglichkeiten parat.

Wenn der Mittelstürmer sich am Mittelfeld orientieren soll und sich dann auf Xavi zurückfallen lässt, dreht sich der katalanische Spielmacher während beziehungsweise kurz vor der Ballannahme mit dem Rücken zu ihm hin und deckt ihm damit den Weg zum Ball ab. Xavi lässt den Ball an sich vorbeirollen und hat wieder das gesamte Spiel vor sich. Der Gegner wurde geblockt und kann auch in den folgenden Sekunden keinen Druck aufbauen. Für Xavi gibt es nun die Möglichkeit nach vorne zu laufen und einen Pass zur Seite zu spielen oder sich mit dem Ball weiter zur Auslinie zu bewegen, wodurch der Außenverteidiger aufrücken kann.

Spielt der Gegner mit einer Mannorientierung des Sechsers auf Xavi, dann kann Xavi mit einem passenden Schulterblick das Herausrücken des Gegenspielers erkennen. Er kann sich nun nach hinten drehen, den Ball zu den Innenverteidigern spielen oder seitlich ablegen. Das hat zur Folge, dass das Herausrücken des gegnerischen Spielers zu einem Nachteil wird: Barcelona kann in den geöffneten Raum spielen oder zum Beispiel über Iniesta oder Messi in dieses Loch eindringen.

“The first lesson I learned at Barcelona was to play with your head up. If you look around you only after you receive the ball, then how do you know what’s going on? But if you raise your head before you control your team-mate’s pass, you immediately notice all the space you have. You know where the nearest defender is and where your best options are to make a successful pass. I’ve had wonderful advice in my career, but that first piece is still the most important.” – Xavi

Sehr oft dreht sich Xavi auch einfach mit einer 360°-Drehung um den Gegner herum, woraufhin Barcelona plötzlich Überzahl hat. Das mag zwar teilweise spektakulär oder wie ein Fehler des Gegners aussehen, ist aber an sich simpel. Jeder professionelle Fußballer kann einen Pass stoppen, sich um 360° drehen und dann ein paar Schritte nach vorne. Doch nur einige wenige wie Xavi schätzen die Situation und Dynamik der Szene richtig ein, bewegen sich rechtzeitig und richtig, damit dieses einfache und überaus effektive Kunststück entstehen kann. Behilflich sind dabei der Blick über die Schulter und der dazugehörige Informationsgewinn.

Gegen Barcelona ist es darum – in deren besten Zeiten zumindest – immer ein Tanz mit dem Feuer gewesen. Stellt man keinen Druck her, wird Barcelona das Spiel dominieren, dadurch keine Chancen zulassen und geduldig nach den Löchern in der eigenen Abwehr suchen. Diese Spielweise bezeichnete Liverpools Trainer Brendan Rodgers unlängst als „Death by football“.

Rückt ein Spieler auf Xavi, verlässt er seine Position und ein anderer Spieler wird frei. Selbst wenn sowohl der Sechser als auch der Mittelstürmer auf Xavi schieben, ist es selten möglich konstant effektive Ballgewinne zu haben. Dann lässt Xavi meistens den Ball nur kurz abprallen, um dieses Herausrücken für seine Mitspieler bespielbar zu machen oder er kann sich auch in dieser Situation drehen und selbst den offenen Raum bespielen, wenn er sieht, dass der Gegner nicht rechtzeitig in den Zweikampf kommen kann.

Besonders fatal ist das für den Gegner aber, weil alle Spieler Barcelonas so denken. Wenn jemand auf Xavi herausrückt, dann weiß nicht nur Xavi das, sondern auch der Xavi-nahe Innenverteidiger, der beim Pass von der anderen Seite ebenfalls über die Schulter blickt und sich sofort für eine mögliche Ablage Xavis hinter den zurückfallenden Mittelstürmer freiläuft. Der Außenverteidiger blickt ebenfalls auf beide Seiten und wird aufrücken, damit er Raum für einen Vorstoß des Innenverteidigers oder eine Drehung Xavis öffnet, indem er seinen Gegenspieler nach hinten stößt.

Der Flügelstürmer erkennt das ebenfalls und wird nun etwas einrücken, um einerseits das Übergeben des Außenverteidigers vom gegnerischen Flügelstürmer in den Raum zu verwehren und andererseits um ein Zurückfallen Messis zu ermöglichen, der ebenfalls die Situation registriert und sich in das Loch hinter dem herausrückenden Sechser positioniert. Aus der eigentlich guten Pressingsituation wird auf einmal eine Ablage Xavis mit darauffolgendem Pass  auf Messi, der im Mittelfeld Tempo aufnehmen kann – es ist nicht die beste Situation.

Diese gesamte kollektive Bewegung, ausgehend von Xavis Schulterblick vor der Ballannahme, wenn man so möchte, ein Kettenmechanismus durch die gesamte Mannschaft in eigenem Ballbesitz. Und er entsteht letztlich dadurch, dass sich Fußballer durch individualtaktische Eigenschaften in einem größeren gruppen-, mannschaftstaktischen und strategischen Kontext mit Wechselwirkung auf die gegnerische Bewegung und jene des Balles definieren. Gleichzeitig definiert sich jegliche Taktik auch über die Wechselwirkungen mit dem Spieler und seinen körperlichen, spielerischen und taktischen Möglichkeiten.

Bayerns großer Verdienst gegen Barcelona unter Heynckes 2013 war es auch, dass man diese Mechanismen durch die adäquaten Zuteilungen und die enorme Kompaktheit nicht entstehen ließ. Doch die Bayern waren von 2008 bis 2013 nur eine von sehr wenigen Mannschaften, welche das konstant über eine Partie hinbekamen – und die einzige, die es über zwei Spiele schaffte. Dies zeigt auch, wie effektiv es ist, wenn eine Mannschaft solche grundsätzlichen einfachen Aspekte der Informationsgewinnung kollektiv anwendet und es – dank einer guten Spielereinbindung, einer passenden Spielidee und intelligenten Anpassungen an den Gegner – zur besseren Umsetzung ihrer Fähigkeiten führen kann.

“When I receive the pass, having already looked around me, I’m thinking about whether I’ve got time to turn or if I have a defender behind me. That’s the first thing. If I’m under pressure, I’m looking to play with one or two touches, or control the ball in such a way that my marker can’t intercept it. Basically, I’m looking to earn myself a few metres of space so that I’ll be in a position to not lose the ball and allow our team’s move to develop.” – Xavi

Der Schulterblick ist natürlich nur ein Teilaspekt; die richtige Ballannahme, die Körperstellung zum Spielfeld hin, grundsätzlich eine saubere Technik, die Physis, die Mentalität und so weiter spielen ebenfalls eine Rolle. Doch auf den Schulterblick wird in der Trainingslehre kaum eingegangen. Wieso?

Subtilität wird oft übersehen

Vielfach werden einfache Sachen übersehen. Viele Trainingseinheiten konzentrieren sich auf das Offensichtliche: Physis, Balltechnik, klare schemenhafte gruppentaktische Abläufe, defensiv wie offensiv. Das ganzheitliche Training mit Fokus auf das freie Spiel inklusive der differenziellen Lernmethode mit Ergänzungen wie Life Kinetik ist aktuell auch darum im deutschen Profifußball der letzte Schrei, weil es automatisch zahlreiche kleinere Sachen berücksichtigt und automatisch in den Trainingsbetrieb implementiert.

Doch insbesondere in der Jugendausbildung werden viele Sachen nicht in einem größeren Rahmen trainiert, sondern es gibt einen natürlichen Fokus auf die Individualtaktik, die spielerische Qualität und grundsätzliche motorische Aspekte wie die Koordination. Die vielen einfachen Passformen und Technikübungen sorgen dann dafür, dass sich die Jugendspieler präzise und schnell in einzelnen Aspekten weiterentwickeln, jedoch werden anderen Aspekte durch diese Trainingsübungen nicht berücksichtigt; für viele Trainer ist auch diese Einfachheit und Übersehbarkeit mitursächlich dafür, dass sie weder die Trainingsübungen auf die Entwicklung solcher Fähigkeiten auslegen noch innerhalb andere Trainingsübungen die Ausführung dieser Bewegungen kontrollieren beziehungsweise darauf konstruktiv hinweisen.

Um diese viel übersehenen Fähigkeiten in Zukunft stärker zu entwickeln, muss natürlich auch ein stärkeres Augenmerk in der Trainerausbildung auf diese gelegt werden. In La Masia, um beim vorherigen und im Weltfußball populärsten Beispiel zu bleiben, wird neben dem Schulterblick auch auf die Bedeutung offener Räume im Freilaufen, der korrekten Bewegungsrichtung bei der Ballannahme in Relation zur Spieldynamik und den grundsätzlichen Staffelungen geachtet.

Der viel zitierte positive Effekt des „gleichen Systems durch alle Altersstufen“ ist nämlich nicht (nur) auf so banale und nichtssagende Aspekte wie die Formation oder die grundlegende Spielweise zurückzuführen.

“It sounds easy, but to dominate these skills is difficult. It’s how I survive in a game. I’m not physical, strong or tall, so I’ve always got to look for free space from where I can create and have time to think, control the ball and look for the next pass. This means I have to run for miles in each game looking for that space, allowing my team-mates the chance to ‘roll out’ when I give them the ball. You must think about the game situation, and also about the team-mate to whom you’re passing.” – Xavi

Er bedeutet eher, dass allen Spielern die fundamentalen Bedeutungen strategischer und mannschaftstaktischer Aspekte bekannt sind und wie diese individualtaktisch umsetzbar sind. Das Talent, die Technik, die Physis und die Mentalität entscheiden letztlich, auf welchem Niveau der Spieler sich durchsetzen könnte – das Verständnis grundlegender Mechanismen, die Fähigkeit zur Umsetzung seiner Fähigkeiten generell und die mögliche, flexible Einbettung in das Spielsystem der Mannschaft entscheiden jedoch darüber, ob er es letztlich auch tun wird.

Denn ohne das physische, technische und mentale Rüstzeug kommt man heutzutage gar nicht mehr in die Verlegenheit für einen großes Team vorzuspielen; ohne taktische Kenntnisse wird man in naher Zukunft, der Zeit des Ballbesitz- und Pressingfußballs, sich kaum noch auf höchstem Niveau durchsetzen können.

Ein Spieler, der sich in der Jugend durchgehend durch seine körperliche wie technische Überlegenheit als Zehner individuell profilieren konnte, wird spätestens im Profibereich auch beginnen müssen seine Pässe intelligent zu wählen, sie der strategischen Marschroute des Trainers folgen zu lassen und positionspassende Defensivaktionen ebenfalls geschickt zu wählen.

Darum wird in den nächsten Jahren auch entscheidend sein, wie die Fußballakademien aus aller Herren Länder ihre Spieler (individual-)taktisch ausbilden. Der Schulterblick und die intelligente Informationsaufnahme bei diesem mit der richtigen Zuteilung der gewonnenen Informationen im taktisch-strategischen Kontext sind hierbei eine wichtige Kategorie der Ausbildung. Nun stellt sich aber natürlich die Frage: Wie zum Teufel bringe ich das den Knirpsen bei?

Wie lehre ich den Schulterblick?

Das Vermitteln des Schulterblicks geht mit den grundlegenden Prinzipien des Fußballtrainings einher. Die jeweilige Trainingsphilosophie des Trainers kann natürlich variieren, grundsätzlich ist aber ein möglichst spielnahes Training nach einem ganzheitlichen Ansatz empfehlenswert, wie schon in der ersten Ballnah-Ausgabe im Artikel „Nah am Ball – auch im Training“ (hier auf SV veröffentlicht) argumentiert wurde.

Die Trainingsübungen sollten somit an reellen Spielsituationen orientiert sein, welche jedoch so gewählt werden, dass ein richtiger Schulterblick unabdingbar für eine erfolgreiche und flüssige Erfüllung der Übung ist. Beispielsweise können dies spezielle Passspielformen sein, bei denen man sich in bestimmten Momenten nach hinten orientieren muss oder gar eine spezielle Brille zur Sichtbehinderung verwendet wird, eine Zweikampfübung mit variierendem Gegenspieler, der einen von hinten im eigenen Rücken attackiert, Spielformen mit durch den Übungsaufbau erzwungenen zu spielenden oder empfangenden Pässen außerhalb des eigentlichen Sichtfelds oder auch Positionsspielübungen mit wichtigen taktischen Bewegungen hinter sich.

„If you think before your opponent where the ball is going to go then you have an advantage. If you stay with the ball at your feet and think about what to do, you are going to lose the ball. The best players are the quickest thinkers. Where is my team-mate going to run to? Will he stay onside? Which one has space? Which one is looking for the ball? How do they like the ball – to their feet or in front? You can be the best passer in the world, but without your team-mates being in the right position, it’s no good.“ – Iniesta

Theoretisch sind sogar abstraktere Sachen möglich: Sich bewegende Tore, dynamische Spielfeldbegrenzungsveränderungen, reger Blickkontakt zu einem bestimmten Mitspieler in freier Bewegung weiter weg auf dem Feld oder zum Beispiel auch das Abzählen von einer sich verändernden Anzahl an Dingen im eigenen Rücken mit dazugehöriger Abfrage zur Kontrolle noch während der Übung könnten eine Option darstellen, um die unaufhörliche Kontrolle des Spielfelds zu provozieren. Auch 1-2-2-1- oder 1-2-3-2-1-Formationen von aneinandergereihten Rondos mit Zonenwechseln sind auf Fortgeschrittenenniveau eine Möglichkeit.

Generell werden somit Übungen gebaut, wo die Spieler (zu Beginn) verhältnismäßig einfache Entscheidungen treffen, die aber die motorische Komponente des Schulterblicks für den Übungserfolg benötigen. Mit der Zeit und je nach der jeweiligen Entwicklungsstufe werden der kognitive Input und der erwünschte Output erhöht. In kleineren Spielsituationen kann dann mit Freezing gearbeitet werden, wenn bestimmte strategisch falsche Entscheidungen getroffen wurden oder auch, wenn wieder grundsätzliche Probleme im Spielverlauf wegen mangelndem oder nicht ausgeführtem Schulterblick auftauchen.

Ziel ist es somit, dass zuerst die motorische Komponente des Schulterblicks in einfachen Übungen in Fleisch und Blut übergeht. Die Ausführung soll dabei immer wieder auch verbal in Erinnerung gerufen werden, die genaue Umsetzung obliegt aber prinzipiell dem Spieler. Nachdem der motorische Aspekt und die grundsätzlich korrekte Umsetzung in Relation zu den direkt umliegenden dynamischen Begebenheiten des Spiels beherrscht werden, kann dann zu einem größeren Rahmen übergegangen werden.

Es wird fortan nicht nur die erfolgreiche Ballannahme unter direktem Gegnerdruck geplant, sondern die Bewegung in den offenen Raum. Bei Ersterem soll der Ball einfach mit richtiger Nutzung der gegnerischen Bewegung behauptet werden, bei Zweiterem soll direkt in der Folgebewegung der offene Raum anvisiert werden. In der nächsten Stufe geht es dann darum, auch über seine eigenen Bewegungen hinauszublicken und die Positionen der Mitspieler zu erfassen.

Später sollen dann auch jene Aspekte berücksichtigt werden, die eine besondere Manipulation dieser zahlreichen Komponenten ermöglichen. Dies kann zum Beispiel eine Körpertäuschung bei der Ballannahme und herannahendem Gegner darstellen, die dann ins Aufdrehen in einen bestimmten Raum mündet, von wo aus ein erwünschter Pass gespielt werden kann.

Wichtig bei diesen Ansprüchen ist die Berücksichtigung der individuellen Klasse der Akteure. Die Erfüllung allerhöchster Kriterien dürfte außerhalb des Hochleistungsfußballs wohl kaum unter großem Zeit- und Raumdruck konstant gegeben sein. Doch nicht nur die komplexe Planung von der Manipulation erst entstehender Spieldynamiken in Sekundenschnelle ist oftmals ein Ding der Unmöglichkeit.

Bei sehr jungen Spielern im Nachwuchs könnten sogar bei der Ballannahme mit Schulterblick Probleme vorhanden sein, obwohl es da nur um das Einstudieren der motorischen Komponente geht. Das liegt daran, dass die Jugendspieler den Ankunftspunkt des Passes sowie die Dynamik des Spiels, des Passes, der Ballannahme und des Schulterblickzeitpunkts noch nicht in kleinen Zeitintervallen einschätzen können.

Hier sind einerseits natürlich Geduld und korrekter Umgang mit den Spielern bei Fehlern gefragt, andererseits muss zuvor auch schlicht an der Technik, der Antizipationsfähigkeit und Koordination gearbeitet werden, um ein bestimmtes Grundniveau zur Ausführung zu erreichen. Man kann dann die Pass- und Laufwege des Gegners erhöhen, um dem ungeübten Akteur das Leben etwas zu erleichtern.

Statt des Gegnerdrucks kann auch die Nutzung von bestimmten Farben und Signalen herangenommen werden, um einen Schulterblick zu provozieren. Eine Übung dafür wäre zum Beispiel eine Passübung, wo der Spieler einen langen Ball erhält und in seinem Rücken mehrere Hütchen in unterschiedlichen Farben besitzt. Auf Zuruf einer bestimmten Farbe des Trainers oder des Passgebers vor der Ballannahme soll er dann seinen Kopf drehen, die Farbe finden, den Ball in die richtige Richtung mitnehmen und möglichst schnell einen präzisen Pass auf das Hütchen spielen.

Dieses Grundprinzip könnte man auch in eine Übung überführen, die endlos ist; ein sehr großes Feld mit vielen Hütchen, wo jeder Spieler vor einem Hütchen steht und dann seinen Platz wechselt, der Passgeber gibt immer die Farbe vor und das nächste Hütchen in der erwähnten Farbe soll angespielt werden. Dabei muss natürlich kritisch erwähnt werden, dass eine solche Übung wohl zu viel Leerlauf für zu viele Spieler hätte und kaum Intensität mitbringt. Erhöht man die Anzahl der Bälle, kann eine interessante Übung erzeugt werden, die sich jedoch unter Umständen auf diesem Niveau wiederum zu komplex gestaltet.

„Before I receive the ball, I quickly look to see which players I can give it to. Always be aware of who is around you: if you feel them closing down, take a touch to move the ball away from them. Try and put yourself in space to get the pass: the more space you have, the more time you have to think. And when you get the ball, don’t move it towards the opponent. That said, sometimes I’m happy to run at a player and just hold the ball in front of him. That way I’ve moved the team forward.“ – Iniesta

Desweiteren sollte beachtet werden, dass es teilweise die Forderung nach dem Schulterblick als solchem ist, welche für Nervosität, ein Gefühl der Überforderung oder generelle Skepsis sorgt. Diese psychologische Barriere ist gelegentlich gegeben, sollte aber insbesondere bei älteren Spielern – wo man es durch eine einfache Erklärung des Nutzens – kein Problem darstellen. Bei jüngeren Spielern kann man das machen, was man eben so macht: Schweigen und die Übung so bauen, dass sie es ohne Auskunft implizit lernen beziehungsweise mit einer beiläufigen Erklärung die Problematik des Erlernens klein halten.

Allerdings stellt sich beim Vermitteln des Schulterblicks eine grundsätzliche Frage. Ist es effektiver, diesen Mechanismus und die „Denkkoordination“ durch das implizite Lernen durch die Anwendung in Spielsituationen zu schulen oder fängt man lieber damit an, die strategischen Grundlagen beizubringen, sodass die Spieler sich nach diesen umsehen und sich selbst zwingen den Schulterblick anzuwenden?

Dies ist natürlich eine kleine Glaubens- und Philosophiefrage.

Grundprinzipien zur Orientierung

Persönlich denke ich, dass durch die motorische Komponente das taktisch-strategische Verständnis nachhaltig und langfristig profitiert und positiv beeinflusst wird; gleichzeitig kann auch bei hoher Spielintelligenz schlichtweg die motorische Komponente des Schulterblicks fehlen. Desweiteren denke ich, dass es bei Jugendspielern einfacher ist die motorische Komponente zu vermitteln und daraus positive Effekte für die Spieler zu erzielen, als ihnen taktisch-strategische Aspekte zu lehren. Soll heißen: Wenn sie sich daran gewöhnen, den Schulterblick richtig zu setzen, dann werden sie bei einem heranstürmenden Gegner schon aus Instinkt gute Entscheidungen treffen, den Ball seltener verlieren und mit etwas Übung alleine durch das implizite Lernen ihre Entscheidungsfindung auch nicht nur in puncto Ballannahme, sondern ebenfalls in den weiterführenden Aktionen verbessern.

Damit dieses implizite (und später auch mit explizitem Lernen durch Anweisungen unterstützte) Lernen entstehen kann, sollte die Trainingsübung für den Schulterblick mit möglichst vielen Handlungsmöglichkeiten angereichert sein. Diese Möglichkeiten entstehen natürlich aus der Analyse von Spielsituationen und deren situationale Aspekte, welche relevant für den Schulterblick sind.

Zuvor sollte man jedoch bedenken, dass Schulterblick nicht gleich Schulterblick ist. Ich entscheide für mich grundsätzlich drei Nutzungsmöglichkeiten mit jeweils unterschiedlichen Präferenzen und Fokussen in der Umfeldbeobachtung.

  1. Durchgehender Schulterblick im Spiel: Hier wird während des Spielverlaufs ohne Ballbesitz bzw. Ballführung des Spielers die Umgebung geprüft. Wichtig sind hierbei die Abklärung der eigenen Position, die Suche nach Räumen, Analyse der Mitspielerposition und der gegnerischen Staffelung sowie die Kontextualisierung der Ballposition und -dynamik. Trainiert kann dies werden durch verbale Erinnerung des Spielers an die Überprüfung der Umgebung, durch bestimmte Übungen, wo gewisse Reizpunkte in der Spielerumgebung gesetzt und durchgehend geprüft werden müssen oder ähnliches. Theoretisch könnte man diesen Schulterblick und dessen Wirkungen und Aufgaben nach den unterschiedlichen Spielphasen (eigener Ballbesitz, gegnerischer Ballbesitz, offensiver Umschaltmoment, defensiver Umschaltmoment, Standardsituationen) sowie nach unterschiedlichen strategischen Positionen auf dem Platz oder der Rolle des Spielers weiter aufteilen.

 

  1. Schulterblick vor und bei der Ballannahme: Dieser Aspekt ist jener, den man schon eher mit Übungen vermitteln muss. Der durchgehende Schulterblick im Spiel wird eigentlich schon instinktiv gemacht, ist motorisch sehr einfach und wird im Taktiktraining sowie in Spielformen auch implizit motorisch wie taktisch-strategisch vermittelt. Der Schulterblick bei Ballan- und –mitnahme ist nicht nur eine andere Variante, sondern auch eine Weiterführung und ein anderer Schwierigkeitsgrad. Wichtig ist, dass hier die Analyse der entstehenden Dynamiken und des möglichen Raumes, um den Ball mitzunehmen zu den im vorherigen Absatz geschilderten Aspekten hinzukommen sowie nun mehrere motorisch komplexe Komponenten (Bewegung, Bewegung zum Ball, Ballverarbeitung, etc.) und kognitiv mehrere Aspekte miteinander verschmelzen, was bei Ersterem ebenfalls nicht wirklich gegeben ist.

 

  1. Schulterblick bzw. Umblicke in Ballführung: Dies ist die dritte große Möglichkeit und ebenfalls wieder eine Stufe schwieriger. Für die meisten ist es im Jugendbereich ohnehin in schnellem Lauf praktisch nicht möglich ihn anzuwenden – selbst auf Profiniveau haben viele Akteure große Probleme damit. Darum sollte man als Jugendtrainer die Spieler auch nicht überfordern, aber zumindest versuchen, dass sie bei langsamer Ballführung oder bei Ballbesitz in kurzen statischen Situationen den Kopf heben, sich umsehen und ihre Entscheidungen im Passspiel danach fällen.

Diese unterschiedlichen Möglichkeiten geben schon Aufschluss über die Frage, was man beim Schulterblick abprüfen soll. Wichtig ist bei der Ballverarbeitung natürlich auch, dass man zuvor schon prüft, wohin man sich freilaufen kann – wo sind die offenen Räume andererseits und wo die offenen Passwege andererseits. Heißt: Ich muss einen möglichst offenen Raum finden, den ich effektiv innerhalb der nächsten Situationen anlaufen kann, dass ich in einer dieser Situationen praktisch anspielbar bin.

Bei der später folgenden Ballmitnahme geht es natürlich darum zu sehen, wie der Gegner attackiert oder wie er es könnte. Die Analyse der ballnächsten Gegenspieler, die Drehung in den richtigen Raum und die darauffolgende Suche nach direkt möglichen Anspielstationen stehen im Fokus. Daraufhin folgen die Suche nach Anspielstationen oder offenen Räumen im Lauf und die grundlegende Analyse der generellen Gegnerbewegung.

Die höhere Schule der Analyse strategisch wichtiger Aspekte im Lauf, der Bedeutung der mannschaftstaktischen Staffelungen und die Abwägung der möglichen Angriffsräume und angriffsabschließender Pässe und Strukturen, auch über eine indirekte Einflussnahme, stellt die Kür dieses spielerischen und taktischen Mittels dar.

Die nutzbare Informationsgewinnung aus dem Schulterblick in dynamischen Situationen als Meisterstück dürfte jedoch bis auf eine Gruppe größerer Talente, die koordinativ, kognitiv und spielerisch auf hohem Niveau sind, nicht im Mannschaftstraining vermittelbar sein. Deswegen liegt der Fokus der theoretischen und praktischen Relevanz dieses Artikels auf dem Aspekt der Ballan- und –mitnahme. Dazu stelle ich acht selbst erfundene Übungen zum Schulterblick vor sowie eine extreme Spielform von Kollege MR / Martin Rafelt und zwei schöne Passformen von Kollege VanGaalsNase/Marco Henseling.

Mögliche Übungen

Die erste Übung, die ich für das Vermitteln des Schulterblicks nutzen würde, sähe wie folgt aus:

1ste Übung

1ste Übung

Team X besteht aus einem Dreieck mit dem Torwart, der vor seinem Tor steht, an dessen Eckpunkte sich die zwei Verteidiger von Team X befinden. Ein zusätzlicher Spieler von Team X befindet sich in der Mitte dieses Dreiecks. Team X zirkuliert den Ball innerhalb dieses Dreiecks im 4 gegen 2. Hinter dem Torwart von Team X befindet sich ein Stürmer von Team O, im Dreieck befinden sich zwei weitere Akteure von Team O und der Libero von Team O steht am anderen Ende des Dreiecks außerhalb desselben.

Team X zirkuliert den Ball im Dreieck, 4 vs 2. Der vorderste Spieler von Team O darf auf den Torwart des Gegners rückwärtspressen, muss aber dabei immer aus einer bestimmten Position starten. Der Torwart muss hinter sich blicken, die Pässe auf ihn müssen ebenfalls intelligent sein und der Stürmer von Team O sprintet viel, somit keine Leerlaufphase für ihn und Antizipieren der Pässe als zusätzliche Komponente.

Der „Libero“ von Team O soll hinten zwischen den Eckpunkten des Dreiecks herumpendeln und ggf. von außerhalb des Dreiecks die Eckpunkte des Dreiecks von Team X pressen. Der Libero hat somit ebenfalls eine laufintensive Aufgabe, die Eckpunkte von X müssen aufpassen und die Pässe müssen präzise kommen. Nun kommt die nächste Krux an der Übung: Der Trainer kann jederzeit(!) Bälle von hinten auf den Libero spielen. Dieser soll sich dann drehen; der ballnahe Spieler von X rückt auf ihn heraus, somit müssen beide einen Schulterblick in zwei Richtungen anwenden. Der Libero von Team O baut jetzt das Spiel auf, der Ballbesitz hat gewechselt und es entsteht eine (fast) normale Spielform.

Wenn der Trainer auf Libero von Team O spielt, muss der Torwart von Team X sich entschieden: Geht er zurück oder hilft er beim Abfangen vom Angriff? Letzteres ist Pflicht, wenn der Torwart Fan von Manuel Neuer sein sollte. Einer der Achter von X geht wie erwähnt auf den Libero von O; wodurch ein 3vs3+Torwart entsteht. Der Stürmer muss aus dem Abseits sprinten, sucht nach offenen Räumen und provoziert somit wieder einen Schulterblick der Spieler von Team X und auch seinen Mitspielern.

Wird der Ball schon vorher in der Dreieckszirkulation von Team X verloren, dann kann der Balleroberer auf den Libero oder/und dieser direkte Pässe spielen. Durch das Pendeln ist der Libero immer ballnah oder erobert eben selbst gegebenenfalls Fehlpässe. Es gibt dann den sofortigen Angriff, Stürmer darf wegen Abseits nicht mitspielen bzw. muss mit Sprint da raus. X-Mannschaft kann Konter nach Ballverlusten durch Gegenpressing und Abseitsfalle evtl. vermeiden (tiefer Sechser rückt raus).

Die zweite Übung ist eine Aufbauspielübung, wo die Passoptionen für jeden Spieler so gewählt sind, dass sie immer mit anderem Sichtfeld und Druck im Rücken durch dahinter versetzten Gegenspieler erhalten. Will man diese Übung sehr komplex machen, weitet man die Anzahl der Stafetten oder der Gegenspieler aus.

2te Übung

2te Übung

Prinzipiell kann dies wie folgt aussehen: Der Torwart spielt nach halbrechts, wo sein quasi-Rechtsinnenverteidiger in dieser Situation steht. Der Gegenspieler des rechten Innenverteidigers steht dahinter, er kann ihn entweder bogenartig von rechts oder bogenartig von links anlaufen. Je nachdem, wie er es tut, muss der Ballführende anders spielen.

Entweder spielt er quer nach von ihm aus nach rechts auf den linken Innenverteidiger in dieser Situation oder diagonal nach hinten links, wo der rechte Außenverteidiger steht. Bei diesen beiden kommt ebenfalls ein Gegner in einer diagonalen Linie von hinten beim Pass angelaufen; das trainiert nicht nur die Entscheidungsfindung der ballbesitzenden Akteure, sondern auch der pressenden Spieler.

Gehen wir weiter in diesem Szenario, wo der Ball auf den rechten Verteidiger kam. Wie erwähnt kommt nun ebenfalls ein Gegner in gleicher diagonaler Linie von hinten und soll Druck machen. Dahinter stehen wiederum zwei Innenverteidiger des Gegners und ein eigener Stürmer. Der ballnahe linke Innenverteidiger des Gegners soll Pässe vom Rechtsverteidiger der Ballbesitzmannschaft in die Tiefe verhindern; der rechte Innenverteidiger rückt ballorientiert nach und sichert den Raum. Aber natürlich hat auch er einen Gegenspieler, der paar Meter Rückstand auf ihn hat.

Aus dieser Situation gibt es dann normale Abschlussversuche. Die Übung ist natürlich so gebaut, dass es auf beide Seiten funktioniert. Geht der Ball zu Beginn auf den linken Innenverteidiger der Ballbesitzmannschaft, dann kann dieser sofort in die offene Mitte gehen. Der ballferne Linksverteidiger vom Gegner soll dann einrücken und sichern, der linke und rechte Innenverteidiger hindern den gegnerischen Stürmer am Anbieten, der linke Innenverteidiger und der linke Außenverteidiger müssen wiederum auf den möglicherweise startenden gegnerischen rechten Innenverteidiger achten.

Idealerweise laufen sowohl der Rechtsverteidiger als auch der Linksverteidiger V vom Gegner bogenartig ab und drängen nach hinten; dann entsteht normales Spielchen kurz.

In der dritten Übung spielt eine Mannschaft mit einem 1-2-1-2-1; also zwei Rauten quasi, wo der Anfangs- und Endpunkt der anderen Raute jeweils der gleiche Spieler ist. Der Gegner hat drei innerhalb dieses Feldes, einer davon soll sich immer in der Mitte dieser Doppelraute befinden und herumjagen.

3te Übung

3te Übung

Der zentrale Spieler der Ballbesitzmannschaft und die pressenden Spieler fokussieren sich auf den Schulterblick; diese Übung ist ein Ableger des Rondo. Der Spieler als Bindeglied in die andere Raute bringt 3 Punkte, der Ballverlust zieht 3 Punkte ab und man kann es als Rondo von drei Teams mit drei Spielern und einem zentralen Akteur praktizieren. Der Übergang über die Außen bringt keinen Punkt.

Bei der vierten Übung geht es um einen Zonenwechsel. Ein Viereck steht als einzelne Zone auf der einen Seite, drei andere Vierecke als Spielfelder stehen in einer vertikalen Linie angeordnet auf der anderen Seite. Im alleine stehenden Viereck wird ein 4vs2 gespielt. Die vier Akteure stehen in einer Raute. Die Spieler befinden sich somit mittig an den Kanten des Vierecks und sollten idealerweise nur entlang der Linien verschieben.

4te Übung

4te Übung

In dem zentralen der anderen Vierecke wird 3vs2 gespielt, einer der Spieler ist ein freier Spieler und spielt für die ballbesitzende Mannschaft. Wenn eine Mannschaft in diesem Viereck zehn Pässe schafft, sprintet sie mit Verlagerung in eines der anderen beiden Vierecke Zone (z.B. Blau geht nach oben, Rot geht nach unten oder beliebiger Zonenwechsel oder nach räumlicher Nähe/Ferne). Die beiden Spieler der „Verlierer“ sprinten nach links in das Viereck, wo 4vs2 gespielt wird. Sie unterstützen die „2“ dort.

Sobald dieser Zonenwechsel passiert, müssen die vier Spieler im ersten Viereck das verstehen und in die Zone der „Gewinner“ verlagern. Die 4er-Mannschaft muss über jene Spieler verlagern, die mit Rücken zu dem Viereck der „Gewinner“ stehen. Ansonsten müssen sie solange 4vs4 spielen, bis es geht oder der Ballverlust passiert ist. Mit guter Verschiebung brauchen sie in dieser Übung natürlich keinen Schulterblick, aber brauchen dann wiederum für die gute Verschiebung innerhalb der eigenen Zone zuvor einen schnellen – oder sie zählen sogar vorher schon während der eigenen Zirkulation die Pässe in dem anderen Viereck.

Auch bei der fünften Übung gibt es mehrere Vierecke als Zonen. Hierbei stehen die Vierecke in einer 1-2-1-Formation – ja, die Vierecke! In jedem dieser Vierecke spielt man 3vs2. Es gibt dabei zwei zonenübergreifende Mannschaften, die eine besteht aus allen Dreier-Teams, die andere logischerweise aus allen Zweier-Teams. Die Dreierteams müssen den Ball in eine bestimmte Richtung in eine andere Zone zirkulieren lassen, diese Richtung wechselt auf Zuruf. Die Zweierteams dürfen nach Balleroberung auch über die Mitte in alle Zonen spielen, also auch quer von der einen zur anderen, die nicht verbunden ist.

5te Übung

5te Übung

Diese Übung kann man außerdem variieren. Ein mögliches Zusammenziehen der Zweierteams in der Mitte und versuchtes Rondo unter großem Druck sowie darauffolgender Zonenrückkehr nach Ballverlust, ein mögliches Herausweichen der Zweierteams aus ihren Zonen oder ein zweiter Ball (dann jedoch eher im Fünfeck statt in der Raute) sind Optionen.

Bei der sechsten Übung benötigt man drei zueinander parallel stehende Querlinien, wobei die unterste am längsten und die oberste am kürzesten ist.

6te Übung

6te Übung

Auf der ersten und dritten Linie steht je ein Spieler, auf der zweiten stehen zwei Spieler an den Ecken der Linie. Die beiden dürfen zu Beginn nicht entlang dieser Linie verschieben, der obere und der untere Akteur allerdings schon auf ihren Linien.

Für den unteren gibt es quasi eine intensive Laufübung durch die Länge seiner Linie. Zwischen oberster und mittlerer Linie stehen zwei Gegenspieler. Sie spielen also quasi ein Rondo im 3gegen2, aber der Ball soll immer wieder über die Eckspieler bei passender Stellung des herumlaufenden unteren Spielers direkt auf ihn kommen.

Wenn der Ball nach hinten verlagert wird, dann pressen die zwei Gegner Richtung ganz unten. Der unterste Spieler soll nun wieder nach vorne spielen, jetzt dürfen sich die Eckspieler entlang der Linie bewegen und freilaufen. Alle seine sauberen Rückpässe zählen je 1 Punkt. Es sind eigentlich drei Zweier-Teams, die Punkte kriegen die Eckspieler, da sie den Pass entscheiden und auch nach dem Rückpass direkt nach oben verlagern müssen. Die Spielerzahl kann variiert werden.

Bei der siebten Übung handelt es sich schon um eine kleine Pass- und Drehungsübung.

7te Übung

7te Übung

Der Trainer spielt einen Pass auf den vorderen Spieler (O). Sein Gegenspieler (X) erhielt zuvor eine Farbkombination, die er sich merken muss, zB „Grün-Grün-Rot-Grün-Rot-Grün“. Er soll dann bogenartig über die jeweilige Farbe „Grün“ laufen und „O“ pressen.

Spieler A bei Grün wird dann zum Mitspieler von „X“; Spieler A bei Rot soll von „O“ angespielt werden. „O“ dreht sich, spielt auf A, der wiederum von Grün gepresst wird. O bietet sich nach hinten an, die beiden spielen dann kurz 2 vs 2 auf ein Tor, welches quer auf der anderen Seite – in diesem Fall also rechts daneben – steht. Oder man spielt 2vs2 über eine halbe Minute mit zwei Toren oder in einem kleinen Feld ohne Tor.

Die achte Übung funktioniert prinzipiell ähnlich.

8te Übung

8te Übung

Der Passgeber spielt auf den ersten Spieler, der sich um seinen Gegenspieler drehen soll. Danach soll er auf seinen Mitspieler passen – im Idealfall natürlich möglichst schnell/direkt – und sofort in jene Zone sprinten, in die der vorherige Passgeber lief. Der zweite Spieler soll dann in diese Zone verlagern, um dort dann 3vs2 kurz zu spielen.

Die neunte Übung stammt von Martin Rafelt und ist eine relativ einfache Spielform.

9te Übung

9te Übung

Hier spielen 5vs5 in einem kleinen Feld und sollen den Ball in den eigenen Reihen halten. An jeder Seite (oder auch jeder Ecke) steht ein kleines Tor. Innerhalb des Feldes gibt es drei kleine Kreise; der Trainer ruft während des Ballhaltens dann eines der Tore aus. Die gerade ballbesitzende Mannschaft muss nun erst in einen der Kreise spielen und anschließend in das ausgerufene Tor. Bei passendem Hereinrufen des Trainers muss das Sichtfeld gedreht werden und bei kurzen Abständen zwischen den Rufen des Trainers sollten die Spieler dazu gezwungen sein, dass sie sich dauernd umblicken. Außerdem sollte diese Übung das Gegenpressing, die gruppentaktischen Abläufe und die Gegenpressingresistenz schulen.

Die zwei folgenden Übungen stammen von Marco Henseling. Die erste ist ein Passdreieck.

Erste Übung von VanGaalsNase / Marco Henseling

Erste Übung von VanGaalsNase / Marco Henseling

Fünf Spieler stehen an drei Stationen, die in einem Dreieck angeordnet wurden. An der Ausgangsposition 1 stehen zwei Spieler, ebenso wie auf Position 2. Lediglich bei Station 3 steht nur ein Spieler. Spieler 1 passt den Ball zu 2, der ihn direkt auf 3 weiterleitet, welcher in der Mitte von einem im Dreieck angeordneten Feld steht. Nach dem Pass auf 3 umläuft Spieler 2 die Hütchen und empfängt den direkten Rückpass von 3. Nach Erhalt des Balles spielt 2 einen Doppelpass mit 4 an Station 3, der wiederum den Ball zurück zur Ausgangsposition spielt, von wo die Übung direkt neu beginnt. Diese Übung ist somit eine Endlosform. Jeder Spieler geht nach seiner jeweiligen Aktion auf die von ihm aus nächste Position.

Marcos zweite Übung behandelt das Aufdrehen oder „Klatsch“-Spiel. Es ist eine Übung, die das Umblickverhalten (Schulterblick) unter Gegnerdruck schult und stellt eine typische Spielsituation für Sturmspitzen dar.

Zweite Übung von VanGaalsNase / Marco Henseling

Zweite Übung von VanGaalsNase / Marco Henseling

 

Spieler 1 dribbelt kurz auf Spieler 2 zu und passt dann auf denselben. Anschließend läuft er an Spieler 2 vorbei Richtung Tor. Spieler 2 muss sich zuvor als Passempfänger zum I anbieten und geht ihm entgegen. Dazu muss er sich von seinem gegnerischen Verteidiger lösen, welcher in einer abgesteckten Zone steht. Der Abstand von Spieler 2 zur Zone des Verteidigers beträgt ca. 5m.

Der gegnerische Verteidiger entscheidet selbst, ob er den 2 verfolgt oder in seiner Zone verweilt. Verbleibt er in seiner Zone, muss sich Spieler 2 nach Erhalt des Passes zum Tor aufdrehen; geht der Verteidiger mit, muss 2 auf Spieler 1 prallen/klatschen lassen. Um zu realisieren, wie sich der Verteidiger verhält, muss sich 2 visuell versichern (Spieler 1 darf hierbei nichts sagen).

Nach erfolgtem Pass von Spieler 1 auf 2 greifen beide das Tor an und suchen den Abschluss, wobei sie den gegnerischen Verteidiger + Torhüter gegen sich haben. Der Verteidiger darf sich nun frei bewegen. Es gilt die Abseitsregel.

Fazit

Wie man sehen kann, gibt es also viele Möglichkeiten den Schulterblick zu trainieren – Spielformen, welche ihn provozieren und unentbehrlich machen, Passformen, in welcher er klarer Bestandteil ist oder die klare Anweisung zum Schulterblick bei Ballannahmen durch den Übungsaufbau. Die Möglichkeiten sind unendlich und die hier dargestellten Übungen sind nur ein Bruchteil an Varianten, die außerdem individuell an die Begebenheiten des Kaders und die Vorstellungen des Trainers angepasst werden müssen.

Fakt ist aber, dass der Schulterblick eine häufig unterschätzte Komponente in der Jugendausbildung ist, der aber taktisch wie spielerisch für enorme Möglichkeiten sorgt und eigentlich ein Fundament der Spielerentwicklung darstellen sollte. Eine Entwicklung von Spielern mit den Fähigkeiten Informationen aus der Umgebung zu eruieren und sie gewinnbringend für das Team einzusetzen sollte das Maß aller Dinge sein.

In diesen beiden Videos (hier und hier) kann man anhand der Barcelona-Spieler, allen voran Xavi, viele Situationen sehen, wie der Schulterblick effektiv eingesetzt wird, um sich Raum zu verschaffen. Das resultiert in zahlreichen positiven Konsequenzen für ihr Team.

Der vertikale oder vorstoßende zentrale Abwehrspieler

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Dieser Artikel befasst sich mit einer taktiktheoretisch interessanten Rollenverteilung einer Position, nämlich jener des Innenverteidigers. Oder besser gesagt: Dem vorstoßenden Innen- oder Halbverteidiger.

Obwohl es viele unterschiedliche Aufgaben und Verantwortungen bei eigenem und gegnerischem Ballbesitz gibt, so ist die Position des Innen- und Halbverteidigers nach wie vor im Vergleich zu anderen Positionen eine eher statische.

Anmerkung: Als Innenverteidiger werden die zwei zentralen Verteidiger einer Viererreihe bezeichnet, als Halbverteidiger die zwei äußeren Verteidiger einer Dreierreihe.

Es gibt Innenverteidiger, die im Aufbauspiel fokussiert werden, manche agieren gegen den Ball als Manndecker und andere rücken wiederum im Gegenpressingmoment weiträumig heraus. Trotzdem agieren die Innenverteidiger meist in deutlich engeren und statischeren Zonenverteilungen als ihre Mitspieler.

Die Ursache dafür? (Strategische) Feigheit. Oder?

Absicherungsdogmatik

Die Innenverteidiger gelten bei jeder Mannschaft als letzte Bastion vor der Abwehr, als Fels in der Brandung. Gegentore werden ihnen angekreidet, heroische Grätschen, Befreiungsschläge und auf der Linie abgekratzte Bälle ebenso. Die Frage, wieso es jeweils überhaupt so weit kam, bleibt meist ungeklärt und undiskutiert. Selbst die offensivsten Mannschaften der letzten zwei Dekaden hatten eigentlich in fast jeder Situation zwei bis drei Verteidiger in der letzten Linie.

Die Gründe dafür liegen natürlich auf der Hand. Mit nur zwei Verteidigern ist die Breitenstaffelung schon im Umschaltmoment überaus gering, bei drei Verteidigern ist sie an der Grenze und benötigt eine gute Reststaffelung sowie ein passables Gegenpressing und bei nur einem Verteidiger wäre sie mehr oder weniger das Zeugnis eine nicht mehr zurechnungsfähigen Trainers.

Durch das moderne Torwartspiel, das Kettenspiel, das Gegen-/Konterpressing und die Kompaktheit bzw. das kollektive Verbindungsspiel (heißt: richtige Staffelungen durch korrekte Abstände und Winkel zueinander) wird die Stabilität mit zwei und drei Verteidigern allerdings theoretisch erhöht. Vereinzelt können die Halb- oder Innenverteidiger auch herausrücken, wodurch situativ für kurze Zeit wirklich nur ein bis zwei Spieler in der letzten Linie verbleiben.

Noch ein diesbezüglichinteressantes historisches Team. Wie schon bei der Niederlande und Ajax in den frühen 70ern hieß der Trainer Rinus Michels. Ein Trainerporträt von HW gibt es hier.

Noch ein diesbezüglichinteressantes historisches Team. Wie schon bei der Niederlande und Ajax in den frühen 70ern hieß der Trainer Rinus Michels. Ein Trainerporträt von HW zu ihm gibt es hier.

Bayern unter Heynckes tat dies beispielsweise durch die Mannorientierungen im Gegenpressing in einigen Situationen, was von Lucien Favre genial bespielt wurde. Bei Guardiola und Klopp gehört es durch das Herausrücken in die defensiven Halbräume gar zum Standardrepertoire. Dennoch sind solche Staffelungen nur sehr kurzlebig und situativ; insgesamt sind die Innenverteidiger dazu verdonnert durchgehend abzusichern. Sogar intelligentes und passendes Aufrücken wird häufig nach einigen wenigen Metern abgebrochen.

In eigenem Ballbesitz bieten sich die Innenverteidiger als Ausweichoptionen für einen Neuaufbau nach hinten an, gegen den Ball verharren sie fast immer in der letzten Abwehrlinie und sichern für ihre Mitspieler ab. Insbesondere in eigenem Ballbesitz gibt es abgesehen von einzelnen lockenden Vorstößen einige Meter nach vorne hin zum Mittelfeld kaum aufrückende Bewegungen.

Das Verlassen der Position vom Innenverteidiger bei eigenem Ballbesitz wurde in der Fußballgeschichte meistens nur von wenigen Spielern (wie Frank Rijkaard oder Ronald Koeman) oder Einzelmannschaften (Ajax und die Niederlande ansatzweise in den 70ern) systematisch praktiziert.

Unsystematisch gab es in den chaotischeren Phasen des Fußballs und bei mangelndem gegnerischen Pressing natürlich immer wieder solche Läufe, doch in jenen Situationen waren sie situativ ergeben und nicht ein bewusstes strategisches Mittel. Auch heutzutage schieben die Halbverteidiger bisweilen auf die Flügel und rücken in Endphasen als Quasi-Außenverteidiger nach vorne, wie es zum Beispiel Chiellini bei Juventus häufiger macht, alles in allem liegt hier aber viel Potenzial brach.

Was sind die Vorteile?

Vor über zwei Jahren schrieb ich einen Artikel über die „vertikale Sechs“. Bei diesem eher kurzen Artikel ging es vorrangig darum, welche Vorteile eine vertikale Rolle auf einer ungewohnten und tieferen Position haben kann. Hier standen allerdings besonders die Drehung in den offenen, offensiven Raum hinein und die Folgeeffekte davon im Fokus. Dieser Aspekt trifft auf einen vorstoßenden Innen- oder Halbverteidiger nicht zu. Dafür gibt es Parallelen bei vielen anderen Vorteilen.

Der wohl eindeutigste Vorteil ist das Sichtfeld. Als Abwehrspieler in der ersten Linie hat man im Normalfall(!) das Spiel vor sich und kann sich vergleichsweise unbedrängt bewegen. Dieser Vorteil wird aber häufig nicht genutzt. Häufig wird er sogar zu einem Nachteil. Viele Mannschaften ziehen aktuell im Pressing ihre Stürmer etwas tiefer und bilden sehr kompakte Formationen, wo den zentralen Abwehrspielern viel Raum gewährt wird. Im Austausch dafür steht die verteidigende Mannschaft allerdings extrem massiert im Sechserraum.

Sogar sehr starke Mannschaften können dann unter Problemen leiden. Im Buch „Herr Guardiola“ schreibt Martí Perarnau zum Beispiel über Guardiolas interne Kritik, dass im Spielaufbau zu sehr im „U“ gespielt wird – über die Innenverteidiger auf den Außenverteidiger, dann zurück und das Gleiche in die andere Richtung.  Das Sichtfeld der zentralen Abwehrspieler wird hierbei kaum effektiv und selten aktiv ausgenutzt.

Vorstöße der zentralen Aufbauspieler in der ersten Linie sorgen nämlich häufig für unkoordinierte und unstrukturierte Reaktionen des Gegners. Selten sind sie darauf eingestellt, weil es schlichtweg fast nie passiert. Dadurch kann man sich nahe an die gegnerische Formation bewegen, hat weiterhin ein tororientiertes Sichtfeld, kann im Lauf selbst bestimmte Räume und Passwege anvisieren und diese aus kürzerer Distanz erfolgsstabiler bespielen.

Im Verbund dazu verbuchen aufrückende Abwehrspieler Raumgewinn und Veränderung der Passwege – und zwar im Zentrum oder in den Halbräumen, welche strategisch besonders wertvolle Zonen sind. Besonders 4-4-2-Formationen können gut damit bespielt werden.  Das Abkippen eines Sechsers wird darum häufig gerne und effektiv gegen Zwei-Stürmer-Formationen praktiziert. Leider wird hier fälschlicherweise davon gesprochen, dass der Hauptvorteil die Überzahl 3-gegen-2 in der ersten Linie ist. In Wirklichkeit ist es eine Veränderung der Passwege, der Verbindungen und Zonenbesetzung, welche effektiv ist.

Durch die Dreierlinie in erster Linie können nicht nur die Außenverteidiger höher vorschieben, sondern der Passweg durch den breiteren Innenverteidiger auf den höheren Außenverteidiger ist schwieriger zu verteidigen. Der Außenspieler kann sich dynamisch zurückfallen lassen, der Flügelstürmer kann einrücken, der breite Innenverteidiger hat nun eine weiterhin diagonalere, aber dabei steilere und auch vom Winkel her kleinere Passoption auf den Außenverteidiger und dazu eine sehr vertikale Passoption in die Mittelfeldhalbräume. Außerdem entzieht er sich dem gegnerischen Pressing im 4-4-2 und leitet die Gegner auf die Seite bei gleichzeitig höherer Verbindung in der Horizontale und einfacherer Linienbildung beim Umspielen von gegnerischen Pressingversuchen.

Doch was hat das mit dem aufrückenden Innen- oder Halbverteidiger zu tun? Eine positionell freiere und aufrückende Rolle der Innen- und Halbverteidiger ermöglicht genau diese Vorteile und macht sie noch extremer, vielfältiger und variabler. Besonders der Raumgewinn durch Vorstöße und möglicherweise schnelle Kombinationen sowie Durchstöße bis in die Spitze sind ein interessantes taktisches Mittel, um flexibel zu überladen und Räume in der gegnerischen Pressingformation geplant auszuspielen.

Verbesserte Raum- und Optionsnutzung bei mehr Dynamik für den aufrückenden Innenverteidiger.

Verbesserte Raum- und Optionsnutzung bei mehr Dynamik für den aufrückenden Innenverteidiger.

Dazu gibt es einen weiteren Vorteil durch die simple Dynamikerhöhung und Rhythmusveränderung. Aus einer sehr horizontalen und den Torwart miteinbeziehenden Ballzirkulation im ersten Drittel kann beispielsweise der Gegner auf Distanz gehalten werden, bevor ein Innenverteidiger aggressiv vorschiebt, den Überraschungsmoment auf seiner Seite hat und aggressive Schnittstellenpässe spielt.

Solche Bewegungen – Rhythmuswechsel und der Raumgewinn durch weite Vorstöße weg von der ursprünglichen Formation bis in die zentralen oder gar in die Angriffszonen – haben auch eine negative Folgewirkung auf den Gegner.

Jedes Pressingsystem auf höchstem Niveau (und meist auch auf niedrigerem) funktioniert über das Verteilen von bestimmten Aufgaben innerhalb einer Formation, in der wiederum Abläufe und Mechanismen einstudiert wurden oder zufällig vorherrschen. Dadurch entstehen für jeden Spieler bestimmte Wirkungskreise und Bewegungen innerhalb dieser.

Solche Positionswechsel mit hoher Dynamik sorgen dank der neuen Raumaufteilung und Zonenbesetzung für eine Umstrukturierung der Zuordnungen beim Gegner. Jeder Hobbyfußballer weiß: Sogar im Amateurfußball mit Manndeckungen und geringem individuellen Niveau ist das eine extrem unangenehme Situation. Im Spitzenfußball der vorgefertigten Pressingfallen und komplexen gruppentaktischen Abläufe kann dies noch fataler wirken.

In beiden Fällen ist dies extrem wirkungsvoll, weil der aufrückende Spieler sein Sichtfeld bereits nach vorne hat und zu Beginn seines Laufs (normalerweise) nicht unter direktem Druck steht. Das bedeutet potenziell eine sehr hohe Dynamik. Desweiteren wird die Position des Innenverteidigers nicht direkt von einem defensiveren Spieler übernommen – wer soll auch defensiver sein? Und das hat einige interessante Folgewirkungen.

Rückt beispielsweise der Flügelstürmer im Angriffsdrittel ein, steht meistens der Außenverteidiger sehr breit und übernimmt dort bestimmte Aufgaben. Diese Ablösung wird meistens so praktiziert, dass es ein fließendes und harmonisches Unterfangen ist. Der Außenverteidiger beginnt seine aufrückende Bewegung, der Flügelstürmer schiebt in die Mitte, der Außenverteidiger intensiviert seinen Lauf und besetzt die Position. So etwas ist relativ simpel planbar und kann auch vergleichsweise einfach gekontert werden.

Besonders wichtig ist aber ein weiterer Faktor: Die offensiven Spieler befinden sich bereits in den Wirkungskreisen der verteidigenden Mannschaft, sie verschieben sich innerhalb diesem und der positionsübernehmende Außenverteidiger bewegt sich in den kollektiven Wirkungskreis hinein. Die Veränderung der Struktur ist bei intelligent verteidigenden Mannschaften somit kaum gegeben. Diese offensiven Mechanismen müssen schon sehr präzise, dynamisch, komplex und lokal überladend praktiziert werden, um konstant für Gefahr gegen defensivkompakte Mannschaften zu sorgen.

Bei organisiertem Aufbauspiel befindet sich die verteidigende Mannschaft nämlich fast immer in Überzahl. Kaum eine Mannschaft greift mit mehr als vier oder fünf Spielern in der letzten Linie ein, fast immer sichern zwei Innenverteidiger, ein Außenverteidiger und/oder ein Sechser weit hinten ab. Dafür verteidigen die meisten Mannschaften aber mit elf, zehn oder neun Spielern und haben insgesamt Überzahl. Intelligentes Schaffen von Räumen und durchgehende Bewegung mit Struktur sind nötig, um das zu bespielen.

Beim vertikal aufrückenden Innen- oder Halbverteidiger hat die verteidigende Mannschaft es wiederum etwas schwieriger. Sein Aufrücken gehört nicht zum Plan der verteidigenden Mannschaft. Der Innen- oder Halbverteidiger schiebt als aktiver Akteur von außerhalb des kollektiven Wirkungskreises in diesen hinein und darf sich auch noch den infiltrierenden Raum frei auswählen. Er ist hierbei nicht nur hilfreich bei der Strukturierung des Raumes, sondern auch bei der Raumnutzung als solcher.

Gleichzeitig wird er häufig durch einen Spieler abgesichert, der den gegnerischen Wirkungskreis verlässt und diesen teilweise verzerrt. Das geschieht beispielsweise durch einen zurückfallenden Sechser, der von einem der gegnerischen Stürmer verfolgt wird und dadurch diagonale Passwege für den aufrückenden Abwehrspieler quer durch den Sechserraum öffnet.

In diesem kompakten Block hat der Gegner eine 8-gegen-10-Situation. Durch diese Bewegung entsteht eine dynamischere und für die Verteidigung komplexere Situation mit einem 8-gegen-9.

In diesem kompakten Block hat der Gegner eine 8-gegen-10-Situation. Durch diese Bewegung entsteht eine dynamischere und für die Verteidigung komplexere Situation mit einem 8-gegen-9.

Dies ist auch einer der Gründe, wieso der Libero bei richtiger Anwendung so enorm effektiv sein konnte. Franz Beckenbauer schob zum Beispiel nicht nur häufig mit Ball am Fuß nach vorne, sondern auch sehr weiträumig bei schon weit fortgeschrittenen Angriffen ohne Ball nach und besetzte den Rückraum als Anspielstation. Diese plötzliche und intelligente Raumnutzung wurde von vielen Spielern – besonders als der Libero in Zeiten der Manndeckung – durch die überraschende Infiltration des Wirkungskreises übersehen und Beckenbauers taktische wie technische Genialität regelte den Rest.

Trotzdem birgt ein solches Vorstoßen – insbesondere als Aufrücken mit Ball am Fuß – gewisse Gefahren. Im modernen Pressing- und Umschaltfußball sind Ballverluste des zentralen Abwehrspielers möglicherweise fatal. Wie kann man diese also kompensieren, ohne die Vorteile zu verlieren?

Umsetzungsmöglichkeiten mit weiterhin vorhandener Absicherung

In den vielen 1-3-3-3-Formationen der 70er war es beim Libero meistens der manndeckende Vorstopper, welcher die Vorstöße absicherte. Viele Aufbausituationen in jener Zeit bestanden aus einem Vorstopper, der sich entweder passiv im Sechserraum bewegte und nichts kaputtmachen wollte (diese Aufgabe hatte er nur in der Defensivphase), und einem tieferen spielmachenden Libero. Der Vorstopper würde sich aber häufig auch früh zurückfallen lassen und neben den Libero stellen.

Besonders zu Anfangszeiten der offensivorientierten Außenverteidiger gab es solche Staffelungen mit vier Abwehrspielern in einer Reihe. Flexibel konnten die Außenverteidiger und der Libero vorstoßen, immer bleiben drei der vier Spieler hinten. In einigen wenigen Mannschaften war es sogar der tiefe Spielmacher als Zehner, wobei dies ein deutschlandspezifisches Phänomen sein dürfte; im Spiel gegen England erlangte es mit Netzer und Beckenbauer gar Berühmtheit.

Im modernen Fußball sind aber die Außenverteidiger fast durchgehend offensivorientiert. Bei zentraler Ballposition schieben bei fast jeder Mannschaft Europas die defensiven Flügel nach vorne und stehen nicht auf einer Linie mit den Innenverteidigern. Das Ziel des aufrückenden Innen- oder Halbverteidigerverteidigers ist es, dass er zentral aus dieser Linie ausbricht, den Gegner durch eine veränderte Raumnutzung und Zonenaufteilung vor Probleme stellt, während im Spielfluss sein Herausrücken abgesichert wird.

Eine Möglichkeit wäre natürlich das Torwartspiel. Wieso sollte der Torwart nicht zwischen den zentralen Abwehrspielern agieren? Und wieso sollte er bei Vorstößen des Innen- oder Halbverteidigers nicht auf deren Positionen rücken? Und wieso sollte er sich nicht einfach am Gegenpressing beteiligen? Oder situativ den Gegner bei Steilpässen ins Abseits stellen? Natürlich weil das nicht funktionieren würde.

Was allerdings funktionieren würde, ist das Nutzen des Torwarts als Ausweichoption im Passspiel. Eine Rautenbildung mit dem Sechser und dem zweiten Innenverteidiger bietet viele Anspielstationen, der vorstoßende Innenverteidiger kann sich entweder rechtzeitig drehen und über den tiefen Torwart das Spiel drehen oder zur Not einen langen Ball diagonal spielen. Weil kein Sechser abkippen muss, ist die Staffelung für zweite Bälle passender.

Eine weitere Alternative stellt das soeben angedeutete Abkippen des Sechsers dar. Indem sich der Sechser zurückfallen lässt oder gar direkt in Richtung der Position des ballführenden Innenverteidigers geht, kann dieser abgesichert nach vorne schieben. Wie erwähnt kann der Sechser bei Mannorientierung des Gegners sogar strategisch interessante Räume öffnen. Auch das Zurückfallen des Flügelverteidigers – meist ballnah, potenziell aber auch ballfern – kann die Vorstöße kompensieren und absichern. Bei extremer Mannorientierung auf dem Flügel wären hier ebenfalls interessante Möglichkeiten zur Raumöffnung und Strukturveränderung möglich.

Die simpelste Möglichkeit ist natürlich das Spiel mit einer Dreierkette. So praktizieren es die Bayern aktuell, gar im Verbund mit einem zurückfallend absichernden Sechser. Die Halbverteidiger können dadurch flexibel nach vorne schieben, was strategisch enormes Potenzial birgt. Sie werden von den verbleibenden zwei zentralen Verteidigern und/oder von einem diagonal zurückfallenden Sechser abgesichert.

Die vier großen Absicherungsvarianten bei einer Dreierkette sind hier in unterschiedlichen Farben dargestellt.

Die vier großen Absicherungsvarianten bei einer Dreierkette sind hier in unterschiedlichen Farben dargestellt.

Bei einer Spielweise mit Dreierkette kann auch der zentrale Verteidiger problemlos nach vorne schieben und auch eine Raute mit dem Torwart und den beiden Halbverteidigern erzeugen. Ein weiterer Vorteil: Durch die fülligere Zonenbesetzung ist dies viel schneller und flexibler möglich als bei nur zwei Verteidigern.

Möchte man aber sehr offensiv und strategisch präsent mit aufrückenden Innenverteidigern bei einer nominellen Viererkette spielen, ist die Suche nach defensiver Stabilität und Absicherung ohne zurückfallende zentrale Mittelfeldspieler wichtig.

Interessant wäre das geplante, bogenartige Nachschieben der ballfernen Akteure. Bei einem aufrückenden linken Innenverteidiger würden sich schrittweise der ballferne Innenverteidiger, der ballferne Außenverteidiger und der ballferne Achter oder Flügelstürmer sich in einer Kette zum entstandenen Loch bewegen. Sie würden – zumindest bei gegnerischen Mannorientierungen – sogar noch zusätzlich Räume im Zentrum öffnen.

Weiters könnten bestimmte Mechanismen eingebaut werden, welche dies ergänzen. Ein diagonal zurückfallender Neuner, ein horizontal einrückender ballnaher Flügelstürmer oder ein ballferner Flügelstürmer, der sich bei seinem absichernden Zurückfallen in Richtung Sechserraum orientiert, wodurch er sowohl absichern als auch potenziell spielgestaltend und vorstoßend agieren kann, ein bockspringender Achter, der … man sieht, die Möglichkeiten sind unendlich.

Insgesamt geht es aber darum, dass man die wichtigen strategischen Punkte – Gegenpressing, Verbindungsspiel, Kompaktheit, Intensität, Zonenbesetzung – erfüllt und die kollektiven Bewegungen dabei harmonisiert. Das Kollektiv muss es lösen, dann ist alles möglich.

Zur speziellen Anwendung dieser Spielweise bei den Bayern mit David Alaba gibt es in den nächsten Tagen einen eigenen, kleinen Artikel. 

Das 3-6-1| Ein logischer Schritt

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Das 3-6-1 ist eine selten genutzte Staffelung, welche im Spitzenfußball aber einige interessante Möglichkeiten mitbringen könnte. In dieser Analyse soll ein beispielhaftes System mit einer solchen Formation kurz erklärt werden.

Formationen sind zwar nur Telefonnummern, doch sie können trotzdem bestimmte Charakteristiken mitbringen. Ein 10-0-0-0 hätte zum Beispiel eher wenig Präsenz in den vorderen zwei Linien. Solche Extremfälle gibt es praktisch natürlich kaum. Es gibt eigentlich nur Tendenzen bei den im Fußball genutzten Formationen, wobei die vermeintlichen Problemzonen mal mehr und mal weniger umständlich neutralisiert werden können. Das System – also Formationen plus die Bewegungen, Rollenverteilungen, Spielerqualität, Spielphilosophie, etc. – liegt darum bewusst im Fokus unserer Analysen.

Dennoch gibt es eine Formation, die sehr interessante Möglichkeiten mitbringt und im Fußball selten genutzt wird. Die Rede ist vom 3-6-1.

Das 3-6-1: Ein logischer Schritt

Das 5-4-1 mit flacher Vier und das 4-5-1 mit flacher Fünf wurden in den letzten Jahren durchaus öfter genutzt. Der BVB zeigte gute Leistungen mit Letzterem, ein 5-4-1 hat Costa Rica bei der WM erfolgreich gespielt. Beiden Formationen fehlt es allerdings durchaus etwas an der Präsenz ganz vorne, beim Pressing in höheren Zonen und passenden Staffelungen beim Umschalten. Zwar können mit dem Herausrücken von Flügelspielern oder zentralen Mittelfeldspielern diese Probleme durch eine besondere systemische Interpretation ein bisschen kompensiert werden, der grundsätzliche Mangel ist aber nur bei besonderem Spielermaterial, speziellen Situationen oder eben einer formativen Umstellung zu beheben.

Dennoch sind diese Formationen mit nur einem Stürmer insofern interessant, weil man sich enorm massiv hinter dem Ball aufbauen und die zwei tieferen Zonen besetzen kann. Ein Versuch, um die Präsenz in der Mitte, die enorme Breitenstaffelung sowie die vielen Spieler in den ersten zwei Linien mit mehr Zugriff in höheren Zonen und mehr Präsenz im Offensivspiel zu verbinden, wäre insofern ein 3-6-1.

Atlético stellte ein paar Mal gegen Barcelona vor zwei oder drei Jahren ein 3-6-1 situativ her. Diego Simeone ist somit offizieller SV-Schirmherr dieses Artikels.

Atlético stellte ein paar Mal gegen Barcelona vor zwei oder drei Jahren ein 3-6-1 situativ her. Diego Simeone ist somit offizieller SV-Schirmherr dieses Artikels.

Sechserkette ermöglicht Flexibilität im Defensiv- und Offensivspiel

In gewisser Weise sind vier oder fünf Spieler in der letzten Linie redundant, wenn ausreichend Druck vorne erzeugt wird. Chile und Bayern nutzen zum Beispiel mit durchaus hoher Defensivstabilität eine klare Dreierkette, in die  sich situativ einzelne Spieler zurückfallen lassen. Auch die vielen pendelnden Viererketten bei nominellen 3-5-2- und 3-4-3-Formationen funktionieren europaweit wie schon bei der Weltmeisterschaft sehr gut.

Ein 3-6-1 gäbe Mannschaften die Möglichkeit flexibel Dreier-, Vierer- und Fünferreihen herzustellen. Immerhin gibt es sechs Spieler in einer Kette davor, die sich jederzeit aus dem Mittelfeld lösen und sich hinten eingliedern können. Das Gleiche können sie natürlich auch in die andere Richtung machen und den Mittelstürmer durch herausrückende Bewegungen unterstützen. Letzteres ist im Vergleich zum 4-5-1 und besonders zum 5-4-1 noch intensiver und mit mehr Spielern möglich, da durch die Sechserkette eine verstärkte Absicherung und mehr Spieler mit Zugriff auf die zweite gegnerische Aufbaulinie gegeben sind.

Selbst wenn zum Beispiel drei Spieler gleichzeitig nach vorne schieben, bleibt ein kompakter und unterstützender 3-3-Block dahinter als Absicherung. Durch die Sechserkette können natürlich auch sehr unterschiedliche Pressingbewegungen mit vielfältigen Mustern erzeugt werden. Diesbezüglich sind die Möglichkeiten nahezu unendlich.

Um die (theoretische) Effektivität davon darzulegen, habe ich mich aber dazu entschieden ein paar konkrete Bewegungsmuster zu zeigen, welche man nutzen könnte.

Ein 3-6-1 mit Angriffspressing

Das 3-6-1 als Formation mag grundsätzlich defensiv klingen, doch wie eigentlich jede Formation lässt es sich auch eindeutig offensiv interpretieren. Bei einem sehr hohen Pressing bringt das 3-6-1 sogar einige interessante Nebenwirkungen mit sich.

3-6-1-Grundstaffelung bei hohem Pressing.

3-6-1-Grundstaffelung bei hohem Pressing.

In dieser Situation hat der gegnerische Torwart den Ball, die beiden Innenverteidiger werden vorerst in Ruhe gelassen. Die Flügelstürmer in diesem Szenario sind eher mannorientiert, während die zentralen Spieler auf ihren Positionen bleiben. Der Gegner soll zum Spielaufbau verleitet werden. Kommen direkt lange Bälle – insbesondere auf die (vermeintlich) offenen Flügelstürmer -, so verschiebt der gesamte Block dorthin. Der ballnahe Flügelläufer, der ballnahe Halbraumläufer und der ballnahe Halbverteidiger verschieben auf den Ball, die zwei Sechser sichern die Mitte und die ballfernen Spieler verschieben zum Ball und versuchen mehr Breitenstaffelung zu erzeugen. Sowohl Pässe auf die Sechser als auch die langen Bälle wirken zwar offen, sollten aber gut zu verteidigen sein. Startet der Gegner eine tiefe Ballzirkulation, beginnt auch das eigene Pressing.

In Ermangelung eines besseren Begriffs für diese Position nenne ich den jeweils zweiten Spieler von der Seite der Mittelfeldsechserkette in diesem Artikel „Halbraumläufer“.

Bewegung von der 3-6-1-Grundstaffelung aus bei hohem Pressing und Ballbesitz des rechten Innenverteidigers.

Bewegung von der 3-6-1-Grundstaffelung aus bei hohem Pressing und Ballbesitz des rechten Innenverteidigers.

Der Torwart spielt den rechten Innenverteidiger an, woraufhin das Pressing losgeht. Der zentrale Mittelstürmer versucht die Innenverteidiger zu isolieren, der Flügelläufer verschließt den Außenverteidiger. Alternativ könnte er ihn auch offen lassen und dadurch einen langen Pass auf den rechten Außenstürmer verhindern sowie das Aufbauspiel auf die Seite leiten, doch diese Option bedeutet mehr sofortigen Druck. Der Außenstürmer kann außerdem abgedeckt werden und die langen Pässe könnte wohl auch der Halbraumläufer oft abfangen. Der ballnahe Sechser rückt auf den gegnerischen Sechser heraus und die anderen Spieler verschieben ballorientiert in das Loch. Gegen lange Bälle auf den halblinken Sechser beim orangen Team oder diagonal auf den linken Flügelstürmer gibt es dadurch genug Präsenz, um sie sofort unter Druck zu setzen. In die Formation zu kommen, ist für den Gegner sehr schwierig und gelingt es, so sind die Staffelungen dank Möglichkeit zu massivem Rückwärtspressing und hoher Kompaktheit nur sehr kurzzeitig gegeben.

Ballbesitzorientierte Mannschaften mit gutem Torwart und starker Ballzirkulation könnten aber den Ball über den Torwart schnell auf die andere Seite spielen. Theoretisch könnte dies zu Problemen führen, doch auch hier hilft die viel besetzte zweite Linie.

Reaktion auf das gegnerische Umspielen des Pressings.

Reaktion auf das gegnerische Umspielen des Pressings.

Die ballfernen Spieler verschieben natürlich zum Ball mit und rücken ein. Der Mittelstürmer kann natürlich nicht den zweiten Innenverteidiger sofort oder konstant nach Seitenwechseln unter Druck setzen, weswegen er zuerst etwas zurückfallen und den Sechser etwas in seinen Deckungsschatten nehmen soll. Dessen vorheriger quasi-Manndecker lässt sich zurückfallen und läuft auf seine zuvor verlassene Position zurück.  Der rechte Halbraumläufer wiederum rückt heraus und stellt die erste Anspielstation zu. Damit sollen auch das Spiel verlangsamt und die Effekte des Seitenwechsels abgefedert werden.

Ballnah orientieren sich der Halbverteidiger und der Flügelläufer an ihren Gegenspielern, sollen sie aber nicht sofort decken, sondern Abstand lassen. Damit sollen sie auf den Flügeln gelassen werden und Zeit für das Einrücken der ballfernen Spieler – die auch zur Unterstützung der Dreierkette in der ersten Linie wichtig sind – ermöglichen. Bei sehr schneller Kombination und sehr guter Bewegung des Gegners ist man aber auf den Seiten nun potenziell instabil. Eine etwas passivere und zurückhaltendere Spielweise in einer Art 3-6-1-0 wäre hierbei als Maßnahme interessant.

Positionsorientierteres und etwas zurückhaltenderes 3-6-1-Angriffspressing mit zwei möglichen Pressingschemen.

Positionsorientierteres und zurückhaltenderes 3-6-1(-0)-Angriffspressing mit zwei (bzw. drei) möglichen Pressingschemen.

Bei dieser Ausrichtung steht der Mittelstürmer tiefer, wodurch die gegnerischen Innenverteidiger ungestört aufbauen können. Die Frage lautet nur, wohin. Diese Ausrichtung lebt in gewisser Weise von ihrem Staffelungsdruck. Jeder der vermeintlich offenen Spieler vor dem Ball steht bei auch bei erfolgreichen Anspielen eigentlich unter sofortigem Druck und kann durch die 3-6-1-Staffelung auch gut von den relevanten Zonen und/oder seinen Mitspielern isoliert werden. Der Mittelstürmer muss jetzt etwas weniger Raum covern, besetzt eher die Zonen zwischen den zwei Sechsern und wenn diese auffächern, können sie einfacher von den Mittelfeldspielern übernommen werden.

Die grünen und roten Pfeile wiederum zeigen, welche Möglichkeiten gegeben sind. Beide Schemen stellen ein 3-3-3-1 mit extremer vertikaler Kompaktheit und zueinander verschobenen Dreierreihen her. Beim roten Schema lockt man den Gegner eher auf die Seite, kann auf dem Flügel durch das Verschieben aggressiv attackieren und hat mehr direkten Zugriff zentral/halbräumig. Beim grünen Schema ist die Flügelverteidigung sowohl bei langen Diagonalbällen als auch ballnah theoretisch wohl etwas stärker, aber auch die Mitte sollte gut besetzt sein.

Nutzt die gegnerische Mannschaft einen abkippenden Sechser, verändert sich wenig. Im Gegenteil: Dem 3-6-1 sollte es leichter fallen den Gegner hinten zu halten und die Bewegungen beim Verschieben sollten simpler sein.

Nutzt die gegnerische Mannschaft einen abkippenden Sechser, verändert sich wenig. Im Gegenteil: Dem 3-6-1 sollte es leichter fallen den Gegner hinten zu halten und die Bewegungen beim Verschieben sollten simpler & erfolgsstabiler sein.

Das trifft allerdings nicht nur auf das hohe Angriffspressing zu. Auch bei tieferer Ausrichtung kann man mit ähnlichen Schemen agieren.

Das 3-6-1 mit tieferer Ausrichtung

3-6-1 Grundstaffelung mittel

3-6-1-Grundstaffelung im Mittelfeldpressing.

 

Im Endeffekt wurde hier nur die Formation etwas zurückgezogen und leicht angepasst. Die Flügelläufer stehen etwas tiefer, dazu wurden die Schemen angepasst. Das Prinzip bleibt aber gleich; zwei zueinander verschobene 3-3-Staffelungen mit kleinen Unterschieden. Persönlich fände ich ein solches Mittelfeldpressing sehr interessant. Der Gegner kann (sprich: wird) den Torwart nicht einbinden, muss immer wieder zurückspielen und tut sich auch gegen eine positionsorientierte, passive Staffelung sehr schwer. Lange Bälle hinter die Abwehr sind potenziell etwas erfolgsstabiler, deswegen stehen aber auch die Flügelläufer etwas tiefer und der Torwart spielt natürlich mit, womit die drei zentralen Innenverteidiger gut unterstützt sein sollten.

Die Höhe dieser Pressingausrichtung sowie die Formation selbst ist insofern interessant, weil man potenziell extrem schnell und extrem effektiv kontern kann. Hinter der Abwehr sollten sich einige passende Räume bieten, desweiteren ist durch die Sechserreihe massives Aufrücken möglich.

Kontermöglichkeiten nach einer Balleroberung.

Kontermöglichkeiten nach einer Balleroberung.

In dieser hypothetischen Situation erobert das 3-6-1 den Ball links im Halbraum. Der abgefangene Pass kann sofort auf den linken Flügelläufer gespielt werden. Dieser rückt entweder auf oder schiebt in die Mitte, wo ihm der Halbraumläufer Räume öffnet. Der Mittelstürmer und der zweite Sechser können sich in den offenen grünen Raum bewegen, um Zonenwechsel zu unterstützen oder direkt aufrücken. Die beiden ballfernen seitlichen Akteure schieben ohnehin nach vorne und sorgen so für Probleme beim Gegner, weil sie flexibel die weiter entfernten Zonen besetzen und gleichzeitig das hohe Aufrücken des Außenverteidigers sowie die natürlich hohe Position des Flügelstürmers nutzen können. Bei diesem Aufrücken werden viele Zonen gut angelaufen, obwohl mit den zwei Sechsern und den drei Verteidigern weiterhin viel Absicherung gegeben ist.

Das Besondere an Kontern mit diesem Schema ist die zentrale Absicherung bei gleichzeitig fast perfektem Besetzen unterschiedlicher Zonen. Bei Kontern ist es besonders wichtig, dass ausreichend Breite, aber weiterhin Kombinations- und Verbindungsmöglichkeiten gegeben sind. Der Mittelstürmer ist der einzige Spieler, der zuerst die Mitte besetzt und sich von dort aus seitlich absetzen und Räume öffnen, als Ablagestation fungieren oder für direkte tödliche Pässe anspielbar sein kann. Auf beiden Seiten gibt es je zwei Spieler, wodurch diese zwei miteinander kleinräumig kombinieren, kreuzen oder für einander Räume schaffen können. Auf der anderen Seite gibt es je zwei Anspielstationen, wodurch ein adäquater Zonenwechsel möglich ist, ebenso wie die Möglichkeit dort wieder kleinräumig zu kombinieren oder sich unterschiedlich frei zu laufen und schwieriger zu deckende Anspielstationen zu geben. Für Rückpässe in den gut besetzten Sechserraum oder eben direkt in die Spitze gibt es ebenfalls Anspielstationen; insgesamt eine sehr gute Staffelung und Bewegungsmöglichkeit für Konter also, die aber auch in der Ballzirkulation nutzbar sein kann.

Eine noch tiefere Ausrichtung wäre ebenfalls interessant. Ein Beispiel für einen möglichen Bewegungsablauf im 3-6-1-Abwehrpressing:

3-6-1-Abwehrpressing.

3-6-1-Abwehrpressing.

In diesem Schema würde sich z.B. der rechte Halbraumläufer zurückfallen lassen, um lange Diagonalbälle zu sichern, der Flügelläufer bleibt höher, die Sechser besetzen die Mitte und die ballnahen Spieler sind relativ mannorientiert. Hier agiert der Halbverteidiger auch etwas aggressiver, weswegen die Sechser und der Halbraumläufer etwas zurückhaltender sind und erst herausrücken, wenn der Ball in die Mitte kommt. Dadurch ist man zentral sehr kompakt, der ballnahe Halbraumläufer kann Druck herstellen und der Mittelstürmer setzt den Rückpass unter Druck. Dieses Schema weicht von obigem Schema ab, was zeigt, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt.

Natürlich benötigt eine solche Spielweise aber ein passendes Spielermaterial. Eine Mannschaft, die dafür perfekt geeignet wäre, ist Chelsea.

Chelsea im 3-6-1 .

Chelsea im 3-6-1 .

Diese Aufstellung soll einen ungefähren Aufschluss darüber geben, mit welchen Spielertypen man ein solches 3-6-1 besetzen könnte. Die oben aufgeführte Dreierkette wäre nominell natürlich extrem offensiv, in diesem System aber passend, desweiteren sind dies drei auch sehr gute Defensivspieler trotz ihrer eigentlichen Nutzung als Außenverteidiger. Alternativ sind Terry, Zouma oder Cahill möglich. Hazard, Oscar, Willian und Cuadrado als Halbraum- und Flügelläufer wiederum sind nahezu perfekte Spieler, da sie defensiv nicht schwach und andererseits extrem dribbelstark wie athletisch sind. Matic und Fabregas sind als Zirkulationsstation sehr gut, Fabregas kann sehr gut abgesichert tödliche Pässe spielen, Matic den Ball geschickt laufen lassen und seine Dribbelfähigkeiten für das Auflösen von engen Situationen vor der Dreierkette nutzen. Diego Costa: Ohne Worte. Der perfekte Mann für das System.  Hazard könnte man natürlich auch auf einer anderen Position einbauen und Ramires oder Obi Mikel noch in die Mannschaft drücken.

Das 3-6-1 wäre für jemanden wie Mourinho also eine Überlegung wert, sowohl wegen des Kaders als auch aufgrund der Möglichkeiten gegen den Ball und im Konterspiel. Die Formation ist aber nicht nur für die Arbeit gegen den Ball sowie für defensives und offensives Umschaltspiel potenziell herausragend, sondern auch in eigenem Ballbesitz überaus nützlich.

Variabilität auch in der Offensive

Theoretisch könnte man im 3-6-1 einfach die Halbraumläufer etwas nach vorne schieben und ein 3-4-2-1 spielen. Andererseits könnte man einfach ein simples 3-4-3 erzeugen oder sonstige Stellungen in eigenem Ballbesitz einnehmen. Ohnehin ist es wichtiger, saubere Muster, kreative und unterstützende Bewegungen zu haben sowie bestimmte Richtlinien im Bewegungsspiel und bei der Staffelung zu berücksichtigen. Guardiolas konzeptionelles Positionsspiel / Juego de Posición sorgt bekanntlich auch in unterschiedlichen Formationen und Ausrichtungen von den Orientierungen her für ähnliche Fähigkeiten. Um aber (mehr oder weniger) beim 3-6-1 zu bleiben, habe ich eine kleine Grafik mit möglichst vielen variablen Bewegungen gebastelt, die zeigen, was alles so möglich sein könnte:

Das 3-6-1 im Aufbauspiel.

Das 3-6-1 im Aufbauspiel.

Beginnen wir hinten: Der Torwart bietet sich im Normalfall immer etwas seitlich an, um den Halbverteidiger unterstützen zu können und nach Drehungen in die Halbräume oder die Mitte spielen oder den Ball auf die andere Seite verlagern zu können. Hat man Neuer, Zieler oder ter Stegen im Tor, darf man das auch gerne jenseits des Strafraums probieren. Der zentrale Innenverteidiger versucht gelegentlich Passwege direkt auf die zwei Sechser zu öffnen, welche durch ihre Enge zueinander (ohne Verlust guter Staffelungen) direkte Ablagen und darauffolgende Weiterleitungen nutzen können. Ansonsten hat der zentrale Innenverteidiger eine sehr klassische und zurückhaltende Rolle.

Die Halbverteidiger verschieben natürlich ballorientiert zur Absicherung mit, aber können situativ auch nach vorne stoßen, wenn das ihrem Fähigkeitenprofil entspricht. Die Flügelläufer und Halbraumläufer können miteinander rochieren, sich frei bewegen, den Raum vor der gegnerischen Kette überladen und immer wieder hinter diese kommen. Die drei etwas helleren blauen Punkte im Zwischenlinienraum wären hier drei Positionen, die flexibel von den Spielern dahinter gefüllt werden sollten. Die Bewegungen der Offensivspieler sollen diese Rochaden unterstützen und für Überladungen sorgen. Der Mittelstürmer kann dann als Ablagestation und Raumblocker dienen. Besonders schwierig sollte für die Gegner sein, welche Spieler sich an welchem Gegenspieler orientieren sollen. Besonders die Flügelverteidiger und Flügelstürmer sollten komplett damit überfordert sein.

Allerdings ist beim 3-6-1 bei einer solchen Vielfalt an Möglichkeiten auch durchaus möglich, dass die eigenen Spieler überfordert sind. Nicht alle Bewegungen sind simpel, sauber und (erfolgs-)stabil möglich. Ohnehin könnte dies sogar die größte Schwäche des 3-6-1 sein.

Mögliche Probleme?

Nun ja, das 3-6-1 ist – wie eigentlich jede andere Formation – mit sehr gutem und angepasstem Bewegungsspiel, schneller Zirkulation mit starken Ablagen und intelligentem Wechseln der Angriffe, sowohl vom Rhythmus (schnelle Wechsel von Verbindungen und Passzirkulationsgeschwindigkeit), als auch der Richtung (Dribblings und Drehungen in die Verschiebedynamik) oder der Ballposition her (z.B. Seitenwechsel und gute Positionierung ballfern), durchaus in Bedrängnis zu bringen. Ein stark aufspielender Gegner mit den richtigen Staffelungen und Bewegungen kann auch ein gutes 3-6-1 knacken.

Desweiteren kommen potenziell Effizienzprobleme der einzelnen Spieler (wie viele der Spieler kann ich gleichzeitig nützlich einbinden?) gegen den Ball, Zugriffs- und Abstimmungsprobleme bei sehr guten und harmonischen Bewegungen vor der Formation, bevor man in den 3-6-Block hineinspielt, Kombinations- und Befreiungsprobleme im offensiven Umschalten bei gutem gegnerischen Konter-/Gegenpressing, Instabilität beim Verteidigen von langen Diagonalbällen mit Fokus auf zweite Bälle und Folgeeffekte bei guter Organisation sowie generell einzelne Flügelverteidigungsaspekte hinzu. Offensiv könnte es im Aufbauspiel auch Abstimmungsprobleme in den Bewegungen geben.

Insgesamt ist es allerdings eine vielversprechende Formation, die auch sehr schnell und simpel zu einem 3-1-5-1 umgebaut werden könnte.

3-1-5-1

3-1-5-1

Die unterschiedlichen Schemen bleiben ähnlich nutzbar, aber man kann situativ den Sechser – wie einst Guardiola mit Busquets – als in die Dreierabwehr zurückfallenden Akteur nutzen und dadurch das Verschieben auf die Flügelstürmer unterstützen sowie generell die Breitenstaffelung verbessern.

Fazit

Nach dem 4-5-1 und 5-4-1 ist das 3-6-1 eigentlich eine Überlegung wert, da es die Gründe, wieso diese zwei Formationen schon genutzt wurden, in einem anderen Paket und mit anders gelagerten Eigenheiten mitbringt. Formationen sind natürlich flexibel, jede Mannschaft hat durch die Spieler, den Trainer und die gemeinsame Interpretation immer eine andere Spielweise bei gleicher Formation, dennoch gibt es einzelne Punkte, die ein solches 3-6-1 sehr interessant machen würden. Dieser Artikel hatte als Ziel dies etwas näher zu bringen und auch einzelne Beispiele für Interpretationsmöglichkeiten zu geben. Danke auch an Laola1.tv für das Atlético-3-6-1-Bild.


Taktiktheorie: Das Gegenpressing

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Das Gegen- oder Konterpressing ist in den letzten Jahren zum geflügelten Wort der deutschen Fußballsprache geworden. Auch international wird das Gegenpressing automatisch mit dem deutschen Fußball und der Bundesliga verbunden. Leider wird es allzu häufig falsch erklärt, sprachlich wie fachlich.

Woher kommt der Name?

Vorab: Ich weiß es nicht genau. Peter Hyballa spricht davon, dass das „Gegenpressing“ schlichtweg ein neues Wort für „Nachsetzen“ sei; damit hat er natürlich auch Recht. Das Wort Gegen- oder Konterpressing erlaubt lediglich eine etwas bessere Strukturierung auf den Umschaltmoment und ist diesbezüglich etwas klarer definiert. Im Amateurfußball wird Nachsetzen nämlich nicht nur mit Gegenpressing, sondern oftmals auch mit Rückwärtspressingaktionen im regulären Pressing verbunden.

Das Wort Gegenpressing scheint aber vom DFB selbst zu kommen. Im Sommer 2008 war es der damalige Lehrgangsleiter Ralf Peter, der explizit vom Gegenpressing sprach. Dies ist der zweitälteste Eintrag zum „Gegenpressing“, welchen ich bei meiner Recherche finden konnte. Der älteste Artikel im Internet ist zwei Jahre älter und behandelt mir bisher unbekannte Sexualtechniken auf med1.

Im spanischen Sprachraum scheint es bereits aus dem Jahr 2002 etwas zum „Contrapressing“ zu geben, wenn auch komplett sexualtechnikfrei. In der deutschen Bundesliga waren es medial Jürgen Klopp und Thomas Schaaf, welche Gegenpressing als Fachwort nutzten. Jürgen Klinsmann sprach von der sofortigen Ballrückeroberung, als Spielidee und taktisches Mittel, welches mit dem Gegen- oder Konterpressing gleichzusetzen ist.

„Wir wollen eine Spielweise aufbauen, den Ball dort zurück zu gewinnen, wo wir ihn verloren haben. Wir wollen uns nicht mehr fallen lassen und uns neu ordnen.“ – Jürgen Klinsmann

Beim Konterpressing wird eben schlicht der gegnerische Konter gepresst. Das Wort Gegenpressing  dürfte als Begriff ebenfalls davon stammen, weil man den Gegenangriff nach Ballverlust presst. Dies ist der Unterschied zum regulären Pressing, welches gegen einen organisierten Angriff des Gegners stattfindet. In gewisser Weise könnte man es auch einfach so machen:

  • Gegenangriff (Angriff nach einem Angriff)
  • Gegenpressing (Pressing nach einem Pressing)

Oder:

  • Pressing – Angriff
  • Gegenpressing – Gegenangriff

Allerdings haben international nicht nur viele Trainer Probleme bei der Terminologie, sondern auch bei der Anwendung. Zwar setzt sich das Gegenpressing immer mehr durch, die genaue Funktionsweise scheint aber noch unklar.

Was ist Gegenpressing?

Im Fußball gibt es vier Spielphasen. Das Gegen- oder Konterpressing gilt als Pressing im Umschaltmoment. Beim Gegner ist es der offensive Umschaltmoment, bei der eigenen Mannschaft der defensive Umschaltmoment, in welchem das Gegenpressing stattfindet. Die Bewertung „defensiv“ und „offensiv“ gibt jedoch eine Denkausrichtung und Intention wieder, welche eine Unterstellung ist. Objektiv richtig ist nur, dass eine Mannschaft den Ball hat, eine andere nicht.

Somit gibt es prinzipiell zwei Phasen; Ballbesitz und gegnerischer Ballbesitz. Die Umschaltmomente bezeichnen wiederum das Umschalten in Ballbesitz oder eben das Umschalten zu gegnerischem Ballbesitz respektive der jeweiligen Organisationen in diesen Phasen.

Die vier Spielphasen

Die vier Spielphasen

Geht man nach diesem Schema, sind die vier Spielphasen ein Zyklus, welcher klar erkennbar ist. Man kann nicht aus „Umschalten zu den Ball nicht haben“ in „den Ball haben“ wechseln. Somit entsteht folgende Richtung in diesen vier Spielphasen, welche wie folgt aussieht:

Die vier Spiephasen mit Richtung

Die vier Spiephasen mit Richtung

Doch wie passt das Gegenpressing in dieses Schema?

In gewisser Weise müsste man hier definieren, ob sich Gegen- oder Konterpressing auf das Pressing des gegnerischen Angriffs und seiner Abschlussverhinderung oder der Verhinderung der Entstehung selbst bezieht. Insofern könnte man argumentieren, dass das Modell der vier Spielphasen vom Gegenpressing ad absurdum geführt wird. Mithilfe des Gegenpressing schaltet man ja nicht in die Defensive um, sondern verhindert eben genau das; man presst aus der vorherigen Offensivstaffelung im Idealfall so schnell auf den Gegner, dass er nicht ordentlich umschalten kann, während man selbst nicht umschalten muss. Somit dreht das Gegenpressing, früh genug praktiziert, den Zyklus um.

Ein alternatives Modell für die Spielphasen könnte also so aussehen:

Die vier Spielphasen

Die vier Spielphasen

Diese Diskrepanz zwischen den beiden Mannschaften in den Spielphasen ist auch der Grund, wieso Jürgen Klopp einst das Gegenpressing als besten Spielmacher der Welt bezeichnet hat. Die gegengepresste Mannschaft versucht nach vorne umzuschalten, während die andere Mannschaft nicht versucht nach hinten umzuschalten. Gelingt ihr das, so ist der Gegner in einer Staffelung, welche nicht zur Spielphase und in der Konsequenz nicht zur konkreten Spielsituation passt, während man aus der vorherigen Angriffsstaffelung relativ effektiv die vorherige Attacke umsetzen könnte.

Das Konzept der absichtlichen Fehlpässe und darauffolgenden Balleroberungen macht sich exakt diesen Punkt zunutze, wie Ralf Peter hier ausführt und Barcelona mit Guardiola als Beispiel nennt. Allerdings ist daraus auch abzuleiten, dass das Konzept der vier Phasen eigentlich nicht haltbar ist.

Das Gegenpressing als Prävention von Umschaltmöglichkeiten ist nur kurzzeitig möglich, ergo müsste eine weitere Phase zu definieren sein: Die Möglichkeit zur Umschaltmomentverhinderung. Aus dem eigenen Ballbesitz könnte man also in die Umschaltmomentverhinderung übergehen, welche in der Regel extrem kurzlebig ist. Findet diese erfolgreich statt, so gibt es eine Rückkehr in den eigenen Ballbesitz oder andernfalls eben den Umschaltmoment zum gegnerischen Ballbesitz. Im klassischen Modell gehört diese Umschaltmomentverhinderung einfach schon zum Umschaltmoment dazu.

Die andere Mannschaft hat wiederum Phasen, in welchen sie den Ball nicht haben, aber bereits gegen Ende dieser Phase – also in individueller Antizipation und/oder teamtaktischer Vorbereitung eines Ballgewinns – sich um die Kontermöglichkeitskreation kümmern. Das ist natürlich keine eigene Phase, hat aber andere Implikationen auf die gesamtmannschaftliche Bewegung und dient quasi als Umschaltmoment für den Umschaltmoment. Von daher ist es ein Übergang an den Rändern des Ballbesitzmoments zum Umschaltmoment.

Nach der Balleroberung gibt es die Einleitung zum Konter oder zur Organisation. Das ist genau jener Moment, wo Pep Guardiolas Mannschaft entscheidet, ob sie kontern (wegen Erfolgsstabilität selten) oder ob sie die Umschaltphase nutzen, um in einen organisierten eigenen Ballbesitz überzugehen. Wird der Konter eingeleitet, wird eigentlich in eine andere Organisation bei eigenem Ballbesitz umgeschaltet, als bei einem organisierten Ballbesitz. Guardiola spricht darum auch von einer „15-Pass-Regel“, um Letzteres zu erreichen. Man muss nämlich jene Phase des Gegners aus dem Spiel nehmen, in welcher sie Gegenpressingzugriff haben können.

Treibt man diese Diskussion weiter und weitet sie auf beide Mannschaften aus, so ließe sich eine unendliche Zahl an Spielphasen einleiten, welche zwar sehr grob als „Ballbesitz“ oder „kein Ballbesitz“ eingeordnet werden könnten, aber komplett andere strategische Aspekte mitbringen und unterschiedliche Situationen darstellen, welche eine ganz andere Organisation erfordern oder als wünschenswertes Ziel haben.

Nicht umsonst sprechen Juanma Lillo und Guardiola davon, dass es keine unterschiedlichen Spielphasen gibt. Im Gegensatz zu anderen unterscheiden sie gewissermaßen nicht Ballphasen, sondern eine unendliche Zahl an Möglichkeiten von Organisationsphasen. Diese nennen sie dynamische Positionsstrukturen.

Lillo sagte u.a. einst dazu:

„Das Spiel ist eine unteilbare Einheit, es gibt keinen defensiven Moment ohne angreifenden Moment. Beide kreieren eine funktionale Einheit.“

Jede Defensivstaffelung hat auch einen inhärenten Offensivwert; zockende Spieler gegen den Ball sind das eindrücklichste Beispiel. Jede Offensivstaffelung hat einen inhärenten Defensivwert; die Zahl und Organisation der absichernden Spieler beeinflusst z.B. beide Aspekte. Deswegen führt Lillo weiters aus:

„Es ist möglich, die defensive Organisation speziell zu unterstreichen im Sinne spezieller Aspekte, wo man auch berücksichtigt, wie man Angriffe ausführen wird. Die defensive Positionierung oder Raumbesetzung variiert durch die Angriffscharakteristika.“

Diese Mischung aus den Brüchen mit der Richtung des Spielphasenzyklus, welche wiederum eigene spezifische Spielphasen kreiert, die schier unendliche Anzahl an unterschiedlichen Intentionen und Organisation für jede Spielphase sowie die Interaktion defensiver und offensiver Aspekte in jeder Staffelung in jeder Spielphase sorgt also dafür, dass diese Aufteilung in vier Spielphasen schlichtweg nicht das gesamte Spektrum an Geschehnissen auf dem Feld widerspiegelt.

Diese Grafik zeigt eine Mannschaft in Ballbesitz. Ihre Staffelung hat allerdings nicht nur einen offensiven Wert, sondern auch einen defensiven. Sogar in mehrerer Hinsicht; die Strukturen für den Ballführenden sind nicht optimal, wodurch die Stabilität des Ballbesitzspiels verringert ist. Das kann zu Kontern führen. Gleichzeitig ist die Staffelung in dieser Situation auch suboptimal, um Konter zu verteidigen, obwohl sie nicht offensichtlich schlecht ist. Und auch die Absicherung im Gegenpressing ist nicht perfekt.

Diese Grafik zeigt eine Mannschaft in Ballbesitz. Ihre Staffelung hat allerdings nicht nur einen offensiven Wert, sondern auch einen defensiven. Sogar in mehrerer Hinsicht; die Strukturen für den Ballführenden sind nicht optimal, wodurch die Stabilität des Ballbesitzspiels verringert ist. Das kann zu Kontern führen. Gleichzeitig ist die Staffelung in dieser Situation auch suboptimal, um Konter zu verteidigen, obwohl sie nicht offensichtlich schlecht ist. Und auch die Absicherung im Gegenpressing ist nicht perfekt.

Dennoch ist die grundlegende Aufteilung hilfreich, um diese Fülle an Situationen auf mehrere Kategorien herunterzuschrauben und die Konzeptualisierung zu vereinfachen.

I accept concept vs play. In one I want well defined, separate definitions. In play it’s all about dynamic, what the game asks.” – Ein Typ namens o_numero10 auf Twitter

Zwar gehen dadurch einige wichtige Dinge verloren, z.B. Klarheit über Konzepte, welche in allen Spielphasen vorhanden sind (Verbindungsspiel, Ballorientiertheit des Kollektivs, etc.), doch zur Verdeutlichung besonderer Aspekte (wie eben besonderen Reaktionsweisen nach Ballverlusten) ist es hilfreich.

Insofern ist also trotzdem zu berücksichtigen, welche unterschiedlichen Möglichkeiten sich in einem solchen Moment ergeben können. Deswegen wollen wir das Gegenpressing Stück für Stück aufarbeiten.

Adäquate Verbindungen und ballorientierte Positionierungen in Ballbesitz

Um überhaupt Gegenpressing praktizieren zu können, ist die gesamtmannschaftliche Positionierung in eigenem Ballbesitz wichtig. Falls diese nicht passt, wird das Gegenpressing aufgrund mangelnden Zugriffs nicht funktionieren. Stattdessen wird der Gegner im Normalfall den Vorwärtsgang einlegen und gegen die eigene Dynamik spielen, was ihm normalerweise Raumgewinn und viele Optionen im Angriffsspiel gewährt. Hier wäre das möglichst schnelle Einnehmen der eigenen Position  im geplanten Defensivkonzept vermutlich die erfolgsstabilere Variante.

Das Gegenpressing hat aber wie schon erwähnte viele Vorteile; es kreiert eine Diskrepanz beim Gegner im Umschaltspiel, man kann in der vorherigen Angriffsformation effektiv weiterspielen, verhindert Ballbesitz und Kontermöglichkeiten für den Gegner und verliert idealerweise keinen Raum.

Damit das funktioniert, sollte eine passend ausgerichtete Staffelung zum Ball vorhanden sein. Das beinhaltet folgende Aspekte:

  • Passende Besetzung der ballnahen Zonen, u.a. durch Überladung der ballnahen Zonen und Lokalkompaktheit
  • Geringer Abstand der umgebenden Spieler und des gesamten Blocks zum Ball(führenden)
  • Geringe Distanzen zwischen den Spielern, welche zwar Kombinationsmöglichkeiten durch Flachpässe und Raumgewinn im Ballbesitzspiel und Angriffsaufbau erlauben, doch nach Balleroberungen schnellen Zugriff ermöglichen
  • Ballorientierte und ballgebeugte Staffelung des Kollektivs und der Einzelspieler darin (Sichtfelder, etc.); alle Spieler sind so ausgerichtet, um Optionen des Balles zu besetzen; offensiv heißt das effektives Anbieten von Anspielstationen und defensiv das Besetzen von direkten und indirekten Passwegen zum Tor hin

Werden diese Richtlinien eingehalten, so gibt es meistens eine passende Organisation für das Gegenpressing während des eigenen Ballbesitzes. Mithilfe von unterschiedlichen Vorgaben zum offensiven Bewegungs- und Offensivspiel kann hierbei koordiniert werden, wie genau diese Staffelung aussieht.

Das konzeptionelle Positionsspiel Josep Guardiolas z.B. gilt als ursächlich dafür, wieso der FC Barcelona unter ihm ein herausragendes Gegenpressing praktizierte. Es können auch durch eine besondere Spielfeldeinteilung in Zonen, Vorgaben zur jeweiligen Zonenbesetzung und Abstände zwischen den Spielern in den einzelnen Zonen präzise einstudiert werden.

Neben der Staffelung in Ballbesitz ist auch die Art des Ballbesitzspiels wichtig. Ein enormer Fokus auf die ballferne Seite oder vordere Zonen zerstört zum Beispiel die ideale Positionsstruktur.

Hier sieht man eine nur marginal veränderte, aber durch die Möglichkeiten und Abstände bessere Staffelung.

Hier sieht man eine nur marginal veränderte, aber durch die Möglichkeiten und Abstände bessere Staffelung. Diese Struktur ermöglicht mehr Stabilität im Spiel mit dem Ball als auch mehr Präsenz in einer möglichen Defensivphase.

Das Passspiel als dynamische Komponente des Ballbesitzspiels für das Gegenpressing

Lange oder mittelange Pässe sorgen häufig für sauberer abgefangene Bälle und somit weniger direkten Zugriff im Gegenpressing. Kurze Pässe wiederum haben im Normalfall die Möglichkeit, dass der eigentlich anzuspielende Spieler direkt selbst mit einem guten Sichtfeld auf den Neu-Ballführenden gehen kann, während der Passgeber die zweite Richtung schnell abdecken kann.

Bei Ballverlusten im Dribbling ist häufig die Richtung für den Gegner in der Folgeaktion bereits vorgegeben, auch wenn meist die Abstände zum Mitspieler für die gegenpressende Mannschaft unpassend sind. Allerdings hat der Gegner im Zweikampf meist eine unsauberere Balleroberung und benötigt länger, um ein ordentliches Sichtfeld zu kreieren, wodurch bei gutem Verhalten des Dribblers dieser im Normalfall direkt selbst Druck erzeugen kann.

Bei blinden langen Bällen – ergo einem klaren Fokus auf zweite Bälle – gibt es häufig Probleme bei der Kontrolle der Folgeaktion. Meistens wird eine besondere Zone überladen, doch lange Bälle kommen nicht immer perfekt an. Um genau zu sein: Bei einer Verlagerung auf den freien Mann aus ruhigen Spielsituationen ist meistens die umliegende Staffelung gut, der Gegner hat relativ wenig Zugriff auf den Passempfänger und die Passgenauigkeit ist hoch. Desweiteren kann die eigene Mannschaft schwache Pässe sehr früh und gut antizipieren.

Bei langen Bällen in eine bestimmte Zone hingegen ist es problematisch, weil diese Bälle eben nicht zu einem Mitspieler, sondern in einen Raum kommen. Dadurch muss die Mannschaft natürlich viele Spieler in eine Zone abstellen, wodurch die Empfängerzone in eine Richtung – vertikal oder horizontal – häufig sehr flach aufgestellt ist und somit Löcher öffnet. Die Folgeaktion kann nur suboptimal kontrolliert werden. Desweiteren sind oftmals entweder die Räume direkt um die Empfängerzone langer Bälle nicht optimal besetzt oder die Absicherung dieser Absicherung in der letzten Linie ist zu gering gestaffelt, wodurch eine Fehleraktion im Gegenpressing sehr gefährlich sein kann.

Bei einem hohen Ball ist außerdem problematisch, dass die meisten Gegenspieler ihn wegen der schwierigen Verarbeitungsmöglichkeiten direkt weiterspielen können bzw. eher müssen; das Gegenpressing ist also auch wegen gegnerischer Kontrollunsicherheit nicht ideal planbar beziehungsweise gibt es eine verzögerte Reaktion, in der ein Gegenspieler seine Folgeaktion anschließend doch planen und somit den idealen Balleroberungsintervall verkürzt oder gänzlich vermeidet.

Flanken sind ebenfalls interessant für das Gegenpressing. Man kann die Flügel zum simplen Raumgewinn nutzen (sh. Halbraumartikel), in die Mitte spielen und sich speziell auf die Abpraller und Konterversuche des Gegners aus den tiefen Zonen konzentrieren. Desweiteren ist es enorm nützlich, um über Umwege in den Zehnerraum zu kommen und dadurch – häufig mit tororientiertem Sichtfeld – Bälle für Angriffe erhalten.

Beim kurzen Pass sind die Gegner direkt in der Nähe, bei einem längeren Pass (oftmals) nicht.

Beim kurzen Pass sind die Gegner direkt in der Nähe, bei einem längeren Pass (oftmals) nicht.

Häufig ist bei einem gebolzten Ball nicht nur die unmittelbare Gegenpressingmöglichkeit problematisch, sondern auch die Folgemöglichkeiten für weitere Gegenpressingaktionen. Selbst wenn der Ball behauptet oder per Kopf weitergeleitet werden sollte, kann er anschließend in einem anderen Raum oder einer anderen Umgebung verloren werden, wo die Gegenpressingmöglichkeiten dann deutlich schwächer ausgeprägt sind.

Auch hier finden sich ähnliche oder teils noch größere Probleme, weil die eigene Mannschaft entweder nicht mehr direkt in Ballnähe ist oder eben eine unpassende, da zu komprimierte Staffelung um den Ball hat. Desweiteren sind die Sichtfelder – viele Spieler zum eigenen Tor gerichtet – problematisch. Weitere taktikpsychologische Probleme – Fokus auf den zweiten Ball, den fokussierten Raum und das Abwarten dieser sehr unklaren und nicht allzu trennscharfen Aktion – können auftreten.

Eine letzte Möglichkeit ist ein geblockter Schuss, wo sich ein Gegenpressing besonders gut eignet; meistens ist nämlich die Staffelung des Gegners unpassend und die eigene Formation befindet sich hinter dem Ball mit viel Absicherung – positioneller und räumlicher Natur – zum eigenen Tor hin. Beim geblockten Schuss sind taktikpsychologische Probleme für den Gegner (Fokus auf den eigenen Strafraum, auf Kontrolle der tiefen Zonen, etc.) ebenso vorhanden. Allerdings ist es natürlich etwas problematisch, dass der Ball bei klaren Blocks häufig unkontrolliert und nach hinten wegspringt, was auch Kontermöglichkeiten mit wenig Gegenpressingzugriff initiieren kann.

Bei kurzen Pässen sollte außerdem berücksichtigt werden, dass die Passqualität zuvor ebenfalls wichtig ist. Sehr scharfe Pässe sind schwerer präzise abzufangen, sie werden eher „geblockt“ und sind somit einfacher zurückzuerobern. Hierbei ist natürlich neben der Distanz zum Mitspieler auch wichtig, wie technisch gut die Spieler sind und wie sie kombinieren; funktioniert das schnelle Kombinationsspiel viel über Weiterleitungen und Ablagen – beim FC Barcelona z.B. als „mig toc“ bekannt -, dann sind sehr feste Pässe ein Vorteil für das Ballbesitzspiel und das Gegenpressing.

Die Passrichtung als mitentscheidender Aspekt

Eine weitere Komponente ist die Richtung des Passes. Bei einem Vertikalpass kann es oftmals sein, dass der Gegner nicht nur ein sehr gutes Sichtfeld zum Umschalten hat, sondern die Abstände zum Gegenspieler unpassend sind.

Bei einer Raute, wo der untere Punkt zum oberen Punkt passt, oder einem Dreieck mit einer horizontalen und einer vertikalen Kathete, wo nach vorne gespielt wird, befinden sich die Mitspieler oftmals weiter weg als bei einem Diagonalpass, zumal dieser wegen der Dynamik meist nur gegnernah abgefangen werden kann und die Balleroberung daher schon etwas in die mögliche Gegenpressingzone  zieht. Desweiteren hat der unmittelbar absichernde Spieler des passgebenden Teams häufig das Problem, dass er zwar schnell anlaufen kann, dies aber sehr frontal machen muss.

Einen im Sprint kommenden Gegner frontal auszuspielen – ob per Pass oder Dribbling – ist einfacher, als einen Gegner von hinten oder von der Seite aus dem Spiel zu nehmen. Die leitenden Effekte sind somit ebenfalls geringer oder gehen auf Kosten der Dynamik im Gegenpressing.

Freispielen im frontalen Dribbling nach einem abgefangenen Vertikalpass.

Freispielen im frontalen Dribbling nach einem abgefangenen Vertikalpass.

Diagonale Pässe wiederum bringen einige Vorteile. Meistens werden sie leicht vor den Mitspieler gezielt und vom Gegenspieler auch gegnernah abgefangen. Der eigentliche Passempfänger kann also schnell reagieren und nachsetzen, während der Passgeber sich ebenfalls ins Gegenpressing begeben und doppeln oder die Aktion seines Mitspielers zumindest absichern kann. Auch das direkte Nachsetzen hat einen besseren Winkel und leitet im Normalfall meist in den Block hinein.

Freispielen im diagonalen Dribbling nach einem diagonalen Pass.

Freispielen im diagonalen Dribbling nach einem diagonalen Pass.

Natürlich muss hier zwischen diagonalen Pässen von der Mitte zur Seite oder zur Seite in die Mitte unterschieden werden. Bei ersterem ist der Gegenpressingzugriff für die unmittelbar beteiligten Spieler ideal, bei Letzterem muss die Absicherung der zentralen Räume besonders im Blick behalten werden, um nicht gefährlich ausgespielt zu werden.

Generell muss man hier primär die Prinzipien zur Zoneneinteilung – Wichtigkeit der Mitte und Halbräume – sowie die Zugriffsmöglichkeiten des Gegners aus diesen Zonen heraus beachten. Das betrifft nicht nur die drei horizontalen Zonenarten, sondern auch, wie und wie schnell der Gegner Zugriff auf das eigene Tor erzeugen beziehungsweise wie das eigene Gegenpressing Zugriff auf das gegnerische Tor kreieren kann.

Zudem gibt es die Unterscheidung von diagonalen Pässen nach vorne oder nach hinten; bei Pässen nach hinten hat der Gegner natürlich die Möglichkeit sofort gefährlich zu kontern und hat weniger Spieler vor sich. Auch das eigene Team hat meist weniger schnell Zugriff im Gegenpressing und die wenigen Spieler, die weiterhin diesen Zugriff haben, müssen mit wenig Absicherung auskommen. Das ist natürlich bei sehr hohen Ballverlusten nicht der Fall, aber im ersten und zweiten Drittel ein potenziell großes Problem. Ähnlich verhält es sich bei vertikalen Rückpässen, die scheitern.

Grundsätzlich lassen sich also folgende Komponenten unterscheiden, die aber dennoch eng miteinander zusammenhängen:

  • Die positionelle Struktur beim Ballverlust (primär die eigene, allerdings natürlich auch die gegnerische)
  • Die Art des Ballbesitzspiels (Kurzpassspiel, geplante Verlagerung, langer Ball mit Fokus auf den zweiten Ball, etc.)
  • Die zum Ballverlust führende Aktion (Schuss, Pass oder Dribbling)
  • Bei einem Pass: Die Höhe des Passes
  • Die Zone des Ballverlusts auf dem Feld
  • Die Richtung der Aktion

In jeder Situation spielen allerdings noch zahlreiche andere Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel der Rhythmus oder bestimmte andere Aspekte der Situation. Wurde der Fehlpass aus einer kontrollierten oder einer bereits zuvor bedrängten Situation gespielt? Bei Letzterem dürfte bereits die Zone um den Ballführenden verengt worden sein, bei Ersterem nicht.

Diese situationalen Aspekte werden vorrangig implizit über das differenzielle Wiederholen von immer unterschiedlichen Gegenpressingsituationen in Spielformen trainiert sowie mit situativem Coaching des Trainers verfeinert; auch, weil sie wegen ihrer Vielzahl und der Verwobenheit ihrer strategischer Prinzipien schwer isolierbar sind.

Doch das alleine reicht natürlich nicht aus, um ein effektives Gegenpressing zu kreieren. Wie so oft muss nicht nur die Statik und die mannschaftliche Ausrichtung passen, sondern auch die individuelle und gruppentaktische Umsetzung sowie die Dynamik innerhalb der Organisation.

Antizipation der Gegenpressingsituation

Um möglichst schnell umschalten zu können, sind nicht nur die Antrittsgeschwindigkeit der Einzelspieler oder die geringe Distanz zum Ball entscheidend, sondern auch, wann der Spieler losläuft. Hierbei ist wichtig, dass er den Fehlpass und die folgende Gegenpressingchance möglichst frühzeitig antizipiert.

Dabei gibt es sowohl technische als auch taktische Aspekte, welche einen Fehlpass wahrscheinlicher machen. Eine unpassende Körperhaltung des Passspielers, ein passender Lauf eines Verteidigers oder schlichtweg ein Pass, der nirgendwo ankommen kann, sind immer eindeutige Aufforderungen zum Gegenpressing.

Sobald der Spieler nach einem Pass erkennt, dass der Pass zu schwach oder unpassend gespielt wird und somit abgefangen wird oder zumindest nicht adäquat ankommt, kann er sich bereits zum Ball hin bewegen. Dies verringert nicht nur die Distanz zur möglichen Gegenpressingzone, sondern erhöht auch die Dynamik. Falls der Pass letztlich doch ankommt, kann er die Dynamik nutzen und sich woanders hinbewegen oder sich schlichtweg für einen Kurzpass und eine Kombination anbieten.

Dies soll allerdings nicht nur von Einzelspielern in Ballnähe praktiziert werden. Sämtliche Spieler der eigenen Mannschaft sollten wissen, wie sie sich bei Ballverlusten zu verhalten haben und sich bereits bei Antizipation möglicher Ballverluste in Richtung dieses Verhaltensmusters bewegen.

Hier laufen die nicht antizipativ los, wodurch der Zugriff nicht optimal ist.

Hier laufen die Spieler nicht antizipativ los, wodurch der Zugriff nicht optimal ist.

Ein hoher ballferner Außenverteidiger kann sich zum Beispiel so bewegen, dass er nicht mehr in seiner aufgerückten Position steht, sondern sich bereits antizipativ nach hinten und nach innen bewegt. Im Grunde befindet er sich dann zwischen zwei Positionen: Seiner situativen Offensivposition als weit aufgerückter Außenverteidiger rechts vorne im Feld und seiner eigentlichen Defensivposition als ballorientiert verteidigender Außenverteidiger einer Viererkette. Beim DFB und Trainern wie Roger Schmidt oder Christan Streich wird so etwas übrigens als „schwimmender XYZ“ bezeichnet, weil er vereinzelt eben zwischen zwei Positionen schwimmt.

Der Vorteil: Er steht nicht beliebig im Raum oder gar auf einer falschen, unangebrachten Position, sondern hat je nach Entwicklung der Gegenpressingsituation die Möglichkeit sich einzubinden und auf die korrekte Position in der Mannschaftsstruktur einzunehmen. Die unmittelbar betroffenen Spieler wiederum beteiligen sich direkt am Pressing.

In diesem Beispiel laufen die Spieler - im Kollektiv - antizipativ los, bevor der Pass direkt abgefangen wird. Dadurch ist die Gegenpressingaktion deutlich erfolgswahrscheinlicher.

In diesem Beispiel laufen die Spieler – im Kollektiv – antizipativ los, bevor der Pass direkt abgefangen wird. Dadurch ist die Gegenpressingaktion deutlich erfolgswahrscheinlicher.

Dies sind meistens jene Akteure in Ballnähe, welche Zugriff auf den Ballführenden und dessen unmittelbare Optionen haben, sowie jene Akteure, welche diese Spieler absichern. Theoretisch könnte man auch die Absicherung der Absicherung noch als eigenständigen Teil sehen. Manche nutzen hierfür die Spieler, die ballnah absichern und jene, die ballfern durchsichern, auch wenn diese Unterteilung nicht ganz korrekt ist bzw. nicht einheitlich genutzt wird.

Im Normalfall lässt sich hauptsächlich konstatieren, dass die Spieler zum Tor hin in unterschiedlichen Linien absichern und in den ballnahen Zonen attackieren. Die Spieler außerhalb dieses breiten Streifens zum Strafraum hin kümmern sich wiederum darum, wenn benötigt, möglichst schnell in die eigentliche Defensivstaffelung umzuschalten.

Allerdings geht es natürlich nicht nur um Individuen und die Individuen innerhalb der Gruppe. Auch die mannschaftstaktische Ausrichtung muss berücksichtigt werden. Hier ist besonders wichtig, welche Ballverluste besonders oft vorkommen. In den letzten Jahren ist dabei beispielsweise der „absichtliche Fehlpass“ zum geflügelten Wort geworden.

Die Auslösung des Gegenpressings

Ein grundsätzlicher Punkt ist natürlich, ob man überhaupt gegenpresst und wie. Doch zuerst muss geklärt werden, ob das Gegenpressing situativ absichtlich eingeleitet wird – unabhängig vom zweiten Ball – und wie das gehandhabt wird. Theoretisch könnte man den Fokus auf das Erzeugen von Gegenpressingzugriff differenzieren:

  • Zugriffserzeugend: Hier wird bewusst darauf fokussiert, dass man unmittelbare Gegenpressingsituationen mit Zugriff besitzt. Quasi das Spiel auf den zweiten Ball, aber auch ein extremer Fokus auf Vertikalpässe mit bewusst relativ geringer Erfolgswahrscheinlichkeit.
  • Zugriffsplanend: Hier werden bewusst Pläne für besondere Arten von Ballverlusten geschaffen, welche vom Team umgesetzt werden. Auch Situationen für bewusste Ballverluste werden eingeplant; z.B. bestimmte Verhaltensweisen in isolierten Unterzahlsituationen.
  • Zugriffsabwartend: Hier wird eher passiv gegengepresst, teilweise frühzeitig zurückgezogen und eigentlich nur auf Situationen reagiert, wo sich aus den eigenen Ballverlusten unmittelbar hoch erfolgsstabile Gegenpressingsituationen erzeugen lassen. Allerdings müsste man auch eigentlich auch sehr gegenpressingstarke und -aktive Mannschaften, die eben weder zugriffserzeugend noch -planend ausgerichtet sind, sondern nur bei absoluter Notwendigkeit das Gegenpressing aus einer passiven Grundhaltung heraus, aber dann in der Umesetzung sehr konsequent und dominant praktizieren, zu dieser Kategorie rechnen.

Einige Mannschaften agieren zum Beispiel nur mit aggressivem Gegenpressing, wenn der Ball im letzten Drittel verloren wird. Dann hat man die gesamte Mannschaft hinter dem Ball, kann sofort gegenpressen und den Angriff vorne halten, ohne wirkliches Risiko zu gehen.

Interessanter ist jedoch, wie genau der Zugriff erzeugt bzw. geplant wird. Natürlich kann man schlichtweg mit einem enormen Fokus auf Vertikalpässe und gegnerorientierte Raumprogression spielen. Doch die Ballrückeroberung kann quasi als Spielzug für besondere Situationen kreiert werden. Welche Aktionen, Pässe, Muster, Spielzüge oder Mittel sind vor einer Gegenpressingauslösung jeweils denkbar?

In der deutschen Trainerausbildung ist das häufig der Lochpass hinter die Abwehr in den Halbräumen oder auf den Flügeln weit in der gegnerischen Hälfte. Der Gegner muss dem Ball in den Raum hinterherlaufen, blickt in Richtung Seitenaus, Grundlinie oder gar zum eigenen Tor und kann den Ball nicht ordentlich klären. Auch die unmittelbaren Anspielstationen fehlen ihm; häufig nur der Torwart, welcher z.B. vom ballfernen Flügelstürmer angelaufen werden kann.

Gleichzeitig kann man den Gegner direkt von hinten pressen, verbietet ihm die Drehung, kann sich dadurch Ecken oder Einwürfe herausspielen und den Angriff von vorne beginnen. Ein anderes Mittel sind bewusste Hereingaben in gefährliche Zonen, welche aber von der eigenen Mannschaft nicht besetzt, sondern umringt werden. Bielsa tut dies gerne bei Flanken; der Ball kommt – oftmals halbhoch– in die Mitte, woraufhin diese Hereingabe und/oder die Klärungsversuche attackiert werden.

Auslösung des Gegenpressings: Der DFB-Fehlpass

Auslösung des Gegenpressings: Der DFB-Fehlpass

Weiters ist eine Option schlichtweg einen Gegenspieler anzuspielen. Das ist natürlich gefährlich, wenn der den Ball sofort kontrollieren kann, doch wird der Ball nicht direkt in den Fuß und/oder viel zu scharf gespielt, ist genug Zeit für das Gegenpressing gegeben. Wird es plötzlich und nur selten genutzt, ist auch ein gewisser Überraschungseffekt dabei. Mario Götze hat z.B. vereinzelt in isolierten Situationen Gegner angeschossen und sich dann den Ball geholt, um sich aus dieser Situation zu befreien.

Dies kann ebenfalls unterschiedlich organisiert werden. Ein Ziel könnte der Schnittstellenpass auf einen gegnerischen Innenverteidiger vom eigenen Halbspieler der Mittelfeldraute sein, der dann vom (etwas breiter positionierten) Mittelstürmer und Zehner direkt gepresst wird. Bei besonderen isolierten Situationen an den Seiten oder im Sechserraum könnte man auch nicht mehr versuchen noch panisch und erfolglos zu unterstützen, sondern beispielsweise bewusst Lupfer in den ballfernen Halbraum zwischen den Linien spielen und diesen aggressiv attackieren.

Auslösung des Gegenpressings:  Fehlpass auf den Gegner. Im Idealfall kann man dadurch bei Mangel an Anspielstationen Raumgewinn verbuchen und den Gegner als zusätzliche Anspielstationen nutzen.  Böse Zungen behaupten, Jermaine Jones tat dies häufig (für den Gegner).

Auslösung des Gegenpressings: Fehlpass auf den Gegner. Im Idealfall kann man dadurch bei Mangel an Anspielstationen Raumgewinn verbuchen und den Gegner als zusätzliche Anspielstationen nutzen. Böse Zungen behaupten, Jermaine Jones tat dies häufig (für den Gegner).

So soll es gar Trainer geben, welche im Training Vorgaben für bewusste Fehlpässe in bestimmten Zonen, besonderen Situationen oder zu bestimmten Gegenspielern vorgeben, um die Organisation und Koordination im Gegenpressing gezielt trainieren zu können.

Hier könnte man also grob vier unterschiedliche Arten von Fehlpässen als Gegenpressingauslöser skizzieren:

  • Raumorientierter Fehlpass
  • Spielerzahlorientierter Fehlpass
  • Situationsorientierter Fehlpass
  • Gegenspielerorientierter Pass

Der Gegenpressingauslöser bestimmt dann den weiteren Verlauf des Nachsetzens. Die Spieler der Mannschaft sollten nicht nur die Gegenpressingsituation erkennen, sondern einen Überblick über die (wahrscheinlichsten) Möglichkeiten und die offenen Optionen des Gegenspielers haben und ihre Aktionen darauf abstimmen.

Hierfür ist neben viel Übung in Spielformen natürlich auch wichtig, dass die Spieler über den jeweiligen Gegner und dessen Staffelungen gegen den Ball sowie Angriffsverläufe im offensiven Umschaltmoment unterrichtet werden. Auch die eigene Positionsstruktur und ihre Bedeutung können als Anhaltspunkte dafür dienen und von dieser Basis aus die jeweiligen Bewegungen aufeinander abgestimmt werden.

Neben der Staffelung und der Vorbereitung ist jedoch ebenso wichtig, wie genau sich die Spieler im Gegenpressing verhalten.

Die erste Aktion im Gegenpressing zur Kontrolle der Folgeaktion

Bei einem im Normalfall so kurzlebigen Ablauf wie dem Gegenpressing muss beachtet werden, wie die erste Aktion im Gegenpressing den weiteren Verlauf des Gegenpressings definiert. Dabei stellen sich grundsätzlich diese drei Fragen:

  • Wie bedränge ich den Gegner?
  • Wohin dränge ich den Gegner?
  • Welche Aktionsmöglichkeiten erlaube ich dem Gegner?

Zuallererst stellt sich natürlich die Frage, wer den Gegenspieler pressen soll. Theoretisch könnte es positive Effekte haben, wenn nicht der ballnächste Spieler presst, sondern der übernächste aus einer passenden Zone. Der ballnächste Spieler könnte ballnah einen großen Deckungsschatten erzeugen und den Gegenspieler stellen, der nächste Spieler attackiert dann mit viel Dynamik und doppelt den Gegenspieler.

Allerdings ist dies aus praktischer Sicht kaum möglich. Solche Aktionen wären vermutlich in der Mehrheit der Aktionen instabil oder schlichtweg nicht praktikabel, um konstant die gewünschten positiven Effekte zu kreieren.

Insofern ist es nur allzu logisch, dass der/die ballnächste(n) Spieler attackieren und den Gegner möglichst schnell attackieren.  Die Frage ist natürlich, wie aggressiv der Zweikampf gesucht wird. Beim DFB gibt es das Akronym ASTLB, welches als Richtlinie zum Lehren des Zweikampfs gilt. ASTLB steht für Anlaufen, Stellen, Tempo aufnehmen, Lenken, Ballerobern.

Doch nicht immer muss dieses Modell befolgt werden. Besonders das „Anlaufen und Stellen“ kann im Gegenpressing anders gehandhabt werden. Eine Option ist das bewusste Überlaufen, bei dem es primär darum geht, den Gegner in eine für die eigenen Mitspieler vorhersehbare Spielsituation zu bringen. Die Balleroberung wird nicht von diesem Spieler übernommen, sondern von der Mannschaft in der Folgeaktion des Gegners.

Eigentlich soll der überlaufende Akteur also nur den Gegner leiten und Druck antäuschen, um den ersten Pass zu verhindern. Ziel ist also, dass der Gegenspieler aktiv reagieren und ausweichen muss sowie keinen Pass spielen kann.

Anlaufverhalten: Überlaufen. Der Gegner wird in eine bestimmte Bewegung geleitet, woraufhin die Gegenpressingmaschine erst richtig in Gang kommt.

Anlaufverhalten: Überlaufen. Der Gegner wird in eine bestimmte Bewegung geleitet, woraufhin die Gegenpressingmaschine erst richtig in Gang kommt.

Eine andere Variante dieses aggressiven Attackierens könnte man als Durchlaufen definieren. Hier wird der Gegner nicht nur geleitet und bedrängt, sondern es gibt den direkten Versuch der Balleroberung; auch wenn die Grenze hier natürlich fließend ist. Wie bei obiger Variante wird hierbei das ASTLB nicht befolgt, sondern direkt vom Anlaufen auf das Lenken bzw. Ballerobern geschaltet. Der Gegner hat somit weniger Zeit, das Tempo im Gegenpressing ist höher. Nachteilig ist natürlich der erhöhte Verlust von Zweikämpfen und Fouls.

Anlaufverhalten:  Durchlaufen. Simpel und übersichtlich zeigt diese Grafik einfach ein aggressives Attackieren auf den Ball.

Anlaufverhalten: Durchlaufen. Simpel und übersichtlich zeigt diese Grafik einfach ein aggressives Attackieren auf den Ball.

Die dritte große Variante spiegelt das klassische ASTLB-Modell wider. Das ist zwar für den Einzelspieler stabiler, für das Kollektiv häufig die schwächere Variante. Weil der Gegner etwas mehr Zeit nach der Balleroberung hat, kann er oft am „Gegenpresser“ vorbeispielen oder sich drehen und sichere Pässe spielen, wodurch der Druck im Gegenpressing meist verloren geht. In einem persönlichen Gespräch sagte mir bspw. Eddie Gustafsson, dass der große Unterschied zwischen Roger Schmidts und Adolf Hütters Gegenpressing bei Red Bull Salzburg eben der Unterschied zwischen Über- oder Durch- (Schmidt) und Anlaufen (Hütter) sei, wodurch das Gegenpressing weniger erfolgreich wurde.

Anlaufverhalten: Anlaufen. Die erhöhte Zeit und der Abstand erlauben dem Gegner - bei guter Umsetzung - Pässe auf engem Raum zur Befreiung aus dem Zugriff.

Anlaufverhalten: Anlaufen. Die erhöhte Zeit und der Abstand erlauben dem Gegner – bei guter Umsetzung – Pässe auf engem Raum zur Befreiung aus dem Zugriff.

Daneben besteht noch ein weiterer Vorteil, den die beiden erstgenannten Möglichkeiten gegenüber der klassischen Richtlinie aufweisen: Frei nach Lillo hat jeder defensive Aspekt auch einen offensiven Gegenwert und vice versa. Beim Überlaufen hat der zweite Spieler im Gegenpressing, der letztlich den Ball erobern soll, eine direkte Anspielstation. Häufig erobert er sogar den Ball nicht direkt, sondern spitzelt ihn einfach auf den Mitspieler nach vorne, was für den eigenen Konter natürlich hilfreich ist. Bei Red Bull Salzburg waren die Vorteile besonders in kleinräumigen Situationen sichtbar.

Der Abstand zum Mitspieler ist gering, aber in Wechselwirkung mit den Positionsstrukturen hat dieser meist Raum bis zu den nächsten Gegenspielern, es gibt sofort (geringen) Raumgewinn und häufig ein passables Sichtfeld nach vorne. Beim Anlaufen wiederum gibt es natürlich Probleme nach der Balleroberung, weil der Gegenspieler oftmals direkt selbst wieder Druck erzeugen und die Folgeaktion stören kann. Situativ kann natürlich das Anlaufen etwas erfolgsstabiler im Gegenpressing selbst sein.

Neben der Wahl des Gegenpressingspielers sowie seiner Art zu attackieren, stellt sich anschließend die Frage, wohin man den ballerobernden Gegenspieler leiten soll. Nicht immer gibt es die Möglichkeit dies bewusst zu machen; vielfach ist nur der direkte, ballorientierte Lauf effektiv. In einigen Situationen kann es aber sehr hilfreich sein bestimmte Richtlinien zu haben.

Das Versperren der strategisch so wichtigen Mitte und der Halbräume ist zum Beispiel ein möglicher Orientierungspunkt. Von der Seite kommende Spieler könnten also eher bogenartig pressen und den Gegenspieler nach hinten leiten, Spieler von vorne könnten den Gegner so anlaufen, dass sie eher zur Seite spielen müssen. Der weitere Weg bei möglichen Kontern ist von der Seite aus dann länger, der Gegner hat weniger Raum sich zu drehen und freizuspielen, somit dreht er sich auch mit höherer Wahrscheinlichkeit nach hinten oder in isolierte Situationen.

Leiten im Gegenpressing. Je nach Lauf hat der Gegner andere Optionen.

Leiten im Gegenpressing. Je nach Lauf hat der Gegner andere Optionen.

Auch dies kann je nach Höhe des Spielfelds und eigener Spielidee variiert werden. Eine andere Möglichkeit wäre es nicht den Raum als wichtigsten Referenzpunkt zu wählen, sondern die eigenen Mitspieler. Der Spieler leitet also nicht in einen bestimmten Raum, sondern zu den eigenen Mitspielern, welche dann das Gegenpressing unterstützen und letztlich den Ball erobern.

Alternativ könnte man den Gegner auch zu einer bestimmten Passoption leiten; hier wäre es möglich diese Passoption entweder durch eine Falle zu pressen oder einfach den eigenen Defensivlauf fortsetzen und den zweiten Gegenspieler zu attackieren. Der Grund ist simpel: Weil man vom einen Gegenspieler zum nächsten sprintet, bedrängt man einen und hat den zweiten derweil im Deckungsschatten, wodurch das Gegenpressing im Normalfall  effektiver sein sollte.

Grundsätzlich wäre es auch schlichtweg möglich, dass man den Gegner vom eigenen Tor wegleitet. Sobald der Rückpass kommt, wird diesem nachgelaufen; der nächste Spieler wird gepresst und hat wenig Möglichkeiten, wodurch er wieder zurückspielen oder bolzen muss. Allerdings kann diese Variante in einzelnen Situationen dem Gegner auch erlauben, dass er den Ball erhält und dann aus der lokalen Kompaktheit des Gegenpressings heraus verlagert und das Konterspiel antreibt.

Das Leiten selbst ist natürlich nicht immer zu praktizieren. Wie schon ein paar Mal erwähnt, sind Gegenpressingsituationen sehr variabel und kurzlebig, wodurch komplexere Spielzüge schwierig zu organisieren und umzusetzen sind. Insgesamt kann man aber dennoch diese vier grundlegenden Varianten des Leitens im Gegenpressing unterscheiden:

  • Raumorientiertes Leiten (in einen bestimmten Raum oder weg von einem bestimmten Raum)
  • Mitspielerorientiertes Leiten (hin zu den eigenen Mitspielern oder in eine Gegenpressingfalle)
  • Gegenspielerorientiertes Leiten (Wegleiten von Optionen des Gegenspielers oder Leiten zu dessen Mitspielern)
  • Spielrichtungsorientiertes Leiten (weg oder hin zum eigenen Tor)

Nun stellt sich die Frage, welche Aktionsmöglichkeiten man dem Gegner erlaubt. Als grundlegende Heuristik und zur Organisation dient das Deckungsverhalten im Kollektiv.

Deckungsverhalten im Gegenpressing

Grundsätzlich gibt es beim Deckungsverhalten im Gegenpressing ähnliche Referenzpunkte wie im klassischen Verschieben und im Pressing. Allerdings muss hierbei etwas stärker differenziert werden, weil das Gegenpressing an sich eine extrem dynamische und variable Sache ist. Bestimmte Voraussetzungen und die Erfolgswahrscheinlichkeit gewisser Lösungen sind anders als beim Verschieben oder gar im regulären Pressing (was übrigens mit ein Grund ist, wieso es für das Gegenpressing einen eigenen Begriff geben sollte).

Prinzipiell kann man vier bis fünf statisch-individuelle Referenzpunkte im Fußball unterscheiden, welche für alle anderen Referenzpunkte als Ursache und Basis dienen:

  • Die Position der Mitspieler
  • Die Position der Gegenspieler
  • Den Raum
  • Den Ball
  • Die Tore

Neben diesen statisch-individuellen Referenzpunkten gibt es zwar auch dynamisch-assoziative Referenzpunkte, doch sollen diese zukünftig noch in einem eigenen Artikel irgendwann behandelt werden. Wir fokussieren uns hier weiterhin auf die üblichen vier bis fünf Referenzpunkte (die Tore werden häufig nicht gezählt). Aus diesen und den Eigenheiten des Gegenpressings lassen sich grundsätzlich folgende Deckungsarten extrahieren:

  • Ballorientiertes Gegenpressing

Die Vorgehensweise ist hierbei leicht erklärt. Beim ballorientierten Gegenpressing wird schlichtweg maximal in Richtung Ball und Ballführenden verschoben, um Druck zu erzeugen. Dies ist wohl die simpleste und ursprüngliche Ausführungsweise.

Adolf Hütters ballorientiertes Gegenpressing bei Grödig.

Adolf Hütters ballorientiertes Gegenpressing bei Grödig.

Sieht man sich die Niederländer der 70er zum Beispiel an, erkennt man dieses Muster häufig.

Eine Spielszene der Niederländer von der WM 1974. Abseitsfalle und Gegenpressing, olé!

Eine Spielszene der Niederländer von der WM 1974. Abseitsfalle und Gegenpressing, olé!

  • Spielraumorientiertes Gegenpressing

Dieses Deckungsschema kann dem ballorientierten Gegenpressing sehr ähneln, ist allerdings etwas anders zu sehen. Während es beim ballorientierten Gegenpressing schlichtweg darum geht möglichst viel Druck möglichst schnell zu kreieren, fokussiert sich das spielraumorientierte Gegenpressing eher auf das Versperren aller möglicher Optionen in Ballnähe durch effektive Raumkontrolle und möglichst große Deckungsschattennutzung.

Klopps spielraumorientiertes Gegenpressing

Klopps spielraumorientiertes Gegenpressing

Dieses Schema wird (wie das ballorientierte Gegenpressing) meistens instinktiv gespielt, wenn man Gegenpressing – besonders in der Jugend – etabliert.

  • Passwegorientiertes Gegenpressing

Bei dieser Variante werden nicht die Möglichkeiten des Ballführenden oder der Ball selbst vom Kollektiv attackiert, sondern die Passwege des Ballführenden gedeckt. Dies geschieht im Normalfall durch das Belauern dieser Passwege. Ziel ist, dass der Spieler unter Druck einen Pass versucht, der dann abgefangen wird und zu einer sauberen Ballrückeroberung führt.

Guardiolas passwegorientiertes Gegenpressing

Guardiolas passwegorientiertes Gegenpressing

  • Zugrifforientiertes Gegenpressing

In dieser Deckung suchen sich die Spieler direkt einen Gegenspieler in der Nähe, um mithilfe einer Manndeckung den Pass auf diesen Spieler zu verhindern oder ihn direkt pressen zu können, falls er einen Pass erhält.

Heynckes' mannorientiertes Gegenpressing

Heynckes‘ mannorientiertes Gegenpressing

Bei all diesen Deckungsschemen muss aber beachtet werden, wie situativ Gegenpressing ist. Häufig können Spieler nicht mehr das gewünschte Deckungssystem herstellen oder erkennen schlichtweg eine effektivere Möglichkeit und handeln nach dieser. Nur selten beziehungsweise über eine große Anzahl an Situationen sind sie eindeutig für eine Mannschaft erkennbar, falls sie denn überhaupt so strukturiert wurden.

Dadurch ist es auch oftmals möglich, dass Spieler in derselben Gegenpressingsituation häufig unterschiedliche Aspekte decken und die Orientierungspunkte anders hierarchisieren. Zusätzlich ist natürlich auch wichtig, wie genau die ballnahen Spieler ab- oder durchgesichert werden und welche Vorgaben zum Verhalten der Raumkontrolle es für sie gibt, was ebenfalls sehr flexibel organisiert werden kann.

In oben verlinktem Link gibt es auch GIFs, welche beispielhafte Abläufe für die Deckungsvarianten zeigen.

Gegen- oder Konterkonter

Mit der erfolgreichen Balleroberung ist das Gegenpressing aber noch nicht beendet. Kommt es zu einem solchen Erfolg, besteht noch die Möglichkeit, dass man direkt nach der Balleroberung den Gegner wie schon erwähnt in einer unangenehmen Organisation bespielen kann. Der Gegner hat im Normalfall versucht, nach vorne umzuschalten, und befindet sich somit beim Ballverlust sowohl positionell als auch von der Dynamik her in einer sehr unpassenden Spielsituation.

Deswegen bezeichnete Jürgen Klopp das Gegenpressing einst als den besten Spielmacher der Welt, da dem erfolgreichen Gegenpressing und den darauffolgenden Kontern ein besonderes Potenzial innewohnt, das selbst viele der kreativsten Akteure nicht konstant kreieren können. Die gegnerische Mannschaft hat nicht nur zahlreiche kleine Löcher, sondern kann die ohnehin vorhandenen Löcher wegen der Sichtfelder und Laufrichtung oftmals nicht abdecken.

Besonders bei hohen Ballrückeroberungen kann die Mannschaft direkt mit zahlreichen Spielern nach vorne angreifen, während insbesondere die Innen- und Außenverteidiger beim Gegner häufig ihre Defensivorganisation aufgelöst haben.

Ein beispielhafter und natürlich übertrieben gut verlaufener Gegenkonter. Die Balleroberung erzeugt Möglichkeiten, die wohl kein Fußballer der Welt - exkl. Messi - könnte.

Ein beispielhafter und natürlich übertrieben gut verlaufener Gegenkonter. Die Balleroberung erzeugt Möglichkeiten, die wohl kein Fußballer der Welt – exkl. Messi – könnte.

Deswegen müssten eigentlich hierfür besondere Umschaltmechanismen organisiert werden. Wie Schmidt und Streich die „schwimmenden“ Spieler in Ballbesitz und gegen den Ball haben, müsste man eigentlich die besonderen Umschaltmechanismen sowie natürlich die Defensivstaffelung zuvor so organisieren, dass man nach Balleroberungen sich adäquat bewegt, um keine direkten Ballverluste gefährlich werden zu lassen.

Auflösung des Gegenpressings

Doch nicht immer ist das Gegenpressing erfolgreich. Häufig scheitert das Gegenpressing; hier muss dann unter anderem klar sein, wie lange es fortgesetzt wird. Bei manchen Teams oder zumindest in einzelnen Spielphasen ist die Antwort einfach: Bis man den Ball schließlich doch wiedergewonnen oder der Gegner seinen Folgeangriff beendet hat.

Meistens sind es aber andere Richtlinien. Einige Mannschaften lassen nur die erste und zweite Gegenpressingsituation pressen, bevor sie sich zurückziehen. Bei vielen Mannschaften gibt es eine Fünf-Sekunden-Regel, welche angeblich sogar in der Spielphilosophie des FC Barcelona festgeschrieben ist. Nach Ballverlust soll der Ball innerhalb von fünf Sekunden zurückerobert werden oder zumindest die sofortige Möglichkeit bestehen, dies zu schaffen. Wenn dies nicht der Fall ist, ziehen sich die katalanischen Mannschaften zurück. Dabei muss man in der Vermittlung selbstredend aufpassen, dass die Spieler sich nicht zu schematisch an diese Richtlinie klammern.

Bei anderen Teams wiederum ist es situationsabhängig. Sobald kein akuter Druck mehr besteht – also eine Verlagerung aus der Gegenpressingzone – und kein Zugriff auf die Verlagerung erzeugt werden kann, wird das defensive Umschalten endgültig eingeleitet und die eigentliche Defensivstaffelung kreiert.

Auch die genaue Art dieses Auflösens des Gegenpressings kann variieren. Manche Mannschaften ziehen sich mit den eher ballfernen Spielern zurück, lassen aber die ballnahen Spieler weiterpressen.

Neutralisieren des Gegenpressings

Um das Gegenpressing des Gegners ineffektiv zu machen, gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Generell ist das Herausspielen aus der engen Situation meistens der Schlüssel, weil das Gegenpressing nicht effektiv über das gesamte Spielfeld aufrechterhalten werden kann. Das Nutzen von Ausweichzonen – lange Verlagerungen, Rückpässe oder Bälle hinter die Abwehr, je nach Zone – funktioniert natürlich am besten. Kleinräumige Kombinationen wiederum sind schwierig zu spielen.

Hierbei kann man sich wieder anschauen und überlegen, wie genau diese organisiert werden. Bei einigen (wenigen) Teams sind zum Beispiel durchaus Mechanismen im Defensivspiel sichtbar, um nicht nur möglichst effektiv umschalten, sondern auch speziell das Gegenpressing umspielen zu können. Das kann von ballnah zockenden Spielern und bis hin zu ballfern so positionierten Spielern reichen, die sich direkt für einen eindeutigen ersten Pass anbieten.

Generell ist natürlich die Defensivstaffelung zuvor entscheidend. Bei einer Manndeckung sind die Anspielstationen nach der Balleroberung natürlich sofort besetzt; bei einer Raumdeckung kann dies besser gehandhabt werden. Desweiteren erlaubt eine Raumdeckung auch eher die (situative) Nichtbeteiligung einzelner Spieler, welche sich in offenen Räumen positionieren können.

Befreiung aus dem Gegenpressing durch vororganisierte Anspielstationen. Favre tat etwas ähnliches im letzten Heynckes-Spiel.

Befreiung aus dem Gegenpressing durch vororganisierte Anspielstationen. Favre tat etwas ähnliches im letzten Heynckes-Spiel.

Hier ist auch entscheidend, ob die Balleroberungen auf eine bestimmte Art und Weise organisiert sind, ob die jeweiligen Umschaltmechanismen bekannt sind und ob die Spieler der eigenen Mannschaft wissen, wo für die jeweiligen Situationen der freie Spieler zu finden ist. Zudem kommt es darauf an, die mögliche Umschaltsituation zu antizipieren und dementsprechend proaktiv zu agieren.

Allerdings gibt es hierbei ein kleines Problem: Die Antizipation auf einen möglichen Ballverlust aus einer offensiven Stellung heraus ist weniger riskant als die Antizipation eines möglichen Ballgewinns aus einer – wie in diesem Fall – defensiven Stellung heraus, weil bei Letzterem die defensive Organisation bei einer Fehlantizipation potenziell zerstört wird. Insofern hat die gegenpressende Mannschaft einen Vorteil.

Neben den organisierten freien Spielern kann natürlich auch mit einem direkten Befreiungsschlag und eigenem Fokus auf zweite Bälle oder der Nutzung von Dribblings das Gegenpressing umspielt werden. Besonders erfolgreiche Dribblings, wenn auch schwer erfolgsstabil zu machen, sind enorm gefährlich, weil die gesamte Struktur des Gegenpressings zerstört wird.

Neben dem Raumgewinn der Dribblings wird zusätzlich ein Gegenspieler aus dem Spiel genommen, meistens gibt es etwas Raum um nach vorne zu kommen und man hat Zeit, bis der nächste Pressingspieler kommt (oder es kommt keiner und das Gegenpressing wurde ausgehebelt). Der Faktor Zeit ist wichtig, um effektiv umschalten zu können. Durch das Dribbling gewinnt man diese zum Abruf der Konterabläufe.

Die Statistikfirma ProZone argumentiert sogar, dass man nach dem Herausspielen aus einer unterladenen Zone auf die andere Seite 7.2 Sekunden hat, um die dortige Überzahl auszuspielen.

Gegenpressingfallen

Ein letzter Punkt wären noch besondere Arten der Ballverluste, welche über die Staffelung einen bestimmten Verlauf für den Gegner kreieren, um effektiv Gegenpressing betreiben zu können.

Ein Beispiel wäre zum Beispiel das Überladen der umstehenden Zonen, aber nicht das sofortige Pressing. Der Gegner wird nach dem Ballverlust in der unterladenen Zone nicht attackiert, sondern durch die Staffelung und leichte Passivität nach vorne geleitet. Erst hier wird durch die Bewegung der anderen Spieler und besondere Mechanismen die Balleroberung fokussiert.

Ein simples Beispiel für eine Gegenpressingfalle.

Ein simples Beispiel für eine Gegenpressingfalle.

Der Vorteil ist natürlich, dass man dadurch komplexere und ausgeklügeltere Bewegungen nutzen kann. Außerdem ist der Gegner in seinem Umschalten weiter, wodurch die Gegenkonter wiederum effektiver wären. Allerdings sind die Erfolgsstabilität und das Verhältnis von Erfolg zu Risiko bei diesem taktischen Mittel zu bezweifeln. Dennoch ist es eine interessante Weiterführung des Gedanken des absichtlichen Fehlpasses und steht in Verbindung mit einigen weiteren Aspekten, die bereits angesprochen wurden.

Keine moderne Erfindung

Unterschiedliche Arten des Gegenpressings fanden sich immer schon in der Geschichte des Fußballs. Meistens war die Intention im Ballverlust verantwortlich für sehr distinkte Gegenpressingvarianten; das Pressing auf den zweiten Ball gibt es eigentlich schon seit den Urzeiten des Fußballs. Darunter versteht man wie erwähnt normalerweise das Pressing nach einem Ballverlust, in welchem die Defensivformation oder eine spezifische Formation auf den zweiten Ball gehalten wurde.

Doch bei der Analyse zahlreicher Spiele aus unterschiedlichen Epochen lassen sich auch andere Varianten aufklären, welche jeweils eine bestimmte Spielidee des Trainers verfolgten:

  • Frühes Gegen- oder Konterpressing (vor der Umschaltmöglichkeit, proaktives Gegenpressing der letzten Jahre)
  • Spätes Gegenpressing (nach der Umschaltmöglichkeit im Umschaltmoment, wenn der Gegner in Richtung klassischer Ballbesitzorganisation umschaltet, sehr reaktiv und simpel, vielfach instinktiv praktiziert)
  • Spätes Konterpressing (nach der Umschaltmöglichkeit im Umschaltmoment, wenn der Gegner in eine Konterorganisation umschaltet bzw. kontert, sehr häufig in allen Zeiten der 70er)
  • Eine spezifische Umschaltstaffelung erschaffen (macht kaum jemand, da extrem kurzlebig, aber Einzelspieler tun dies durch Zocken oder Schwimmen, allerdings bei Favre teilweise sichtbar, wo nach Ballgewinnen oder –verlusten kurzzeitig Staffelungen generiert werden, welche es eigentlich nur in diesen Situationen gibt)
  • In der Angriffsformation verharren und den Gegner kontern lassen (keine wirkliche Strategie, sondern psychologische Resignation, in den seltenen Fällen, wo das passiert)
  • In die Defensivorganisation umformen und später aus dieser auf eine reguläres Pressing umschalten

Natürlich gibt es in all diesen Intentionen und ihren strategischen Komponenten wiederum unendliche taktische Variationen, welche schon eingangs erwähnt wurden: Die Deckungsarten, Mischung der Deckungsarten pro Spieler, besondere Abläufe und Verantwortlichkeiten, verschiedene Intentionen, etc. können variiert werden, ebenso wie das genutzte Spielermaterial.

Übrigens: Liest man sich die spärlichen Berichte mit Taktikinhalt aus früherer Zeit durch und schaut sich die noch seltener vorhandenen Videos an, so könnten die Busby Babes in den 50ern eine der ersten Mannschaften gewesen sein, die ein passables und intelligentes Gegenpressing strukturiert umsetzte.

Wie die diesbezügliche Strukturierung in den nächsten Jahren weitergehen wird, könnte einer der interessantesten Trends im modernen Fußball sein.

Gegenpressing der Busby Babes im FA-Cup-Finale 1957.

Gegenpressing der Busby Babes im FA-Cup-Finale 1957.

Weitere Artikel zu diesem Thema von mir:

http://www.abseits.at/in-depth/taktik-theorie/taktiktheorie-gegenpressing-1/

http://www.abseits.at/in-depth/taktik-theorie/taktiktheorie-gegenpressing-2/

Zu diesem Thema wird auch u.a. noch ein Artikel erscheinen, wie man Gegenpressing trainieren kann. Bis dahin gibt es diesen Artikel bei Abwehrkette.de. Auch ein Artikel zu Unterschieden zwischen einzelnen Teams wird Kollege RT verfassen.

Türchen 19: Ousmane Dembélé

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Eins der größten Talente der aktuellen Fußballergeneration ist ohne Frage Ousmane Dembélé. Bereits als 19-Jähriger erzielte er für den BVB 2 Tore und 6 Vorlagen in nur einer Champions-League-Saison und 19 Scorerpunkte in selbiger Bundesliga-Saison. Hier soll es aber nicht um seine 130-Millionen-Ablöse gehen, um seine Entwicklung, seine Rolle beim FC Barcelona oder seine Geschichten neben dem Platz, sondern nur darum, was ihn als Spieler besonders macht.

Dembélé ist in meinen Augen einer der, wenn nicht der besonderste, unwahrscheinlichste Spieler der Welt. Seine Mischung aus athletischen und technischen Fähigkeiten ist allein schon sensationell, aber sein Spielstil ist darüber hinaus einzigartig und widerspricht vielen Standards des professionellen Fußballs. Dembélé spielt anders Fußball, als Leute es erwarten und gewöhnt sind. Er fügt dem Spiel eine neue Facette hinzu.

Das Beste: viele seiner Aktionen sehen auf den ersten Blick gar wie technische Fehler aus. Für einen Topspieler hat er eine unglaublich weite, inkonstante Ballführung, als wäre er gar ein schlechter Dribbler. Das Gegenteil ist aber der Fall, die „Schlampigkeit“ von Dembélé hat System. Um dahinterzukommen, zunächst einige generelle Überlegungen zum Dribbling im Fußball.

Dribbeln als Fangspiel

Im Fußball täuscht der Fokus auf den Ball manchmal darüber hinweg, wie Zweikämpfe bzw. Dribblings und Dribblingverteidigung im Kern funktionieren: Es ist eine Art „Fangen“, bei dem es darum geht, dass der Verteidiger den Gegner bzw. Ball erwischen muss, während der Angreifer möglichst in Torrichtung vorbeilaufen muss. Deshalb ist Athletik der elementare Aspekt im Dribbling, nicht Technik, obwohl man das Dribbling als technische Aktion sieht. Einfacher sichtbar ist das im American Football, wo die Ballkontrolle ungebrochen ist: Es geht erst mal darum, am Gegenspieler vorbeirennen zu können. Ein 9-Jähriger wird niemals einen fitten 25-Jährigen wirklich überdribbeln können, egal wie gut seine Ballbehandlung ist, schlichtweg weil er viel zu langsam losrennt.

Dabei ist im Fußball nicht die Endgeschwindigkeit der entscheidende Faktor sondern die Schnelligkeit im Stehenbleiben, Balance wechseln, Richtung wechseln, drehen, Fuß- und Körperstellung anpassen und vor allem im Loslaufen. Am eindrucksvollsten sieht man das wohl bei Lionel Messi, an den die Verteidiger in erster Linie deshalb nicht rankommen, weil er sich so unglaublich schnell bewegt. Mit dem Ball macht Messi sehr oft nichts anderes, als ihn schlichtweg sauber zu führen; keine Übersteiger oder sonstige Tricks. Wenn er doch mal unter direkten Druck gerät, macht er kurze, schnelle, kleine Ballbewegungen, um das Leder an den gegnerischen Beinen vorbeizuschieben, aber das war’s meistens.

Für Messi ist es vor allem so, dass der Ball ihn nicht einschränkt. Seine Bewegungsabläufe und seine Ballkontrolle sind so perfekt, dass er mit Ball fast genau so rennen kann wie ohne. (Das ist ja nicht banal: Man spielt dem Ball im Fußball mit dem gleichen Körperteil, mit dem man auch rennt – während man rennt! Da kann viel Bewegungsfähigkeit verloren gehen.) Und das beschreibt die Hauptfunktion des Balles im Dribbling: Er ist eine Einschränkung für den Angreifer.

Fintieren als Bonus-Schnelligkeit

Aus diesem Grund besteht die Ballbehandlung im Dribbling zu einem großen Teil daraus, die Kontrolle zu bewahren, die Einschränkung gering zu halten und Zugriffsmöglichkeiten für den Verteidiger zu vermeiden: Der Dribbler will möglichst jederzeit seine Richtung ändern können, so schnell wie möglich laufen und dabei weit genug vom Gegenspieler weg bleiben. Das ist Ballführung.

Das klassische technische, „trickreiche“ Element kommt dann sozusagen oben drauf: Mit Fintierbewegungen kann ich erreichen, dass mein Gegner falsche Bewegungen macht und mir dadurch einen Bewegungsvorteil verschaffen: Schneller ist, wer eher losläuft. So kann ein fintenreicher Dribbler im Fangspiel effektiv schneller werden als er eigentlich ist und auch Gegner überwinden, die rein athletisch etwas schneller sind.

(Deswegen funktionieren viele spektakuläre „Tricks“ übrigens nicht im Spiel: Weil sie überhaupt keinen Bezug zum Gegenspieler und dessen Bewegungsmöglichkeiten haben. Sie sind einstudierte Bewegungsabläufe, die dadurch im schlechtesten Fall auch noch vorhersehbar sind, als Finte also gar nicht taugen. Oder man kann aus der normalen Ballführung unter Druck überhaupt nicht in diese Bewegungen übergehen, ohne schon im Ansatz den Ball zu verlieren, bevor die Finte richtig losgeht.)

Eine Besonderheit bei Dembélé ist, dass er den Aspekt des Fintierens auf extreme Weise ausspielt, und das, obwohl seine Athletik überragend ist. Er könnte durchaus ein „reiner“ Tempodribbler sein und Gegenspieler mit sauberer Ballführung überlaufen, stattdessen macht er aber extrem viele unterschiedliche Sachen mit dem Ball. Was genau tut er aber und inwiefern ergibt das Sinn?

Abstand und Richtung im Defensivverhalten

Ein Schlüssel in der Verteidigung gegen Dribbling ist die richtige Grundposition: Wenn es nicht darum geht, sofort den Ball zu erobern, sondern man vor allem nicht ausgedribbelt werden will, dann möchte man möglichst eine diagonale Stellung zum Ballführenden, sodass man den direkten Weg zum Tor erst einmal versperrt. Am besten will man den Gegner dann auch noch auf eine Seite leiten, möglichst die Mitte zumachen. Und dabei will man genug Abstand haben, dass der Gegner nicht sofort an einem vorbeilaufen kann, andererseits nah genug sein, um zu verhindern, dass der Gegner ungestört den Ball führen kann.

Um diese Defensivposition zu finden, ist es entscheidend, den dribbelnden Gegenspieler korrekt zu lesen: Was ist sein starker Fuß? In welche Richtung kann er loslaufen, basierend auf seiner Körperstellung? Hat er den Ball unter Kontrolle oder nicht? Diese Fragen sind oftmals recht eindeutig zu beantworten, insbesondere wenn man einen Spieler gut kennt. Bei Dembélé werden sie schnell zur Doktorarbeit.

Fintierbewegung statt Finten

Schon in der Ballannahme macht es Dembélé seinen Gegenspielern extrem schwer, sich richtig zu verhalten. Nicht weil er, wie nach Lehrbuch, jeden Ball sauber mit Bewegung in den Raum mitnimmt, sondern ganz im Gegenteil, weil er immer etwas anderes macht und nie das was man erwartet. Man weiß nicht einmal, mit welchem Fuß er den Ball kontrolliert, darüber hinaus sind aber auch Richtung und Moment seines ersten Kontakts wild fluktuierend: Mal denkt man, er stoppt den Ball normal, dann lässt er ihn einfach an sich vorbeilaufen, sodass er schon Dynamik in diese Richtung aufnehmen kann. Dann wiederum steht er da, als ob er den Ball mit fernen Fuß Richtung Tor mitnehmen will, stoppt ihn dann aber plötzlich mit dem ballnahen Fuß ganz früh.

Innerhalb seiner Laufbewegung setzt sich das fort. Er hat keine permanente Ballkontrolle, sondern „stottert“ in der Ballführung, läuft öfter mal einfach am Ball vorbei, lässt ihn ein bisschen rollen, macht dann aber wieder sehr frühe Ballkontakte, stoppt den Ball plötzlich, führt dann wieder den Ball neben sich anstatt vor sich, ergänzt das ganze mit Drehungen.

Ich habe zuvor geschrieben, dass Fintieren zu falschen Gegnerbewegungen führt und der Dribbler dadurch effektiv schneller wird. Bei Dembélé ist der gesamte Bewegungsablauf auf diesen Effekt ausgelegt. Beinahe alles, was er am Ball macht, jeder Schritt, jeder Kontakt, jede Hüftbewegung sorgen dafür, dass Gegner falsch stehen und er immer wieder eine bessere Startposition für die nächste Aktion hat und ein bisschen schneller loslaufen kann.

Risiko und Spieltheorie im Zweikampf

In Fußballaktionen generell und auch im Zweikampf gibt es immer ein offensives und ein defensives Aktionsziel, offensiv im Sinne von „erhöht die Chance auf den eigenen Torerfolg“ und defensiv im Sinne von „reduziert die Chance des gegnerischen Torerfolgs“: Im Angriff reduziert man die Chance auf den gegnerischen Torerfolg, indem man den Ball behält, und erhöht die Chance, indem man den Gegner ausspielt. Je mehr man Zweiteres priorisiert, umso höher wird das Risiko, Ersteres zu verfehlen: Je mehr ich versuche, Richtung Tor Gegenspieler auszuspielen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich den Ball verliere.

So ist Dembélés Spielstil erst einmal in der Hinsicht „riskant“, dass er das schon sehr stark fokussiert und relativ viele Ballverluste in Kauf nimmt. Das gilt aber für viele Spiele, die meisten erzeugen damit nicht so einen Ertrag wie Dembélé. Der Kniff ist, dass Dembélé auch das Risiko beim Gegner erhöht.

In der Verteidigung ist das defensive Spielziel, nicht ausgespielt zu werden, das offensive Spielziel, den Ball zu erobern. Solange ich nicht versuche, den Ball zu erobern, ist es relativ einfach, nicht ausgespielt zu werden: Einfach Abstand wahren und den Weg zum Tor versperren. Deshalb ist es für so viele Mannschaften und Spieler so schwer, einen tiefstehenden, abwartenden Abwehrverbund zu knacken – umso einfacher wird es aber, den Ball zu halten.

Dembélés Dribblingstil sorgt dafür, dass Verteidiger häufiger ins Risiko gehen, weil es so aussieht, dass er die Ballkontrolle verliert. Die Art und Weise wie ihm scheinbar Bälle verspringen, er scheinbar schlecht zum Ball steht, ist bei normalen Spielern ein Hinweis darauf, dass der Ball nicht unter Kontrolle ist und erobert werden kann. Das lebenslang gelernte Verhalten der Verteidiger: Attacke. Ball erobern, solange er nicht kontrolliert ist.

It’s a trap

Diese Zugriffsversuche kann Dembélé dann häufig bestrafen, weil er den Ball eben doch kontrolliert oder zumindest schnelleren Zugriff darauf hat als der Gegenspieler. Dabei helfen ihm neben seinem Antritt auch sein hervorragendes Balancesystem und seine ungewöhnlich langen Beine.

Für seine Körpergröße ist er relativ staksig. Im „Fangspiel“ Fußball ist sowas ein Nachteil, wenn es darum geht, den Körperschwerpunkt schnell zu bewegen, in Antritt und Richtungswechseln. Es ist aber ein Vorteil im Erreichen des Balles. Sergio Busquets oder Zlatan Ibrahimović sind Spieler, die auf andere Art von langen Beinen Gebrauch machen. Generell kann man wohl die Faustregel formulieren: Kurze Beine helfen dabei, Druck aus dem Weg zu gehen, lange Beine helfen dabei, erfolgreich aus Druck rauszukommen.

In Verbindung mit seiner sehr schnellen Koordination kann Dembélé somit gezielt Drucksituationen erzeugen, den Gegner in Balleroberungsversuche locken, und dann blitzschnell den Ball erreichen, wegziehen und aus diesen Situationen rauskommen. Dadurch verteidigt man gegen Dembélé zu risikoreich und wird immer wieder erfolglos aus der Position gelockt, wenn man so verteidigt, wie gegen normale Spieler.

Dembélé als unlesbarer Gegenspieler

Diese Eigenschaft führt auch dazu, dass Dembélé noch schwerer lesbar wird, als er es durch seine Bewegungsabläufe ohnehin schon ist. Damit wird der Verteidiger im grundlegenden Fundament seiner Aktionen verunsichert, der Wahrnehmung der Situation.

Was ein Verteidiger stets intuitiv macht, ist, die Bewegung des Dribblers zu antizipieren. Der Ball verrät normalerweise viel über die möglichen Laufbewegungen. Wenn ich den Ball außen am rechten Fuß hab, kann ich nicht explosiv nach links loslaufen. (Also, kann ich schon, aber den Ball muss ich dann liegen lassen.)

Neben seiner extrem variablen Ballführung und seinen Kontrollverlust-Finten kommen bei Dembélé noch seine fantastische Athletik und eine quasi perfekte Beidfüßigkeit hinzu. Er kann sich so schnell bewegen und dazu den Ball auf unterschiedlichste Art in alle Richtungen führen, dass man kaum einschränken kann, wozu er überhaupt in der Lage ist. Bei Hazard oder Robben weiß man wenigstens, dass sie entweder gerade laufen oder mit dem starken Fuß nach innen ziehen; Dembélé hingegen kann jederzeit überall hin mit beiden Füßen. Und er geht auch überall hin.

Dann kommt auch noch hinzu, dass seine Schuss- und Passtechnik extrem stark ist, also auch die Anschlussaktion an das Dribbling oder seine Aktion bei ausbleibendem Druck sehr schwer antizipierbar ist.

Dembélé ist eine Enigma mit vier Säulen: Man kann nicht vorhersagen, was er machen kann (Athletik, Technik, Beidfüßigkeit). Man kann nicht vorhersagen, was er machen wird (Fintenbewegungsabläufe). Man schätzt seine Aktionen falsch ein (Kontrollverluste). Und man muss immer mit jeder möglichen Folgeaktion rechnen (Passspiel und Abschluss).

Unglaubliches Potential

Je mehr man Dembélé zuschaut, umso mehr bekommt man ein Gefühl dafür, was für ein absurdes Potential dieser Fußballer mitbringt. Es ist nicht nur so, dass er quasi jede Situation lösen kann, nicht nur so, dass er fast jede Situation tororientiert lösen kann, sondern er kann jede Situation auf etliche unterschiedliche Weisen tororientiert lösen. Während andere nach Lösungen suchen, ist es bei ihm eher so, dass er aus mehreren hochkarätigen Lösungen auswählt.

Das Auswählen und Umsetzen der Lösungen von ihm ist noch nicht immer perfekt. Seine Orientierung ist nicht perfekt, die Beurteilung von Situationen nicht immer korrekt. Doch welche Fähigkeiten er mitbringt, wieviel „Macht“ er grundsätzlich über Spielsituationen hat, wieviel potentielle Durchschlagskraft er auf den Rasen bringt, ist unglaublich. In diesem Aspekt können sich höchstens eine handvoll Spieler der Fußballgeschichte mit Ousmane Dembélé messen.

7 Lösungen

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Am Ende geht’s um Lösung. Wir wollen uns sieben mögliche Lösungen für eine Spielsituation anschauen. Und ihre Gegenlösungen.

„Die Defensive legt die Regeln fest, die Offensive spielt das Spiel“, sagte Kollege RM mal. Wie man dieses Spiel aber genau spielt, wird oft nur sehr ungefähr und allgemein diskutiert: Mehr Kreativität, mehr Mut, vielleicht bisschen mehr Bewegung, mehr 1-gegen-1 oder generell einfach „mehr“ von diesem und jenen Spieler. Deshalb möchten wir einmal beispielhaft diskutieren, wie man eigentlich Angriffe spielen kann im Fußball: Wie ist der Ansatz, wie spielt man das aus, wer muss dafür was tun?

Ein spannender Aspekt des Fußballs: Durch die komplexe Situation mit 22 Spielern auf einem großen Feld gibt es unheimlich viele Möglichkeiten, Angriffe durchzuführen. Die beste Möglichkeit hängt davon immer vom Defensivverhalten, den Spielerfähigkeiten und situativen „Zufällen“ in Puncto Genauigkeit und Timing ab. Wir wollen uns sieben unterschiedliche Ansätze anschauen, um einen Einblick und Überblick dafür zu schaffen.

Die Situation

Die Situation, die wir uns anschauen wollen, entstand aus einem kurz ausgeführten Freistoß der Dortmunder halblinks und einer Verlagerung von dort auf Akanji.

Leverkusen steht in einem tiefen 4-4-2-Mittelfeldpressing, Dortmund bildet mit Delaney herausgekippt eine lose Dreierkette und hat viel Präsenz in der letzten Linie, außerdem mit Brandt und Bellingham einzelne Optionen in den Zwischenräumen.

Zunächst drei generelle Aspekte zur Verbesserung der (Optionen innerhalb der) Situation:

  • Besetzung der Sechserposition: Weil Delaney während des Freistoßes in den freien Raum ausweicht und Bellingham versucht, die rechte Seite zu unterstützen, bleibt die zentrale Sechserposition unbesetzt. Das hat den Vorteil, dass der Gegner diesen Raum möglicherweise öffnet und man dann dynamisch hineinstoßen kann, etwa Hummels mit einem Dribbling. Es ist aber eine eher instabile Lösung, weil die Verteidiger keine Verlagerungsoption haben, wenn sie seitlich angelaufen werden, und weil bei Ballverlust niemand diesen Raum kontrollieren bzw. aus diesem Raum heraus nach vorne verteidigen kann (Amiri und Aranguiz könnten wahrscheinlich ungestört aufdrehen).
  • Position von Meunier: Der Rechtsverteidiger hat hier quasi eine „tote“ Position, weil er so tief steht, heißt: Kein gegnerischer Spieler muss auf ihn reagieren, Dortmund spielt effektiv 10-gegen-11. Dadurch hat der BVB nur zwei Optionen: Entweder Meunier anspielen, warten bis Leverkusen verschiebt und dann verlagern – also keine direkte Option für das Spiel nach vorne – oder Angriff mit effektiv einem Spieler weniger – also eine suboptimale Option für das Spiel nach vorne. Am ehesten ist die Position nutzbar, indem sich Meunier nach einem Zuspiel auf Sancho mit einem weiten Lauf in die Offensive einschaltet, während ihn kein Gegner auf dem Schirm hat, oder indem Akanji sich ins Mittelfeld einschaltet, während Meunier ihn absichert, was dann ansatzweise passiert, aber nicht konsequent und sichtbar ungeplant.
  • Abstände und Bewegungen zwischen den Offensivspielern: Die Offensive der Borussen steht beinahe in einer Fünferlinie, während in den Zwischenräumen des Leverkusener Blocks nur Brandt präsent ist und potentiell noch Bellingham. Zudem sind Bellingham und Haaland genau im Sichtfeld der Innenverteidiger, während Reus Abseits ist. Was im Standbild nicht gut aussieht, kann sich trotzdem gut gestalten, wenn die richtigen Bewegungen kommen – welche das wären, wird im Folgenden diskutiert. Dennoch bietet diese Struktur weniger Optionen als es mit elf Spielern möglich ist. Das muss aber auch nicht schlimm sein: dann nämlich, wenn man die existierenden Optionen findet und gut ausspielt.

Wir wollen uns aber weitestgehend darauf beschränken, Lösungsmöglichkeit zu beleuchten, die aus genau der gegebenen Situation quasi unmittelbar spielbar sind. Daher werden auch nur Positionsstruktur genutzt werden, die aus der vorhandenen unmittelbar herstellbar sind, mit nur kurzen Bewegungen.

Lösung 0: Was tatsächlich passierte

Zunächst aber schauen wir auf die Dortmunder Lösung: Akanji verliert mit dem ersten Kontakt schon etwas die Körperposition zur Mitte und lässt sich daher von Alarios Anlaufen weit nach außen treiben. Sancho kommt entgegen und bekommt den Ball an der Seitenlinie. Leverkusen schiebt die Seite zu und forciert ein 4-gegen-2.

Sancho dribbelt aber fantastisch an, löst sich quasi 1-gegen-3 und kann dann einen Doppelpass mit Bellingham spielen. Bellinghams Pass in die Tiefe wird aber von Tah abgelaufen.

Interessant dabei, dass Haaland auf die Seite rüberkommt und Tah nur, weil er ihm folgt, in der Position ist, den Ball abzulaufen. Wenn Haaland innen bleibt, dann bindet er Tah wahrscheinlich weg und Sancho ist an der Seite durch.

Insofern scheint die erste Idee von Akanji und Sancho fragwürdig, Sanchos Entscheidung, ins Dribbling zu gehen, statt über Meunier zu verlagern, zahlt sich dann jedoch aus. Nur die Kommunikation mit Haaland ruiniert den Angriff. Dabei ist Haalands Bewegung in den meisten Fällen absolut schlüssig und „richtig“: Da es auf der Seite 2-gegen-4 ist, versucht er eine vertikale Station zu bieten, um die Situation schnell auflösen zu können. Außerdem kann er den offenen Raum hinter Tapsoba und Wendell attackieren. Er antizipiert lediglich nicht, dass Sancho und Bellingham die Situation auch ohne Unterstützung gelöst bekommen.

Lösung 1: Schnelle Zirkulation im 3v2, dann Überbrückung des Mittelfelds und schnelles Durchbrechen mit Überzahl in der letzten Linie

Mit der seitlichen Position von Delaney hat Dortmund eine Überzahl in der ersten Linie, sodass eine schnelle, saubere Zirkulation gewährleistet ist, solange man keinen schweren Ausführungsfehler macht oder Leverkusen mit zusätzlichen Spielern anläuft. In der Tiefe hat Dortmund vier bis fünf Optionen gegen die Viererkette der Leverkusener, sodass direkte Pässe in die Spitze, ob tief oder kurz, schwer zu verteidigen sind.

Ungefähre Struktur und Passmöglichkeiten für Lösung 1.

Aus der Zirkulation heraus können die drei Verteidiger immer wieder kurze Zeitfenster kreieren, in denen sie ungestört in die Spitze spielen können. Falls sie dafür keine geeignete Option mit Richtungs- und Geschwindigkeitsvorteil finden, können sie schnell zurück verlagern.

Der Durchbruch hinter die Abwehr kann unterschiedlich aussehen:

  • Direkte hohe Bälle in die Tiefe (recht wahrscheinlich gegen Leverkusens Defensivstil, sehr gut für Haaland und Reus)
  • Steil-Klatsch mit Folgeaktion aus dem Zwischenlinienraum (sehr gut für Brandt, Bellingham und Reus, auch für Guerreiro bei möglicher Rotation mit Reus)
  • Bälle in die letzte Linie (innen oder außen) mit schneller Dribblingaktion (sehr gut für Reus und Sancho, in Tornähe auch für Haaland)

Aspekte/Coachingpunkte für die Zirkulation um den Gegner:

  • Auf Schnittstelle ranschieben: Die drei „Verteidiger“ sollten sich so hoch wie möglichst positionieren, um möglichst kurze Passwege nach vorne zu haben, zudem möglichst seitlich (Akanji, Delaney) bzw. „zwischen“ den Stürmern, also auf den Schnittstellen, positionieren, um Passwege nach vorne zu haben und vertikales Anlaufen zu verhindern.
  • Schnelle und saubere Zirkulation: Möglichst hohe Passgeschwindigkeit, möglichst in den vorderen bzw. stärkeren Fuß spielen, erster Kontakt nach vorne.
  • Öffnen: Vor allem für den zentraler Verteidiger schnell genug zu öffnen, um Isolierung der seitlichen Spieler zu vermeiden, für die Halbverteidiger schnelles Öffnen falls der Pass auf die Seite notwendig wird, um von dort aus Rückpass und weitere Zirkulation zu ermöglichen.
  • Klatschpass bei Anlaufen mit Deckungsschatten: Falls Akanji oder Delaney so angelaufen werden, dass der Rückpass zu Hummels oder der Pass auf die Außenverteidiger versperrt wird, können Bellingham bzw. Brandt schnell zulaufen und per Klatschpass den Ball zum freien Spieler im Deckungsschatten bringen.

Aspekte/Coachingpunkte für’s Überspielen des Gegners:

  • Erster Blick tief diagonal: Wenn Leverkusen keinen Druck machen kann, sofort nach Optionen für den tiefen Pass suchen, zunächst von der diagonal ballfernen Seite.
  • Lauffinte auf langen Pass, Lauf auf offene Körperposition: Wenn der Ball zwischen zwei Verteidigern unterwegs ist, einen Lauf antäuschen; wenn der Ball kontrolliert ist und vorwärts gespielt werden kann, starten, um die Passmöglichkeit anbieten. Außerdem Blickkontakt als Trigger für Bewegung.
  • Tiefe hinter dem Gegenspieler geben: In der Ausgangssituation ist Reus entsprechend positioniert (aber Abseits), Haaland und Bellingham bewegen sich im gegnerischen Sichtfeld und können aus dieser Position nur schwer effektiv tief geschickt werden oder beim Anbieten zwischen den Linien frei werden.
  • Tiefe aus Gegenbewegungen: In der Ausgangsgrafik kann etwa Bellingham kurz kommen, Tapsoba rausziehen und Haaaland dann dahinter tief gehen, oder Reus geht tief hinter Tah, und Haaland kommt kurz für Ablage auf Brandt oder Bellingham, oder Reus zieht Bender raus und Guerreiro geht hinter ihm tief. Am besten in der Vertikalen kommen und diagonal Tiefe geben.
  • Gegen die Dynamik der Kette spielen: Wenn die Verteidiger zurückfallen, versuchen kurz in die letzte Linie zu spielen bzw. zwischen die Linien zu spielen; wenn die Verteidiger die Höhe halten oder Vorschieben, dann tief spielen.
  • Auf Klatschpass und zweite Bälle positionieren: Vor allem für Bellingham und Brandt hier sehr wichtig, dass sie nicht zu sehr nach vorne spekulieren, sondern vor dem Ball die offensive Mittelfeldlinie für Ablagen oder zweite Bälle besetzen, wenn sie überspielt werden. (Insbesondere, weil die Sechserposition hier unbesetzt ist.)

Defensive Lösung gegen Lösung 1:

Wenn der ballferne Stürmer schnell auf den zentralen Verteidiger auslöst, kann man die Verlagerung blocken; falls man zu spät kommt, hat immer noch der Flügelspieler dahinter die Möglichkeit den nächsten Ball abzufangen.

Wegen der fehlenden Sechserposition beim BVB können Wirtz und Alario relativ einfach aus dem 3-gg-2 ein 2-gg-2 machen, indem sie schnell genug seitlich anlaufen. Dann würden Akanji bzw. Delaney zu einer schnellen Vorwärtslösung gezwungen und hätten nicht mehr die Wahl, was für Leverkusen bei der gegebenen Kompaktheit in Ordnung sein müsste, auch weil der tiefe Pass deutlich einfacher zu antizipieren wird. Gegenlösung BVB: Andribbeln und direkter Wechsel auf den fernen Halbverteidiger oder sehr schnelles Zulaufen von Bellingham oder Brandt und Verlagerung über diese. Möglich auch, dass Hummels entweder sehr früh und schnell öffnet, sodass der ballferne Stürmer ihn nicht blocken kann, oder dass er auf die Sechs vorrückt und damit den direkten Passweg zwischen Delaney und Akanji öffnet.

Noch eine Alternative Reaktion, aus der man die gleiche Lösung spielen kann, aber durch die Zentrumsbesetzung etwas mehr Möglichkeiten und bessere Absicherung hat und zudem Hummels auf der offenen seitlichen Positionen:

Lösung 2: Durchbewegen des Gegners auf unterladene Seite, dann Durchbruch nach Verlagerung auf überladene Seite

Das Anspielen auf die rechte Seite kann auch von Vorteil sein, wenn man dort isoliert wird bzw. „outnumbered“: nämlich dann, wenn das Verschieben des Gegners ohne Erfolg bleibt und man die Überzahl auf der fernen Seite ausnutzen kann. Durch Sanchos individuelle Qualität und Meuniers tote Position, ist gerade in dieser Szene eine große Chance dafür: Sancho kann einfach die Linie lang auf Meunier zurückspielen, der auf die andere Seite verlagern.

Ungefähre Staffelung Leverkusens nach dem Pass auf Sancho. Bellingham könnte eventuell Aranguiz noch weiter rüberziehen. Aus dem 4v7 ballnah könnte man ballfern ein 5v3 machen. (Verlagerung kann auch über andere Spieler erfolgen.)

Aufgrund der Positionen von Delaney, Brandt, Reus und Guerreiro hätte Dortmund sehr früh sehr viele Spieler auf der fernen Seite. So gibt es einen Zeitfenster mit vielen Durchbruchsoptionen, inklusive der Möglichkeit, sogar in Überzahl durchzubrechen. Leverkusen könnte bei guter Ausführung bestenfalls in den Strafraum zurückfallen, um Zeit zu gewinnen.

Aspekte/Coachingpunkte für die Zirkulation um den Gegner:

  • Vor der Verlagerung möglichst viel Druck anlocken und Gegner zusätzlich durchbewegen, wenn möglich. (Bellingham sollte versuchen, möglichst viele Gegenspieler zu bewegen, statt zwingend für einen Pass frei zu werden, Haaland ebenfalls. Für Sancho macht es durchaus Sinn, den Ball länger zu halten als notwendig, um ballfern noch mehr Raum zu schaffen, was er ja praktisch auch tat.)
  • Verlagerung möglichst schnell und über möglichst hohe Positionen. (Die Verlagerung über Akanji und Delaney ist besser als Verlagerung über Meunier und Hummels, was aber einfacher ist. Außerdem den verlagernden Pass so schnell und so tief spielen wie möglich.)

Aspekte/Coachingpunkte für’s Überspielen des Gegners:

  • Öffnen während der Verlagerung: Bevor der Ball nach vorne gespielt werden kann, auf der Zielseite möglichst breite Positionen einnehmen, um dann Bewegungen in Richtung Tor machen zu können und nicht davon weg.
  • Druck aufbauen und möglichst schnell durchbrechen: Nach einigen Sekunden hat der Gegner zurückgeschoben, also muss der Durchbruch in einem kleinen Zeitfenster erfolgen. Dementsprechend müssen die Spieler auf der Zielseite
    • möglichst hohe Positionen einnehmen (Brandt, Guerreiro, Reus, Haaland)
    • möglichst tief spielen (Hummels, Delaney)
    • und sofort andribbeln (Brandt, Guerreiro), um den Druck auf die Verteidiger zu maximieren.
  • Strafraumbesetzung: Nach dem Durchbruch auf links will der Angriff möglichst schnell finalisiert werden, dafür benötigt es die Strafraumbesetzung auch von der rechten Seite. (Bellingham, Sancho)

Defensive Lösung gegen Lösung 2:

Überzahl herstellen ist immer dann blöd, wenn man dann trotzdem nicht den Ball bekommt, daher sind die möglichen Lösungen:

  • Weniger durchschieben: Tapsoba kann in der Kette bleiben, Amiri sich nach hinten auf Bellingham orientieren, dann muss auch Aranguiz nicht so weit verschieben. Auch die Stürmer brauchen hier gar nicht so weit zum Ball kommen. In diesem Fall wäre die nächste Dortmunder Lösung: Andribbeln und den Durchbruch auf der rechten Seite forcieren.
  • Ball erobern = Verlagerung verhindern: Alario muss hier nicht unbedingt den Pass auf Akanji schließen, der erstens keine gute Position und Körperstellung hat, zweitens in der Mittelfeldposition nicht so gut aufgehoben ist und drittens von Amiri angelaufen werden kann. Stattdessen kann er den Passweg auf Meunier schließen und bei einem möglichen Pass auf Akanji von außerhalb des Sichtfelds attackieren. Auch Bailey könnte den Rückpass blocken. Das wäre dann eine sehr schlechte Situation für Dortmund. Mögliche Gegenlösungen: Bisschen Raum erspielen (Dribbling, kleinräumige Kombination) und dann hoch auf Guerreiro oder Hummels verlagern oder direkter Ball zu Haaland, der ihn dann unter sehr viel Gegnerdruck festmachen muss.
Die konkrete Gegenlösung hängt dann von Leverkusen Detailentscheidungen ab: Wie konsequent wird Akanji verteidigt? Wie wird Sancho gestellt? Wer übernimmt Bellingham? Wie sauber wird der Pass in die Tiefe verteidigt? Wie ist Wirtz‘ Position?
  • Alternativ könnte Leverkusen auch den Rückpass als Pressingtrigger nutzen, Bailey und/oder Alario können Meunier anlaufen, Wirtz den Querpass schließen, Amiri den Diagonalpass. Dortmunder Gegenlösung hier: Von Meunier per andribbeln oder Klatschball noch mal Sancho finden oder Haaland tief schicken gegen die Nachrückbewegung von Leverkusen oder Verlagerung über den Torwart.

Lösung 3: Andribbeln und Ausspielen von Überzahl/Gleichzahl im Zentrum

Die Überzahl in der ersten Linie lässt sich auch in eine Mittelfeldüberzahl übertragen: Wenn einer der Abwehrspieler andribbelt, muss einer der gegnerischen Mittelfeldspieler

Aus dem 3-gg-2 kann Akanji relativ ungestört andribbeln und ein 3-gg-2 im Zentrum erzeugen; mit Haaland ein 4-gg-2. Neben den drei kurzen Optionen in der zentralen Raute ist auch ein direkter Ball tief oder breit möglich, wenn die Verteidiger sich zusammenziehen.

Wichtig, im Vergleich zur Ausgangssituation ist hier ein besserer erster Kontakt von Akanji und eine höhere Position von Meunier, um Bailey zu binden (solange dieser das Zentrum verteidigt, ist diese Lösung wesentlich schwieriger).

Aspekte/Coachingpunkte für die Zirkulation um den Gegner & die Absicherung:

  • Erster Kontakt nach vorne, erster Blick tief diagonal: Wie bereits bei Lösung 1 gezeigt, ist das hier für das Vorbereiten des Andribbelns sehr wichtig, um mit gutem Winkel und guter Orientierung anzudribbeln. Schlechte Orientierung ist tödlich beim Andribbeln!
  • Richtung des Stürmers lesen: Beim ersten Kontakt des Innenverteidigers die Position und Anlaufrichtung des nächsten Gegenspielers (Stürmers) beobachten; Andribbeln auf horizontales Anlaufen, Rückpass auf diagonales (oder vertikales) Anlaufen.
  • Öffnen von Hummels für mögliches Abbrechen der Situation und Rückverlagerung + Absicherung des Raumes hinter Akanji bei Ballverlust.
  • Minimale Breite: Guerreiro, Meunier und Delaney sollten hier „so breit wie nötig“ stehen, um ihre nächsten Gegenspieler noch in die Breite zu ziehen, gleichzeitig aber möglichst eng, um bei einem Ballverlust Zugriff zu haben.
  • Verstecken & Zeigen: Bellingham und Brandt können im Rücken von Amiri & Aranguiz bleiben, um sie zu binden und Akanji das Andribbeln zu erleichtern, um sich dann in den Raum zu lösen, sobald der Gegenspieler Akanji angreift.

Aspekte/Coachingpunkte für’s Überspielen des Gegners:

  • Diagonal weggehen: Wenn Akanji das Dribbling fortsetzt, nicht im gleichen Raum mit ihm positionieren (Bellingham), sondern sofort in eine höhere Linie kommen und dazu den Raum in Richtung Tor öffnen (deshalb möglichst Bewegung diagonal aus der Mitte raus).
  • Folgebewegung: Nach (kurzem) Pass sofort diagonale Folgebewegung, um die Überzahl weiter zum Tor hin durchzuspielen. (Riskant, aber für diese Lösung konsequent.)
  • Breite auf Kombination, Tiefe auf offene Körperstellung: Solange die zentralen Spieler unter Druck sind, breit wegbewegen, um außerhalb des Sichtfelds der Verteidiger zu bleiben. Sobald einer der zentralen Spieler eine offene Stellung bekommt, Tiefe attackieren.
  • Horizontales Binden: Reus oder Haaland können hier Bewegungen entlang der letzten Linie machen, um 2-3 Abwehrspieler zu binden und die Überzahl im Zentrum zu sichern.
  • Tief gegen Rausrücken, Breit gegen Zurückfallen: Wenn einer der Abwehrspieler herausrückt, sofort versuchen, dahinter zu kommen (mit und ohne Ball); falls die Abwehr geschlossen zurückfällt, in die Breite orientieren und versuchen hinter die Außenverteidiger zu kommen.
  • Steil-Klatsch: Wenn der Gegner die Mittelfeldoptionen schließt (z.B. mit engeren Flügeln), Anbieten der Stürmer, um wieder Überzahl herzustellen und die Linie mit Klatschpass zu überspielen.
  • Tiefe von Breite: Die Spieler, die Breite geben (Guerreiro, Sancho, ggf. Reus), müssen permanent bereit sein, den Lauf in die Tiefe anbieten zu können, da die zentralen Spieler sich zum Ball orientieren müssen + die breiten Spieler haben selber ein besseres Sichtfeld und sind außerhalb des gegnerischen Sichtfelds.

Defensive Lösung gegen Lösung 3:

Wenn Dortmund die Mitte sauber ausspielt, kann Leverkusen es quasi nicht verteidigen, solange sie in der Flügelzuordnung bleiben und zentral in Unterzahl sind. Daher muss Bayer die Mitte schließen, wofür sie unterschiedliche Optionen haben. Sie können sich auf das Andribbeln zusammenziehen bzw. Zurückfallen, wie in der Grafik (wobei die Flügelspieler und Stürmer unterschiedliche Möglichkeiten haben), oder sie können schon vor dem Andribbeln versuchen, den Dribbelwinkel zu versperren (breitere Position Alario, frühzeitiges Herausrücken Amiri, Vorschieben von Bailey in Dreierlinie). Dortmunder Gegenlösung: Schnell gegen die Außenverteidiger überladen. Wenn etwa Bailey die Mitte sichert, können Meunier und Sancho 2-gegen-1 auf Wendell herstellen und dann noch von Bellingham und Sancho dabei unterstützt werden.

Eine zweite Möglichkeit für Leverkusen wäre es, die Mitte als Pressingfalle offen zu lassen und dann auf Akanjis Dribbling oder Pass mit zwei bis drei Spielern zu attackieren (z.B. Diaby und Aranguiz auf Brandt, während Wirtz und Alario auf Rückpasse antizipieren). Dann ist die Dortmunder Lösung, entweder – blöd gesagt – keinen Fehler zu machen (entweder mit schnellem Pass oder guter Dribblingaktion die Enge auflösen) oder sich stärker auf längere Bälle (direkt tief, diagonal auf die Flügel) zu fokussieren und das Andribbeln dann nur zu nutzen, um die Gegner etwas mehr in die Mitte zu binden.

Lösung 4: Halbraumwechsel, Andribbeln und in Gleichzahl durchbrechen

Was gegen sehr viele Defensivstrukturen aber vor allem das 4-4-2 sehr gefährlich ist, ist der direkte Pass von Halbraum zu Halbraum. (Noch gefährlicher natürlich, wenn man den Mitspieler zwischen den Linien finden kann, was Brandt hier etwa in der nächsten Aktion mit Pass auf Bellingham tun könnte.

Ein Pass, der fast immer hochgefährlich ist und vor allem für eine 4-4-2-Defensivstruktur: Halbraum zu Halbraum. Alle Leverkusener müssen sich drehen, die Dortmunder können dahinter tief gehen. Brandt kann diagonal anspielen mit Kombination oder Dribbling.

Der Pass erzeugt zum einen enorm viel Dynamik, da sich alle Abwehrspieler umorientieren müssen und Gegenspieler, die gerade noch vor ihnen waren automatisch hinter ihnen sind, während aber alle Angriffsspieler weiterhin eine gute Orientierung behalten; besonders der angespielte Mitspieler hat eine optimale Körperposition und kann aus dieser mit wenigen Kontakten eine Linie durchbrechen und sieht dann zahlreiche Optionen für den tiefen Pass. Durch die Halbraumposition kann er außerdem vertikal oder horizontal an seinem Gegenspieler vorbeikommen, was individuell schwer zu verteidigen ist und in dieser Situation natürlich zu den Spielerfähigkeiten passt, da mit Brandt ein dribbel- und kombinationsstarker Spieler in diesem Raum ist. (Lediglich die Absicherung ist problematisch)

Aspekte/Coachingpunkte zur Vorbereitung der Halbraumverlagerung:

  • Vertikale Optionen geben, um diagonale zu öffnen: Wenn sich Haaland und Bellingham zeigen, müssen Aranguiz und Amiri in diese Passwege rüberschieben, das sichert den diagonalen Pass, auf den Aranguiz andernfalls antizipieren könnte.
  • Körperfinte und Blickfinte nutzen: Mit Fintieren des vertikalen Passes wird das ganze noch stärker abgesichert. Aus der Körperbewegung für den vertikalen Pass kann kan relativ leicht in den diagonalen Pass abkappen.
  • Pass so weit zum Tor wie möglich: Man will nach dem Halbraumwechsel den Durchbruch fokussieren, also sollte der Pass nicht von zurückfallenden Verteidigern „aufgefressen“ werden. Nicht gut, wenn Diaby Zugriff auf den Pass bekommt, ganz schlecht, wenn man in den Rücken spielt und sogar Wirtz attackieren bzw. hinter den Ball kommen kann.
  • Raum öffnen: Wenn der Zielspieler klar ist, können sich die umliegenden Spieler zusätzlich bewegen, um ihm mehr Raum zu öffnen. Hier kann Delaney versuchen, Diaby breiter zu binden; Haaland oder Reus können womöglich Aranguiz noch weiter weg ziehen.

Aspekte/Coachingpunkte zum Durchbrechen nach der Verlagerung:

  • Mit erstem Kontakt aus diagonaler Stellung rauskommen und andribbeln: Nach dem Halbraumwechsel will man schnell durchbrechen. In einer klaren diagonalen Stellung kann der verteidigende Spieler das vermeiden. Daher versuchen, mit dem ersten Kontakt die Stellung zum nächsten Verteidiger (Aranguiz) so verschieben, dass dieser reagieren muss und man dann gegen die Reaktion andribbeln kann.
  • 2-gegen-1 herstellen: Um zu vermeiden, dass Aranguiz klar 1-gegen-1-verteidigt und dabei einfach passiv Zeit gewinnt, kann Reus schnell dazukommen; dann ist eine schnelle Kombination möglich oder Aranguiz wird bewegt, was das Dribbling für Brandt öffnet. Selbes dann mit Bellingham gegen Amiri.
  • Gegenbewegung (diagonal tief, vertikal kurz): Auch hier kann man das Prinzip der Gegenbewegung wieder anwenden, insbesondere den Aspekt, dass der vertikale Mitspieler (Reus) die kurze Option gibt, während der diagonal positionierte hinter den Gegenspielern tief geht (Haaland, Guerreiro, Sancho, ggf. Reus/Bellingham).
  • Schnittstellen besetzen: In der letzten Linie möglichst nicht vor sondern zwischen den Abwehrspielern positonieren (Haaland), um entweder auf den tiefen Pass oder beim Kurzkommen einen Positionsvorteil zu haben.
  • Tiefe nach Dribbling: Wenn Brandt sichtbar ins Dribbling geht, noch keine Tiefe attackieren, sondern vorbereiten (Haaland, Guerreiro). Wenn er vorbeikommt, auf den nächsten Kontakt tief gehen.
  • In Restverteidigung kommen: Wenn ein Spieler in so einer tiefen Position – fünf Spieler vor ihm – andribbelt und den Durchbruch sucht, können sich die Spieler dahinter bereits in defensive Positionen bewegen. Akanji und Hummels können die Stürmer übernehmen, Meunier und Delaney eher torseitig die Flügelstürmer; gleichzeitig aber bereit sein, schnell wieder zu öffnen, falls Brandt sich nach hinten drehen und zurückverlagern muss.

Defensive Lösung gegen Lösung 4:

  • Um den Pass zu verhindern: Weniger flache Grundstaffelung, etwa mit Aranguiz vorgeschoben, mit Wirtz auf 10 abgekippt (Gegenlösung: Lösung 3 (für beides)), oder mit vorgeschobenem Flügelstürmer in 4-3-3-Staffelung (Lösung 2, 5 oder 7). Andernfalls diagonale Position von Alario: Nach der Verlagerung auf Akanji verhindern, dass er hinter Alario entlang spielen kann (Lösung 1). Auch möglich, schlichtweg eine noch stärkere Kompaktheit zu spielen, sodass Diaby den Pass abfangen bzw. blockieren kann (Lösung 5).
  • Um die nächste Aktion zu verteidigen: Diagonale Position von Aranguiz, um Zeit zu gewinnen, dann Unterstützung durch Diaby oder Wirtz. Bei erfolgreichem Dribbling/Kombination, mit dem nächsten Spieler attackieren, mit dem Rest zurückfallen, um tiefen Pass zu verhindern, dann auf seitlichen Pass neu formieren und versuchen am Flügel zu pressen. Gegenlösung: Versuchen kleine Zeitfenster und Räume nutzen um direkt durchzubrechen, ggf. dabei auch in letzter Linien 2-gg-1 herstellen und gegen zurückfallende Abwehrspieler eher Pass in den Fuß spielen. Falls nicht möglich, möglichst schnell den Durchbruch über die Seite suchen, wenn möglich 2-gg-1 oder 3-gg-2 an der Seite herstellen. (Fußball spielen. 🙂 )
Unterschiedliche Gegenlösungen für Dortmund hier denkbar: Am einfachsten das Auflösen über Delaney, am besten andribbeln und dann Sancho tief oder Haaland mit Ablage auf Reus oder Bellingham, auch möglich (vor allem mit Reus) der vertikale Pass in den Fuß mit Folgedribbling oder Weiterleitung auf Guerreiro und 2-gg-1 gegen Bender.

Lösung 5: Mit Tempo das isolierte Dribbling an der Seite forcieren

Neben den Lösungen, die nun eher die Schwächen des 4-4-2 in der Zentrumsbesetzung ausgenutzt haben, lässt sich eine Viererkette auch über die Seiten knacken, insbesondere wenn man wie in dieser Situation viel Präsenz in die letzte Linie bringt und dribbelstarke, „richtig-füßige“ Spieler auf den Flügeln hat.

Gegner in der Mitte binden und dann möglichst schnell auf die Seiten kommen und zur Grundlinie durchbrechen. Der Pass kann in dieser Situation von Akanji kommen, aber auch von einem der anderen tieferen Spieler. (Gerade Hummels natürlich prädestiniert dafür.)

Diese Lösung kann immer auch aus einem der obigen Ansätze heraus gesucht werden, solange genug Breite gegeben ist, kann aber auch gezielt als Hauptlösung gespielt werden, indem sich die Spieler im Zentrum etwas langsamer und breiter freilaufen. Die Intention im Freilaufen ändert sich, wenn man eine andere Lösung vorgibt: Man versucht, die gegnerischen Außenspieler (vor allem Außenverteidiger) möglichst weit in die Mitte zu drücken, anstatt wie zuvor zu versuchen, Raum in der Mitte zu öffnen, um in diesem freizukommen. Sancho und Guerreiro hingegen bewegen sich weniger auf Tiefe, sondern mehr auf Breite und versuchen die Verlagerung möglichst weit vorne in den Fuß zu bekommen.

Auch die Passmuster können sich damit verändern: Das Risiko in der Mitte und vor allem dem Zwischenlinienraum kann man mehr vermeiden oder bei Anspielen der Mitte sich dann schneller auf die Außen lösen, anstatt weiter in Torrichtung durchzuspielen. Dadurch fällt der Gegner mit der Kette tendentiell weniger zurück und die Flügelstürmer haben womöglich mehr Raum hinter ihrem Gegenspieler, um im 1-gegen-1 Tempo aufzunehmen.

Aspekte/Coachingpunkte für die Zirkulation um den Gegner:

  • Gegner zum Flügel durchbewegen: Wie in Lösung 2 ergibt es Sinn, die Flügelpositionen kurz anzuspielen (hier vor allem Meunier), um auf der ballfernen Seite noch mehr Raum für den Flügelstürmer zu schaffen bzw. ihn näher ans Tor zu bekommen.
  • Diagonalball möglichst schnell und tornah: Der Ball auf die Flügelstürmer muss so gespielt werden, dass diese sofort ins Dribbling gehen können; dementsprechend darf der Gegner keine Zeit haben, um mit der Mittelfeldlinie zurückzufallen oder mit der Kette komplett durchzuschieben.
  • Zentrum-Flügel: Nach Bällen ins Zentrum möglichst schnell auf die Flügel kommen. Nur in der Mitte durchspielen, wenn schnell und einfach möglich. (Brandt, Bellingham)
  • Gegner nach innen drücken: Freilaufverhalten so anpassen, dass der Gegner folgt und die Mitte zumacht, also in den zentralen Positione eher breit anbieten und eher langsam vom Gegner lösen. (Reus, Bellingham, Delaney, Brandt)

Aspekte/Coachingpunkte für’s Überspielen des Gegners:

  • Durchbruch mit erstem Kontakt: Der AV muss auf den Diagonalball quer laufen, der Flügelstürmer (Guerreiro, Sancho) kann bereits in Torrichtung Tempo aufnehmen. Bei passendem Abstand kann man diesen Tempo- bzw. Richtungsvorteil nutzen und den AV mit dem ersten Kontakt überspielen.
  • Aggressiv andribbeln: Nicht auf Unterstützung und Passmöglichkeiten warten, sondern sofort den Durchbruch suchen mit Intention zur Grundlinie durchzukommen. (Möglich: Den AV nach innen drehen und dann außen vorbei. Frage für den Spieler: Lieber auf den Mann oder auf den Raum zudribbeln?)
  • 1-gegen-1 unterstützen: Nahester Spieler am Dribbling (Reus, Bellingham, ggf. Brandt/Meunier) Entweder im Zwischenraum hinter dem AV anbieten (wenn gegnerischer Flügel doppelt) oder hinter dem AV tief gehen (wenn IV nicht/zu spät durchschiebt oder 6er doppelt) oder hinter dem IV bleiben, um diesen zu binden (wenn AV im 1-gg-1 keine Unterstützung hat).
  • Strafraumbesetzung: Während des Dribblings aus dem gegnerischen Sichtfeld bewegen, nach Durchbruch beide Pfosten und Rückraum besetzen (Reus, Haaland, Bellingham, ballferner Flügelstürmer).
  • Restverteidigung oder Rückpass: Wenn der Flügelstürmer ins Dribbling geht, auf den Defensivpositionen eng in die Restverteidigung. Wenn er abbricht und nach Passmöglichkeiten sucht, wieder für den Rückpass öffnen (vor allem Meunier und Delaney).

Defensive Lösung gegen Lösung 5:

  • Breitere Außenverteidiger: Ballfern den AV weniger reinschieben, solange der Ball im tiefen Aufbau ist, um direkt Zugriff auf einen Diagonalball zu haben. Ggf. dazu engere Mittelfeldreihe, Raum vor dem AV abgedeckt ist und Außenstürmer sofort doppeln kann (Atletico-Style) oder Auffüllen der Kette bzw. Doppeln durch einen Sechser. Gegenlösung: Ähnlich wie Lösung 1, langen Ball direkt in Schnittstelle bringen, dazu den IV dort 2-gg-1 überladen + Präsenz auf zweiten Ball erhöhen (mit Brandt, Bellingham und Delaney), wenn möglich mit diagonalem Anspielen vorbereiten (Lösung 3 oder 6). Auch Tiefe aus zweiter Linie möglich (Brandt/Bellingham).
  • Zurückfallen ballferner Außenstürmer: Insbesondere auf das Vorschieben Guerreiros kann Diaby mitgehen, um dadurch ballfern den Diagonalball direkt abzudecken, somit quasi eine Fünferkette herstellen. Gegenlösung: Lösung 3, Andribbeln von halblinks (Hummels oder Delaney) in Überladung mit Brandt und Reus, Guerreiro kann dann innen auf Schnittstelle gehen, Halbraumwechsel (Lösung 4) gute Anschlussaktion.
  • Diagonalball mit mehr Druck verhindern: Unter hohem Druck sind diese Diagonalbälle schwer zu spielen, insbesondere bei sauberem diagonalen Anlaufen der Stürmer. Gegenlösung: Druck über Zirkulation auflösen (Lösung 1 / 2), mit Überzahl durchkombinieren (Lösung 3 / 6) oder Druck per Dribbling auflösen (gute Option für Hummels).

Lösung 6: Zwischenlinienraum öffnen mit Kombinationen im Halbraum

Lose ähnlich wie Lösung 3 und 4, kann auch genau so „eröffnet“ werden, aber mit etwas anderer Intention und Gestaltung im Ausspielen: Die Schwäche der „Ecke“ des 4-4-2 nutzen, um den Gegner in diesem Raum zu überladen, die Verteidiger so herauszuziehen und dann zu überspielen.

Für das konkrete Ausspielen gibt es dann etliche Möglichkeiten mit Rotationen, Kreuzbewegungen, Ablagen, An- und Durchdribbeln, Steil-Klatsch oder direkten tiefen Pässen, falls Leverkusener Abwehrspieler herausrücken. Die Grundidee: Durch die Überladung wird Leverkusen zu Entscheidungen gezwungen (bspw. Diaby: an Guerreiro orientieren oder zentralen Pass auf Reus schließen) und die Dortmunder Spieler müssen dann gemäß dieser Entscheidungen reagieren.

Aspekte/Coachingpunkte für die Zirkulation um den Gegner:

  • In der Überzahl bleiben: Solange man 2-gg-1 herstellen kann, versuchen die Ballseite weiter auszuspielen, nicht auf schwache Seite verlagern. (Delaney, Brandt, Hummels)
  • Öffnen auf Durchschieben: Wenn die Leverkusener zusätzliche Spieler in die Ballzone bringen, schnell öffnen und dann verlagern (Delaney, Hummels). Ballfernen Sechser beobachten & gegenseitig coachen!
  • Risiko mit dem ersten Pass: Aufgrund der Überzahl kann man in dieser Situation mehr Risiko eingehen als üblich, also beispielsweise den Pass Gegenspieler-nah reinspielen, um eine Reaktion zu provozieren, oder generell Mitspieler auch mit Gegnerdruck anspielen.
  • Mit Kurzpässen anlocken: Auch „sinnlose“ Pässe ohne Raumgewinn einstreuen, um weitere Reaktionen zu provozieren, Gegenspieler zu bewegen und dann die Dynamik nutzen zu können. Dafür auch kurz ohne Raumgewinn anbieten (Reus, Brandt), aber immer mit Folgebewegung nach vorne.

Aspekte/Coachingpunkte für’s Überspielen des Gegners:

  • In Schnittstelle aufdrehen: In gegnerischen Schnittstellen positionieren und sofort aufdrehen und in Zwischenlinienraum andribbeln. (Sodass Abwehrlinie nicht reagiert und Mittelfeldlinie zu spät kommt.)
  • Auf Andribbeln weggehen: Wenn Mitspieler andribbelt, nicht in seiner Dribblinglinie stehen, sondern schnellstmöglich absetzen, optimalerweise diagonal vorwärts.
  • Klatschpass und Folgebewegung: Wenn Klatschpass möglich, immer spielen, dann aber sofort hinter Gegenspieler und aus Dribblinglinie rauskommen.
  • Freilaufen auf geschlossene Körperstellung: Wenn Mitspieler ohne Sichtfeld nach vorne den Ball hält, weiter freilaufen und nicht im Deckungsschatten verharren, auch außerhalb des Sichtfelds freilaufen! (Entweder für Rückpass oder möglichen Kurzpass durch kleine Mittelfeld-Schnittstellen.)
  • Tiefe beobachten: Wenn gegnerischer Innen- oder Außenverteidiger in die Ballzone aufrückt, versuchen schnell tief zu spielen. Gegenseitig coachen! (Guerreiro, Delaney, Haaland)
  • Reaktion auf Durchbruchsmoment: Wenn man mit offener Körperstellung hinter die gegnerische Mittelfeldlinie bzw. hinter Aranguiz kommt, sofort aus der Überladung explosiv Aufrücken (Guerreiro, Reus, Bellingham, ggf. Brandt) und Tiefe geben (Haaland, Sancho, ggf. Meunier).
  • Gegenpressing als Chance: Auch bei einem Ballverlust bleibt die Überzahl in der Ballzone bestehen. Sofort aus mehreren Richtungen pressen; bei Ballrückeroberung gute Chance für Gegenkonter!

Defensive Lösung gegen Lösung 6:

  • Hochintensiv im Minus-1 pressen (gruppentaktische Lösung): In der Ballzone 3-gg-4 bzw. 4-gg-5 herstellen und dann mit maximaler Aggressivität jagen. (Auf jeden Pass reagieren, versuchen Deckungsschatten zu nutzen, versuchen im 1-gg-2 durch Antizipation in Zweikämpfe zu kommen, schnell Zurückziehen falls überspielt.) Gegenlösung: Individualtaktisch und gruppentaktisch sauber ausspielen, viel Fintieren, aktiv bleiben auf ansprintenden Gegner aber nicht zu früh reagieren. Alternativ, wenn nicht konstant möglich: Lösung 1, 2, 5 oder 7.
  • Extremes Durchschieben: Ein bis zwei Spieler von außerhalb der Zone schieben durch (hier also Aranguiz, Bender und/oder Alario) und stellen Gleichzahl her. Restliche ballferne Mitspieler müssen Position etwas adaptieren, um größere Löcher zu vermeiden. Gegenlösung: Schnell verlagern oder drüber spielen, um den zusätzlichen Raum auf den verlassenen Positionen zu nutzen.
  • Nur Vorwärtspass schließen und auf Verlagerung oder Rückpass pressen: Delaney und ggf. Guerreiro nicht attackieren, sondern nur die Vorwärtspässe schließen. Dann auf einen Rückpass mit Deckungsschatten nachsprinten oder bei einer Verlagerung herausrücken, um eine Rückverlagerung zu verhindern, während die gegnerischen Überladungsspieler (Brandt, Reus) großräumig im Deckungsschatten sind. Gegenlösung: Nachsprinten auslösen und dann mit Klatschpass in Deckungsschatten kommen oder verlagern und dann aus der Überladungszone tief gehen und (ggf. hoch) diagonal in die letzte Linie zurück verlagern.
Erst den Vorwärtspass blocken (rote Zone), dann auf den Rückpass nachsprinten (roter Pfeil). Mögliche Lösung dann: Der Klatschpass über Reus auf Guerreiro.
Oder nicht die Verlagerung verhindern, sondern die zulassen, um die „schwächere“ Seite zu pressen mit Deckungsschatten auf der starken Seite und möglichem Rausrücken gegen die Rückverlagerung. Lösung: Über den Deckungsschatten drüberspielen.

Lösung 7: Flügel überladen und Gegner nach hinten drücken

Die breite und hohe Grundstaffelung der Situation ermöglicht durchaus auch einen sehr breiten und risikoarmen Ansatz, vergleichbar mit dem typischen Guardiola-Fußball der letzten Jahre: Dreiecksbildung auf beiden Flügeln, immer wieder versuchen in Gleichzahl durchzubrechen oder aber erneut verlagern, dabei risikoarme Entscheidungen und den Gegner tief an den eigenen Strafraum drücken. Das ermöglicht einfacheres Gegenpressing, gefährlichere Standardsituationen und zwingt den Gegner sehr viel zu laufen, sodass im in der zweiten Hälfte die Kräfte ausgehen können.

(Zwei Bälle zur Illustration der Dreiecksbildung auf beiden Seiten, gemeint ist natürlich Zirkulation.)

Das Ausspielen auf dem Flügel kann mit Doppelpässen erfolgen, mit Vorderlaufen oder Hinterlaufen und natürlich auch schlichtweg mit Dribblings, entweder von der Seite oder aus dem Zwischenraum heraus. Für den Gegner ist es unheimlich schwierig, permanent Gleichzahl oder jemals Überzahl herzustellen und gleichzeitig den Rückpass zu schließen.

Aspekte/Coachingpunkte für die Zirkulation um den Gegner:

  • Saubere Zirkulation: Frühes und ausreichendes Öffnen für Rückpässe, schnelle Pässe in den korrekten Fuß, immer offene Körperstellung haben.
  • Keine Ballverluste im Anspielen: Keine Risiken eingehen beim Andribbeln oder Spiel in die Mitte, erst Risikoaktionen starten wenn Gegner an den Strafraum gedrückt wurde.
  • Mitte nutzen, um Gegner zu binden: Freilaufverhalten 6er und 8er Position (Delaney, Brandt, Bellingham), um Gegner anzulocken. Bei Ballbesitz, möglichst viele Gegenspieler zentral binden und dann möglichst schnell breit spielen.
  • Verschieben bei Ballbesitz & minimale Breite: Von der ballfernen Seite immer auf Restverteidigung und Strafraumbesetzung vorbereiten, nicht breiter bleiben als notwendig, um den Geg
  • (Positionen besetzen: In Klammern, weil die Ausgangsstaffelung des BVB andere Positionen vorgibt als üblich. Normalerweise wäre in den ersten beiden Linien die Sechserposition besetzt und eine 2-3-, 3-2-, oder 3-1/2-2-Staffelung vorgegeben. Durch die Positionen von Brandt, Bellingham und Delaney ist das hier nur indirekt möglich, wie eingangs diskutiert.)

Aspekte/Coachingpunkte für’s Überspielen des Gegners:

  • Schnell hinter den Außenverteidiger: Nach der Verlagerung, sofort Druck auf den Außenverteidiger machen mit Dribblings und/oder Läufen hinter ihn.
  • Zwischenraum besetzen: Den kleinen Raum vor der AV-IV-Schnittstelle dynamisch besetzen. (Wenn Reus/Bellingham den Raum verlässt, können auch Meunier oder Brandt nachstoßen.)
  • Kurz, tief oder Rückpass: Schnelle Entscheidung treffen, ob man tief spielen oder kurz in den Zwischenraum spielen will. Wenn Gegner beide Optionen verteidigt, Rückpass und erneute Verlagerung.
  • Flanken auf zweiten Pfosten: Wenn der Gegner am Strafraum verteidigt und besonders nach Rückpässen, den Ball auf den zweiten Pfosten suchen (die typische de Bruyne/Modrić-Flanke), dort hinter den Verteidigern einlaufen, wenn möglich 2-gg-1.
  • Rotationen/Positionswechsel während der Verlagerung: Möglich, zusätzliche Dynamiken einzubauen, um die Gegner schon vor bei Ballbesitz auf der Seite zu Entscheidungen zu zwingen, etwa ein Ausweichen des Achters (Bellingham/Reus/Brandt) mit diagonaler Tiefe des Flügels (Guerreiro/Sancho) oder frühzeitige Tiefe des Achters, Außenverteidiger in Halbraumposition (Delaney, Meunier) und Zurückfallen des Außenstürmers, sodass er ins Mittelfeld andribbeln kann statt gegen den Außenverteidiger.

Defensive Lösung gegen Lösung 7:

  • Extremes Durchschieben (aktive Lösung): Viele Spieler auf die Seite und den Rückpass bringen und versuchen die Verlagerung zu verhindern. Verlagerung ggf. mit wenigen Spielern verteidigen und den Gegner zumindest zum abschließen der Aktionen zwingen, um mehrfache Verlagerungen zu vermeiden; möglichst selber Ballbesitz haben, um dem Gegner nicht so viel Zeit für diese Strategie zu geben. Gegenlösung: Druck ausspielen (Dribblings, Kombinationen) oder überspielen (direkte, ggf. hohe Bälle in ballferne Zonen). Wenn Durchschieben zu langsam oder konsequent, auch extremes Öffnen möglich, um trotzdem zu verlagern. Hoher Ball auf Torwart auch eine Option.
  • Flache, breite Formation (passive Lösung): Die Verlagerung offen lassen, dafür die Seiten mit sehr Spielern verteidigen. 5-4-1 (so gewann etwa Leicester diese Saison gegen Manchester City) oder 4-5-1 als Möglichkeiten dafür, theoretisch auch sowas wie 4-6-0 oder 5-5-0 denkbar. Gegenlösung: Direkter über die Linien drüber spielen, Flanken auf zweiten Pfosten aus dem Halbraum statt der Flügelspur (vom IV statt AV). Dazu langfristige Vorteile durch Standards und Strafraumzufälle, solange man keine Fehler macht und den Gegner in Konter kommen lässt (fehlende Offensivpräsenz als inhärente Schwäche der Defensivlösung) + Gegenkonter aus Ballrückeroberungen.

Lösungsfindung unter Zeitdruck ist komplex

All diese Lösungen sind in gewisser Weise idealisiert: Wir gehen hier davon aus, dass alle angreifenden Spieler die gleiche Idee haben und gemeinsam auf diese Lösung hinspielen, während der Gegner konstant so agiert, wie er das in der beobachteten Szene getan hat. Praktisch wird sich aber der Gegner je nach Angriffsverhalten anpassen und in der Folge ändern sich auch die Lösungsmöglichkeiten. Zudem erkennen nicht alle Spieler gleichzeitig die gleiche Lösung, gerade weil es so viele unterschiedliche gibt.

Zudem ist die Wahl der Lösung innerhalb der Situation immer stark von der Aktionsausführung und den Fähigkeiten (also der möglichen Aktionsausführung) abhängig. Die gezeigte Lösung 0 würde etwa mit den meisten Spielern gar keinen Sinn ergeben, klappte aber beinahe, weil es eben Jadon Sancho am Ball war und nicht jemand anders. Wenn an einer Stelle die Ausführung fehlschlägt, muss eine Lösung oft abgebrochen werden und sofort auf eine andere adaptiert werden. Ich würde aus Erfahrung gar behaupten: Das korrekte und rechtzeitige Lesen der Aktionsausführung und Ausführungsmöglichkeiten des Mitspielers ist die allergrößte Schwierigkeit im Offensivspiel. (Siehe Haalands Aktion in der Lösung 0.)

Die Schlussfolgerung der Darstellung dieser Lösungen ist also nicht, dass man eine dieser Möglichkeiten auswählen und festlegen muss. Die wesentlichste Bedeutung ist: Diese Lösungen existieren immer. Daraus folgt, dass man in der Lage sein sollte, die Lösungen zu erkennen und dann darauf hin zu arbeiten, dass die Spieler diese häufiger, besser und schneller erkennen und ausspielen können. In der Problemanalyse – ob mannschaftsintern oder extern, auch medial – ist es wichtig sich Lösungen bewusst zu sein, um dann zu erkennen, welche man nicht gefunden hat und welche der Gegner gefunden hat.

Der Prozess, um die Lösungsfindung einer Mannschaft zu verbessern, ist komplex, weil elf Spieler mit unterschiedlichem Spielverständnis und unterschiedlicher Situationswahrnehmung miteinander kommunizieren und das unter höchstem Zeitdruck. Daher gibt es auch unterschiedliche Strategien, dieses Ziel zu erreichen: Man kann bestimmte Lösungen als Hauptlösungen herausarbeiten und versuchen zunächst diese zu perfektionieren. Man kann bestimmte „readings“ erarbeiten, die dazu dienen zwischen unterschiedlichen Lösungen zu wählen. Man kann bestimmten Spielern Aufgaben in der Kommunikation zuteilen, damit diese Lösungen angeben. Und darüber hinaus können sich alle Spieler immer in der Wahrnehmung und Interpretation von Spielsituationen individuell weiterentwickeln.

Lösungsmöglichkeit als Referenz für Entscheidungen und Aktionen

Ziel des Artikels ist vor allem, ein Verständnis davon zu schärfen, dass es in Spielsituationen immer Lösungsmöglichkeiten gibt, woraus sich auch Referenzen ergeben, ob eine Mannschaft das Richtige oder das Falsche tut. Zu wissen, welche Spielmöglichkeiten es überhaupt gibt und wie man sinnvoll in diesen Möglichkeiten denkt, ist essentiell für ein konstruktives Sprechen über Fußball. Sodass man in der Problemanalyse nicht auf Allgemeinplätze zurückfallen muss, dass etwa „die Ideen fehlen“, und konkrete Kritik an Aktionen auch damit kontextualisieren kann, was überhaupt die grundsätzliche Idee bzw. die mögliche Idee der Aktion gewesen sein kann:

  • Hat wirklich die Idee gefehlt?
  • Oder war die Idee nicht gut?
  • Wenn ja, was wäre ein sinnvoller „Plan B“ gewesen?
  • Oder war die Idee gut und wurde nicht gut umgesetzt?
  • Oder wurde sie sogar gut umgesetzt, aber dann hervorragend verteidigt?
  • Und wurde wirklich schlecht verteidigt bei einem Tor oder hat der Gegner vielleicht nur genau die richtige Lösung gefunden und sie optimal umgesetzt?
  • Oder welche Teile des Angriffs waren optimal gespielt und an welchen Stellen kamen Fehler dazu?
  • Und welche grundsätzlich andere Lösung hätte die verteidigende Mannschaft wählen können?
  • Und hätte das wirklich besser funktioniert, angesichts der Möglichkeiten, die sich dafür für die Angreifer wiederum geöffnet hätten.

Was hier nicht diskutiert wurde und im Grunde einen eigenen Artikel Wert wäre ist die Frage, welche Lösungen eigentlich besser sind als andere. Das ist im Fußball mit seinen wild fluktuierenden Spielerfähigkeiten ein sehr spannendes und komplexes Thema, welches in der Zukunft sicher immer näher untersucht werden wird.

Wie Guardiolas 3-2-2-3 (letztlich) das Abwehrspiel löst

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Es ist schwierig, Guardiolas Image in der Welt des Fußballs (angemessen) zu beschreiben. Obwohl er polarisiert, scheint zumindest Einigkeit darüber zu bestehen, dass er ein Innovator des Fußballspiels ist. Paradoxerweise polarisiert er genau wegen dieser Übereinstimmung von Kritikern und Fans. Das neue 3-2-2-3 scheint vielversprechend zu sein, um diese Polarisierung durch Erfolg und eine erneuerte Rückkehr zu gängigen Prinzipien zu lösen.

Die öffentliche Debatte rund um seine erfolgreiche Zeit beim FC Barcelona drehte sich hauptsächlich um das Positionsspiel und nahm – trotz der erfolgreichen Europameisterschaft 2008 der Spanischen Nationalmannschaft unter Trainer Luis Aragones – stark die damalige Einzigartigkeit seiner Idee des Fußballs in den Blick und wie sich diese von den meisten anderen Mannschaften unterschied: Spielaufbau mit Flachpässen von hinten raus unter Einbezug des Torhüters, sogar unter hohem gegnerischem Druck, Zentrumsüberladungen bei gleichzeitiger Wahrung von Breite und Tiefe in der letzten Linie und auch das eigene extreme Pressing mit einer außerordentlich hoch stehenden Abwehrlinie, um eine frühe Ballrückeroberung zu ermöglichen. Die Katalanen eroberten damals die Welt des Fußballs im Sturm (gekrönt von zwei Champions League Titeln in vier Spielzeiten, in denen der FC Barcelona stets hoch favorisiert wurde) – und seither haben seine Ideen auch in anderen Vereinen mehr und mehr Einzug genommen. Einige dieser Ideen hatte Guardiola bereits in seinem ersten Jahr als Cheftrainer, seinerzeit noch bei Barcelona B, gezeigt.

Während Guardiola bei der (Weiter-)Entwicklung seiner eigenen fußballinhaltlichen Revolution weiterhin an vorderster Front stand, schien der Vorsprung gegenüber seinen Trainerkollegen in der Zwischenzeit Schritt für Schritt zu schmelzen. Zeitweise wurde Guardiola dafür kritisiert, dass er entweder zu sehr darauf bedacht war, diese Distanz wieder zu vergrößern oder dafür, dass seine Trainerkollegen andere, offensichtlich ebenso wichtige, Aspekte des Spiels höher zu bewerten oder zumindest genauer zu beurteilen schienen, wie z.B. Vertikalität oder Konterspiel.

Unsterblich, nicht unbesiegbar

In seiner letzten Saison als Trainer des FC Barcelona wirkte die Kombination aus der Qualität seines Teams und der seiner Person zugegebenermaßen jeder anderen Mannschaft Europas überlegen. Doch Guardiolas Fokussierung auf stetige Weiterentwicklung schien seine Mannschaft von einem unbesiegbaren zu einem gelegentlich schlagbaren Team zu verwandeln. Quasi: Der fehlgeschlagene Versuch das Maximale zu verbessern. Experimente mit der Dreierkette in der Abwehr hatten zwar einzelne höhere Leistungsspitzen zur Folge, die aber womöglich etwas weniger nachhaltig waren als die Leistungen, zu denen Guardiolas Mannschaft in der Saison 2010/11 fähig war. Seine persönliche Weiterentwicklung als Trainer führte zu mehr und mehr Detailarbeit, die aber auch wie Limitierungen für eine Mannschaft mit dem Kern aus Messi, Iniesta, Xavi und Busquets wirkten; einer Mannschaft, deren individueller Qualität grundsätzlich eigentlich keine Grenzen gesetzt schienen.

Angeblich, so Medienberichte aus der letzten Saison beim FC Barcelona, spiegelte sich dieser Sachverhalt letztendlich auch in der Umkleidekabine der Mannschaft und beim Vorstand des Vereins wider. Dennoch wäre das nur die halbe Wahrheit: Obwohl Guardiolas Nimbus der Unantastbarkeit in den Medien zwischen seinem ersten und vierten Jahr beim FC Barcelona zu bröckeln begann, änderte er selbst sich weniger als über ihn geschrieben wurde.

Die Hauptgründe für dieses Missverhältnis bestehen in einem Mangel an Aufmerksamkeit für Details und dem niedrigen Diskussionsniveau in der öffentlichen Debatte zu Beginn der Guardiola-Ära. Beispielsweise war die sogenannte „falsche 9” bei Barcelonas legendärem 6:2-Sieg gegen Real Madrid genau die Art von „Experiment”, welche ihm Jahre später nach verlorenen oder unentschieden gestalteten Partien vorgeworfen würden. Im wohl noch legendäreren 5:0-Sieg über Real Madrid zwei Jahre später nutzte der FC Barcelona im Aufbauspiel eine asymmetrische Dreierkette, bei der Abidal tiefer stand, ein 2-2-Mittelfeld, bei welchem die zwei vorderen “10er” und die zwei hinteren “6er” im Trapez angeordnet waren, im Zentrum (mit Xavi und Busquets als Basis, davor Messi und Iniesta) und eine weitere Asymmetrie in der letzten Linie mit Villa, Pedro und Dani Alves. Dies wies bereits also eine sehr starke Ähnlichkeit zu seinem aktuellen Team bei Manchester City im Jahr 2021 auf.

Letztendlich werden mediale Narrative von Ergebnissen geschrieben, ebenso wie Geschichte von Siegern. Guardiolas perfekte erste Saison mit sechs gewonnenen Titeln war offensichtlich unmöglich konstant zu wiederholen und dennoch begannen Medien eine Geschichte des Absturzes vorzubereiten (und zwar aus Höhen, die den meisten früheren Trainern vollkommen unbekannt waren).

Der Trainer, der sich selbst schlug

Natürlich ließ sich Guardiola von der Kritik Außenstehender nicht allzu sehr beirren und galt in den ersten Wochen seines Sabbaticals weiterhin als die begehrteste Person im Fußballgeschäft für die darauffolgende Saison. Auch wenn seine Amtszeit beim FC Bayern München nicht ganz den Wünschen und Erwartungen vieler entsprach, so ließ er doch über weite Strecken absolut dominanten Fußball spielen, der („nur“) in überaus erfolgreichen nationalen Wettbewerben gipfelte. Das Ausbleiben des ultimativen Erfolgs in der Champions League mit den von Jupp Heynckes übernommenen Triple-Siegern schien das öffentliche Bild Guardiolas international, aber besonders in Fußballdeutschland, ein wenig zu trüben. Und dennoch waren die Prinzipien seines Fußballs nicht nur immer sichtbar, sondern befanden sich während seiner Tätigkeit in Deutschland gleichzeitig auch in einem steten Wandel.

Strukturelle Änderungen und Rotation sowohl von Spiel zu Spiel als auch innerhalb eines Spiels wurden viel häufiger als zu seiner Zeit beim FC Barcelona praktiziert. Ohne die individuelle Qualität von Messi, Iniesta, Xavi und Busquets, der kein gegnerischer Matchplan gewachsen schien, wirkte die Bedeutung seines Einflusses als Trainer sogar noch größer. Trotz ihrer Erfolge vor der Zusammenarbeit mit Guardiola benötigte diese Bayern-Mannschaft seine (zusätzlichen) Ideen nicht nur, um auf ihrem Höhepunkt zu bleiben, sondern auch, um in ihren Leistungsspitzen diesen sogar noch zu übertreffen und seine Spielweise auf angemessenen Niveau zu praktizieren.

2-3-4-1-Staffelung bei Bayern München

Ohne Messi zur Zentrumsüberladung und Lösung schwieriger Situationen wandte sich Guardiola in einer pressing- und konsterlastigen Liga seinen Außenverteidigern Lahm und Alaba (neben anderen Spielern) zu, um seine fußballerischen Prinzipien erfolgreich umzusetzen. Gelegentlich gab es sogar Spiele mit einer Mittelfeldraute bestehend aus Ribery, Robben, Götze und Alonso als Anpassung von Guardiolas Stil in Bezug auf das Umschalt- und Ballbesitzspiel der Bayern, aber auch der Bundesliga. All diese verschiedenen Grundordnungen und Systeme hinterließen einen „direkteren“, „vertikaleren“ Eindruck, als es bei Guardiolas letzten beiden Spielzeiten in Barcelona der Fall war.

„Bei Bayern München hat Guardiola das Positionsspiel gefördert, das Louis van Gaal vor fünf Jahren eingeführt hat. Aber das, was Bayern gerade praktiziert, ist ein Spiel, das sich viel mehr an der vertikalen als an der horizontalen Achse orientiert und diese Version erfordert ein hohes Maß an technischer Exzellenz, weil es versucht, die oben erwähnten Überlegenheiten nicht auf der Basis von horizontalen, sondern vertikalen Pässen zu konstruieren. Dies ist eine äußerst ambitionierte Interpretation des Positionsspiels.“

Marti Perarnau

Zwar war die Mannschaft immer noch sofort als Guardiola-Team erkennbar, doch nicht nur taktisch, sondern auch strategisch ergab sich eine andere Flexibilität. Das Ausbleiben des ultimativen Erfolgs in Form der Champions-League, in Kombination mit Guardiolas Anpassungen, führte zu einem Wandel seines öffentlichen Bildes in den Medien: Vom unschlagbaren Trainer zu einem potenziell unschlagbaren Trainer, dessen “Experimente” und Grübeleien nicht selten dazu führten, dass er sich ohne Barcelonas Top-Spieler auf dem höchsten Niveau letzten Endes selbst schlug. Doch das war schon damals nur ein Narrativ in den Medien (und in Teilen der fußballinteressierten Öffentlichkeit), aber keines innerhalb der Branche selbst. In der Fußballblase blieb das Image Guardiolas nahezu unverändert und Manchester City versuchte alles, um ihn aus München wegzulocken.

Ausgekontert

Binnen dreier Jahre veränderte sich das öffentliche Bild Guardiolas stark: Trotz erneuter national erfolgreicher Saisons mit den Citizens wandelte sich erwähnter Narrativ immer weiter zum Negativen. Plötzlich wurde nicht nur geschrieben, dass Guardiola sich selbst besiegte, sondern er wurde sogar als “entschlüsselt” bezeichnet – hauptsächlich durch Jürgen Klopp, der mit seiner enthusiastischen Herangehensweise zu Fragen der (Menschen-)Führung und der Spielweise schließlich das passende Gegenmodell zu Guardiola zu sein und die Krone des besten Fußballtrainers der Welt zu übernehmen schien.

Nebst einer größeren Betonung des Positionsspiels als zu seiner Dortmunder Zeit sah es so aus, als ob Konter, eine gewisse Körperlichkeit im Pressing und verschiedene Varianten in den Standardsituationen brachiale Gegenmittel zu Guardiolas Spielstil darstellen würden. Zeitweise wirkte dieses Narrativ so einleuchtend-simpel, dass es einfach wahr sein musste. Die Duelle mit Klopp schienen Guardiola bereits zu dessen Dortmunder Zeit, aber noch mehr, als dieser Trainer von Liverpool war, zu selbst für ihn ungewöhnlichen Anpassungen zu zwingen, indem er teilweise von seinen Prinzipien abrückte oder diese mit Niederlagen bestraft wurden.

Doppelt besetzte Flügel -> weniger Präsenz im Zentrum

Selbst eine 100-Punkte-Saison schien die unvermeidliche Kritik an zu langem und damit ineffizientem Ballbesitz, an zu naiven und weit gestaffelten Positionen in der Restverteidigung, an den Nachteilen des (vermeintlichen) Verzichts auf traditionelle Verteidigerqualitäten bei Innen- und Außenverteidigern oder sogar einem – oberflächlich betrachteten – Mangel an purer Körperlichkeit nur zu verstärken. Geduldiges Verteidigen und dann Ballgewinne bei schnellen Kontern, egal, wie lange man manchmal ausharren und aushalten musste, wurden als ausreichend postuliert, um mit City mithalten zu können. Im Grunde lautete die Gleichung glasklar: Wenn City lange in Ballbesitz ist, haben beide Teams ähnliche, aber wenig Torchancen. Wenn City versucht, kürzere Ballbesitzphasen zu haben, zeigten sie zeitweise ihre Topform, aber ließen zeitweise zu viele Chancen für den Gegner zu, um in Begegnungen auf den größeren Bühnen / gegen bessere Gegner zu bestehen.

Im Vergleich zu Klopp und dem „kompletten Liverpool“ der letzten Saison wirkte Guardiola in seinem Spielstil stagnierend, unempfänglich für Veränderungen, die ihm die Realität scheinbar aufzwang, nicht nur in Bezug auf seine Spielideen, sondern auch auf sich selbst. Wenngleich niemals jemand von Liverpool zu verlangen schien, ihre Spielweise zu erweitern, sah Klopp sogar so aus, als hätte er die Schlacht gewonnen, als Liverpool ihre jeweiligen Gegner vergangene Saison in jeder Phase des Spiels geradezu in eine (fußballerische) Folterkammer schickte. Guardiola hingegen fand sich in dieser Saison am vorläufigen Tiefpunkt wieder, als ManCity nach beinahe einem Drittel der Saison auf dem 12. Tabellenplatz stand.

Spult man in der Entwicklung einige Monate nach vorne, stellt sich der beschriebene Prozess geradezu umgekehrt dar: Während Klopp in dieser Saison nunmehr große Probleme hat (nachdem er Liverpool den ersten Meistertitel seit einer Ewigkeit beschert hat) und um einen Platz unter den ersten Vier kämpfen muss, kletterte Manchester City im Laufe der Saison Tabellenplatz um Tabellenplatz, rollte das Feld von hinten auf und sieht nicht nur wie der große Favorit auf den Gewinn der englischen Meisterschaft, sondern gleichsam aller anderen Wettbewerbe aus. Der katalanische Trainer schreibt diesen Umstand – neben anderen Faktoren – einem anderen Fokus, einer größeren Geschlossenheit, stärkerem Zusammenhalt innerhalb der Gruppe und gar „besserem Schlafverhalten” zu. Auf dem Spielfeld selbst sieht es allerdings so aus, als ob es noch den ein oder anderen zusätzlichen Grund dafür geben könnte.

Guardiolas neueste Lösung ist ein Update

Obwohl sich statistisch keine große Veränderung feststellen lässt – bereits in der letzten Saison lag City in vielen Messwerten deutlich vor Liverpool – verdient das Spiel gegen Southampton in Hinblick auf die Ergebnisse besondere Beachtung. Seitdem gewann Guardiolas Mannschaft (bis zum Aufeinandertreffen gegen ManUtd Monate später) jedes einzelne Spiel. Was hatte sich verändert? Wenn man dieses Narrativ des nachdenklichen Guardiola zu Ende denken möchte, dann könnte man argumentieren, dass sein anhaltendes Overthinking endlich Früchte getragen hat.

Typische 4-1-2-3-Staffelung

Zu Beginn der Saison kam relativ regelmäßig ein 4-1-2-3 mit verschiedenen Strukturen und Aufstellungen zum Einsatz, das offensichtlich auf den jeweiligen Gegner abgestimmt wurde. Eine der diversen recht stiltypischen Adaptionen durch Guardiola war, dass De Bruyne je nach Spielsituation und Gegner als Neun oder Acht auflaufen konnte. Die oft doppelt besetzten Flügel und breiten, mitunter auch hochschiebenden Außenverteidiger, stellen wohl die größte Änderung von Saisonbeginn zu jetzt da – und haben sich auf auch den Spielrhythmus, das Passspiel und die Restverteidigung ausgewirkt.

Abkippender Mittelstürmer erzeugt die Überzahl im Zentrum
Über eine Asymmetrie der beiden Achter entsteht aus dem 1-2-1 (Raute) ein 2-2 (Trapez) im Mittelfeldzentrum.
Situativ konnten in dieser Staffelung auch enger stehen und aus den Schnittstellen statt aus der Breite agieren; die Breite in höheren Zonen sollte von den Außenverteidigern übernommen werden, was wiederum neben Timingproblemen im Positionsspiel auch zu Problemen in der Konterabsicherung führen kann.

Über die letzten Wochen kristallisierte sich ein anderes Muster heraus: Wie sein Mentor und ehemaliger Trainer Johan Cruijff, fing Guardiola an, verstärkt ein System mit drei Spielern in der ersten und drei Spielern in der letzten Linie zu verwenden. Cruijffs Basis dafür war aber ein 3-Raute-3 System; ein Sechser vor der Abwehr, ein Zehner hinter der Sturmreihe und zwei Achter, die als Box-to-Box-Spieler agierten. Und: Gegen den Ball wurde gar so verteidigt. Guardiola hingegen nutzt anstatt einer Mittelfeldraute und somit einem 1-2-1 mit Manchester City ein 2-2 bzw. eine Art Trapez, wo die Sechser etwas enger und die Zehner etwas breiter agieren. Schon in einzelnen Spielen bei Barcelona wie dem erwähnten 5:0 gegen Real Madrid kam das System einem 3-2-2-3 am nächsten. Und: Guardiolas Mannschaft verteidigt nach wie vor mit Viererkette; es sind die Außenverteidiger, welche sowohl den Dreieraufbau als auch die Überzahl im Zentrum schaffen. Das Problem für die jeweiligen Gegner liegt zurzeit in dieser sehr kleinen, doch bedeutenden Veränderung und ihrer einhergehenden Flexibilität.

Staffelung im 3-2-2-3 über die asymmetrischen Außenverteidiger, welche nicht mehr aus der Breite spielen.

Cancelo oder Zinchenko übernahmen die Rolle der zweiten Sechs neben Rodri, oder – wenn auch seltener – sogar des dritten offensiven Mittelfeldspielers, also quasi einem seitlichen Zehner. Guardiola entscheidet sich aber zumeist für das Mittelfeld in Trapezform, in dem sich Rodri nach links fallen lassen kann und Walker (von rechts) oder Laporte (von links) einrücken und quasi als zusätzlicher Innenverteidiger aus ihrer tiefen Position höher herausschieben und im Aufbau aushelfen können, während Cancelo vor der Abwehr als zusätzlicher Mittelfeldspieler anspielbar bleibt.

Bewegung des abkippenden Mittelstürmers überlädt das Zentrum zusätzlich.

Je nach Art des Gegners kann auch besagte Rautenformation mit dem eingerückten Außenverteidiger als drittem Zehner helfen, weil sie mehr Anspielstationen zwischen den Linien vor der gegnerischen Abwehr kreiert, dem Spiel somit mehr Tiefe ermöglicht, einen Spieler in jeder Lücke des gegnerischen Mittelfelds platziert – unter der Prämisse, dass im Spielaufbau eine nominelle Sechs ausreicht.

1-2-1 (Raute) anstatt 2-2 (Trapez) oder 2-3 im Mittelfeld.
Variante: Cancelo über links inverser („wrong-footer“), dritter Zehner.

Diese Option wird allerdings aktuell wieder seltener genutzt und ist eher eine Facette in der Zirkulation oder Anpassung im Spiel. Wenn der Druck stärker oder das Zentrum zu dicht ist, besteht für Gündogan oder Bernardo Silva die Chance, nach außen zu ziehen und so eine ähnliche Formation zu schaffen, wie wenn sich Rodri fallen lässt – also einen Aufbau mit vier Spielern in der ersten Linie, wie es ansonsten die meisten Mannschaften über ihre Innen- und Außenverteidiger machen.

Rodri stellt den Viereraufbau als zusätzlicher Spieler innerhalb der Dreierkette her.
Rodri stellt den Viereraufbau als zusätzlicher Spieler innerhalb der Dreierkette her.

Das Erfolgsgeheimnis der neuen Ausrichtung liegt allerdings in der enormen Breite. Egal, ob sie im Zentrum mit diesem unüblichen Trapez oder der Raute spielen, sieht sich der Gegner einem Dreieraufbau und zwei sehr hoch wie sehr breit aufgestellten Flügelstürmern gegenübergestellt, die Tiefe im Rücken der gegnerischen Abwehr erzeugen, die letzte Linie des Gegners binden und natürlich 1-gegen-1-Situationen lösen können.

Zusätzlich können Gündogan, Silva oder de Bruyne zur Seite ausweichen und entweder als freier Mann agieren, das Zentrum öffnen oder mit den Flügelspielern auf der Seite eine klare Überzahlsituation erzeugen. Die gelegentlichen Hinterlaufbewegungen mit den erwähnten seitlichen Innenverteidigern (speziell Walker) machen es dem Gegner dabei nicht einfacher. Öffnet der Gegner zu viel Raum, insbesondere nach einer flachen Verlagerung, kommt Walker oft mit Tempo ins Andribbeln und in eine Überzahlsituation (2v1, 3v2, 3v1).

Seitenverkehrter, aber identer Ablauf – mit der Option, dass sich Walker bei ausreichend Zeit und Raum miteinschaltet.

Um diese Rochaden der Mittelfeldspieler auf der Seite zu unterstützen, verlässt sich City nicht nur auf die Doppelsechs-plus-Doppelzehn-Staffelung im Mittelfeld, sondern auch auf einen Mittelstürmer, der sich zusätzlich fallen lässt, um die Lücke in der Mitte zwischen den breiteren Zehnern zu schließen und gleichzeitig die Innenverteidiger aus der Formation zu locken, während Flügelstürmer und Mittelfeldspieler mit Läufen in deren Rücken gefährlich werden können. Somit wird der Mittelstürmer zu einem zusätzlichen Mittelfeldspieler im Zentrum, der Überzahl schafft und gewissermaßen ein Fünfeck erzeugt.

Das bedeutet also fünf Spieler in der Mitte, aber mit mehr Breite davor als üblich und vier Spielern mit der Option, sich tief oder zur Seite fallen zu lassen, um so stets eine Lösung gegen intensiveres gegnerisches Pressing parat zu haben. Dennoch kommt die Schlüsselfunktion der Rolle der Flügelstürmer dazu: Zwei Spieler, die jederzeit ins 1-gegen-1 gehen oder tiefe Läufe im Rücken der Abwehr starten können – zum Teil sogar auf langem Anspiel von Torhüter Ederson –, um Räume zu öffnen, und jeden Versuch, das Zentrum dicht zu machen, zu bestrafen. Bedenkt man die gelegentliche Rotation der Mittelfeldspieler, Flügelstürmer und des Mittelstürmers, wird klar, dass es nicht nur schwer ist eine Lösung dagegen zu finden, sondern beinahe noch schwieriger diese konsequent umzusetzen.

Trotzdem gibt es weiterhin von Spiel zu Spiel Umstellungen. Gegen Fulham konnte man als Antwort auf deren Manndeckung eine gänzlich andere Herangehensweise beobachten; als Antwort auf Southamptons Ansatz änderte sich die Rolle der Außenverteidiger und Flügelspieler asymmetrisch und in der zweiten Halbzeit gegen Gladbach war Cancelo derjenige, der sich, um das Konzept des Gegners zu durchkreuzen, zwischen die Innenverteidiger fallen ließ, während der Mittelstürmer enorm weit entgegenkam und teilweise eine tiefere Position einnahm als beide zentralen Mittelfeldspieler. Der faszinierendste Aspekt daran: Abgesehen von dem Spiel gegen Fulham, passieren nicht nur die meisten Anpassungen aus derselben Grundordnung heraus, sie wirken geradezu simpel.

Diese 3-2-2-3-Idee mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen und ihren einstudierten Details wirkt regelrecht wie ein endlich finalisiertes Zusammenspiel aller Prinzipien Guardiolas: In der letzten Linie Breite und Tiefe zugleich, Breite in der ersten Linie des Aufbaus, flexibles Schaffen von Überzahl in der Mitte und auf den Flügeln, aber dabei doch in der Lage, sich gegen die Schwächen in der Konterabsicherung, die früher durch ähnliche Strukturen entstanden, zu schützen. Dies ist natürlich nicht nur durch den einzigartigen Einsatz der Außenverteidiger möglich, sondern auch dank der Qualität der Spieler.

Guardiolas Idee von Fußball handelt nicht nur in verschiedenen Formen von Überlegenheit, wie es oft in Trainerlehrgängen heißt, oder darum „den Ball zu halten“, wenn man die Erklärung möglichst oberflächlich halten will. Stattdessen geht es darum, den Spielern des verteidigenden Teams ihre Aufgaben und Funktionen zu nehmen und so dem angreifenden Team Vorteile zu verschaffen. Gegen die falsche Neun verloren einst gegnerische Innenverteidiger ihre Funktion und jetzt gilt dies in gewisser Weise sogar für die gegnerischen Außenverteidiger, die von den Flügelstürmern zusätzlich gebunden werden. Das 4-2-2 oder 4-Raute, aus dem die ersten drei Linien von Barcelonas Aufbau bestanden, fanden sich oft – unter Mithilfe des Torhüters – in einer numerisch vorteilhaften Situation (Neun gegen Sechs), welche von den beiden bindenden Stürmern abgeschlossen wurde.

Ederson kann dem Spiel als zusätzlicher Aufbauspieler in der ersten Linie und in weiterer Folge mehr Breite verschaffen.
Durch seinen sehr langen Schlag kann Ederson unter Druck oder gegen hochstehende Gegner auch direkt die Tiefe bespielen.

Sehr hohes (und suboptimales) Pressing führte oft nur dazu, dass der Gegner zu weit auseinandergezogen wurde und damit keine Chance mehr hatte, Guardiolas Spielern die Räume eng zu machen und sie somit effektiv unter Druck zu setzen. Tiefes Pressing führte mit Ausnahme einiger hart erkämpfter Unentschieden und glücklicher Siege quasi unvermeidbar zu Niederlagen. Eine Art mittleres Pressing mit Phasen in ganz hohem Pressing (sh. Klopp, Jürgen) erschien eine probate Lösung und einer Mannschaft wie Liverpool, die in Sachen Pressing mit zu den Besten aller Zeiten gehört, zumindest eine Chance zu Dominanz und Erfolg zu geben. Und mitunter scheint es unwahrscheinlich, dass diese bisherigen Lösungen gegen Guardiolas neueste Umsetzung seiner Prinzipien zum Erfolg führen, wenn nicht das Glück etwas mithilft.

Die neueste Lösung könnte die letzte sein

Guardiolas Dreieraufbaureihe ermöglicht in Kombination mit seinen Flügelstürmern einen zusätzlichen zentralen Spieler inmitten der gegnerischen Formation zu platzieren oder ihn alternativ flexibel nach außen zu ziehen, um so Druck aufzulösen oder diesen sogar kontrolliert zu provozieren. Natürlich spielen dabei die Spieler, die ihm zur Verfügung stehen, eine große Rolle. Ederson und Cancelo sind auf ihre Art einzigartig, auch wenn beide womöglich nicht ganz das individuelle Potential eines Kevin De Bruyne haben. Sterlings Fähigkeiten sind wiederum möglicherweise die wertvollsten, wenn es darum geht, den Erfolg in engen Spielen in der Champions League zu sichern, während das Zusammenspiel von Stones und Dias vielleicht der wichtigste Aspekt der Zirkulation darstellt.

Doch nicht nur einzelne Konzepte und bestimmte Gegenspieler bzw. Positionen standen plötzlich ohne defensive Aufgabe gegen Citys System, individuelle und kollektive Qualität da. Es scheint ein grundsätzlicheres Problem zu sein. Klassische Abwehrsysteme wirken veraltet, nahezu obsolet und gelöst. Guardiolas neuestes Update schützt nicht nur vor Abstürzen durch Bugs im System, wie man sie zu Saisonbeginn noch vor dem neuesten Patch beobachten konnte; es hat die Möglichkeit geschaffen jedes Problem, das von der gegnerischen Verteidigung aufgebracht wird, aus dem gleichen Grundsystem heraus lösen zu können. Nur die Ausführung muss stimmen – was schwierig genug ist, aber dennoch der Realität zu entsprechen scheint.

Die Niederlage für den Gegner kommt insofern manchmal langsamer, doch sie ist unterwegs und kommt meistens noch pünktlich. Im Gegensatz zu früheren Systemen bietet Guardiolas 3-2-2-3 die Möglichkeit, auf große Veränderungen präzise mit kleineren Anpassungen zu reagieren und so stets die Oberhand zu behalten und Gegner zu neuen, größeren Veränderungen zu zwingen. Die Qualität Guardiolas als Trainer, nicht als Philosoph, zeigt sich in den Details. Beispiele?

Sobald ein Innenverteidiger versucht, Druck auf den Mittelstürmer Citys auszuüben, gibt es drei Optionen:

  1. Der Mittelstürmer wird sich noch weiter fallen lassen, bis der Gegenspieler ihn ziehen lässt
  2. Der Mittelstürmer bewegt sich horizontal, um so die Innenverteidiger zur Übergabe zu zwingen, ihre Zuordnung zu verändern, wodurch sie Raum und Zeit verlieren oder
  3. Einer der Flügelspieler oder Mittelfeldspieler setzt zu einem Sprint in die Tiefe an

Ein anderes? Wenn der gegnerische Flügelstürmer versucht, Gündogan in den Deckungsschatten zu nehmen und mit einem Lauf von Außen den seitlichen Innenverteidiger zu pressen, reagiert Gündogan in exakt jenem Moment, wo der Schritt des Gegenspielers zur Seite kommt und rückt wieder im Tempo in die Mitte ein, um den entstandenen Raum zu besetzen und den Ball in der Mitte zu erhalten.

Versucht ein Außenverteidiger selbiges mit der Verbindung zwischen Gündogan und dem Flügelstürmer (bspw. Foden) und möchte dem eigenen Flügelstürmer damit helfen, die Flügel gegen City zu verteidigen, indem er eine Linie höher schiebt, ist die Antwort wiederum ein sofortiger Sprint in dessen Rücken vom Flügelstürmer, um den gegnerischen Außenverteidiger zu binden. Falls hier keine Reaktion erfolgt, startet Gündogan (oder auf der anderen Seite Silva, de Bruyne) ein Dribbling nach innen, weg vom Druck in den freien Raum und in die Passoptionen, was fast zwangsläufig zu einer gefährlichen Abschlusssituation führt. Macht es der Gegner perfekt oder stimmen die Abläufe bei City nicht überein, so geht im Zweifelsfall der Ball zurück, man orientiert in den Positionen neu, beginnt den Angriff wieder vom Anfangspunkt und die Ballzirkulation startet von neuem. Und so lässt man den Gegner schließlich laufen, bis Kopf und/oder Beine müde werden und irgendwann Löcher in der gegnerischen Verteidigung auftauchen.

Flügelspiel unter hohem Druck – mit Tiefe, Quer- und Rückpassoptionen.

Wenn etwas nicht nach Plan läuft, schafft es Manchester City unter anderem wegen der enormen Breite in der ersten Linie und Edersons Qualität als mitspielender Torwart für gewöhnlich trotzdem den Ball zu behalten. Eine mögliche Anpassung besteht dann darin, im Zentrum mehr Präsenz zu erzeugen, in dem man vom erwähnten Trapez in die Rautenformation wechselt.

Eine weitere Option besteht darin, das Spiel mit den beiden weiter außen platzierten Mittelfeldspielern extrem breit zu machen, die sich dabei sogar bei Bedarf teilweise noch deutlich flacher anbieten. Gündogans Timing und Entscheidungsfindung ist in diesen Situationen ebenso fantastisch, wie Bernardo Silvas Dribblings von außen nach innen, wenn er derjenige ist, der mit dieser Aufgabe betraut wird.

In manchen Spielen passiert das regelmäßig auf beiden Seiten, in anderen übernimmt nur einer von beiden diese Aufgabe und dann kann es passieren, dass der Außenverteidiger bzw. zusätzliche Innenverteidiger wieder weiter nach außen zieht und so eine Art 4-2-2-2-Formation entsteht oder dafür auch ein Mittelfeldspieler die Position des Außenverteidigers einnimmt und Cancelo mit Rodri die Mitte hält. Bei gegnerischem Druck oder um Räume zu öffnen können sich die beiden wie erwähnt sogar noch zusätzlich zentral fallen lassen.

Es überrascht kaum, dass diese variablen Positionierungen eine der komplexesten „Wenn-Dann“-Choreographien in Guardiolas Mannschaft zu sein scheinen.

Guardiolas Flügelbrillanz

Die Zehner von ManCity, also die vorderen zentralen Mittelfeldspieler, fangen oft auf außen an und bewegen sich von dort nach innen. Dies ist also die präferierte Grundstellung anstatt es andersherum zu organisieren. Wieso?

Beginnen sie innen und bewegen sich nach außen, ist es aufgrund der Laufgeschwindigkeit und der Stellung des Körpers schwieriger, das richtige Timing zu finden – was wiederum die Körperstellung und Orientierung bei der Ballannahme beeinflusst, weil sie nach außen schauen, wenn sie versuchen, schnell in Position zu kommen. Beginnen sie bereits auf der Seite, dann werden sie den Ball entweder mit dem richtigen Fuß annehmen, nach innen ins Spielfeld schauen und in der Lage sein, sofort von innen in die Mitte einzudringen, anstatt nach außen zu schauen und ihrem genervten Trainer zuzunicken, während sie unter Druck geraten – auch wenn sie dies mit ihrer Qualität oftmals noch lösen können.

Zudem versuchen sie, indem sie auf Außen beginnen, gegnerisches Pressing von einer breiteren Ausgangsposition zu provozieren, um dann entgegen der gegnerischen Laufrichtung schnell nach innen zu kommen und mit der bereits offenen Körperhaltung dann den Ball zentral zu erhalten. Die anderen Mittelfeldspieler (welche, wie wir wissen, nominell auch Stürmer oder Außenverteidiger sein können) unterstützen sie dann für Ablagen und Kombinationen, während die Flügelstürmer tiefe Anspielstationen bieten.

Ausschnitt aus einem der letzten Spiele – mit den nominellen Positionen gegen den Ball.

Hinzu kommen über die letzten Partien konstant weitere Details als Ergänzung: Zu Beginn dieser neuen Ausrichtung kamen unter Druck die zentralen Mittelfeldspieler noch zentral entgegen und die Flügelstürmer versuchten auf der Seite die bedrängten Halbverteidiger zu unterstützen, wenn sie gepresst wurden. Ein paar Spiele später passierte dies selten bis gar nicht mehr, stattdessen fanden die zentralen Mittelfeldspieler ihre Position auf der Seite (mit Tiefe gebenden Flügelstürmern davor) und ihr Timing wurde besser, die erfolgreichen Aktionen häufiger, früher und schneller. Noch ein paar Spiele später konnte man wiederum beobachten, wie die auf die Seite gezogenen zentralen Mittelfeldspieler zuerst hinter den Flügelspielern begannen und nun Zeit hatten, um ständig den gegnerischen Außenverteidiger („verteidigt er nach vorne auf mich oder habe ich Zeit?“) und die zentralen Mitspieler (Rodri, Cancelo) zu beobachten.

Ein Zuspiel auf den sogenannten „dritten Mann“ (tercer hombre) oder ein Dribbling am Gegner vorbei würde nicht nur geschehen, sondern durch gute Winkel der tieferen zentralen Mittelfeldspieler perfekt unterstützt werden, wobei der Mittelstürmer zentral hinter den gegnerischen Mittelfeldspielern und der andere zentrale Mittelfeldspieler auf der ballfernen Seite hinter dem gegnerischen Flügelspieler positioniert ist. In dem Moment, in dem der gegnerische Außenverteidiger versuchen würde, nach vorne auf den breiter stehenden zentralen Mittelfeldspieler zu pressen, bedroht der Flügelstürmer von Manchester City sofort mit einem tiefen Lauf die gegnerische Kette, entweder für einen Pass in die Tiefe oder um mehr Raum und damit Zeit für eine leichtere Ballsicherung durch den breiten zentralen Mittelfeldspieler zu ermöglichen, da er den gegnerischen Außenverteidiger positionell oder zumindest gedanklich beschäftigt.

Möglichkeiten durch das Spiel über den Dritten.

Selbst wenn der gegnerische Außenverteidiger versucht, die Verbindung zu kappen, ohne Zeit zu verlieren, wird der breite zentrale Mittelfeldspieler wahrscheinlich in der Lage sein, an ihm vorbei in die Mitte hinein zu dribbeln. Das ist der Grund, warum es diese kleinen Abstände und spitzen Winkel zwischen dem breiten zentralen Mittelfeldspieler und dem Flügelstürmer gibt: um dem äußeren zentralen Mittelfeldspieler ein einfaches Dribbling in die Gegenrichtung zu ermöglichen.

„Es ist unmöglich, den dritten Mann zu verteidigen, unmöglich… Ich werde erklären, was das bedeutet. Stell’ Dir vor, Piqué will mich anspielen, aber ich bin gedeckt, ein Verteidiger stellt mich zu, ein sehr aggressiver Typ. Nun, dass Pique mich nicht anspielen kann, ist offensichtlich. Wenn ich mich wegbewege, nehme ziehe ich meinen Verteidiger mit mir. Dann fällt Messi zurück und wird der zweite Mann. Piqué ist der Erste, Messi der Zweite und ich der Dritte. Ich muss sehr aufmerksam sein, oder?! Piqué spielt dann zum 2. Mann, Messi, der zurückspielt, und in diesem Moment bin ich eine Option. Ich bin jetzt frei von meinem Verteidiger, der sich bewegt hat, um näher am Ball zu verteidigen. Jetzt bin ich völlig unbedrängt und Piqué gibt mir den Ball. Wenn mein Verteidiger auf den Ball schaut und dabei übersieht, dass ich ungedeckt bin und dann auftauche, bin ich der dritte Mann. Wir haben bereits eine Überzahl erreicht. Das ist nicht zu verteidigen, das ist die holländische Schule, das ist Cruyff. Es ist eine Weiterentwicklung der holländischen Dreiecke. (…) Den dritten Mann zu suchen, heißt zum Beispiel, dass die zentralen Spieler den Ball haben und einer von ihnen immer offen ist, weil man immer einen Spieler mehr hat als die gegnerischen Stürmer. In diesem Fall hat Puyol den Ball und geht nach vorn, vorn, vorn, bis ein Verteidiger ihn herausfordert. Wenn der Verteidiger, der ihn zu stoppen versucht, mein Manndecker ist, dann bin ich zufällig der dritte Mann! Wenn es Iniestas Verteidiger ist, der Puyol herausfordert, dann ist Andres der dritte Mann. Und so suchen wir die Überzahl in jedem Bereich des Feldes. Wenn du ein Drei-gegen-Zwei schaffst, gewinnst du, und du hast den dritten Mann. Wir rücken die Positionen auf dem Feld vor.“

Xavi Hernández

Wenn der Außenverteidiger in seiner Position bleibt und der gegnerische zentrale Mittelfeldspieler versucht, Gündogan oder Silva (oder de Bruyne) auf der Außenbahn zu halten, kann der Mittelstürmer als dritter Mann nach vorne rücken, indem er den Flügelspieler für die Ablage nutzt oder der tiefere zentrale Mittelfeldspieler kann wie bisher als dritter Mann nach vorne rücken. Stellt man den ganzen offenen Raum zu, dann hat das einen Rückpass und eine schnelle Verlagerung zur anderen Seite des Feldes zur Folge – dank der Breite in Citys erster Linie des Aufbauspiels. Hält man sie zu lange und zu passiv auf einer Seite, dann haben Cancelo und Rodri genug Zeit, um für einander die Räume durch eine einfache Gegenbewegung zu öffnen. Verfolgt man beide und verschließt man die Rückpassoptionen an den Seitenlinien zu den seitlichen Innenverteidigern (Walker, Stones, Dias, Laporte), dann ist der zentrale Aufbauspieler (Dias, Stones) wieder offen.

Kann der Gegner irgendwie all diese Möglichkeiten, wenn City den Ball auf einer Seite erhält, verteidigen, ermöglicht es die individuelle Qualität von City trotzdem oft in Ballbesitz zu bleiben und den Ball gegebenenfalls zum Torhüter für den erneuten Beginn des Aufbauspiels zu spielen. Verlagerungen von einer Seite des Feldes, wenn man so viele Spieler dort verschoben hatte, auf die andere Seite können mental außerordentlich belastend sein; und nach einigen dieser Verlagerungen auch körperlich. Diese ständige Überzahl auf den Seiten mit einem 2v1/3v2 ist der Hauptgrund, warum City so oft den Ball neu zirkulieren lassen kann, ohne ihn zu verlieren.

“Das Geheimnis besteht darin, eine Seite des Platzes so zu überladen, dass der Gegner seine Verteidigung verschieben muss, um damit fertig zu werden… so dass er seine andere Seite schwächt. […] Dann greifen wir an und treffen von dieser anderen Seite.”

In gewisser Weise kann an dieser Stelle ein Vergleich mit der historischen Entwicklung der Schachtheorie angestellt werden: Siegbert Tarrasch formulierte verschiedene schachliche Prinzipien, darunter (auf Grundlage der Theorien des ersten Schachweltmeisters, Wilhelm Steinitz) die Besetzung der Zentrumsfelder durch Bauern. Die sogenannte “Hypermoderne Schule” (repräsentiert durch Richard Reti, Aron Nimzowitsch und Savielly Tartakower) hingegen betrachtete einige dieser Konzepte als zu dogmatisch und empfahl eher die indirekte Kontrolle des Zentrums durch die Fernwirkung der Leichtfiguren, wodurch sie den Gegner einluden, seine Bauern in der Brettmitte zu postieren, wo sie entweder zu Angriffszielen wurden oder die gegnerischen Figuren binden sollten. Insbesondere Aron Nimzowitsch war hier besonders einflussreich, obwohl die “hypermodernen Lehren” weiterhin als Ergänzung oder Erweiterung der Grundlagen der Schachtheorien gelten, die immer noch auf der eher klassischen Theorie beruhen (was für eifrige, langjährige Spielverlagerung-Leser vielleicht nicht allzu überraschend ist).

In ähnlicher Weise scheinen Guardiolas Positionierungen mit den Breite und Tiefe gebenden, hoch stehenden Flügelstürmern, dem Spielaufbau mit drei Spielern in der ersten Linie und der Positionierung der Breite gebenden Mittelfeldspieler auf die gleiche Provokation abzuzielen wie die “hypermoderne Schule”. Um ein Zitat zu bedienen: „Verzögere die direkte Besetzung des Zentrums mit der Idee, den zentralen Vorposten des Gegners zu unterminieren und zu zerstören.”

Dies ist mehr oder weniger genau das, was Guardiolas Struktur beim Gegner mit der offensichtlichen, überfallartigen Zentrumsbesetzung bei Öffnung der Mitte anrichtet, um einen schnellen, entscheidenden Angriff über das Einrücken mit den anfangs breiter postierten zentralen Mittelfeldspielern und/oder dem Abkippen des Mittelstürmers, der versucht, den Ball in der Drehung zu erhalten und die Aktion voranzutreiben, zu fahren oder schließlich über die direkt in die Tiefe startenden Flügelstürmer. Übrigens wurde der Gebrauch der “falschen Neun” von Guardiola selbst mit einer ähnlichen Idee beschrieben:

“Ich mag es, wenn die Stürmer in ihren Positionen ankommen und nicht schon dort stehen.”

Offenkundig sind nicht nur diese (etwas hypothetischen) strategischen Ideen, sondern die taktischen Vorgaben, die Menge an Details und das fantastische Coaching auch in anderen Aspekten des Positionsspiels sichtbar: Der Ballvortrag von Dias, um Passwege zu manipulieren, der Einsatz der zentralen Mittelfeldspieler, um Räume für den Pass nach vorne zu öffnen, usw.

Der fortwährende und stromlinienförmige Prozess aus Kommunikation, Entscheidung und Ausführung auf höchstem Niveau von mehr oder weniger jedem einzelnen Spieler mit klaren Hinweisen (und Gründen) ist eindeutig (zumindest in Teilen) ein Werk des Trainers -– und wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass mit Rodolfo Borrell und Juan Manuel Lillo neben Guardiola auf der Trainerbank zwei als genial geltende Fachmänner Platz genommen haben, neben anderem kompetenten Personal auf den Trainingsplätzen und in den Büros.

Wenn sich der Mittelstürmer zum Beispiel fallen lässt, schaut er zuerst in die Richtung, aus der er kommt, um zu sehen, ob der Innenverteidiger ihm folgt, und zweitens sucht er den nächsten gegnerischen Mittelfeldspieler in seiner Nähe, um zu sehen, ob jemand die Zuordnung übernimmt. Seine Mitspieler im zentralen Mittelfeld werden dann entweder den Raum für ihn öffnen, indem sie sich wegbewegen, wenn gedeckt, oder Winkel für One-Touch-Pässe besetzen und dann gegebenenfalls reagieren, indem sie neue Positionen finden, sobald ein Dribbling beginnt. Und das geschieht neben noch grundsätzlicheren Prinzipien, wie zum Beispiel dem Passen des Balls im richtigen Moment in die richtige Richtung für die Folgeaktion mit der richtigen Geschwindigkeit. Diese Trainerqualität (gepaart mit der herausragenden individuellen Qualität der Spieler) und Klarheit gilt auch für andere Phasen des Spiels.

Das unsterbliche Spiel

Eine Hauptaspekt ist natürlich der Domino-Effekt auf die Verteidigung, den ManCitys Angriffsverhalten ausübt. Fußball auf Grundlage des Positionsspiels vermittelt oft den Eindruck, dass man immer einen Spieler (bzw. dessen Funktion oder Aufgabe) für die optimale Raumbesetzung zu wenig hat. Breite in der ersten Linie, Tiefe in der ersten Linie, Breite in der letzten Linie, Breite dazwischen, Überladung des Zentrums und eine tiefe Option in der letzten Linie; die offensichtliche Lösung für dieses Problem ist das Hochschieben des Torhüters (z.B. 4-2-2-3), aber es ist auch die riskanteste. Guardiola hat dieses Problem schon seit seinen Tagen in Barcelona anders gelöst: Der tiefe zentrale Spieler fällt weg (also „Mittelstürmer“) und stattdessen werden alle anderen Funktionen erfüllt. Die zentralen Mittelfeldspieler, die Flügelspieler und die Dreierkette geben Breite, wobei die Mittelfeldspieler, wie bereits erwähnt, nach innen kommen.

Aufgrund der Verbundenheit aller Spielphasen folgt daraus, dass bei Ballbesitz alle zehn Feldspieler eine Position einnehmen, die nicht die tiefste, am weitesten nach vorne gerichtete ist. Kombiniert mit kurzen Abständen und kurzen Pässen, einer klaren Struktur, sauberen Mustern, hoher Passgeschwindigkeit und der Fähigkeit zu dribbeln, führt dies zu leicht zu beobachtenden Drucksituationen und Umschaltmomenten, die nicht nur gut „vorbereitet“ sind, sondern auch dazu führen, das Spielfeld früh und schnell genug zu verdichten, um effektiv gegenzupressen. Kombiniert mit dem Stilmittel des taktischen Fouls und einer fantastisch organisierten Restverteidigung ist es kaum noch möglich, gegen diese City-Mannschaft aus Umschaltmomenten heraus zu treffen – abgesehen von enormer individueller Qualität und sehr guten Abläufen, wie sie z.B. West Ham United in ihrem letzten Spiel zeigte. Die Qualität der positionellen Struktur, ihrer Muster und Prinzipien führt zu gleicher Qualität im Umschalten und damit in der Verteidigung.

Organisiertere Abwehrsituationen aus einer typischeren Abwehrformation heraus – mit Cancelo oder Zinchenko als Außenverteidiger – bedeuten, dass Guardiola es geschafft hat, eine fast komplette Mannschaft zu kreieren, die man kaum begreifen kann. Man muss sie gesehen haben auch dann kann man es kaum glauben, dass eine so komplette Mannschaft sich trotzdem so stark auf einen Aspekt/eine Phase des Spiels spezialisiert.

Ohne Umschweife kann man konstatieren, dass nicht nur Citys Positionsspiel, sondern auch ihr Pressing, Defensivspiel und sogar die zweiten Bälle auf höchstem Niveau sind. Die Viererkette schiebt ständig auf Rück- und Querpässe oder den Gegner, der den tiefen Ball nicht spielen kann, raus. Die Außenverteidiger verteidigen herausragend nach vorne, starten oft mutig höher als die gegnerischen Flügelstürmer, decken diese vor und legen ihren Deckungsschatten auf die Innenverteidiger, die bis zur Seitenlinie verschieben. Die ganze Mannschaft ist generell sehr gut und ständig aktiv auf der Suche nach Pressingauslösern.

Ihre Formation im Pressing ist flexibel. Sie können mit einem 4-3-3, 4-4-2, 4-2-3-1 oder einem 4-2-2-2, das eher wie ein 4-2-4-0 aussieht, starten. In letzterem decken die „Mittelstürmer“ das Zentrum und die Flügelspieler versuchen ständig, das Pressing auszulösen und auf die Innenverteidiger zu sprinten – wobei vor allem Foden sich wie ein perfekter Spieler im Geiste Ralf Rangnicks verhält und Guardiolas In-Game-Coaching einmalig schnell im Korrigieren schlechter Zugriffssituationen ist.

So sind Gegenpressing, das Erzwingen längerer Bälle und die Unterstützung der Mitspieler in Zweikämpfen keine Schwäche mehr sowie die Nutzung der Abseitslinie bzw. das Spiel auf Abseits von der Kette nahezu perfekt. Auch individuell verteidigt zum Beispiel Walker mittlerweile mehr als ebenbürtig oder zumindest auf Augenhöhe mit den meisten Innenverteidigern von Champions-League-Kalibern, indem er in den wenigen Momenten, in denen er noch klassisch verteidigen muss, Abwehrfinten einsetzt, um gegnerische Flügel- und Mittelstürmer rechtzeitig von ihren Mitspielern zu trennen. Meist möchte City Konter schon im Keim ersticken, verhindert ein Aufdrehen, nutzt taktische Fouls und zwingt den Gegner ansonsten Richtung Auslinie zu schnellen Angriffen, wenn sie noch in Unterzahl sind.

Bisher haben wir uns in diesem Artikel also schon damit beschäftigt, wie City den Ball hält und ihn nicht verliert, damit und dabei Torchancen des Gegners verhindert und auch den Ball wieder zurückgewinnt. Wie zu erkennen war, hängen diese Aspekte klar miteinander zusammen. Der im Fußball wichtigste Aspekt, das Erzielen von Toren, aber wird im Fußball nicht nur teilweise im Coaching etwas vernachlässigt, sondern auch bei der Analyse – besonders von Guardiolas Mannschaften – zumindest unterbewertet.

Wenn Tore zum Handwerk werden

Suche nicht nach der Lösung, die Lösung muss sich ergeben.

Diese Heuristik wird in der Regel allgemein auf das Passspiel bezogen, doch bei City scheint sie den Vorgang der Torerzielung selbst zu beschreiben. Abschlüsse werden nicht erzwungen, stattdessen wird der Ball zirkuliert und der Gegner zurechtgelegt. Das geschieht in möglichst hoher Geschwindigkeit und Frequenz, um auf diese Weise möglichst hochwertige Abschlusssituationen zu generieren. Ohne Ball kann der Gegner bekanntlich kein Tor erzielen und solange die Ordnung des Gegners nicht hinreichend aus der Ordnung geraten ist, verteidigt City im Ballbesitz und versucht währenddessen aktiv eben diese Ordnung bzw. Organisation aus der Balance zu bringen oder ausreichend zu destabilisieren.

Es mag paradox klingen, oder – schlimmer noch – wie eine leere Phrase, aber es stellt eine extreme Herausforderung für die mannschaftliche Ausrichtung und Balance sowie insbesondere das Coaching dar, während dieser (langen) Zirkulationsphasen nicht passiv, defensiv und ziellos oder gar uneinheitlich und ungeduldig zu werden, sondern den Fokus darauf zu halten, nur Pässe zu spielen, die den Angriff vorantreiben und Fehler aufgrund von schlechter Kommunikation und Missverständnissen zu vermeiden, während man beispielsweise versucht zu erkennen, ob ein Sprint in die Tiefe geschieht, um wirklich den Ball zu erhalten oder um eine andere Zirkulation zu ermöglichen, die stattdessen zum Ziel des möglichen (oder wahrscheinlichen) Torerfolgs führt.

Ein Pass muss immer mit einer klaren Absicht gespielt, mit dem Ziel den Ball in das gegnerische Tor zu verfrachten. Passen darf nicht zum Selbstzweck werden.

Ein freier Ball (d.h. ohne dass der Mitspieler aktiv unter Druck gesetzt wird) mit dem Blick nach vorne führt bei ManCity sofort dazu, dass Läufe in die Tiefe gestartet werden, selbst wenn sie im Endeffekt nur den Zweck haben, Räume zwischen den Linien aufzureißen, durch und in welche flache Pässe auf De Bruyne, Gündogan oder Silva gespielt werden, die somit die Chance haben mit einer schnellen Drehung weit vorzustoßen. Hohe Bälle werden nur gespielt, wenn die Anspielstation in der Tiefe oder Breite komplett frei ist oder durch Druck des Gegners keine andere Option bleibt. Unter normalen Umständen hat es höchste Priorität, geduldig und ohne Ballverluste zu riskieren, möglichst viele Pässe zu spielen, um in Situationen um den gegnerischen Sechzehner herum zu kommen, in denen viele verschiedene Spieler einbezogen werden können und man dabei trotzdem gut abgesichert bleibt Von hier aus arbeiten sie sich dann Schritt für Schritt zu einer Torchance vor.

Start am Flügel.

Mit den Flügelspielern kann auf den Außen ein 1-gegen-1 oder 2-gegen-1 gespielt werden.

1v1 oder 2v1 von der Seite Richtung Tor.

Wenn das nicht möglich ist, werden Läufe hinter die Abwehr gestartet, um so im Rücken der Viererkette vor das Tor quer- oder zurücklegen zu können.

Tiefe Läufe für einfache Pässe hinter die Kette.

Falls der Gegner das gut verteidigt, kann versucht werden, durch einen Querpass parallel zur letzten Verteidigungslinie, den Raum für einen Abschluss von der Strafraumkante zu finden.

Parallelpässe zum Strafraum öffnen sich unter Umständen.

Wenn der Gegner diese Räume zustellt und sich dadurch Platz dahinter ergibt, nutzt man die eingerückten Verteidiger bzw. die defensiven Mittelfeldspieler, um den Ball in den Strafraum zu transportieren.

Nach dem Pass in den Rückraum folgen oft Chipbälle diagonal.

Regelmäßig werden Gegenbewegungen verwendet, um Räume aufzuziehen und mögliche Passwege mit Laufwegen zu bedienen.

Die Bewegungen variieren je nach Spielsituation und Gegner.

Wenn der Gegner gut presst, wird die Seite gewechselt oder durch die Mitte kombiniert.

Gibt es zu viel Druck oder keine Anspielstation, wird die flache Verlagerung gesucht.

In manchen Situationen erkennt der Außenverteidiger – manchmal sogar der Innenverteidiger – einen Raum, in den er vorstoßen kann, und versucht sofort, das zu nutzen.

Walker schaltet sich mit ein und schafft Überzahl.

Die durchgehende Präsenz mit genanntem Personal am gegnerischen Strafraum ist der Hauptgrund, warum Manchester City – seitdem sie in dieses System gewechselt sind –, eine so irrsinnige Torausbeute pro Spiel aufweisen (wenn sie sie auch zuvor in dieser Hinsicht nicht ganz so schlecht waren). All diese Optionen sind Teil eines Systems und eröffnen durch geduldiges Spiel am gegnerischen Strafraum eine ganze Reihe von Möglichkeiten, um Angriffe abzuschließen. Und selbst wenn sie sich entscheiden, nicht direkt den Abschluss zu suchen, verspürt das gegnerische Team natürlich stets die Notwendigkeit, das eigene Tor zu verteidigen und gegnerische Abschlussmöglichkeiten zu blockieren, anstatt Vorstöße und mögliches Passspiel zu unterbinden. Das erwirkt wiederum neue Überzahlsituationen und freie Spieler am Strafraum und somit vor und um das Defensivbollwerk. City wird also erlaubt, im letzten Drittel den Ball zirkulieren zu lassen und den Gegner am eigenen Strafraum festzunageln, bis sich eine bessere Abschlusssituation ergibt.

Kann modernes Verteidigen noch Fragen stellen?

Die Prämisse dieses Artikels und seine Hauptthese besteht darin, dass Guardiola das traditionelle Abwehrspiel gelöst hat; und dennoch sollte noch ein kurzer Blick auf mögliche Reaktionen geworfen werden. Letztendlich wird Guardiolas Mannschaft auch in Zukunft einige Spiele verlieren und vielleicht sogar aus verschiedenen Wettbewerben ausscheiden (obwohl davon auszugehen ist, dass es in diesem Fall an einer Veränderung der Spielweise, einer schlechten praktischen Umsetzung oder an einem herausragenden Gegner liegen wird.)

Leider können auch die großartigsten Mannschaften von Gegnern besiegt werden, die womöglich weniger gut, aber vielleicht perfekt spezialisiert sind – manchmal, indem man ihre Stärken umgeht, anstatt versucht, sie herauszufordern. Neben einigen weniger offensichtlichen Ideen (Asymmetrien, neue Konzepte oder extrem gute Ausführung) könnten ein ordentliches Positionsspiel und Standardsituationen ein Weg in die Zukunft sein. Die Frage ist jedoch, ob typische Muster in gewohnten Formationen sinnvoller sind als andere oder Manchester City zu größeren Anpassungen und Vorgaben zwingen können.

First things first, gegnerische Teams können sich (auf einem sehr fundamentalen Niveau) entweder für eine Raumdeckung oder für eine Manndeckung entscheiden. Entscheidet sich ein Trainer für Letzteres, läuft die Mannschaft aufgrund der Rotationen von City, der individuellen Qualitäten und der Einbindung des Torhüters natürlich Gefahr, ihre jeweiligen Aufgaben zu verlieren, so dass man als Trainer in diesem Fall beten und im Idealfall zurücktreten sollte. Natürlich kann man auf eine Mischung aus Raum- und Manndeckung setzen, wobei man sich ohnehin nicht zu sehr über diese Konzepte und auch nicht über die Formationen aufregen sollte, auch wenn es bei dieser Art von Diskussion hilfreich sein kann. Wenn man im Raum verteidigt, ist die Frage, wie man die jeweiligen Zonen aufteilt (was mehr oder weniger der größte Grund für die Nutzung von Formationen als Coachingtool ist).

Da es bekanntlich nicht erlaubt ist, zwei Torhüter aufzustellen (oder hey, gar keinen und wegpressen!), sollte man zum Zwecke des Brainstormings und der Diskussion die Anzahl der Verteidiger in der ersten Linie und deren dazugehörenden Aufgaben erörtern. Wenn man mit einer Viererkette spielt, wird City über die Seiten und mit ihren Flügelstürmern zum Erfolg kommen, weil man Spieler in der hinteren Linie verliert, die effektiv nach vorne in die nächste Ebene verteidigen können. Versucht man es mit einer Fünferkette, kommen sie durch das Zentrum beziehungsweise die offenen Halbräume und mit ihrer weniger bedrängten ersten Aufbaureihe zum Erfolg, weil man als Gegner Spieler weiter vorne verliert, um sie erfolgreich hoch zu pressen.

Wenn man etwas anspruchsvoller an die Sachen herangehen möchte, könnte man darüber nachdenken, die Spieler in der hinteren Fünferkette in ihren Zonen immer wieder nach vorne zu schieben, um in der nächsten Linie zu verteidigen und dafür etwas Kopfzerbrechen aufgrund der ständig wechselnden Aufgaben zu riskieren. Das Problem ist, dass die Spieler in der Regel innerhalb ihrer Zone und nur bis zu einem bestimmten Punkt nach vorne hinaus verteidigen wollen; die Spieler von City orientieren sich ständig nach dieser Art von gegnerischen Bewegungen und lassen sich dann entweder noch weiter fallen oder bewegen sich seitlich, damit der Gegner seine Organisation verliert oder die Zuordnungen über große Distanzen wechseln muss, während City diese Räume mit Gegenbewegungen attackiert.

Dies mit einer Viererkette statt einer Fünferkette beispielsweise in einem 4-1-4-1 zu tun, um das Zentrum zu überladen und die Flügel weiterhin zu beschäftigen, macht es wiederum noch schwieriger, so dass ein perfekter Tag in Bezug auf die Entscheidungsfindung in diesen Situationen nötig wäre. Ein 4-1-4-1 sieht in Anbetracht dessen eher weniger erfolgsversprechend aus.

Also, warum kein 4-2-3-1? Southampton versuchte es mit einer Mischung aus 4-2-2-2 und 4-2-3-1 und allein Hasenhüttls nahezu perfektes Pressingsystem verhinderte über eher unfreiwillig spektakuläre Flügelverteidigung eine klare Niederlage (im Gegenteil: Southampton lieferte in beiden Spielen eine wirklich gute Leistung ab). Über Citys Aufbauspieler wird früher oder später der zweite Stürmer bzw. die beiden Mittelstürmer entweder herausgelockt oder in die Tiefe überspielt. Wenn man komplett im Raum verteidigt und gegen den engeren Aufbau flexibel in ein 4-4-2 und gegen den breiteren Aufbau in ein 4-2-3-1 schiebt, kann das funktionieren, ist aber eine enorme Denkaufgabe (die hoffentlich nicht nach fehlgeschlagenen Wechseln und Pressingansätzen zur Denk-Aufgabe führt).

Das Worst-Case-Szenario für City als Reaktion darauf ist eigentlich keines: Rodri oder Cancelo lassen sich fallen, um ein 4v3 in der ersten Linie zu schaffen, wenn Ederson nicht ausreichend Unterstützung darstellen sollte. Wenn die gegnerischen Innenverteidiger zu sehr auf ihre Stürmer oder Flügelspieler reagieren, werden die Mittelfeldspieler stattdessen tief durch die geschaffenen Kanäle gehen.

Das ist der Hauptgrund, warum die meisten Teams nun mit den eigenen Sechsern die Mittelfeldspieler von City manndecken und dafür das Zentrum öffnen, wo der Mittelstürmer dann an einem guten Tag aufblüht und an einem schlechten Tag nicht gefunden wird; mit den Innenverteidigern rauszuschieben und den Mittelstürmer im Mittelfeld zu verfolgen, wird wiederum zu den oben erwähnten Rotationen und tiefen Laufwegen führen. Sich mit dem zentralen Mittelfeldspieler von der anderen Seite seitlich zu bewegen und den Mittelstürmer zu übernehmen, ist nicht nur ein enorm langer Weg, sondern wird nur zu einer weiteren Verlagerung führen, bis der gegnerische Mittelfeldspieler entweder den Flügel oder die Mitte nicht mehr rechtzeitig erreichen kann, um den Außenverteidiger zu unterstützen oder für den Innenverteidiger zu übernehmen.

Also … 4-3-2-1? Die ständige Zirkulation würde City zwar nicht unbedingt helfen, das gegnerische Mittelfeld einfach zu überbrücken, auch wenn manche Gegner nichts dagegen hätten, wenn City in erster Instanz mit einem Überladen der Mitte reagiert und sich in jede einzelne Lücke der gegnerischen Mittelfeldlinie stellen würde. Sehr diszipliniertes Verschieben und Schließen von Passwegen könnte effektiv sein, aber diese Formation würde letztlich über Querpässe von außen in die Formation und zur Nutzung des “dritten Mannes” führen. Das Spiel durch den dritten Mann in der Mitte wird dann regelmäßig zu Vorstößen und Umschaltaktionen führen. Wenn die beiden offensiven Mittelfeldspieler (die „2“ im 4-3-2-1) die ganze Zeit innen schließen, kann die Abwehr zwar damit zurechtkommen und rechtzeitig umschalten, aber ein höherer Ballgewinn scheint unmöglich oder riskant.

In einem 4-Raute-2 hätten Gegner auf dem Papier vielleicht die besten Chancen, sie tatsächlich unter Druck zu setzen, aber die Stürmer und das Mittelfeld müssten nahezu fehlerfrei agieren, um mögliche Pässe der drei Innenverteidigern ins Mittelfeld zu verhindern und gleichzeitig das Vorrücken per Dribbling der seitlichen Innenverteidiger zu unterbinden. Außerdem könnten schon einzelne Verlagerungen und verlorene Zweikämpfe mit Angriffen im eigenen Strafraum enden, da es sehr schwer sein wird, sich rechtzeitig wieder zu organisieren, um den Strafraum sauber zu verteidigen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man mit einem 4-Raute-2, einem engen 4-2-3-1 oder einem 4-3-2-1 das notwendige Glück verringern und auf seiner Seite haben könnte – vorausgesetzt, man ist in der Lage, potenziell das ganze Spiel über höchst intensiv zu laufen, zu sprinten und aus dem Zentrum heraus nach außen zu verteidigen. Es sei denn, City kombiniert sich durch die engen Räume oder nach minutenlangem Hin- und Herlaufen wird ein Spieler entweder müde, verliert die Geduld oder wird, wie man weiß, menschlicher als die von City und macht einen Fehler.

Also zurück zur Taktiktafel: Wenn der Gegner mit einer Fünferkette reagiert, wo die Halbverteidiger vorwärts verteidigen, um Mittelfeldspieler und Angreifer zu unterstützen, werden die Zehner von City noch mehr von der Seite aus kommen, sobald sie dies erkennen. Eine Alternative dazu gab es letztens zu sehen, wo zwei Stürmer die Halbverteidiger des Gegners gebunden hatten, um dies zu verhindern und dann flexibel – meist ballentfernt – sich im Rücken des gegnerischen Sechsers zu zeigen und wieder Überzahl im Zentrum zu schaffen.

Wenn die Flügelverteidiger stattdessen versuchen die Abläufe von City auf dem Flügel zu verteidigen, entscheidet sich City womöglich für eine Raute im Mittelfeldzentrum oder die Flügelspieler starten als alternative Lösung in die Tiefe, als wäre es nicht schon unmöglich genug für die gegnerischen Flügelverteidiger, die Dribblings Richtung Zentrum zu verteidigen, die Bernardo Silva (mit links) und Gündogan oder de Bruyne (mit rechts) von außen starten, und sie dazu zwingen, flexibel mitzugehen oder ihre Position komplett aufzugeben. Allerdings hat man gegen letzteres mit der nominellen Fünferkette zumindest ausreichend Breitenstaffelung, um dies zu kompensieren.

In dieser Situation bleibt die Überzahlbildung im Zentrum bestehen, weil der Mittelstürmer sich sofort (oder sonst überraschend und im letztmöglichen Moment) fallen lässt, sobald der Mittelfeldspieler außen den Ball erhält. Je nachdem, wo zentrale Mittelfeldspieler des Gegners sich befinden, lässt er sich entweder auf der ballfernen oder der ballnahen Seite fallen, was regelmäßig von Läufen in die Tiefe komplementiert wird (entweder von den Flügelstürmern oder eben den zentralen Mittelfeldspielern). Gegen Evertons 5-3-2 kam vor ein paar Tagen ein 3-1-4-2 zum Einsatz, in dem beide Stürmer variabel die gegnerischen Innenverteidiger in vorderster Front binden können. So wird proaktives Verteidigen unterbunden, wenn die zentralen Mittelfeldspieler des Gegners das Zentrum eng machen oder alternativ besagte Stürmer sich fallen lassen, um die breiter aufgestellten Gegenspieler auszuspielen, die durch die breiteren Zehner ohnehin auseinander gezogen werden und auf größerem Raum verteidigen müssen.

Eine Fünferkette kann trotz allem besonders dann gut funktionieren, wenn die schnellen, konstant wechselnden Deckungsaufgaben gut ausgeführt werden oder wenn ein Team sich von der eigenen Raumaufteilung nicht dogmatisch blenden lässt und stattdessen in der passenden Situation in Manndeckung verbleibt. Als Beispiel darf hier Atalanta Bergamo dienen, bei denen die Innenverteidiger bei Bedarf weit außen agieren und hoch pressen und gelegentlich sogar die gegnerischen Außenverteidiger unter Druck setzen, während der eigene Flügelverteidiger hinten bleibt und höheren gegnerischen Flügelspielern beschäftigt sind.

In den wenigen Fällen, in denen entweder die grundsätzliche Flexibilität gegeben ist oder aber die die Qualität der Spieler eine solche Flexibilität unnötig macht, kann also eine Fünferkette eine sinnvolle Herangehensweise sein. Ein 3-4-2-1 / 5-2-3 kann – wie besprochen – dazu führen, dass schnell durch die Lücken im Zentrum gespielt wird, während ein 3-3-2-2 / 5-3-2 so lange zurechtgespielt und durchbewegt wird, bis sich durch die kontinuierlichen Bewegungen des Stürmers Lücken wie von selbst auftun. Ein asymmetrischer Mix aus beiden Varianten lieferte zumindest für West Ham zuletzt eine sehr gute Leistung.

Ein 5-4-1 stellt sich in der Regel als zu passiv heraus, besonders aufgrund des starken Andribbelns von City gegen diese Formation. Eventuell taugt es aber immerhin trotzdem dazu, um ein Unentschieden zu provozieren. Das aktivste Fünferkettensystem, ein 3-4-1-2 / 5-2-1-2, scheint schlicht schwer umsetzbar.

So ist also eine Fünferkette – bei passendem Spielermaterial – eventuell spannend, auch wenn die Chancen, komplett ausgespielt zu werden oder in Passivität zu erstarren, recht hoch sind. Verglichen mit einer Viererkette ist diese Variante für die meisten Mannschaften zwar schwerer selbst auf Topniveau zu spielen, aber bei passendem Personal scheint sie recht gut zu funktionieren und insgesamt stabiler zu sein. Auf dem Papier bietet sich eine eher ungewöhnliche Variante als theoretisch beste an: Eine tatsächliche Dreierkette scheint vielversprechend zu sein, auch wenn sie ausgesprochen anfällig gegen die Läufe in die Tiefe sein könnte, welche Citys Mittelfeldspieler und Flügelstürmer so gerne praktizieren.

Um das vernünftig zu lösen, bietet sich mit einem 3-3-3-1 eine high-risk-high-reward-Variante an, bei der die erste Verteidigungslinie sehr breit aufgestellt ist, während die folgenden beiden Dreierketten sehr eng stehen, um das Zentrum zu verdichten. Bei dieser Herangehensweise würden die beiden Flügel eigentlich wie enge Zehner in den Halbräumen agieren und die einfachen Passwege zu den zentralen Mittelfeldspielern zustellen, um von dort aus die seitlichen Innenverteidiger pressen, während sie gleichzeitig die Mittelfeldspieler per Deckungsschatten abdecken. Anderes formuliert: So wie ManUtds 4-2-3-1, aber mit einem Innenverteidiger weniger und einem Sechser, der das Loch zwischen den beiden breiten, mannorientierten Sechsern auffüllen kann.

Um zu verhindern, dass diese Strukturen über den dritten Mann erreicht werden und City von dort aus zielstrebig in die Spitze spielen kann, sollte der nominelle Zehner bzw. zweite Stürmer im 3-3-3-1 sich immer zwischen den beiden hinteren Mittelfeldspieler von City aufhalten (also den Sechsern im Trapezmittelfeld, der sich wie erwähnt aus der Variante mit einem einrückenden Außenverteidiger ergibt) und sich zum richtigen Zeitpunkt in Richtung des ballnahen Sechsers orientieren, um diesen bei Anspielen zu pressen. Anstatt den Außenverteidigern fällt in dieser Variante also den beiden zentralen Mittelfeldspielern die Aufgabe zu, variabel die gegen die Flexibilität (hauptsächlich in Form ihrer Mittelfeldspieler) von ManCity zu verteidigen.

Eine ganz ähnliche Herangehensweise wie in der Linie direkt vor ihm, verfolgt dabei der zentrale Spieler dazwischen, der beide Mitspieler neben ihm absichert, das Zentrum dazwischen kontrolliert und sich entweder in die Kette fallen lässt und Läufe in die Tiefe verfolgt oder Citys entgegenkommenden Mittelstürmer in seiner Zone manndeckend aufnimmt. Der einsame Mittelstürmer ganz vorne in diesem System würde hauptsächlich den zweiten Stürmer unterstützen, von den Sechsern weg Rückpasse auf den zentralen Innenverteidiger Citys pressen oder Lücken im Mittelfeld schließen, um von dort aus wieder Rückpässe zu verteidigen und Anspielstationen für die erneute Zirkulation zuzustellen (hier eben vor allem den zentralen Innenverteidiger in Citys Dreierkette, weniger die seitlichen). Eigentlich ist es ein Retrosystem: Ein Libero, zwei Manndecker auf den Seiten, ein Vorstopper auf der Sechs, wieder zwei Manndecker auf den Seiten, dann drei enge Zehner und ein Mittelstürmer, der als Bezugspunkt dient.

Schlussendlich bleibt aber jede theoretische Lösung mit massiven Fragezeichen behaftet, gerade wenn es um ihre jeweilige Umsetzbarkeit geht. Es ist nicht nur eine Frage von Taktik und Umsetzung (gerade letzteres wirkt geradezu über 90 Minuten unmöglich), sondern auch der körperlichen Fitness. Können die Spieler diesse Pensum über 90 und mehr Minuten fehlerfrei und intensiv bringen?

Je höher man presst, desto mehr wird die schiere Erschöpfung zu Citys Joker. Mannschaften wie Southampton, Liverpool oder Chelsea erwischten samt und sonders einen guten Start, gingen aber in der zweiten Halbzeit unter. Dennoch sollte man deswegen nicht von einem höheren Pressing absehen. Von den Ergebnissen in diesen Partien abgesehen springt einem die Ermüdung bei tieferem Verteidigen oftmals nur weniger auffällig ins Auge und kostet nur mit großem Fragezeichen versehen unter Umständen weniger Kraft, bringt aber am Ende nicht den Ertrag des hohen Pressings: Den Ruhepausen, dem eigenen Ballbesitz, den möglichen Torchancen. Tieferstehend hat man dazua kaum eine Möglichkeit, denn dies ist der zermürbendste Faktor von Citys Positionsspiel, nämlich das Gegenpressing und Restverteidigung, die solche Ruhepausen verhindern.

Wenn sich allerdings Mannschaften entschließen, tiefer zu verteidigen, ergibt sich also umso weniger Zeit und Raum, um umzuschalten, selbst wenn sich dafür größere Räume im Rücken von Citys Abwehr öffnen würden. Dafür steht City meistens zu klar mit einem klaren Absicherer hinter mehreren Manndeckern in der Konterabsicherung. Crystal Palace fuhr mit seinem 4-5-1 zwar gut, fing sich aber trotzdem vier Gegentore ein (allerdings nach Standardsituationen) und konnte nur wenige Balleroberungen, Ballbesitz oder erfolgreiche Konter in der gegnerischen Hälfte verzeichnen.

Die Schwierigkeit liegt letztlich erst in zweiter Linie darin, dass eine systemische Lösung konstant funktionieren sollte; zuerst muss man einfach gut genug sein, um mithalten zu können. Gut genug um gegen eine Mannschaft zu bestehen, die von allem losgelöst aus herausragenden Einzelspielern besteht und im laufenden Spiel auch immer (högschd!) flexibel gecoacht wird. Durch die neue, in diesem Artikel ausführlich besprochene Struktur sind Anpassungen einfach und schneller möglich, ohne große Veränderungen an der Grundordnung vornehmen zu müssen. Alleine Walker kann wieder von seiner Position in der Innenverteidigung in Richtung Außenverteidiger schieben und viel ändern; oft gibt es aber auch nur Anpassungen in Hinblick auf Abstände, Bewegungsmuster oder Platzierung einzelner Spieler, die vorgenommen werden und damit mühsam entwickelte Ideen des Gegners zunichte machen.

Es mag beinahe trivial klingen, aber aber allein de Bruyne oder Silva außen im Mittelfeld aufzustellen, bedeutet schon einen gewaltigen Unterschied. Zinchenko anstatt Cancelo auf dem Feld, gibt dem Spiel einen ganz anderen Fokus. Stones oder Dias gegen Laporte zu tauschen, verändert den Rhythmus. Und unterschiedliche Typen als Mittelstürmer sind nur eine weitere Anpassung, die auf diesem Niveau riesige Auswirkungen hat. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob der Ball hinter dem gegnerischen Mittelfeld bei de Bruyne landet, der sofort nach vorne abspielt, bei Silva, der der mit dem Ball am Fuß die letzte gegnerische Linie überwindet, Jesus, der sich nach außen orientiert, oder Agüero, der immer auf den Strafraum fokussiert ist und sich mit Gegner im Rücken wohl fühlt. Vor allem aber, nachdem City im letzten Drittel eine ganz eigene Strategie verfolgt, immer mit dem gegnerischen Tor als Ziel ihrer Laufwege (anstatt der Ballkontrolle) und beinahe immer in der Lage, früher oder später in das gegnerische letzte Drittel und von dort gegnerischen Rückraum oder den Raum hinter der Abwehr mit viel Personal vorzustoßen, selbst wenn das Spielermaterial in einzelnen Spielen vielleicht nicht unbedingt ideal für eine perfekte Ballzirkulation ist.

Neue Fragen benötigt

Um diese kleine Brainstormingeinheit abzuschließen, kann man zusammenfassend sagen, dass Guardiola beide Seiten der selben Medaille gelöst hat: “Raum-Zeit”, wie es einige La-Masia-Absolventen (besonders und wiederkehrend al-Sadd Trainer Xavi) mittlerweile nennen. Das Konzept als solches ist recht geradlinig und weniger kompliziert, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Letztlich ist es die Voraussetzung für bestimmte Annahmen und Ideen des Positionsspielkonzepts und die Grundlage dafür, wie Fußball auf dem Platz eigentlich generell funktioniert.

Dieser ältere Spielverlagerungsartikel über die (klassischen) Prinzipien des Positionsspiels wurde bereits in diesem Beitrag erwähnt, daher soll hier nur kurz auf das “Raum-Zeit”-Konzept in Bezug auf den Spielstil und den Erfolg von Manchester City in den letzten Monaten eingegangen werden. Bezüglich dieses “Raum-Zeit”-Konzepts gibt es einige einfache und objektive Annahmen, die gemacht werden.

Zuerst muss der Raum auf dem Spielfeld manipuliert werden und das geschieht über die Positionierungen jedes einzelnen Spielers der gesamten Mannschaft (ein Beispiel von Domagoj Kostanjsak hier). Begriffe wie Breite, Tiefe oder Staffelung zwischen den Spielern werden hauptsächlich verwendet, um diese Prinzipien zu erklären. Auf einer grundlegenden Ebene ist es noch einfacher zu erklären: Indem (Mit-)Spieler versuchen, eine Anspielstation zu sein, beeinflussen sie die Gegenspieler. Stehen die Spieler der angreifenden Mannschaft weder zu nah noch zu weit zu ihren Mitspielern (bestenfalls mit guten Winkeln zueinander) und zum Ball, wird der Gegner auseinandergezogen, während er versucht, diese zahlreichen Anspielstationen bzw. Passoptionen zu verteidigen. Dies öffnet wiederum Räume dazwischen.

Im Positionsspiel ist es von größter Wichtigkeit, einem Mitspieler nicht die Funktion zu nehmen, indem man zu nah an ihm steht. Steht man wiederum zu weit von ihm entfernt, hat er keine Verbindungen. Diese Balance ist wichtig. Das Gegenteil wird für die gegnerische Mannschaft beziehungsweise Gegenspieler in der Nähe probiert. Auf diese Weise hat die angreifende Mannschaft entweder viele kleinere Räume geöffnet oder gelegentlich einzelne größere Räume aufgezogen. In letzteren Fall sind die Passoptionen in ganz kleinen Öffnungen diejenigen, die den Raum für die Anspielstationen in den größeren Lücken freiziehen.

Sind diese Lücken mehr oder weniger gleich groß und gleichmäßig verteilt (z.B. bei Gegnern mit aktiver, guter Raumdeckung), wird man im Positionsspiel entweder versuchen, den Gegner dort anzulocken und dazu zu verleiten, einzelne Räume noch mehr zu schließen (indem man sie dort mit kurzen Pässen oder Dribblings ködert), um dann mit schneller Ballzirkulation in geöffnete Räume zu kommen, bevor sie wieder geschlossen werden – oder man sucht einen Spieler, der die Qualität hat, diese kleinen Öffnungen trotzdem zu nutzen (siehe: Messi, Lionel). Letzteres würde man in der Terminologie des Positionsspiels als “Qualitative Überlegenheit” bezeichnen, während das Anspielen eines freien Mannes, der viel Zeit zum Aufdrehen hat – also im Grunde ein 1v0 -, als “Positionelle Überlegenheit” kategorisieren würde. Oder, falls man auf Definitionsstreit steht, als positionelle Überlegenheit auf Mannschaftsebene, die durch gute kollektive Aktionen auf dem Feld in der Konsequenz zum “freien Mann” (hombre libero) führt.

“Der Grundgedanke des Positionsspiels ist, dass sich die Spieler den Ball auf engem Raum gegenseitig zuspielen, um dann zu einem weit offenen Mann zu passen.”

Juanma Lillo

Doch nicht nur die Mitspieler können Raum öffnen, indem sie versuchen eine Passoption zu werden, sondern auch Spieler für sich selbst – zum Beispiel über die typischen Flügelstürmerbewegungen, wo über kurzes Entgegenkommen offener Raum für darauffolgenden Tiefgang entsteht oder über kurzes Weggehen mehr Raum entsteht, um dann entgegenzukommen und den Ball zum Aufdrehen zu erhalten. Doch auch diese Einzelaktionen funktionieren nicht ohne Verbindungen (also verfügbare Mitspieler für eine Folgeaktion oder eine direkte Abschlussmöglichkeit). Ohne diese wird die gegnerische Mannschaft solche Aktionen durch die Einbeziehung von mehr Verteidigern recht gut verteidigen können. Daher kann eine numerische Überlegenheit (oder zumindest das Verhindern numerische Unterlegenheit) erforderlich sein, wenn die positionelle oder qualitative Überlegenheit nicht für eine direkte Folgeaktion zum Angriffsvortrag ausreicht.

Diese sogenannten “Überlegenheiten” der Seirul•lo’schen Barcelona-Schule (positionell, numerisch, individuell, dynamisch und sozio-affektiv, wobei die Zahl und Bezeichnung nach Publikation variiert) werden hauptsächlich durch Prinzipien der Positionierung im Raum des Spielfelds in Bezug auf den Gegenspieler und die Mitspieler kreiert. Guardiolas persönliche Interpretation bezüglich der Raumauf- und -einteilung scheint mit dieser 3-2-2-3-Basis abgeschlossen zu sein. In manchen Definitionen und Meinungen zum Positionsspiel werden oftmals starre Strukturen mit Vorgaben einer minimalen und/oder maximalen Anzahl von Spielern in einer vertikalen oder horizontalen Ebene angegeben.

Guardiola scheint mit diesen Prinzipien gebrochen zu haben und fokussiert mehr und mehr auf die Überlegenheiten beziehungsweise situativen Spieleraufgaben. So gibt es neben den bereits erwähnten Definitionen von Überlegenheiten auch Kategorisierungen für Räume in der Seirul•lo-Denkweise: den “Interventionsraum” am Ball, den Raum der “gegenseitigen Hilfe” für die Ballnähe und den “Kooperationsraum” für die Ballferne. Als Vergleich hierzulande könnten Individualtaktik, Gruppentaktik und Mannschaftstaktik in Wechselwirkung zum Gegner dienen. Die Logik dahinter ist eine Aufteilung unterschiedlich wichtiger Räume und Verbindungen beziehungsweise (Inter-)Aktionen innerhalb dieser Räume, die relevant sind. Durch diese Definition bewegt sich das Denken weg von starren Formationslinien (die auf dem Spielfeld selten so klar und sauber sind wie auf einer Taktiktafel) und hin zu Verbindungen von Mitspielern, Gegenspielern, ihren Möglichkeiten über Lauf, Pass- und Dribbelwege innerhalb der jeweiligen Spielphasen.

Auf Mannschaftsebene hat diese verbesserte und konstant optimierte Struktur eine sinnvolle Verteilung der Spieler ermöglicht, um diese Überlegenheiten und Interaktionen konstant sowie ohne zu viel Spielerbewegungen durchzuführen – stattdessen eben über mehr Ballbewegung, was Guardiola selbst als die größte Verbesserung benannt hat. Wenn der Gegner das Zentrum kontrolliert, kann City es räumen und über die offenen Seiten in die Mitte eindringen, sich mit dem MIttelstürmer in den frei gewordenen Raum fallen lassen, anstatt mit dem breiter stehenden zentralen Mittelfeldspieler nach innen zu rücken. So geben Gündogan oder Silva als jeweilige Pendants zueinander ihre jeweilige Kontrolle über Zentrum und Flügel aus dem Halbraum nie auf, sondern behalten ihre Qualitäten in diesen Räumen. Hierbei konzentriert sich also im Barcelona-Sprech die numerische Überlegenheit immer auf die Flügel, die positionelle oder dynamische Überlegenheit aber meist auf die Mitte – und im Idealfall gibt es eine qualitative Überlegenheit überall auf dem Feld.

Diese Manipulation des Raumes und das Schaffen verschiedener Arten von Überlegenheit, flexibel und abhängig von der gegnerischen Ausrichtung, durch das Auftreten als Einheit mit gemeinsamer Intention als Mannschaft ist dank Guardiolas neuer Struktur nahezu perfektioniert worden – zumindest im Sinne der Hypothese dieses Artikels. Die erste Antwort auf die “Raum-Zeit”-Frage ist gegeben; und sie ist wiederum stark mit dem zweiten Teil verbunden. Neben der Wichtigkeit in der Positionierung finden natürlich auch Bewegungen statt, um diese oder neue, bessere Staffelungen zu erreichen. Hier spielen Richtung und Geschwindigkeit eine Rolle, um von einer in eine andere Position zu kommen. Dies ist deutlich schwieriger zu konzeptualisieren als eine statische Struktur. Gleichermaßen ist im Coaching und in der Umsetzung auf dem Platz das Timing bzw. der Moment am schwierigsten zu erreichen, welcher diese Aspekte von Position mit Richtung und Geschwindigkeit verbindet.

Offensichtlich haben Spieler mit mehr Raum auch mehr Zeit. Die Zeit ist eine Konsequenz des Raumes und über mehr Zeit haben es die Spieler im Normalfall einfacher, die bestmögliche Lösung für eine gegebene Spielsituation zu finden (meistens jedenfalls). Wenn der erste Schritt eines Stürmers beim Einlaufen hinter die gegnerische Abwehr bereits ins Abseits führt, wird der Kontakt bzw. die passende Verbindung mit seinem Teamkollegen, der diesen Pass spielen soll, schwieriger sein, als wenn “mehr Schritte” als möglicher Zeitrahmen für die Kommunikation, Entscheidung und Ausführung dieser interaktion zur Verfügung stehen. Immerhin ist die Geschwindigkeit etwas anpassungsfähig, auch wenn sie nach oben hin begrenzt ist, während die Position mehr oder weniger das Gegenteil hiervon ist.

Spiegelbildlich dazu wird das Verteidigen für den Gegner schwieriger, wenn er mehr Raum kontrollieren oder abdecken muss und folglich weniger Zeit zum Verteidigen hat. Auch wenn die Zeit also hauptsächlich eine Konsequenz des Raums ist, können die Spieler dennoch beides beeinflussen. Defensiv sind Pressingfallen ein Beispiel dafür. Das Timing ist wie schon erwähnt das, was die räumlichen Aspekte zwischen den Spielern und der (Inter-)Aktionen verbindet.

“Positionsspiel besteht nicht aus einem horizontalen Passspiel, sondern aus etwas viel Schwierigerem: Es besteht darin, hinter jeder Pressinglinie Überlegenheiten zu schaffen. Das kann mehr oder weniger schnell, mehr oder weniger vertikal, mehr oder weniger gruppiert geschehen, aber das Einzige, was immer beibehalten werden sollte, ist das Streben nach Überlegenheit. Oder anders ausgedrückt: Freie Spieler zwischen den Linien schaffen.“

Marti Perarnau

Die Manipulation des Raumes ist relativ einfach und, so die These dieses Artikels, auf Mannschaftsebene von Guardiola mit dieser Struktur perfektioniert worden. Die Manipulation der Zeit ist eher schwierig zu analysieren, zu beschreiben und zu trainieren, auch wenn manche Beispiele ziemlich klar und deutlich sein können. Ein oft genanntes Beispiel ist das “La Pausa”-Konzept von La Masia, das in vielen verschiedenen Situationen sichtbar werden kann.

Letztlich muss diese Manipulation von Zeit einer Absicht folgen, eine Intention haben; zum Beispiel eine Situation, wo eine möglichst schnelle Spielverlagerung der einzige Weg ist, um eine Lösung auf der anderen Spielfeldseite aufrechtzuerhalten oder wo eine kurze Pause einem Mitspieler Zeit gibt, sich vor der Ballannahme zu drehen, eine bessere Position zu finden oder eine bessere Anspielstation zu öffnen, indem man den Gegenspieler weglockt. Das Besondere ist, dass jeder Spieler bei ManCity zu verstehen scheint, dass nicht nur seine Position und Richtung ihm Raum und Zeit für sich und die anderen geben, sondern der Prozess seiner Aktionen und der daraus resultierenden physischen Umsetzung (sprich: Bewegung) die Zeit auf dem Spielfeld durch Timing und Geschwindigkeit manipuliert.

Spielt eine Mannschaft konstant im gleichen Rhythmus, egal, wie der aussieht, kann der Gegner diesen kopieren und verteidigen. Stoppt, verlangsamt und beschleunigt eine Mannschaft ihr Spiel, wird der Gegner dies nicht einfach voraussehen können und dann verspätet, überrascht und somit schlechter aus einer anderen Position (nach-)beschleunigen müssen. Bei gleichem Tempo wäre der Gegner bereits beschleunigt und könnte z.B. Läufe leichter aufnehmen. Ein ziemlich einfaches Beispiel gibt es im Spielaufbau.

Im Gegensatz zu den meisten Mannschaften wird man die Aufbauspieler von Manchester City seltener dabei beobachten können, wie sie den Raum durch schnelles Übergehen von Mitspielern seitlich überwinden. Der gelegentliche Diagonalball in die letzte Linie für ein 1v1 von Sterling, Mahrez oder Foden wird zwar gesucht, aber die meisten Verlagerungen und Zirkulationen kommen mit einzelnen, einfachen Pässen vor dem vertikalen Vortrag. Bevor dies geschieht, wird der Gegner ausgebremst und fixiert, meist auf einer Seite. Dies geschieht nicht nur positionell, sondern auch über das Timing. Citys Innenverteidiger stoppen den Ball, suchen nicht lange nach Mitspielern, aber dribbeln bewusst langsam, halten Ausschau und wollen den Gegner nicht tatsächlich überspielen, sondern erst den Raum für eine bessere Progression generieren.

Wie oft sieht man stattdessen bei vielen Mannschaften, dass die Innenverteidiger kaum nach vorne andribbeln, wodurch es nicht gelingt, einen Vorteil und kurze Passwege zu schaffen? Aber noch häufiger, zumindest heutzutage in den Top-Ligen, sieht man Innenverteidiger, die gegen eine noch im Tempo sauber verschiebende Mannschaften im Tempo andribbeln anstatt womöglich noch einmal abzubrechen, mit einem kurzen Dribbling die Geduld des gegnerischen Stürmers zu prüfen, sie herauszuziehen und Raum zu öffnen, bevor die Zirkulation auf die andere Seite eine klare Progression später ermöglicht. Diese Ideen beziehen sich auf die Überlegenheiten, die als “dynamische” oder “sozio-affektive” bezeichnet werden. Um diese Überlegenheiten speziell auszuführen, ist es wichtig, die gleiche Sprache zu sprechen und idealerweise eine Sprache, die der Gegner nicht verstehen oder Muster, die er nicht verhindern kann.

Nach Bielsa gibt es beispielsweise 36 verschiedene Möglichkeiten über einen Pass zu kommunizieren – und es ist nicht ungewöhnlich, Ähnliches von Absolventen oder Trainern der Barcelona-Akademie zu hören oder lesen. Einfach gesagt: Ein sehr schneller Pass in den Fuß hat eine andere Bedeutung als ein sehr langsamer Pass in den Raum. Auch das bezieht sich auf die Aspekte von “Raum-Zeit” auf prinzipieller Ebene und für individuelle (Inter-)Aktionen. Es ist aber auch wichtig für Muster und auf mannschaftlicher Ebene. Wenn zum Beispiel der Druck hoch ist und die Pässe schnell, bleibt weniger Zeit zum Freilaufen, um in Positionen zu kommen und Spielzüge zu beginnen. Wenn ein Spieler mehr Raum und somit Zeit hat, haben die Mitspieler meistens weniger. Nimmt er sich diese Zeit, über ein Dribbling oder eine Pause, sollte nach dem Pass der nächste Spieler normalerweise mehr Zeit haben. Um “Wenn-Dann”-Spielzüge bzw. -Muster richtig spielen zu können, führen bestimmte Pässe zu einer bestimmten Situation und Möglichkeit. Ein liegender, ruhender Ball, ohne Gegnerdruck oder Ballbewegung, erzwingt keine Veränderung der Situation. Ein Dribbling oder Ballbewegung schon, auch wenn in vielen Teams die Mitspieler kaum darauf reagieren. Ein Pass ändert die Situation immer und noch klarer; und je weiter er unterwegs ist, desto mehr bzw. stärker.

„Positionsspiel ist ein Modell eines konstruierten Spiels, es ist überlegt, durchdacht, studiert und bis ins Detail ausgearbeitet. Die Interpreten dieser Spielweise kennen die verschiedenen Möglichkeiten, die während des Spiels auftreten können und auch, welche Rollen sie zu jeder Zeit einnehmen sollten. Natürlich gibt es bessere und schlechtere Interpretationen. Es gibt auch Spieler, die es nie schaffen, sich an diese Spielweise anzupassen, aber trotzdem sensationelle Spieler sind und es dennoch schaffen, viele Stärken für die Mannschaft einzubringen. Aber im Allgemeinen müssen die Interpreten dieser Spielweise den Katalog der Bewegungen, die ausgeführt werden müssen, genau kennen. Wie bei jedem Musikstück gibt es bei ein und derselben Partitur viele verschiedene Interpretationen: schneller, langsamer, harmonischer, … mehr oder weniger eine konkrete Interpretation, die einem gefällt, aber was auf jeden Fall beibehalten werden sollte, ist, dass die Melodie dem Original ähnlich ist. Positionsspiel ist eine Partitur, die jede Mannschaft in ihrem eigenen Tempo ausübt, aber es ist wichtig, hinter jeder Linie des gegnerischen Druck Überlegenheit zu erzeugen.“

Marti Perarnau

Positionsspiel wird also oft als Choreographie beschrieben und es scheint, dass jeder Pass ein Auslöser für einen bestimmten Teil der Choreographie ist; abhängig von der gegnerischen Situation (besteht die Gefahr den Ball zu verlieren oder nicht?), der eigenen Situation (besteht die Chance mit guten, weiteren Verbindungen sofort vorwärts zu kommen?) oder anderen Aspekten. Ein Pass aus dem Zentrum auf den Flügel führt bei manchen Mannschaften zu wenig, zu viel und/oder zu zufälliger Bewegung. Bei Guardiolas Mannschaften scheint es für jeden Pass eine ziemlich klare Reihe von möglichen Interaktionen oder Mustern zu geben (ähnlich dem, was viele gut koordinierte Pressingmannschaften tun, wenn sie versuchen, den Ball zu erobern; vor allem, wenn sie vom ersten Pass des Torhüters an Druck zu machen).

Auf der anderen Seite bedeutet dies wiederum, dass sich das Abwehrspiel ändern muss, um Guardiola (verdient) besiegen zu können; die räumlichen Strukturen müssen Manchester City zu anderen Lösungen zwingen oder ihnen die Effektivität nehmen, wobei die Zeitkomponente entweder ihren Rhythmus durch ständiges, maximales Pressing zerstört oder ihren Rhythmus adäquat kontert und ihnen die Optionen nimmt, bevor sie da sind. Letzteres scheint allerdings schwieriger zu sein, als selbst wie eine Guardiola-Mannschaft auftreten zu wollen. Hierbei sollte allerdings nicht vergessen werden, wie gut diese Mannschaft nicht nur gecoacht, sondern auch zusammengestellt ist.

Diese Struktur mit asymmetrischen Außenverteidigern zu schaffen, während man mit unterschiedlichen Viererketten verteidigt, gibt ihnen eine eigene Form von Dynamik durch diese Rotation und natürlich einen phänomenalen Verteidiger mit Walker und einen extrem pressingresistenten Mittelfeldspieler mit Cancelo. Brighton Hove Albion versuchte eine ähnliche Staffelung aus ihrer 3-4-1-2-Defensivformation herzustellen, aus derer sich die Flügelverteidiger nach innen bewegten (gegen ein 4-Raute-2) und die Mittelstürmer in Ballbesitz weit auffächerten. Abgesehen von der fehlenden individuellen Qualität ist es dennoch nicht dasselbe wie bei City.

Fazit: Wenn Guardiola sich nicht selbst schlägt oder seine Spieler wieder schlechter schlafen (oder sie einfach weniger sauber spielen, wie es in den letzten Spielen phasenweise schon der Fall war), scheint es wenig Lösungen für Guardiolas neues Rätsel zu geben, auch wenn es, wie zu erwarten, einige rätselhafte geben könnte. Am Ende wird es für Guardiola, seinen Stab und seine Spieler am wichtigsten sein, so weiter zu spielen; die Positionen, die Bewegung und den Schlaf diszipliniert und konstant durchzuziehen; einige (vergleichsweise) schwächere Spiele gab es ja zuletzt schon.

Macht’s gut, und Danke für die Siege!

„Primer és saber què fer.
Després, saber com fer-ho!
Zuerst muss man wissen, was zu tun ist.
Dann muss man wissen, wie man es macht. „

Die Geschichte des Fußballs ist gepflastert mit Hunderten von taktischen Erfindungen, Tausenden von Variationen unterschiedlicher Muster und einer Unzahl von Anpassungen, die sich gegenseitig bekämpfen, wobei sich einige Ideen durchsetzen, andere in einem sich wiederholenden Zyklus als Paradigmen abwechseln und einige wenige zu notwendigen Standards im Fußball werden. Guardiola hat diesen angesammelten Defensivkonzepten von heute den Kampf angesagt und das Abwehrspiel in seiner aktuellen Ausprägung zerstört. Über die Jahre scheint er Ergänzungen und Hierarchien zwischen seinen Prinzipien gefunden zu haben. Es scheint eine klare Logik dafür zu geben, wann wer auf welcher Position ist und wann man in eine Bewegung kommt, welche Details wichtig sind und wie man sie trainiert. Wie im Leben ist es die Erfahrung, die uns lehrt, welche Prinzipien Vorrang vor anderen haben; als bloße Worte auf Papier klingen sie alle gleich überzeugend. Diese Erfahrung scheint zu einem Schlusspunkt geführt zu haben.

In den meisten Sportarten führen alle zehn bis fünfundzwanzig Jahre besondere Spieler, Teams oder Denker zu Revolutionen im Spiel. Jordan veränderte die NBA ebenso wie die Golden State Warriors (oder gar Daryl Morey). Andere wurden sogar durch Regeländerungen daran gehindert, was im Fußball zum Glück nicht üblich ist (obwohl man bei Standardsituationen und Abwehrpressing im 5-3-2 darüber nachdenken sollte). Jedenfalls scheint es zu spät dafür. Das Spiel wäre nach Guardiola nicht mehr dasselbe gewesen, auch nicht nach möglichen Regeländerungen. Jetzt muss die Konkurrenz auf Guardiola reagieren und sich selbst verändern. Der Krieg ist verloren, beginne einen neuen, sozusagen. Aber Vorsicht, das folgende Zitat von Guardiola zeigt schon, dass er ohne akut dringliche Fragen nach Antworten sucht, vom hypermodernen Positionsspiel auf dem Weg zu AlphaPeppio (kein Spaß: schaut mal Partien von AlphaZero durch) zu sein scheint, noch bevor die anderen aufgeholt haben:

Ich glaube, dass die Evolution des Fußballs eintreten wird, sobald der Torhüter in das Offensivspiel einbezogen wird. Ich glaube, dass wir diese Spieler entwickeln müssen. Die Aufbauphase ist einfach: Für mich als Trainer, je mehr Spieler näher zum Ball kommen, desto einfacher. Aber dann, wenn man die ersten Linien durchbrochen hat, hat man diese Spieler nicht mehr vorne, um eine Überlegenheit zu schaffen. Ich meine, wenn man hier den Ball hat, ist das Ziel, die Überlegenheit in den vorderen Zonen zu bekommen, um dem Gegner zu schaden. Wenn man alle Spieler näher heranbringt, ist das ok, aber dann kann man dem Gegner vorne nicht mehr schaden. Sie haben den Ball dann in der Anfangsphase, sobald Ihr Mittelfeldspieler den Ball erhält, kann er mit dem 10er, den Flügelspielern, den Außenverteidigern einen Vorteil haben, um dort zu schaden. Wenn man diesen Schaden aufrechterhalten möchte, ohne vorderen Spieler nach hinten zu holen, muss der Torwart helfen und erlauben, dass dies geschieht. Aber, natürlich, muss er die Fähigkeiten haben, und sich bewusst sein, dass der Torwart in den ersten Aktionen helfen kann, aber nicht immer als Innenverteidiger benötigt ist. Denn wenn du den Ball verlierst, können die anderen vom Mittelfeld aus ein Tor schießen. Man kann die erste Aktion mit ihm machen, die zweite, aber dann muss der Torwart wieder auf seine Position kommen. Ich glaube, dass der Trainer, der den Mut hat, dies zu entwickeln, derjenige sein wird, der auf engem Raum besser angreifen kann.

Die stilistische Einteilung von Fußballideen in „proaktiv-aktiv-reaktiv-passiv“ wurde auf dieser Webseite schon mal erwähnt, auch in Bezug auf eine klare Interpretation des Positionsspiels. Es wird interessant sein, ob es neben der verstärkten Nutzung des Torhüters noch weitere, noch (pro-)aktivere Möglichkeiten gibt, um die jetzigen oder die neuen Fragen, die gegnerische Defensiven früher oder später aufwerfen werden, besser zu beantworten. Rotationen, bewusste numerische Unterlegenheit oder Asymmetrien könnten interessant werden.

Dieser Artikel war ein Gemeinschaftsprojekt von mehreren Autoren und Addis Worku auf der englischen Version von Spielverlagerung. Danke an die Guardiola-Enthusiasten @Melkor91 und Max Senner für die freiwillige und zügige Übersetzung des Artikels. Gute Artikel über ManCity von Ahmed Walid – anhand der Gladbach-Spiele – sind hier und hier zu finden.

Spielverlagerung Academy: Analyse und Coaching (und wieso es das gleiche ist)

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Weil jeder Trainer und Fußballbegeisterte die Sommerpause natürlich konstruktiv nutzen möchte, bietet Spielverlagerung in den kommenden Wochen Online-Seminare an. Alle Details und Termine.


In unserem neuen Projekt „Spielverlagerung Academy“ wollen wir direkt mit Trainern und Taktikinteressierten in Kontakt kommen und Inhalte persönlich vermitteln und diskutieren.

In der ersten Ausgabe wird es weniger um konkrete taktische Zusammenhänge und handwerkliche Details gehen, sondern wir wollen einen größeren Rahmen vermitteln: Was hat Coaching mit Analyse zu tun? (Spoiler: Alles.) Wie analysiert man Fußball? Wie entwickelt man sich als Trainer weiter? Wie entwickelt man ein Spielmodell mit sinnvollen Prinzipien?

Sneak Peak

Um die Nachfrage zu überprüfen, bieten wir direkt je drei Termine auf Deutsch und auf Englisch an. Der erste wird bereits diesen Samstag stattfinden. (Falls du interessiert bist, aber an keinem Termin Zeit hast, freuen wir uns über einen Kommentar oder eine Mail.) Jeder der Termine ist begrenzt auf 20 Teilnehmer.

Zudem wird es einen zusätzlichen Termin mit leicht abgewandelten Inhalten geben: Zielgruppe dort sind ausdrücklich nicht aktive Trainer, sondern alle anderen. (Natürlich dürfen sich auch nicht-Trainer gerne bei den „normalen“ Terminen anmelden.)

Inhalt und Ablauf:

Das Seminar wird in drei Teilen zu je einer Stunde in Zoom-Meetings stattfinden. Anschließend und abschließend wird es die Möglichkeit zur Diskussion und zum Gespräch geben, open end.

Die Gesamtdauer wird cirka 4 Stunden betragen (mit Pausen).

  • Teil 1: Von der Analyse zum Coaching
  • Teil 2: Drei Ansätze der Taktikanalyse
  • Teil 3: Konzepte und Prinzipien
  • Abschluss: Diskussion und Q&A

Im ersten Teil wird es darum gehen, inwiefern Coaching auf Analyse basiert. Im zweiten Teil stellen wir drei Ansätze vor, um aus Trainerperspektive ein Spiel bzw. eine Mannschaft zu analysieren. Im finalen Teil gibt es eine allgemeine Diskussion darüber, wie man Fußball (für sich) systematisieren sollte: Wie entwickelt man (gute) Prinzipien, was für Konzepte machen Sinn und was sind häufige Fehler dabei?

Im Abschlussteil sollen einerseits die Teilnehmer ihre Gedanken vortragen und miteinander diskutieren, außerdem gibt es Raum für Kritik und Fragen (zu den präsentierten, aber auch anderen Themen).

Vortragender:

Martin Rafelt ist seit 2011 Autor bei Spielverlagerung, hat mal ein Buch über Jürgen Klopp veröffentlicht, schreibt freiberuflich unter Anderem für den Spiegel, hat Gegneranalyse für Thomas Tuchel gemacht und war drei Jahre lang Co-Trainer bei Hajduk Split (ein Jahr U19, zwei Jahre Hajduk B) sowie Chefanalyst der Hajduk Academy.

Außerdem war er als Redner bereits u.A. beim belgischen und beim niederländischen Fußballverband aktiv, arbeitet mit Fußballprofis in individueller Analyse und als Berater für Vereine. War außerdem Teil unseres Phrasendrescher-Podcasts. Bei Spox und Transfermarkt kann man Interviews lesen.

Termine:

auf Deutsch:
18.06. (Samstag), ab 16 Uhr
08.07. (Freitag), ab 19 Uhr
17.07 (Sonntag), ab 10 Uhr

Zusatztermin für Nicht-Trainer:
30.07. (Samstag), ab 19 Uhr

in English:
July 10th (Sunday), from 15:00 GMT
July 16th (Saturday), from 10:00 GMT
July 29th (Friday), from 19:00 GMT

Alle Termine sind auf 20 Teilnehmer begrenzt.

Kosten und Anmeldung:

Die Kosten betragen 30€ pro Person. Inbegriffen sind die Teilnahme am vierstündigen Seminar, der offenen Diskussionsrunde danach und ein digitales Teilnahmezertifikat.

Zur Anmeldung reicht eine formlose Mail mit Name und gewünschtem Termin an MR@Spielverlagerung.de.
Gerne mehrere mögliche Termine nennen, damit wir die Teilnehmerzahl ausgeglichen halten können.

Wer das möchte, kann sich in der Mail gerne noch selber kurz vorstellen und/oder Themen oder Fragestellungen nennen, an denen Interesse besteht. Wir möchten nicht nur präsentieren, sondern auch in den Austausch kommen.

Die weitere Kommunikation erfolgt dann via Mail.

Wir freuen uns auf euer Interesse!

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