Quantcast
Viewing all 90 articles
Browse latest View live

Taktische Mittel gegen die falsche Neun

Das Konzept der falschen Neun gilt im modernen Fußball als enorm schwer zu verteidigen. Der Gegner kann Überzahl im Mittelfeld herstellen, reißt die Kette auseinander und öffnet somit Löcher für seine Mitspieler. Außerdem erhöht er den Ballbesitz und in indirekter Folge die Möglichkeit des Herausspielens von qualitativen Chancen sowie geringerer Gefahr durch Konter aufgrund der möglichen Distanz des Gegners zum eigenen Tor.

Sich selbst bringt er mit Dynamik und somit einem Vorteil gegenüber den Verteidigern in die nötigen Zielräume der Abwehr, was die Torgefahr erhöht. Desweiteren kann er sich flexibel an die Passmuster seiner Mannschaft und die Löcher in der gegnerischen Formation anpassen. Die Positionierung in der Offensive ist somit „richtiger“ und kann individuell problemlos angepasst werden.

Diese Faktoren machen die falsche Neun bei richtiger Umsetzung sehr gefährlich. Insbesondere bei der weitgehend gängigen Spielweise der mannorientierten Raumdeckung und des starren Kettenspiels der Abwehrreihe ist es fatal, wie beispielsweise das 5:0 Barcelonas gegen Real Madrid 2010 eindrucksvoll beweis. Darum sollte man aus einer taktiktheoretischen Perspektive verschiedene Lösungsansätze diskutieren, welche zur Neutralisation genutzt werden könnten.

Raumorientierte Manndeckung

Eine Möglichkeit wäre es, die Kette und das Spiel mit der Raumdeckung zu verändern. Die Kette würde dann je nach Szenario aus drei eher zentralen Akteuren bestehen, welche den Raum verdichten. Die Seiten  werden je nach Überlegung von höheren Spielern, also den Flügelverteidigern oder Außenstürmern, besetzt oder gar verwaisen lassen. Durch drei zentrale Spieler ist der Raum geringer, man steht kompakter und kann die falsche Neun stärker in die Mangel nehmen sowie flexibel Zugriff auf sie erhalten. Insbesondere der zentrale Spieler kann sich nach vorne bewegen und sie nach vorne verfolgen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

hier ein Beispiel, wie man gegen die falsche Neun (personifiziert durch eine symmetrisierte Aufstellung Barcelonas mit Messi) mit wechselnden Manndeckern vorgehen könnte. Der Manndecker wechselt je nach Zone, das Mittelfeld kann ähnliches bei der gegnerischen Doppelacht betreiben. Die dargelegte Variante ist natürlich sehr defensiv, am Grundprinzip ändert es nichts – es kann auch mit zwei Innenverteidiger oder nur zwei Sechsern oder beidem gespielt werden mit daraus resultierender höherer Offenheit

Eine Alternative wäre es, wenn die falsche Neun auch nur in einer bestimmten Zone von dem dazugehörigen Spieler manngedeckt werden würde. Bewegt sie sich aus der Zone heraus, dann wird Übergeben. Allerdings ist dies riskant, da es nur geringen Schutz vor dem Überladen bietet und der Moment der Übergabe von anderen Spielern genutzt werden könnte. Jedoch ist das Grundprinzip gut und kann in Kombination mit einer flexiblen Raumaufteilung des Kollektivs funktionieren. So wäre es eine Idee, dass sich das Mittelfeld tiefer stellt, wenn die falsche Neun ins Mittelfeld zurückgeht. Der Raum zwischen den Linien wird verringert, die raumorientierte Manndeckung kann nun von den Mittelfeldspielern mit zusätzlicher Absicherung übernommen werden. Ganz nach dem Prinzip der Absicherung wäre die nächste Variante.

Rückkehr zum Libero

Den (vermeintlich) modernen Trend der falschen Neun lässt sich womöglich auch mit der Rückkehr zu einem freien und vertikal hinter der Kette verschobenen Mann in der Defensive entgegen wirken. Beispielsweise könnte eine Viererkette mit zusätzlicher Absicherung dahinter oder ein Manndecker in einer Dreierkette mit zusätzlichem Libero gespielt werden. Die Mannschaft könnte dann aggressiv herausrücken und pressen, während der Ausputzer absichernd agiert und die von der falschen Neun geöffneten Räume sichert.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

hier sieht man die jeweiligen Systeme mit Libero, einmal mit 1-3-4-2 und einmal im 1-4-4-1. Der Kreis symbolisiert in diesem Fall den jeweiligen defensiven Aktionsradius

Allerdings gibt es bei dieser Variante viele Probleme. Der Libero bedeutet einen weiteren Mann in der Mittelfeld weniger und somit noch stärkere Unterzahl im Mittelfeld. Geht man jedoch von einer auf Konter angelegten Spielweise aus, dann wäre der Libero durchaus eine interessante Idee. Er kann das Spiel mitaufbauen und nach unterbrochenen Angriffen sofort Konter initiieren, bei denen er im Normalfall mehr Zeit und Raum haben sollte, als ein klassischer Innenverteidiger oder Sechser. Womöglich könnte er gar eine Hybridrolle übernehmen, in welcher er nicht durchgehend als Stopper agiert, sondern sich selbst in die Kette einordnet und einen Spieler daraus befreit. Dieser würde dann eine flexible Deckung auf die falsche Neun übernehmen und somit wäre das Problem des freien Spielers und der Unterzahl in der Mitte zumindest in Ansätzen beseitigt.

Eine weitere Möglichkeit wäre ein “Mittelfeldlibero”, beispielsweise eine Art freier Mann in einem 4-1-4-1-System. Dieser kann dann bei Bedarf ein besonders Augenmerk auf die tiefe spielmachende Neun legen, ansonsten aber als klassischer Staubsauger und Defensivorganisator vor der Viererkette agieren. Problematisch ist hier, dass er keine Absicherung hinter der Abwehr bietet und somit Lochpässe nicht aufhalten kann, außerdem durch eine eingespielte Mannschaft einfach entblößt werden kann. Die Halbräume werden durch das zusätzliche Band im Mittelfeld geöffnet, was gegen eine Mannschaft wie Barcelona oder eine falsche Neun wie Messi fatal sein kann.

Allerdings könnte man eine ähnliche Spielweise auch auf weniger komplexe Art und Weise haben.

Der Kettenhund

Generell wäre es eine Möglichkeit der gegnerischen falschen Neun schichtweg einen Sonderbewacher entgegen zu stellen. Die restliche Anordnung würde dann quasi auf Zehn gegen Zehn in der taktischen Planung und Analyse hinauslaufen, während der Manndecker die falsche Neun möglichst im Alleingang ausschalten soll. Die große Frage ist hierbei immer, wer dafür geopfert wird. Im Prinzip wird meistens aus der gängigen Formation ein Spieler aus dem Defensivverbund herausgerissen und soll eine Manndeckung übernehmen. Gegen Messi taten dies beispielsweise einmal Pepé als nomineller Sechser und ein anderes Mal Carvalho als Innenverteidiger. Sie lösten sich aus der Position in ihrer Grundformation heraus und spielten dann gegen Messi bei dessen Ballannahme.

Die Formation und Anordnung als solche blieb aber gleich. Eine Anpassung an das defensive 10-Mann-Spiel hätte jedoch dieses taktische Mittel noch interessanter gemacht. Man könnte beispielsweise ein 4-3-2 spielen, ein 4-4-1 oder ein 4-2-3, wie es Real in dieser Hinsicht tat. Eine isolierte Betrachtung der Formation mit ausgeblendeten Manndecker sowie der offensiven Phase mit ihm in der Formation ist dennoch unumgänglich. Dadurch wird es möglich, die Mannschaft besser anzupassen und mehrere Szenarien durchzuspielen, in welcher Probleme durch die falsche Neun aufgeworfen und Lösungen gefunden werden können.

Besitzt man nicht nur einen zweikampfstarken und bissigen Manndecker, sondern einen intelligenten Defensivspieler, kann der Kettenhund zum Abdrängen genutzt werden. Er verfolgt dann keine aggressive und oftmals riskante Spielweise, sondern soll die falsche Neun schlicht von ihren idealen Wegen abdrängen und dadurch das Spiel der gegnerischen Mannschaft nachhaltig schädigen. Indem er ihn in schwache Schusspositionen bringt oder von Mitspielern isoliert, verringert er die ausgehende Gefahr enorm.

Das passive Abwehrpressing

Eine kollektive – und umstrittene – Möglichkeit wäre es, die falsche Neun ohne explizite Zuteilung normal agieren zu lassen, allerdings in den resultierenden Zweikämpfen durch die Bank passiv zu agieren. Dies stellt einen Kompromiss dar, in welchem man niemanden opfert und die normale Formation wie Aufstellung spielen lassen kann. Aber dafür verändert sich das Zweikampfverhalten, was in gewisser Weise einer Art Schadensbegrenzung entspricht. Durch das passive Abwehrpressing soll der Laufweg des Gegners geleitet werden und sein Dribbling weniger erfolgreich gestaltet werden.

Ziel sollte es sein, dass der Gegner nur unter akut einsetzender Bedrängnis sowie aus ungünstigen Positionen abschließen kann. Indem man weder in den Zweikampf geht noch eine Grätsche ansetzt, kann die falsche Neun verfolgt und beim Abschluss behindert werden. Dies kann jedoch auch ins Auge gehen – es ist letztlich ein Tanz auf Messers Schneide, wie die Halbfinale von Chelsea in der vergangenen Saison (aber auch im Finale und unter Hiddink 2009) gezeigt haben. Sowohl Roberto di Matteo als auch Guus Hiddink verhängten in Ansätzen ein Grätschverbot, wiesen ihre Akteure zu Spielbewegungen an und verlangten sichere Defensivaktionen. Der Zweikampf sollte so lange hinausgezögert werden, bis er möglichst erfolgreich bestreitet werden kann.

Im Spiel gegen die falsche Neun ist dies besonders interessant, weil sie nicht nur viel von ihrer Wirkung verliert, sondern die gegnerische Mannschaft in ihrer eigenen Spielweise einsperrt. Sie verschieben den Ball dank ihrer Überzahl, werden aber von den gefährlichen Zonen isoliert und besitzen keine Sturmspitze als Ersatz. Dadurch entsteht quasi ein Spiel in Trance, in welcher die gleichen Bewegungen wiederholt werden, ohne dass Erfolgswahrscheinlichkeit steigt.

Isolation & Pressing

Die nächste kollektivtaktische Idee ist das Versperren von Passwegen, was sich allerdings wegen der enormen Beweglichkeit der falschen Neun schwierig gestalten dürfte. Wichtig ist eine präzise Analyse der Bewegungsabläufe des gegnerischen Kollektivs, um die Passmuster zu erkennen und eine mögliche Anordnung zu schaffen, in welcher der Mittelstürmer isoliert werden kann.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

ein mögliches Pressingszenario mit den drei wichtigen Deckungsschatten – es verhindert ein direktes Anspiel auf Messi, ein indirektes Anspiel über Pedro und erhöht durch die Deckung auf Busquets den generellen Druck

Interessant wäre es hierbei, wenn lokales Pressing betrieben wird, um mögliche Passgeber spezifisch unter Druck zu setzen und mit dem Deckungsschatten die Passwege zur falschen Neun zuzustellen. Das lokale Pressing kann dabei auch auf die falsche Neun praktiziert werden, natürlich im Verbund mit einer Pressingfalle. In bestimmten Situationen oder Positionen werden Räume zur falschen Neun offen gelassen, um Pässe auf den Zielspieler in der Offensive zu provozieren. Sobald der Pass gespielt wird, klappt die Falle zu und es wird attackiert.

Rückwärtspressing als weitere Alternative des Pressings

Ähnliche Attacken in Intervallform mit einem festgelegten Auslöser könnten auch vom Mittelfeld praktiziert werden. Im Normalfall wird Rückwärtspressing von den Stürmern nach Angriffspressing ausgeübt, welche ihre Außenverteidiger in der klassischen Defensivarbeit unterstützen. Gelegentlich gibt es auch Mittelstürmer, welche den gegnerischen Spielaufbau in dessen zweiter Phase im Mittelfeld stören, beispielsweise Tevez‘ Pressing auf Yaya Toure gegen Barcelona in der Saison 2007/08. Auch Mario Gomez zeigte dies in Ansätzen, in einer Partie gegen den BVB oder Inter Mailand in der Van-Gaal-Ära sogar auf großem Niveau.

Das gleiche Grundprinzip liegt einem solchen Rückwärtspressing auf die falsche Neun zugrunde. Befindet sie sich vor der Mittelfeldkette, dann kann sie auf die übliche Weise gepresst werden, sobald sie sich in den gefährlichen Zonen zwischen den Linien aufhält, dann wird die Kette des Mittelfelds nach hinten gezogen. Sie zieht sich nach dem Prinzip der Raumverknappung Richtung Ball und soll möglichst eng um die ballführende falsche Neun agieren.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

durch Rückwärtspressing des Mittelfelds wird der Raum zwischen den Linien komprimiert

Dies sorgt dafür, dass die falsche Neun darunter leidet, dass sie als einziger Stürmer agiert – die Bälle aus dem Mittelfeld können zwischen den Linien angenommen werden, doch die beiden Ketten können dank des mangels an einem zweiten zentralen Stürmer problemlos eng gezogen werden. Die Gefahr liegt dann über den Flügeln, bei einer vor dem Zusammenziehen gegebenen Kompaktheit ist die Bedrängnis auf die falsche Neun aber im Normalfall ausreichend hoch, um präzise Anspiele oder gar Kombinationen zu verhindern.

Dadurch könnte auch das Raumfressen in neuer Ausführung praktiziert werden. Beim Raumfressen lassen sich die Spieler der Mittelfeldkette zumeist bei inversen Ausflügen der gegnerischen Flügelstürmer antizipativ nach hinten fallen und leiten die Bewegung des Ballführenden nach vorne, während sie zeitgleich den Raum zwischen den Linien verschlossen haben. Dank des Rückwärtspressing könnte bei einer passenden Zuteilung das aktive Pressing mit dem passiven Raumfressen kombiniert werden.

Defensivfluidität

Es gibt auch zwei weitere und etwas skurrile Möglichkeiten gegen die falsche Neun vorzugehen. Die erste Variante wäre eine fluide Besetzung von Räumen in der Defensive. Die Mannschaft passt sich durchgehend an die neuen durch die falsche Neun geschaffenen Begebenheiten an und nimmt danach die ideale Position ein. Wie bei der Offensivfluidität erfordert dies ein exorbitantes Maß an hervorragenden und spielintelligenten Akteuren, das Risiko ist auch enorm hoch – ein minimaler Mangel an Konzentration in einem hochkomplexen taktischen Gebilde reicht aus, um das gesamte Konstrukt in sich einstürzen zu lassen.

In der Theorie erhält man aber durch eine solche Spielweise ideal Zugriff auf flexible Ballbesitzmannschaften, welche normalerweise die Grundlage für eine falsche Neun darstellen. Mit der fluiden Bewegung im Raum und passender Eingespieltheit kann man die Bewegungen des Gegners ideal verfolgen und dagegen vorgehen. Ein Kompromiss zwischen dem hohen Risiko und den Stärken wäre das Einsetzen von gewissen Stützpfeilern: beispielsweise einem festen Spieler im defensiven Zentrum oder ähnlichem.

Auf eine gewisse Art und Weise hat dieses Prinzip Arsenal unter Wenger gegen Barcelona bereits umgesetzt und auch Getafe konnte damit Erfolge erzielen, während Leverkusen im Hinspiel trotz einer guten Leistung scheiterte.

Hier ist die „feste“ Komponente die Viererkette, die fluide Komponente befindet sich davor und wird abgesichert. Es wird jener Raum flexibel attackiert, in welchem die Pässe auf die falsche Neun kommen und wo sie selbst agiert, was diese teilweise Fluidität als sicherste und effektivste Spielweise prädestiniert.

Ansätze von Fluidität sind hier zu sehen:


Veränderung des Kettenspiels

Es gibt ein großes Dogma im Fußball, welchem ich mich in einem gesonderten großen Artikel eines schönen Tages widmen werde: nämlich die Horizontalität des Kettenspiels. Die Bänder in einer Mannschaft werden in der Abwehr nahezu immer und oftmals auch noch im Mittelfeld als Kette organisiert, welche bei Herausrücken eines Spielers horizontal auf dessen Position einrückt oder als gesamte je nach Ballposition verschiebt.

Als spezielle Variante gegen die falsche Neun, wäre eine Veränderung des Kettenspiels eine innovative wie riskante und komplexe Lösung. In gewisser Weise wird dies bei der fluiden Dreifachsechs sogar genutzt, sie organisiert sich teilweise als eine Dreieckskette, wo der Sechser, der keinen Zugriff auf Ball und Gegner hat, auf eine nicht mehr besetzte Position seiner Partner verschiebt.

Interessant wäre der Faktor „Kompression“ durch eine Nutzung einer vertikalen Kette im Zuge der Kompaktheit im spezifischen Raum der falschen Neun. Das bedeutet, dass in der Formation, welche auch immer dies sein mag, eine vertikale Linie vom Verteidiger bis nach vorne gezogen wird. Die Formation kann danach ausgerichtet werden, beispielsweise ein 3-3-3-1 mit zwei engen Anordnungen der drei Akteure in Mittelfeld und Angriff. Gegen Barcelona wäre dies ohnehin ein interessantes System, weil es sehr eng gespielt werden kann, was die Mitte überlädt.

Falls die falsche Neun nun im Mittelfeld attackiert wird, verschiebt einer der Akteure aus seiner Grundposition heraus. Zumeist wird sich einer der drei Sechser aus dem zweiten Band in einem hypothetischen 3-3-3-1 auf eine Seite bewegen, woraufhin die vertikale Kette greift. Die Position des Sechsers ist verwaist, doch sowohl der Akteur davor als auch jener dahinter schiebt den Raum zu.

Dieser ist kompakt, kann nicht bespielt wird; wie oft sieht man bei Messi Situationen, wo er nach einem erfolgreichen Dribbling scheinbar endlose Räume zwischen den Linien vor sich hat? – auch Pässe auf aufgerückte Nebenmänner wie Raumsucher Iniesta sind bekanntlich gefährlich.

Riskant bei einer solchen Spielweise ist natürlich der Raum dahinter sowie die geöffnete Schnittstelle. Im Zuge dessen sollte das horizontale Kettenspiel beibehalten sowie eine Abseitsfalle genutzt werden. Sobald der Sechser einrückt, schiebt nicht nur der Innenverteidiger dahinter nach vorne, sondern auch die Partner. Die Abseitsfalle sollte Tiefenläufe neutralisieren, danach kann dann das horizontale Kettenspiel zur Versperrung der Schnittstelle ebenfalls genutzt werden.

Weniger riskant und damit realisierbar(er) ist das vertikale Kettenspiel im Angriff und Mittelfeld. Wenn der Stürmer attackiert, sollten der Sechser und der Innenverteidiger dahinter nach schieben, ansonsten bieten sich wieder jene Räume, welche Mannschaften wie Barcelona mit ihren sich anpassenden Passmustern bespielen wollen. Dadurch wird die Kompaktheit beibehalten und der gegnerischen Mannschaft das Spiel mit der falschen Neun als Akteur zwischen den Linien erschwert.
Image may be NSFW.
Clik here to view.


Formative Voraussetzungen der spielmachenden Neun

In den bisherigen Artikeln der Serie haben wir bereits kurz erklärt, dass im modernen Fußball die die tiefe spielmachende bewegliche Neun deswegen nur sporadisch auftauchte, weil durch die erhöhte Athletik eine gewisse Dominanz in Form von Ballbesitz nötig war.

Früher gab es diese Athletik und das daraus resultierende kompakte und kollektive Pressing über das gesamte Spielfeld nicht, weswegen die spielmachende Neun noch Gang und Gäbe war. Doch ein gewisses Grundmaß an kontrolliertem Ballbesitz ist nicht die einzige Soll-Voraussetzung für dieses taktische Mittel.

Es fällt auf, dass im nach-dem-WM-System-Zeitalter des Fußballs vorrangig ein Dreiersturm und seine Variationen dafür genutzt wurden. Ajax Amsterdam und der FC Barcelona in den 70ern mit Johan Cruijff, Lionel Messi bei den Katalanen seit 2009 sowie Francesco Totti bei der Roma Mitte der letzten Dekade. Hierzu sei gesagt, dass Totti eher eine hohe spielmachende Neun war, welche oftmals als umschaltende Neun fungierte.

Auch die Roma spielte auf Ballbesitz und mit drei Stürmern – von der Rollenverteilung her

Trotzdem hatten die Römer in 32 von 38 Ligaspielen mehr Ballbesitz als der Gegner und kamen im Schnitt auf fast 59% Ballbesitz, was eine starke Quote ist; in der Folgesaison lagen sie sogar nur vier Mal unter 50%, einmal zu zehnt, dreimal ohne falsche Neun. 59% bedeutet auch einen höheren Ballbesitz als Mannschaften wie Gladbach, Dortmund, Bilbao, Real, City, Swansea und United in der vergangenen Saison. Neun Mal lagen die Roma der 06/07er-Saison sogar über 65% Ballbesitz; Barcelona hatte in der gleichen Spielzeit mit Ronaldinho, Deco und Co. elf Mal über 65% Ballbesitz, in der siegreichen CL-Saison von 2005/06 waren es sogar nur sechs bei einem Durchschnittswert von knapp unter 60%.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

die Roma 2007 im Spiel gegen Inter. Davor war es noch Mancini oder Tavano, der auf links agierte und auf rechts spielten Taddei oder Wilhelmsson

Eine Übersicht über die Partien mit weniger Ballbesitz klärt auch auf, wie es in jenen Spielen dazu kam:

  • Zwei Spiele ohne falsche Neun, einmal gegen Parma mit zwei Stürmern und einmal gegen Catania mit Vucinic vorne
  • Zwei Spiele gegen den späteren CL-Finalisten AC Mailand, wo sie beide Male früh in Führung gingen und sich aufs Kontern verlegten
  • Ein Spiel gegen Reggina mit 28 Torversuchen
  • Ein Spiel gegen Inter unter Roberto Mancini mit Ibrahimovic, Adriano und Figo vor einer defensiven, aber sehr spielstarken Dreierkette aus Stankovic, Zanetti und Cambiasso im 4-3-1-2, was in 51% Ballbesitz resultierte
  • Das letzte Saisonspiel, ein spektakuläres 4:3 gegen Messina

Die Formation war dennoch weitestgehend von der Rollenverteilung einem Dreistürmersystem entsprechend. Neben Totti agierten in diesem 4-3-3-0-System nämlich mit Rodrigo Taddei oder Christian Wilhelmsson einen dribbelstarken und vertikalen Flügelstürmer, der auch diagonal in die Mitte ziehen konnte. Dazu gesellte sich ein inverser Flügelstürmer in Amantino Mancino oder gar ein verkappter Mittelstürmer, wie es Francesco Tavano darstellte.

Dies ähnelt stark der Aufstellung Barcelonas mit Messi im Zentrum, dazu einen wie David Villa oder Thierry Henry auf links und einen wie Pedro oder Sanchez auf rechts. Unterschiede gab es in der Spielstärke dennoch, doch drei Akteure mit Stürmeraufgaben waren es dennoch, auch wenn die Roma mit einem nominell zentraloffensiven Akteur auflief. Zentral hatten sie mit Simone Perrotta einen zusätzlichen Mittelfeldspieler, welcher sich primär über seine Laufarbeit definierte – nicht über die Offensive oder eine Rolle als Stürmer.

Wieso der Dreiersturm für die falsche Neun wichtig ist

Die spielgestalterische und tiefe Interpretation des Mittelstürmers sorgt bekanntlich nicht nur für Überzahl im Mittelfeld, sondern auch für eine fehlende Besetzung des Mittelstürmers. Diese vakante Position sorgt oftmals dafür, dass ein stürmerloses System viel Kritik erhält – beispielsweise bei der Europameisterschaft, wo Spanien medial einstecken musste, ob ihrer Spielweise und der fehlenden Durchschlagskraft.

Doch Spanien tat sich immer dann schwer, wenn sie neben der falschen Neun zwei weitere Mittelfeldspieler auf den Flügeln hatten, die auch von der Aufgaben- und Rollenverteilung her so agierten. Dadurch fehlte es ihnen trotz hoher Außenverteidiger an der Breite im letzten Drittel, das Zentrum war sogar zu sehr überladen und nach vorne gab es keine Anspielstationen in der Tiefe.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

ein 4-2-3-1 mit tiefer spielmachender Neun hängt immer davon ab, wie sich der zentraloffensive Akteur dahinter und die Flügelstürmer verhalten. Hier sieht man ein hypothetisches ineffektives Beispiel gegen ein 4-4-1-1

Vicente Del Bosque versuchte dies durch eine flexible Besetzung des Mittelstürmerposten zu beheben oder eben durch eine Einwechslung eines Stürmers auf dem Flügel. Andere Ansätze wie die schon erwähnten sehr hohen Außenverteidiger oder ähnliches funktionierten nur in bestimmten und seltenen Situationen, sind aber nicht konstant anwendbar.

Bei einem Dreiersturm hat die falsche Neun die passenden Freiheiten. Die beiden Mitspieler bieten Anspielstationen in der Breite und in der Tiefe, sie binden die gegnerischen Außenverteidiger und bei richtiger Positionierung oder in späteren Angriffsphasen (bspw. wegen überladender Außenverteidiger) die gegnerischen Innenverteidiger.

Die falsche Neun ist somit beim Zurückfallen in das Mittelfeld nicht zu verfolgen, hat dort ausreichend Räume zwischen den Linien und kann im Angriff bei richtigem Timing ungedeckt zum Abschluss aus dem Rückraum oder in bespielbaren Zonen vor dem Tor kommen. Anders sieht es bei alternativen Systemen aus.

Wenn man das Attribut „stürmerlos“ wörtlich nimmt …

… hat man ein großes Problem. Stellt man die Mannschaft in einem 4-2-3-1 (als Variante des 4-5-1 und nicht des 4-4-2, 4-3-3 oder 4-2-4) oder auch einem 4-1-4-1 auf, dann gibt es mit einer Spielweise des Mittelstürmers als falsche Neun fast nur Nachteile. Ohne die Flügelstürmer fehlt die Bindung der gegnerischen Viererkette in die Breite und auf Außen, das Isolieren des Innenverteidigers zur Verfolgung ins Mittelfeld funktioniert einfach.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

bei einem 4-1-4-1 haben die beiden Innenverteidiger Vorteile gegen die falsche Neun, können sie verfolgen und die Flügel können nur schwer überladen werden, FALLS die Außenspieler ihre Rollen als Mittelfeldspieler und nicht als Stürmer interpretieren

Der Gegner kann auch durch die mangelnde Bindung nach hinten problemlos aufrücken, die Kompaktheit erhöhen und dadurch den Bewegungsraum der falschen Neun einengen. In gewisser Weise erzeugt das Zurückfallen der falschen Neun einen Mechanismus, welcher der gegnerischen Abwehrkette ein ideales Signal zum Aufrücken bietet und auch schwer durch Tiefensprints auszuhebeln ist.

Ist ein Stürmer wirklich genug?

Sogar bei zwei Stürmern kann die falsche Neun eine kontraproduktive Taktik bei einer erfahrenen Abwehrkette des Gegners sein. Wichtig ist hier, ob der zweite Stürmer entweder mit seiner Athletik und seiner Bewegung die Kette tief halten oder gar eine Rolle wie Alexis Sanchez beim FC Barcelona verkörpern kann.

Der Chilene läuft nominell als Flügelstürmer auf, aber beackert die gesamte Horizontale. Dadurch bindet er die Abwehr hinten und kann jederzeit mit einem Vertikalsprint in den Raum dahinter eindringen. Dadurch verkörpert er durchgehend Gefahr, welche eine starre und zentrale positionierte Neun nicht vermag.

Dennoch sollte man bedenken, dass bei einer Spielweise aus falscher und starrer Neun zumeist die letztere die Laufwege und das Ankommen mit Geschwindigkeit an den idealen Plätzen beengen wird. Ähnlich verhält es sich auch bei einem Vier-Stürmer-System, wobei diese Spielweise aufgrund der durchgehend breitegebenden Flügelstürmer etwas besser zu spielen ist.

Neben dem System mit drei Stürmern ist auch die Anordnung mit deren fünf interessant, weil sie durch die räumliche Nähe zu zwei Halbstürmern jederzeit mit Rochaden überraschen kann sowie die Flügelstürmer die nötige hohe Breite geben. Dies war auch die Mitursache für die vielfach vorkommenden spielmachenden Neuner in den Zeiten des Fußballs vor Pressing und Co.

Zusammenfassend sei gesagt, dass die Formation als solche nicht wichtig ist – es ist die Anzahl der Stürmer im Sinne der Rollenverteilung, nicht ihrer genauen Position; was sich dann auch auf eine mögliche Installation der fluiden Neun auswirkt.

Wie Vicente del Bosques und Josep Guardiolas Alternativen mit der flexiblen Besetzung durch David Silva und Co., dem Einsatz von Alexis Sanchez als horizontaler oder auch Cesc Fabregas als vertikaler Ersatz gibt es natürlich wie immer Ausnahmen von der Regel. Dennoch ist es aus einer taktischen Sichtweise ideal, wenn es drei oder fünf Akteure gibt, wovon der zentrale Akteur die falsche Neun bekleidet.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Guardiolas Dreistürmersysteme und die fluide Neun

Ein Artikel über die taktischen Anpassungen von Pep Guardiola, der seine Mannschaft durchgehend veränderte und unberechenbar machte. Jener Trainer, der in seiner Zeit beim FC Barcelona nicht nur die wohl bekannteste tiefe spielmachende Neun installierte, sich immer wieder neu erfand, aber dennoch konstant mit ähnlichen Schlüsselspielern und einer gleichbleibenden Spielphilosophie zu agieren.

Wie wir bereits im vorherigen Teil unserer Serie erläutert haben, benötigt man für die tiefe spielmachende Neun neben einer passenden Spielphilosophie und der dazugehörigen Umsetzung auch die passende Formation – idealerweise ein Dreistürmersystem, mit welcher Anordnung dahinter auch immer. Doch diese Formation muss keineswegs starr bleiben, sondern bietet selbst bei einer Fixierung auf drei Angreifer großen Spielraum für mikrotaktische Anpassungen.

Das Schlüsselspiel

Wirklich ins Rampenlicht trat die fluide Neun erst am 2. Mai 2009. Der FC Barcelona hatte sich am 15. Spieltag mit einem 2:0 im Clásico abgesetzt, doch Real Madrid konnte mit einer beeindruckenden Aufholjagd von 17 Siegen und einem Unentschieden in 18 Partien Druck auf die Katalanen ausüben. Die Meisterschaft schien wieder nahe, doch Pep Guardiola und sein Protegé aus Argentinien sollten diesen Traum zerstören.

13 Schüsse auf das Tor, 63% Ballbesitz und sechs Treffer mit vier Scorerpunkten von Xavi, drei von Messi sowie nur neun begangenen Fouls zeichneten das Bild eines an offensiver Perfektion grenzenden Spektakels. An jenem schicksalsträchtigen Tag in Madrid zerstörte Lionel Messi die mannorientierte Raumdeckung vor 100 Millionen Zusehern auf der ganzen Welt.

Am 25. November 1953 hatte Nandor Hidegkuti in einer ähnlichen Position die Manndeckung ad absurdum geführt – vor etwas kleinerer Kulisse gelang der goldenen Mannschaft der Ungarn („aranycsapat“) im Wembley-Stadion gegen das Mutterland des Fußballs ebenfalls ein Auswärtssieg mit sechs erzielten Treffern. Wie einst Harry Johnston wussten weder Christoph Metzelder noch der ehemalige Weltfußballer Fabio Cannavaro, ob sie Messi verfolgen sollten oder nicht. Was tat er auch in ihrem Sichtfeld, während sich Eto’o und Henry wo anders bewegten? Da stimmte doch was nicht.

An jenem Samstag, in dem Edin Dzeko und Grafitè unter Felix Magath die Hoffenheimer mit 4:0 und 45% Ballbesitz abschossen und Bayern sich unter Interimstrainer Heynckes mit 69% Ballbesitz zu einem 2:1 gegen Gladbach quälte, schienen die Katalanen nicht nur ein ganz anderes Spiel zu spielen, sondern es bereits zu revolutionieren.

Was war geschehen?

Bis heute gilt Lionel Messis Aufstellung als falsche Neun in dieser Partie als überraschend und riskant. Doch Pep Guardiola wusste exakt, worauf er sich einließ. Bereits im Alter von 17 Jahren hatte Messi auf dieser Position Luft in der ersten Mannschaft Barcelonas sammeln sollen, auch unter Frank Rijkaard erhielt er einige Kurzeinsätze auf dieser Position – wie es der Niederländer auch mit Ronaldinho und Eidur Gudjohnsen versuchte. In diesen Kurzeinsätzen erzielte Messi einige Tore, wurde aber zugunsten von Stürmerstar Samuel Eto’o auf den rechten Flügel geschoben. Auch bei der U21-Weltmeisterschaft lief Messi nominell als Mittelstürmer auf.

Guardiola wusste also genau, worauf er sich einließ – riskant, aber nicht unmöglich. Nur wenige Wochen zuvor wurde auch Bojan Krkic auf dieser Position probiert, die Mannschaft sollte sich bereits an die Laufwege eines anderen Stürmers anpassen. Gegen Real dann der Schock für Juande Ramos, ähnlich, wie es Guardiola später mit Cristian Tello gegen José Mourinho versuchen sollte. Es funktionierte, aber etwas überraschend wurde die falsche Neun wieder ad acta gelegt.

Im Sommer 2009 kam Zlatan Ibrahimovic und ersetzte Samuel Eto’o. Der großgewachsene Schwede sollte mit Messi, Krkic und Co. harmonieren, doch im weiteren Saisonverlauf spielte er sich nach guter Anfangsphase selbst aus der Mannschaft. Zum Saisonende hin wurde Messi abermals als falsche Neun gegen Valencia und Real Madrid genutzt, es bahnte sich also der Formationswechsel der nächsten Saison an.

Lionel Messis Idealposition

Statt der zusätzlichen Option eines kopfballstarken und kräftigen Hünen im Zentrum verlangte Guardiola nach mehr Beweglichkeit. David Villa wurde verpflichtet, noch bevor Ibrahimovic gegangen war; zugegeben, es hätten im bevorstehenden Rauten-4-3-3 beide als Halbstürmer neben beziehungsweise vor Messi agieren können, doch Villa war wohl nie als Konkurrent oder Ersatz für Ibrahimovic eingeplant.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

die Aktionsradien der jeweiligen Akteure zu Beginn des Rauten-4-3-3

In der Saison 2010/11 folgte letztlich ab dem dritten Spieltag die endgültige Umstellung des Systems.  Nach der Niederlage gegen Hercules im zweiten Saisonspiel lief Lionel Messi nun als falsche Neun auf. Im weiteren Saisonverlauf sollte Pedro Rodriguez sich in die Mannschaft spielen, die Experimente mit Bojan Krkic oder Andrés Iniesta auf dem Flügel scheiterten ebenso wie Villas Aufstellung als Mittelstürmer.

Stattdessen entwickelte sich ein 4-1-2-1-2 mit zwei relativ eng agierenden Flügelstürmern. Nach sechs Siegen in Folge bei einem Torverhältnis von 23:3 empfingen die Katalanen zuhause Real Madrid. Das 5:0 war ein weiteres Schlüsselspiel, Messi legte Villa innerhalb von drei Minuten zwei Tore auf unnachahmliche Weise auf – gleichzeitig schloss Barcelona seine Aufholjagd ab, überholte die Madrilenen und gab die Tabellenführung nicht mehr her.

Der detaillierte taktische Plan dieses anfänglichen Systems

Die Voraussetzungen für den theoretischen Part sind nun gegeben. Guardiola griff immer wieder gerne in seine Trickkiste mit Messi als falscher Neun, stellte in vielen Spielen im Spielverlauf um oder implementierte gar ein 4-2-4 in den Schlussphasen. Aber erst eineinhalb Jahre später wurde die falsche Neun zur Norm und ab da begannen die vielfältigen Anpassungen.

In der anfänglichen Spielweise banden die beiden Stürmer vor / neben Messi jeweils zwei Mann. Sie agierten sehr tornah und bewegten sich zwar in der Nähe des Außenverteidigers, okkupierten in ihren Bewegungen aber auch die Innenverteidiger und hinderten diese an der Verfolgung von Lionel Messi.

Die Breite gaben da noch die Außenverteidiger im letzten Spielfelddrittel. Auch ohne seinen kongenialen Partner Messi sorgte Alves für Wirbel auf der gesamten rechten Außenbahn, auf links übernahm Iniesta die Rolle, da Abidal zu Beginn noch etwas unpassend im System Barcelona erschien: zu groß, zu defensiv, zu langsam. Die Flügelposition auf links übernahm deswegen situativ Andrés Iniesta, welcher dort ebenfalls seine Idealposition fand.

Immer wieder wich er zwischen seiner nominellen Position als halblinker Achter auf den Flügel und schob von dort wieder hinein. Er infiltrierte die Räume zwischen den Linien, ergänzte Messi und sorgte für die nötige Ballsicherheit, wo es am engsten war. Als Nadelspieler ließ er schon beinahe abgestorbene und in Sackgassen manövrierte Spielzüge mit seiner einmaligen Technik und Spielintelligenz wiederauferstehen, gleichzeitig öffnete er für die Stürmer Räume, bespielte die Schnittstellen und zog Gegenspieler von Xavi weg. Dieser hatte alle Zeit der Welt, um das Spiel zu kontrollieren – wie bei seinen vier Assists im Mai 2009.

Anpassung durch veränderte Asymmetrie

Im Laufe der Zeit suchte Guardiola aber nach Verbesserungen und insbesondere nach etwas anderem: mehr Raum und mehr Kontrolle. Nicht umsonst waren Maxwell und Adriano im Kader, langfristig sollten sie wohl die nötige Höhe und Breite auf links geben, um die Asymmetrie zu beseitigen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Abidal spielte im weiteren Verlauf höher (alternativ auch Maxwell oder Adriano) und dies wirkte sich auf die Bewegungen der anderen Spieler positiv aus

Sie sollten Iniesta entlasten und die Flügel wie Alves auf rechts beackern, doch es sollte letztlich doch Abidal sein, der einen Sprung nach vorne machte und diese Position im Laufe der Zeit hervorragend interpretierte.

Zurückhaltend genug, dass die Synergien und Bewegungen von Iniesta nicht abstarben; ausreichend genug, dass der schmächtige Europameister aus Fuentealbilla bei Bedarf woanders hin orientieren könnte, ohne das Spiel einzuengen. Die Abhängigkeit von Iniesta wurde verringert, seine Verletzungen hatten noch gegen Inter in der Vorsaison ein mögliches CL-Finale gekostet. Allerdings sollte Guardiola sich damit nicht zufrieden geben, es wurden weitere Anpassungen vorgenommen.

Das Vorwegnehmen gegnerischer Anpassungen

Eine große Stärke des Trainers der Blaugrana war die unentwegte Veränderung seines Systems, weswegen sein Team schwierig zu berechnen war. Bevor sich der Gegner durch das Isolieren eines Defensivspielers nach vorne, die Umstellung auf eine Dreierkette oder eine extrem enge Viererkette anpassen konnte, schob Guardiola Stück für Stück seine Flügelstürmer in die Breite.

Damit erhielt Messi mehr Raum in der Zentrale, der Gegner musste sich neu anpassen und die Außenverteidiger wurden entlastet, da man nun durchgehend ausreichend Breite im letzten Spielfelddrittel hatte. Es war kein Wunder, dass Guardiola später die Position des Flügelstürmers als laufintensivste bezeichnete, denn die beiden mussten nicht nur die Breite geben, sondern immer wieder in die Mitte ziehen und Schnittstellenpässe verwerten. Dazu kam die enorme Arbeit im Pressing, welche letztlich mit Villa, Pedro und Messi enorm gut funktionierte.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

die Außenstürmer agierten breiter, die Rollen veränderten sich abermals und Messi erhielt (noch) mehr Zugriff auf den effektiven Raum vor dem Tor

Um diese Arbeit zu verringern, wurden die Pressingphasen verkürzt und die Ballbesitzphasen erhöht, was dank der Anpassungen gut funktionierte. Hinzu kamen neue Akteure wie Sergio Busquets, welche dabei halfen. Jener spielt auch bei der Nutzung der falschen Neun eine enorme Rolle.

Wie Sergio Busquets auf die tiefe spielmachende Neun wirkte

Diese Spielweise von Guardiolas Mannen kam in eine Zeit, wo viele Mannschaften sich generell stärker an den Gegner anzupassen begannen und viele nur noch mit einem Stürmer agierten. Der Raum war dadurch enger, die Kompaktheit geringer und die falsche Neun von mehr Gegner eingeschlossen. Mit dem breiten Flügelstürmern öffneten sie zwar die Wege nach vorne, aber im Mittelfeld wurde es durch die vielen Spieler eng.

Busquets half dabei, die gegnerischen Pressingzonen peu à peu nach hinten zu schieben. Wie im Blog von AllasFCB zu lesen, gab es beispielsweise am 20. Februar 2011 eine Partie, wo Busquets sich defensiv als Linksverteidiger präsentierte, dann aber wiederum ins Mittelfeld aufrückte. In unserer Mannschaftsanalyse vor einem Jahr zeigten wir auch, dass sich Busquets im Aufbauspiel wie auch bei der Absicherung zwischen die Innenverteidiger fallen ließ. Die Außenverteidiger konnten nicht nur im Angriffsverlauf höher aufrücken, sondern sich längerfristig hoch positionieren.

Dadurch gab es mit den abgesicherten Innenverteidigern, den hohen Außenverteidigern und den Flügelstürmern, welche nun je nach Gegner eng, breit oder asymmetrisch agieren konnten (siehe den Verweis auf obiges Spiel), in allen drei Dritteln auf beiden Seiten breitegebenden Spielern. Die horizontale Kompaktheit des Gegners war somit trotz fünf Mittelfeldspielern ungemein schwer zu halten, dazu wurden Konter besser abgefangen und die Defensive konnte bei Bedarf zu einer Fünferkette umgestellt werden.

Dies war in gewisser Weise auch die Reaktion auf sehr tiefe Systeme, in welchen Busquets teilweise in Manndeckung von einem der Angreifer oder einem hängenden Stürmer genommen wurde. Um dies zu neutralisieren und in die Zonen bis zu Messi zu kommen, rückte einer der Innenverteidiger auf. Das war aber riskant und sorgte für Instabilität, Risiko sowie eine Asymmetrie. Der Innenverteidiger konnte auch nur die frontalen Räume, also nur eine Seite, ansteuern und bespielen, weswegen sich ein abermaliger Formationswechsel anbahnte.

Guardiola belebt die Dreierkette wieder und besetzt das Sturmzentrum flexibel

Die situative Spielweise mit tiefem Busquets wurde dann in der Folgesaison zur Norm. Barcelona implementierte ein 3-3-4/3-4-3-System, in welchem auch jemand anders als Busquets zentral agieren konnte. War es Busquets in der Mitte, dann konnte sogar mit einer Art Zweierkette oder asymmetrischer Dreierkette gespielt werden. Aber auch andere Aspekte wurden variiert, wie zum Beispiel mit welcher Intensität und Ausrichtung gespielt wurde.

Durch diese Dreierkette konnten sie starkpressende Zwei-Stürmer-Systeme besser auseinandernehmen, hatten überall Breite gegen ein System mit Raute und ermöglichten die flexible Besetzung des Sturmzentrums durch Neuzugang Cesc Fabregas, welcher verhindern konnte, dass Messi von einem direkten Gegenspieler aus der Abwehr einfach verfolgt wurde oder ein Fehlen von Iniesta in eventuellen 4-3-3-Aufstellungen so schwerwiegend wie in der Saison 2009/19 war.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

in der Folgesaison wurde die Dreierkette installiert – um die Veränderungen des Systems (ohne veränderte Spielertypen) darzulegen, nutzen wir die gleiche nominelle Aufstellung

In diesem System gab es bei perfekter Spielweise fünf Spielgestalter, eine sattelfeste Abwehr mit zwei breiten Innenverteidigern, situativer Breite im Mittelfeld und breiten Flügelstürmern trotz möglicher Doppelbesetzung des Sturmzentrums; kurz gesagt, es war der ideale Verbindung zwischen den unterschiedlichen 4-3-3-Systemen, dem früheren 4-2-4-Alternativsystem und der situativen Dreierkette, welche überarbeitet wurde.

Die fluide Neun hatte somit noch mehr Freiheiten, weil sie theoretisch gar nicht mehr die Sturmspitze okkupieren musste und dennoch nicht im Ansatz verfolgt werden konnte. Außerdem hatte sie mehr Mitspieler und Kombinationspartner bei gleichbleibender Breite. Die Anzahl der Kombinationspartner wurde dann noch erhöht, indem weitere Stürmer ins Mittelfeld gezogen wurden.

Alexis Sanchez, die fluide Neun und das Zweistürmersystem

Wichtig dafür war die Verpflichtung von Alexis Sanchez. In jenen Spielen, wo sich immer mehr Akteure im Mittelfeld versammelten, schien er mit seinen Horizontalläufen die gegnerische Viererkette nahezu alleine in die Tiefe zu drücken. Immer wieder brach er seine Horizontalläufe ab, startete in die Tiefe und setzte sie wieder fort. Die Abwehr des Gegners hatte beim Aufrücken eine Barriere, weil sie immer wieder Acht geben mussten, ob nicht einer Sanchez hinterherlief, ein gefährlicher Pass in die Tiefe kam oder jemand schlecht aufrückte. Auch das kommunikative Übergeben an den Nebenmann verlangsamte das Aufrücken, die Kompaktheit war somit weniger schnell hergestellt und Barcelona hatte mehr Raum.

Dies sorgte für einen Mann mehr in der Mitte sowie Experimente mit Iniesta oder gar Thiago und Fabregas auf dem Flügel. Messi hatte immer mehr Kombinationspartner bei weniger Gegenspielern, was nötig war, weil viele Gegner vom 4-2-3-1 auf ein 4-3-3 umstellten, in welchem sie mit fluider Dreifachsechs agierten. Diese flexible Spielweise sollte von Barcelona einfach noch komplexer gemacht und mit zahlreichen Überladungen ineffektiv gemacht werden.

Später reagierten sie auch noch mit aufrückenden Halbspielern der Dreierkette und einem tieferen (statt höheren) zentralen Abwehrspieler, was dann für die viel diskutierte umgekehrte Pyramide sorgte. Auch hier sollte die falsche Neun, welche ein zunehmend großer Faktor für das eigene Team und das gegnerische Defensivspiel wurde, aus dem Klammergriff der immer kollektiv defensiver werdenden Teams befreit werden.

Guardiola verband dies auch mit einem aufrückenden zentralen Spieler aus dem Mittelfeld heraus, wodurch er bereits vor del Bosque bei der spanischen Nationalmannschaft die Position des Mittelstürmers flexibel besetzen ließ. Es waren auch die stärksten Partien von Fabregas im blau-roten Trikot, eines der hervorragendsten Spiele sollte mit diesem System auch dargelegt werden – jenem fulminanten 8:0 gegen Osasuna, welches in meinen Augen bis heute die Krönung von Guardiolas Trainerleistung darstellt.

Es sollten schließlich die letzten Anpassungen Guardiolas sein, welcher im Sommer 2012 sein Amt niederlegte. Seine Veränderungen waren taktisch immer interessant und schlüssig, er erhöhte nicht nur konstant die Torquoten seines Mittelstürmers, sondern auch den kollektiven Ballbesitz und beweist die Verbindung zueinander.

Und womöglich können wir in einigen Monaten oder Jahren auf die Veränderungen seines Nachfolgers, Tito Villanova, und das Weiterführen dieser Anpassungen zurückblicken und diesen Artikel ergänzen. Mit der schablonierten flexiblen Stürmerbesetzung im 4-3-3 hatte er schon eine Idee, welche bei uns Analysten Hoffnungen aufleben lässt.

Im nächsten Teil unserer Serie beschäftigen wir uns passenderweise damit, was für einen Spieler man benötigt, um die falsche Neun maximal bespielen zu können – in Form einer Spieleranalyse von Lionel Messi.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

SV Podcast Spezial: Falsche Neun

Während Felix Baumgartner sich als Falscher Astronaut aus der Stratossphäre zurückfallen ließ, diskutierte Spielverlagerung den zurückfallenden Stürmer.

Am gestrigen Abend gesellten sich drei unserer Autoren zum Talk über das SV Thema der Woche*. Moderator TE ließ sich vom freien Fall ein wenig von seinen Aufgaben ablenken, weshalb RM und MR in ihrer Diskussion im freien Messi-Stil sehr weitläufig durch die verschiedenen Themenfelder drifteten. Nach allgemeinen Gedanken zur falschen Neun gingen wir zu mannschaftsspezifischen Überlegungen über. Über die die deutsche Nationalmannschaft kamen wir abschließend noch zu einer möglichen “nächsten Stufe” der Angreifer-Flexibilität.

*Eine Woche geht bei uns übrigens immer von Dienstag bis Dienstag, schließlich kann der Liga-Spieltag bei Fußballanalysten nicht das Wochenende darstellen.

Download des Podcasts

 

SV Podcast bei iTunes

Feed zum Podcast

Wie Rayo dem FC Barcelona den Ballbesitz streitig machte

Ein kleines “wie presse ich den FC Barcelona” – in der Starrolle: Rayo Vallecano.

Am Ende hieß es 54% Ballbesitz für den FC Barcelona – „nur“ 54%. Sie gewannen zwar deutlich mit 0:5 in Madrid beim Stadtteilverein, doch Underdog Rayo Vallecano schlug sich deutlich besser, als es das Ergebnis hätte vermuten lassen. Teilweise hatten die Katalanen sogar weniger vom Ball, als der Gegner – genauer gesagt in fünf Fünf-Minuten-Phasen, eine davon war sogar bei 40%.

Ähnliches, aber nicht Gleiches, gab es seit Beginn der Ära Josep Guardiola und nun seines Nachfolgers Tito Villanova nur in wenigen Ausnahmefällen.

Unter 55% Ballbesitz hatten sie ohnehin seit der Saison 2009/10 nur in drei Spielen gehabt. Gegen Real Madrid am 31. Spieltag 2009/10, als Manuel Pellegrini mit einer engen Raute (bestehend aus Marcelo – Xabi Alonso – Fernando Gago), den beweglichen Cristiano Ronaldo und Gonzalo Higuain als Mittelstürmer sowie einer enorm aggressiven Spielweise (29 Fouls) spielen ließ.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Grundformationen zu Spielbeginn

Zwei weitere Mal lagen sie unter diesen magischen Marke gegen Unai Emerys Valencia, je einmal pro Saison in den vergangenen beiden Jahren. In beiden Spielen hatte Valencia mit dem enorm pressingresistenten Ever Banega, einem defensiv doppelt besetzten Flügel mit Jeremy Mathieu und Jordi Alba, dem körperlich starken Wandspieler Roberto Soldado und dem dribbelstarken Flügelstürmer Pablo Hernandez gespielt; eine herausragende Kombination von passenden Spielern in Pressing und Ballbehauptung.

Weitere Spiele mit wenig Ballbesitz gab es gegen den pressingstarken Athletic Bilbao und im heiß umkämpften Barcelona-Derby gegen Espanyol Barcelona. Gegen diese beiden Mannschaften lagen sie ebenfalls je einmal unter 60% in den vergangenen beiden Saisons.

Lag es in diesem Spiel gegen Rayo Vallecano vielleicht an der Umstellung von Guardiola auf Villanova? Immerhin musste Guardiola in seiner ersten Saison ebenfalls einige Spiele mit Ballbesitzwerten zwischen 55-60% erdulden (u.a. gegen Pellegrinis Villareal). Dazu sei aber gesagt, dass damals das Pressing und die Passmuster noch nicht so ausgereift waren, außerdem wurden diese Spiele in nahezu allen Fällen hoch gewonnen; der Gegner hatte den Ball schlichtweg wegen zahlreicher An- und Abstöße so oft und lange im Fuß, Barcelona schloss damals auch öfter aus weniger qualitativen Situationen ab, was auch an Samuel Eto’o und Thierry Henry lag.

Ein kleines Zahlenspiel: in der Saison 2008/09 hatten sie in 38 Spielen zwölf Mal über 20 Schussversuche und sieben Mal über zehn Schüsse auf das Tor, 2011/12 gab es nur fünf Mal über 20 Schussversuche, aber die gleiche Anzahl von Schüssen auf das Tor wie drei Jahre zuvor.

Lediglich bei der knappen Niederlage auswärts gegen Atlético hätte man von einer taktischen Ursache sprechen können, doch hier war die Spielerbesetzung Barcelonas mit Gudjohnsen und Touré im Mittelfeld sowie Sylvinho in der Verteidigung etwas unpassend, keiner davon sollte in der nächsten Saison noch bei Barcelona spielen, welche daraufhin nur in dem bereits erwähnten Spiel gegen Real und einer Partie gegen Getafe zu zehnt und gegen Spielende zu neunt niedrige Ballbesitzwerte aufwiesen. Aber selbst gegen Atlético hatten sie 2008/09 mehr Ballbesitz, als in dem Spiel gegen Rayo Vallecano.

Diese schafften es sogar vor dem ersten Gegentor mehr Ballbesitz zu haben, als die Katalanen. Etwas, was einzig Valencia seit Messis Installation als tiefer spielmachender Neun gelungen war. Wie schaffte es mit Rayo Vallecano eine Mannschaft, welche weder individuell noch auf der Trainerbank über einen großen Namen verfügt, Barcelona ähnliche Probleme in deren Ballbesitzspiel zu bereiten? Ein genauerer Blick erklärt, wie.

Rayos Spielweise – bei Ecken

Schon von Spielbeginn an zeigte Rayo Vallecano eine aggressive Herangehensweise. Der Abstoß wurde nach hinten gespielt, prompt flog ein langer Ball auf die aufrückenden Flügelstürmer und es gab den ersten Eckstoß für Rayo. Bei diesem Eckstoß zeigte sich Rayos gute taktische Vorbereitung auf das Spiel, denn sie attackierten gezielt die Raumdeckung der Katalanen bei Eckbällen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

der erste Eckball als beispielhafte Spielszene

Barcelona postierte sich mit vier Mann leicht diagonal versetzt vor Valdes, dazu noch drei Manndecker und einen im Rückraum des Strafraumes. Rayo ließ vier Mann mit einem Mann dahinter dynamisch in den Strafraum ziehen und wollte gegen die stehenden Raumdecker vor Valdes kommen. In dieser Situation aber ohne Erfolg.

Rayos Spielweise – bei Abstößen

Beim folgenden Abstoß orientierten sich aber der abstoßferne Flügelstürmer und der Mittelstürmer auf die Innenverteidiger, deckten sie zu und provozierten lange Abstöße von Valdes. Auf den defensiven Flügeln spielten sie prinzipiell mit einem hohen Mannfokus, sie versuchten die gegnerischen Außenstürmer, welche als sofortige Breitengeber im Umschaltspiel nach vorne sowie als Kombinationspartner für Lionel Messi dienen, umgehend zu bedrängen und Drehungen zu verhindern. Außerdem konnten sie diese bei Kopfballduellen zumeist bezwingen.

Als Absicherung für diesen Mannfokus verschob der ballnahe Innenverteidiger dahinter ein, der zweite Innenverteidiger bildete mit dem ballfernen Außenverteidiger eine breitere Dreierkette und gemeinsam sicherten sie die Duelle des Außenverteidigers ab. Kam versehentlich der hinter dem Außenverteidiger stehende und absichernde Innenverteidiger in Verlegenheit und ein Duell gegen den Außenstürmer als Resultat des vorherigen Zweikampfs, ließ sich der Außenverteidiger fallen und übernahm seine Rolle. Die interessantesten Aspekte gab es im Mittelfeldpressing Rayos.

Rayos Spielweise – beim Mittelfeldpressing

Eine wichtige Rolle spielten der Sechser und die beiden Achter vor ihm. Nominell spielte Rayo also in einem 4-1-4-1, aber es bildeten sich immer wieder unterschiedlichste Formationen – beziehungsweise „Re-Formationen“ passend zu den gegnerischen Positionen.

Dadurch entstanden nicht nur relativ normale Verschiebungen in ein 4-4-2 (sowohl durch aufrückende Flügelstürmer wie beim Abstoß als auch einen nach vorne schiebenden Achter, vorzugsweise den gelernten Stürmer Leo), sondern deutlich komplexere Anordnungen. Die Mittelfeldspieler wechselten zwischen einem raumorientierten, positionsorientierten und mannorientierten Raumdeckungen, je nach Gefühl, Lust und Laune.

Die „wirkliche“ Formation war sehr oft ein 4-3-2-1. Allerdings war die Dreierkette des Mittelfelds enorm breit gefächert, weil die Halbspieler neben dem absichernden Sechser aus den Flügelstürmern und nicht den Achtern geschaffen wurden. Zur genaueren Definition benennen wir diese Formation zu einem 4-1lr-2-1 – ausgehend davon, dass bei eine „1“ immer einen mittigen Spieler, eine „2“ zwei Halbspieler, eine „3“ eine breitere Anordnung mit zwei Halbspielern und eine „4“ zwei breite und zwei zentrale Akteure bedeutet. Ein „l“ oder „r“ bedeutet also einen sehr breiten Spieler auf der jeweiligen Seite, was wir im Laufe dieser Analyse anhand der Spielszenen als oft vorkommendes Merkmal ausarbeiten werden.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

der Sechser sichert ab, die Flügelstürmer stehen breit und tief, die Achter haben vorher gepresst

Wie oben durch die Zahlenkombination angedeutet gab es bei zentralen Angriffen Barcelonas zwei ballferne Akteure und sonst einen ballfernen „Absicherungsspieler“. Oftmals schob auch nur der ballnahe Außenspieler auf die Außen und der ballferne Akteur rückte ein. Außerdem schoben die beiden nach innen, wenn es keinen aufrückenden Außenverteidiger auf der Außenbahn gab und bildeten eine enorme Überzahl in der Mitte. Auf den Außenverteidigerpositionen wurde mit dem schon ausgeführtem aggressiven Mannfokus auf die Flügelstürmer des Gegners gespielt, ansonsten gab es hier eine enge Viererkette.

Rayos Spielweise – Herausweichen aus der Position

Bei Rayo gab es auch eine gewisse Defensivfluidität zu beobachten, denn immer wieder verließen Spieler ihre Positionen. Der Sechser schob sich aus seiner Position manchmal weiter nach hinten und agierte wirklich als Libero vor der Abwehr, so tief wie einst ein Vorstopper. Teilweise rückte er jedoch auf, „erlöste“ einen der Achter und dieser konnte nach vorne schieben und mit dem Mittelstürmer pressen. Oftmals schoben sogar beide Achter nach vorne und es entstand ein 4-lr-1-3 im Pressing, was enormen Druck auf die gegnerischen Innenverteidiger und Song entfachte.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Angriffspressing mit Mannorientierung auf Messi vom IV

Desweiteren half traf die hohe Ballorientierung nicht nur auf die Mittelfeldspieler zu, sondern auch auf den Mittelstürmer, der sich immer wieder tief positionierte oder gar aktiv rückwärtspresste. Alleine in den ersten zwanzig Minuten gab es drei Situationen, wo sich alle elf Spieler im ersten Spielfelddrittel befanden.

Um diese freie Spielweise abzusichern, gab es neben der engen Viererkette auch situative Manndeckungen in jenen Räumen, wo Barcelona nach Kombinationen hätte Überzahlen schaffen können.

Beispielsweise blieb der Sechser einmal auf der Position des nominellen Rechtsmittelfeldspielers, als Fabregas und Villa links offensiv standen und nicht nach hinten in die 4-1-4-1-Defensive rückten, sondern beide zockten. Auch als Messi sich verstärkt fallen ließ, um den durch den sich auflösenden und vorrückenden Sechser in freien Räumen zu stehen, wurde er von einem Innenverteidiger variabel verfolgt.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

ursprünglich ein 4-l1r-2-1, doch Innenverteidigung schiebt sich Richtung Messi nach vorne

Rayos Spielweise – auch offensiv flexibel und fluid

Allerdings waren die Madrilenen auch in eigenem Ballbesitz ungemein interessant. In ihrem Aufbauspiel ließ sich der alleinige Sechser fallen und bildete ein flaches Dreieck mit den sehr breiten Innenverteidigern. Dadurch konnten die Außenverteidiger aufrücken, allerdings standen sie nicht starr auf ihrer Position. Bei Bedarf konnten sie in die Mitte rücken und der Außenstürmer ließ sich fallen, wo er dann deren Position übernahm und die Breite gab.

Dadurch waren die Außenverteidiger frei, konnten angespielt und das Angriffspressing des Gegners überwunden werden. Desweiteren waren die Achter sehr frei, sie konnten sich ebenfalls frei bewegen, aber oft wurde im Aufbauspiel ein 2-3-1-4 praktiziert – die Flügelstürmer und ein Achter neben dem Mittelstürmer sorgten für eine hohe Viererreihe, welche die gegnerischen Akteure okkupierte.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

ein beispielhafter Spielzug mit Überladung durch vier Spieler auf dem rechten Flügel

Aus dieser Formation heraus überluden sie mit dem beweglichen Achter und den mitaufrückenden Außenverteidigern die gegnerischen Außen und kamen zu sehr vielen Flanken sowie Schüssen aus der Distanz, die aber wenig Wirkung hatten, weil die gegnerische Abwehr ziemlich sicher und stabil stand. Auch Spielzüge wie ein Pass von Innenverteidiger auf den Sechser, dann auf die Außen und einen schnellen Linienball zum Außenstürmer hatten relativ wenig Erfolg und mündeten in vielen Flanken. Letztlich war es aber ein unnötiger Ballverlust im Aufbauspiel, der für den Rückstand sorgte. Die größte Ursache für die Niederlage.

Was war bewundernswert?

  • Defensivfluidität
  • breite offensive Flügel mit tiefer Orientierung und Absicherung auf den Seiten
  • enorm hohe Bewegung über sehr lange Zeit
  • kein Problem Mitte verwaisen zu lassen – und sie trotzdem nicht Barcelona zu schenken
  • sehr viele situative Dreiecke und Dreierketten
  • betont mitspielender und aufbauender Torwart
  • auch radikaler als Barcelona in puncto Offensiv- und Aufbaufluidität
  • hervorragendes Abseits-Stellen

beispielhafter Defensivablauf aus der ersten Minute

Valdes will einen Abstoß ausführen, aber Rayo deckt die Innenverteidiger ab, außerdem auch die Mittelfeldspieler und den linken Außenverteidiger. Es folgt ein unüblicher langer Ball.

 

Daraus resultiert ein Zweikampf zwischen David Villa und seinem Manndecker, Rayo entscheidet diesen für sich, doch kriegt den Ball nicht weg. Der Sechser hilft mit, der vorherige Manndecker auf den Innenverteidiger steht hoch links.

 

Es entsteht beinahe eine Chance für Barcelona, doch sie spielen sie nicht gut zu Ende, der Ball kommt auf Außen. Rayo presst schnell rückwärts und es entsteht ein 5-4-1. Barcelona muss den Ball nach hinten spielen.

Rayo presst schnell nach vorne und rückt gut heraus. Aus dem 5-4-1 entsteht ein 4-l1r-3. Der Ball geht auf Busquets.

Der vorherige linke Mittelfeldspieler rückt heraus und presst; sehr riskant, weil er Montoya auf rechts öffnet.

Die offensive Mittelfelddreierkette hinter dem aufgerückten linken Mittelfeldspieler verschiebt jedoch gut, der Ball wird zurück zur Innenverteidigung gepasst. Der Sechser klinkt sich ein und schiebt nach vorne.

Pass nach hinten von Barcelona, Rayo drückt und rückt auf.

Es folgt ein Rückpass Barcelonas auf Valdes. Rayo presst aggressiv im Angriffspressing und schiebt nach. Der Sechser orientiert sich an Xavi, ein Achter bildet den Eckpunkt der Raute, der linke Mittelfeldspieler presst auf Valdes, der Mittelstürmer und der zweite Achter pressen auf die Innenverteidiger. Wieder folgt ein langer Ball.

Ähnliche Szene wie eine Minute zuvor: Villa in Manndeckung bei einem Kopfballduell.

beispielhafter Defensivablauf aus der dritten Minute

Aus dem 4-1-4-1 entsteht ein 4-2-3-1 und der rechte Außenspieler Barcelonas wird gepresst. Sowohl Mittelstürmer als auch die Achter pressen rückwärts, während der Sechser den Raum füllt.

Es entsteht ein 5-5-0. Rayo rückt heraus und hetzt Barcelona wieder, diese spielen den Ball nach hinten.

Rayo presst wieder, sie stehen jetzt in einem 5-rl-1-2 da und können bei Balleroberung enorme Gefahr ausüben

andere Statistiken als das 0:5

  • Am Ende hatte Barcelona, je nach Statistikseite, zwischen 52%(!) und 55% Ballbesitz.
  • Bei 73%:81% lag die jeweilige Passgenauigkeit, Rayo spielte siebzig lange Bälle und zwei mehr als die Katalanen
  • Sie spielten 301 Kurzpässe, Barcelona kam „nur“ auf 441 (gegen Celtic hatten sie über 900). insgesamt also 391:522 Pässe
  • Hoch interessant: die durchschnittliche Anzahl an folgenden Kurzpässen lag bei beiden Mannschaften bei vier
  • Rayo hatte mehr als doppelt so viele Flanken wie Barcelona, spielten im gesamten Spiel nur vier Fouls mehr
  • Das Spiel lief mit 28% mehr in Barcelonas Defensivdrittel als in Rayos ab (21%)
  • Barcelona stand defensiv gut, 50% der Schüsse Rayos kamen von außerhalb, acht gingen neben das Tor, vier darüber
  • Rayo griff mit 38% und 39% sehr viel über die beiden Flügel an und auch sehr ausgeglichen
  • Sie gewannen 68% der Luftduelle, stellten den Gegner acht Mal ins Abseits (Barcelona sie nur zwei Mal) und es gab 31:34 Einwürfe
  • Sie hatten sechs abgefangene Pässe und einen Befreiungsschlag weniger als Barcelona
  • Barcelona hatte gleich viele erfolgreiche Tacklings (15), aber zwei erfolglose mehr (7:5)

In diesem Spiel reicht also der Blick auf das Resultat nicht. Wir danken Laola1.tv für das Bildmaterial.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Kurz ausgeführt: Dortmunds offensive Doppelsechs

Beim souveränen 1:4-Sieg im Pokal wagte der BVB einen zweiten Anlauf mit der Doppelsechs Leitner-Gündogan.Der letzte Versuch dieser Aufstellung scheiterte im Supercup gegen die Bayern relativ rigoros und führte zu einer schnellen zwei-Tore-Führung des Rivalen. Leitner und Gündogan wirkten in diesem Spiel schlecht bis überhaupt nicht abgestimmt und führte zu wackeligen Anbindungen zwischen den Mannschaftsteilen und großen Löchern im Umschaltmoment. Die potentiell erhöhte Dominanz in Ballbesitz, welche die beiden außergewöhnlich ballsicheren Akteure einbringen können, war nur zu erahnen und konnte überhaupt nicht in Durchschlagskraft umgewandelt werden.

Die defensiven Nachteile der defensiven Sechs

Der Grund, weshalb Klopp überhaupt solch ein riskant erscheinendes Experiment unternimmt, liegt knapp gesagt im modernen Fußball. Der Verzicht auf den defensiven Sechser bedeutet auch Verzicht auf seine Schwächen, welche gegen modernes, pass- und musterorientiertes Ballbesitzspiel nicht nur offensiv zum Tragen kommen. Kleine, wendige Akteure haben auch defensiv ihre Vorteile. Image may be NSFW.
Clik here to view.

So erlauben ihnen der bessere Antritt und die schnelleren Richtungswechsel, dass sie einen höheren Deckungsschatten erzeugen und somit besser Passwege verteidigen können, was ein zentrales Element des Dortmunder Spiels ist. Im aktiven Pressing ist ein großer Vorteil des BVB, wie sie bewusst Passwege zustellen oder gar belauern, also bewusst ein bisschen offen lassen, um den Pass dann abfangen zu können. Dadurch wird auch der Gegner verunsichert wird: Kann ich diesen Pass spielen, oder soll ich diesen Pass spielen?

Shinji Kagawas Spielweise war ein Musterbeispiel für den Vorteil, welchen Antritt und Beweglichkeit dabei bringen. Oft lief er in hoher Geschwindigkeit quasi mit Seitwärtsschritten den Gegner in einem Bogen an, wodurch ihm aus vollem Sprint eine plötzliche Beschleunigung in zwei Richtungen möglich war (Blickrichtung und Bewegungsrichtung), was einen massiven Vorteil beim Pressing erzeugte.

Solche Vorteile gegen kontrolliertes Spiel, könnten – gerade vielleicht gegen sehr spielstarke Gegner wie die Bayern – den körperlichen Vorteil, den Spieler wie Bender und Kehl im direkten Zweikampf haben, ausgleichen oder mehr. Defensivfußball basiert gerade in der Leistungsspitze und im Mittelfeldspiel immer stärker auf dem Abfangen von Pässen und dem Aufsammeln zweiter Bälle und weniger auf dem Gewinnen von Zweikämpfen. Auf wendigere Spieler zu setzen ist die logische Konsequenz daraus.

Umsetzung: Gündogan als flexibler Ankerpunkt

Die wichtigere Frage als die körperlichen und individuellen Aspekte sind daher die taktisch-psychologischen. Denkt das Team ausreichend defensiv und kontrolliert, wenn man zu viele ballverliebte Spieler auf dem Feld hat? Wenn beide Sechser zu aktiv den Ball fordern, während ihn nur einer bekommen kann, dann sorgt das für die skizzierten Probleme, welche den Dortmundern im Supercup auf die Füße fielen.

Dass die Umsetzung diesmal besser und stabiler funktionierte, hing zum einen mit der Entwicklung von Ilkay Gündogan zusammen, die er seit seinem Transfer auf die Sechserposition konsequent weiterführt. Bereits im Laufe der vergangenen Saison ist sein Bewegungsspiel klüger und kontrollierter geworden. Zwar hat er meist Kehl neben sich, der ihm diverse Freiheiten verschafft, aber die Aufteilung der beiden wird immer ausgeglichener. Gündogan wächst in die Rolle des Balancespielers herein und kann zunehmend seine Fähigkeiten einbringen, ohne dafür taktische Risiken eingehen zu müssen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Diese Rolle musste er neben dem immer noch sehr freimütig umherdriftenden Leitner auch übernehmen und dies gelang ihm besser als beim ersten Versuch in München. Wie in der Szene rechts zu sehen, sorgte er zum einen für ausgeglichene Raumbesetzung, indem er stärker die Sechserräume hielt als Leitner, und hält zudem die Spieler untereinander verbunden. In der dargestellten Szene sicherte durch sein rechtsseitiges Verschieben torseitig ab und stellt gleichzeitig Kontakt zwischen Ball und Leitner her.

Perisic, Götze und die Wichtigkeit spielmachender Offensivakteure

Was sich ebenfalls schon in obiger Szene sehen lässt, ist die Bedeutung, die Spieler wie Perisic und Götze in solch einem System haben. Beide orientieren sich dort zum Ball hin und sorgen so dafür, dass das Zentrum nicht von Gündogan alleine besetzt ist. Zudem bewegt sich Perisic klug hinter Götze weiter, wodurch ein Ballverlust abgesichert wird und Götze eine risikolose, leichte Option bekommt. Das demonstriert bereits, wie sich die Freiheiten der Spieler ergänzen können und auch müssen. Wenn Perisic sich nach vorne orientiert hätte, hätten die Aalener Sechser bei einem Ballgewinn gegen Götze in Überzahl kontern können.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

In dieser Szene rochiert Leitner in die Spitze während Perisic durch die Mitte gleitet und Götze unterstützend zurückfällt – fluid entsteht eine 4-3-3-Grundordnung, gegen die Aalen falsch positioniert ist.

Damit zeigt sich, wie wichtig es ist, bei einem so fluiden und ballbesitzorientierten Aufbauspiel, viele spielmachend denkende Akteure in den Reihen zu haben. Um freie Bewegungen dieser ermöglichen, benötigt man eine personelle Überladung der zentralen Zone, damit ausweichende und aufrückende Läufe nicht zur Unterladung führen – beispielhaft auch am Effekt von Messis falscher Neun bei Barcelona zu sehen, wodurch auch die Bewegungen von Xavi, Iniesta und Fabregas beeinflusst und befreit werden.

Erst so werden die vielfältigen Fähigkeiten, die ein technisch beschlagener Spieler wie Leitner auf die Sechserposition einbringen auch sinnvoll genutzt. In den vielen möglich werdenden Mustern und Verbindungen kann sich die Kreativität erst voll entfalten und somit über lokale Überzahlbildungen Momentum gegen den Gegner erzeugen. Ein klarer strukturiertes Aufbauspiel hemmt solche Freigeister und kann von disziplinierteren und auch technisch weniger sauberen Spielern wie Kehl besser umgesetzt werden.

Bewertung und Möglichkeiten

Gegen Aalen konnte unter der Nutzung der vielen Techniker das Zentrum des gegnerischen 4-4-2-Systems überladen werden und Dortmund konnte scheinbar spielerisch leicht die Mitte, damit das Spiel und auch den Gegner dominieren. Ein absolut souveräner 4:1-Sieg war die Konsequenz gegen den Zweitligisten. In einzelnen Konterszenen ließ sich die Anfälligkeit des Systems aber noch erahnen, was wegen Aalens individueller Unterlegenheit nicht augenfälliger wurde. Allerdings sind gegnerunabhängig große Fortschritte gegenüber des ersten Versuches in München erkennbar gewesen.

Gündogans ständige strategische Weiterentwicklung und die hohe Anzahl spielmachender Akteure, die der BVB hat und auch perspektivisch noch hinzubekommen wird (Bittencourt, Amini), machen dieses System ohne Abräumer zu einer spannenden Alternative. Möglicherweise entwickelt sich der BVB auf diesem Weg zu einer noch unvorhersehbaren Offensivmacht, die selbst Spitzengegner auch mit dem Ball so dominieren kann, wie sie es ohne Ball schon gegen Teams wie Manchester City, Bayern München und Real Madrid zeigten. Auch das Pressing könnte über Kraftschonung mit Ball eventuell noch intensiviert werden. Die Personalpolitik ist jedenfalls ein Fingerzeig in diese Richtung.

Barcelonas 3-1-3-3-Formation, ein Für und Wider

Barcelonas 3-1-3-3 wurde im Spiel gegen Celta Vigo aus der Kiste geholt, allerdings mit ein paar Anpassungen. In diesem theoretischen Artikel diskutieren wir die Vor- und Nachteile dieses Systems.

Die Schlüsselfigur

Die Grundlage dieses Systems ist neben der Klasse der Katalanen und ihrem exorbitanten Ballfokus ein besonderer Spieler: Sergio Busquets. Für viele unterschätzt, für manche überbewertet und für mich der wichtigste Spieler in dieser besonderen Anordnung des FC Barcelona.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Barcelona im 3-1-4-2/3-1-3-3 beim Auswärtssieg gegen Real Madrid

Vermutlich könnte kein anderer Fußballer dieser Welt seine Rolle bekleiden, denn er gibt dem Spiel Balance, sichert die Offensive ab, fügt sich in die Defensive ein und bestimmt indirekt durch seine Präsenz die Angriffszonen seiner Mannschaft. Eine Mammutaufgabe, deren Komplexität kaum nachzuvollziehen ist.

Busquets spielte diese Rolle dann so, dass er nominell vor der Abwehr begann, aber je nach der kollektiven Bewegung seine Position veränderte. Er holte sich einige Bälle weit vorne, wenn er die Chancen auf einen Ballgewinn als sicher ansah, ansonsten kümmerte er sich um die Defensivkompaktheit.

Dies bedeutete, dass er etwaiges Aufrücken der Abwehrspieler absicherte oder sich in Schnittstellen bewegte, wodurch eine Viererkette entstand. Einige Male, als es das gegnerische Angriffstempo erforderte, wich er sogar auf die Position des Außenverteidigers aus, was bedeutete, dass Jordi Alba, Adriano oder Dani Alves als Innenverteidiger agierten.

Aufrückende Hybridverteidiger

Sowohl Alba als auch Adriano hatten ohnehin keine klassischen Rollen – weder ihre eigenen als (offensivorientierte) Außenverteidiger noch die üblichen Innenverteidigerpositionen. Während Javier Mascherano in der Mitte postiert war, schoben sie das Spiel in die Breite und bei Versperrung der Passwege auch in die Höhe.

Mit Busquets sowie den zwei ballfernen Verteidigern konnten diese Ausflüge auch abgesichert werden, womit Tito Vilanova ein stabileres Fundament für sein taktisches Mittel der aufrückenden Innenverteidiger hat. Dadurch können mannorientierte Pressingsysteme, wie es beispielsweise gegen Marcelo Bielsas Bilbao geschah, auseinandergenommen werden. Entweder man lässt den Innenverteidiger und somit auch den Ball enorm weit nach vorne oder man weicht von seinem Mann, um den Ballführenden zu attackieren.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Barcelona vs Celta – Grundformation der Katalanen

Dadurch wird allerdings natürlich einer der Akteure frei, was von Barcelona prompt genutzt werden würde. Deshalb ist Vilanova der sporadisch aufrückende Innenverteidger auch wichtig, weil man ohne größere Systemumstellungen sofort auf unterschiedliche gegnerische Raumdeckungen reagieren kann. Mit einer Dreierkette kann man dies mit einer passenden Breite im ersten Drittel sowie einem zentralen Akteur und daraus resultierenden Vorstößen über die gesamte Platzhorizontale verbinden.

Doch im 3-1-3-3 ist nicht nur die Rolle der „Verteidiger“ eine andere, sondern auch die Spielerverteilung im Mittelfeld verändert sich.

Erhöhung der Kombinationsspieler

Noch vor wenigen Jahren spielte Barcelona im klassischen 4-3-3-System mit einem tieferen Linksverteidiger, zwei gleichberechtigten Achtern, Yaya Touré auf der Sechs und ohne tiefe spielmachende Neun. Stück für Stück wurde diese Anordnung und positionelle Interpretation verändert, was zu höherem Ballbesitz führte.

Sie installierten Sergio Busquets als Ballzirkulator und Stabilisator, Lionel Messi als tiefe spielmachende Neun, Andrés Iniesta wurde zum Nadelspieler und der Linksverteidiger Eric Abidal schaltete sich stärker in die Offensive mit ein. Somit hatten sie statt Alves, Pique, Xavi, Iniesta, Messi und Henry (erste Saison) zwei Kombinationsspieler mehr, wobei zwei weitere eine passendere Rolle erhielten.

Mit dem 3-1-3-3 wird ein ähnlicher Weg gegangen. Im Prinzip ist dies eine andere Herangehensweise an das gleiche Ziel, wie es schon mit der Aufstellung gegen Santos ohne wirklichen Verteidiger probiert wurde. Auch gegen Celta gab es mit Adriano / Alves, Mascherano und Alba als Abwehrspieler keinen einzigen gelernten Innenverteidiger, ein Zeugnis der totalen Fußballphilosophie Guardiolas und Vilanovas. Es gibt schlicht keine positionelle Bindung oder grundlegende Anordnung, sondern eine Aufstellung nach passenden Spielertypen, nach Rollenverteilungen und Positionsinterpretationen.

Im Endeffekt können sie durch Cesc Fabregas und Lionel Messi je nach Situation mit variierenden Zehnern, Neunern oder den jeweils „falschen“ Ausführungen davon agieren. Sie besitzen viele Akteure, die sowohl horizontal als auch vertikal spielen können (Xavi, Iniesta), zwei vertikale und durchschlagskräftige Akteure in der Spitze (Fabregas, Messi), einen enorm horizontalen Stabilisator (Busquets) und unterschiedliche Rollenspieler auf den Außen zwecks Breite, Torgefahr und Raumöffnung. Dadurch gibt es aber nicht nur Vorteile.

Überfluidität

Bereits unter Guardiola begannen die Positionen zu verschwimmen. Dabei wichen sie von der niederländischen Flexibilität im totalen Fußball, welche insbesondere von Louis van Gaal im Sinne des Positionsspiels in den Neunzigern wiederbelebt wurde, und gingen in eine fluide Anordnung des Mittelfelds über, welche sich vertikal fortsetzte. Das heißt, dass Xavi, Iniesta und Messi sich frei bewegten, wobei Messi und Iniesta in die Halbräume gingen.

Diese Fluidität griff auch auf andere Spieler über, welche sich situativ enorm frei bewegten, beispielsweise Alves‘ diagonale Läufe in den Strafraum oder Sanchez‘ Horizontalläufe und Tiefensprints. Ohne ein 4-3 oder 3-3-Pressinggerüst war aber das Angriffspressing in ruhenden Situationen nicht mehr zu spielen, die Rückkehr auf die Positionen hätte aufgrund des Konterfokus der Gegner unter Umständen zu lange gedauert.

Es war in dieser Übergangsphase zur kontrollierten Fluidität, dass Barcelona ihr Gegenpressing intensivierte und erhöhte. Dabei wurden die kurzen Verbindungen zwischen den Akteuren, weswegen lange und/oder riskante Bälle verpönt waren, genutzt, um möglichst schnell den Gegner im Vorwärtsgang zu behindern.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

ein Mann mehr in der Mitte – oder doch lieber doppelt besetzte Außenbahnen?

Problematisch wird es aber, wenn die Fluidität zu groß wird und der Gegner bei seinen Befreiungsschlägen auch unter Bedrängung Räume ansteuern kann. Dies entsteht, wenn die Spieler zu eng zueinander und zu zahlreich in bestimmten Zonen sind, wodurch auch ein ungenauer Pass zu einem Mitspieler gehen kann.

Darum entscheiden sich auch zahlreiche sehr unterlegene Teams zu einer ultradefensiven Spielweise – sie zwingen Barcelona nicht nur zu enormen Aufrücken, sondern auch zu vielen balancezerstörenden Überladungsbewegungen im Kollektiv. Diese öffnen Löcher öffnen, welche selbst Busquets nicht durchgehend zu stopfen vermag.

Bei diesem 3-1-3-3 hat Barcelona zwar einen Verteidiger mehr, doch es ist immer eine Lösung an der Kippe: rücken sie mit auf, öffnen sich wieder Löcher; bleiben sie tief, verliert man einen Mann in der Mitte oder offenbart große Räume wegen mangelnder Defensivkompaktheit.

Mangelnde Breite im zweiten Drittel?

Ein weiterer Punkt ist die Herstellung von Breite im Mittelfeld, wo der Gegner das Spielfeld theoretisch sehr eng machen könnte. Mit einer fluiden Dreifachsechs könnten hier Räume zugestellt werden und die Pässe auf die Seiten dienen nicht mehr als Befreiung aus der kompakten Mitte. Allerdings wird dies von zahlreichen Mannschaften, welche oftmals im 4-4-1-1 auftreten, nur selten genutzt.

Desweiteren haben sie einen zentralen Spieler mehr, der dann situativ Breite herstellen kann. Insbesondere Iniesta und Messi können dies auf ihre ganz eigene Art und Weise hervorragend machen, wodurch das Aufbauspiel auch stärker über die Halbräume kommt, wo die zwei Nadelspieler ausweichen. Orientiert sich der Gegner theoretisch in einem engen 4-3-3 mit Manndeckungen auf die Abwehrspieler, dann können Iniesta und Messi über die Außen das Spiel instruieren und gefährlich zwischen die Linien kommen.

Kombinationszwang?

Ein weiterer positiver Punkt ist auch, dass durch drei fixe Abwehrspieler die letzte Kette enger steht, aber dank Busquets verbreitert werden kann. Bei Kontern kann der Gegner somit nicht mehr „hinter“ die Außenverteidiger kommen, weil es schlicht keine gibt. Stattdessen können sie aus einer engeren und tieferen Stellung mit besserem Timing auf die Außen ziehen, wodurch sie immer vier Mann hinten haben.

Dadurch können Vorstöße nicht sofort per Sprint und losem Raumpass hinter die Abwehr gefährlich werden, sondern müssen eine weitere Anspielstation für einen Doppelpass oder ein riskantes Dribbling bedienen. In dieser Zeit können die Barcelona-Spieler aus dem Raum zwischen den Linien zurückkommen und gar rückwärtspressen, während der Gegner aus seiner tiefen Position erst einmal aufrücken muss.

Problematisch ist dabei, dass Barcelona durch die offensive Ausrichtung der Mittelfeldspieler und das situative Zurückfallen Busquets‘ Räume zwischen den Linien öffnet. Dadurch wird obiger Punkt teilweise relativiert, wenn der Gegner hervorragend umschaltet. Kommt noch der Faktor Überfluidität zum Tragen, wird aus dem Kombinationszwang für den Gegner kein Nachteil, sondern ein Vorteil wegen eines erzwungenen zusätzlichen Mitspielers in der Offensive.

Fazit

Ein System, wie jedes andere? Es besitzt Stärken und Schwächen, doch aufgrund der zahlreichen interessanten Spielertypen ist es auch ein einmaliges System, welches seine Schwächen (bspw. die mangelnde Breite im Aufbauspiel) durch die katalanischen Spieler in der Zentrale kaschiert. Gleichzeitig wirft es für die Mannschaft einige weitere Fragestellungen auf, unter anderem an die Abstimmung der Abwehrspieler und Busquets’ Limit in der Spielintelligenz. Gegen tiefstehende Mannschaften könnte es aber durchaus noch ein paar Mal zum Einsatz kommen, insbesondere bei Genesung der verletzten Defensivakteure. Und wer weiß, vielleicht ändert Vilanova für Mourinho ebenfalls wieder die Frage …
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Absicherung des aufrückenden Außenverteidigers

Ein kurzer allgemein-taktiktheoretischer Abriss, der sich mit den Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen Absicherungsarten für einen aufrückenden Außenverteidiger im Positionsspiel beschäftigt.

Absicherung durch zentral abkippenden Sechser, Dreierreihe und Innenverteidiger

Die erste Möglichkeit ist das Erzeugen einer Dreierreihe mithilfe eines Sechsers, der sich zentral abkippen lässt. Man steht somit in einer Dreierreihe gut abgesichert da, der Innenverteidiger kann als im Normalfall defensivstärkster Akteur direkt hinter dem Außenverteidiger absichern und somit maximal effektiv verteidigen.

Der Außenverteidiger kann dem Innenverteidiger den Ball zurückspielen und dieser hat als (oftmals sehr spielstarke) Anspielstation den zurückfallenden Sechser, der das Spiel drehen oder anderweitig strategisch arbeiten kann. In dem in der Grafik geschilderten Szenario kippt der ballferne Sechser ab. Dadurch hat der Außenverteidiger ein Dreieck mit dem eingerückten Außenstürmer und dem ballnahen Sechser. Dies kann situativ der „Zehner“ in diesem hypothetischen 4-2-3-1 noch erweitern.

Eine solche Spielweise, nur oftmals ohne Mittelstürmer, mit einer anderen Formation und dafür mit breiterem ballfernen Außenstürmer wird oft vom FC Barcelona gespielt.

In dieser Ausrichtung befindet sich der offene Raum für Konter auf der anderen Seite, wo eventuell der Außenverteidiger noch Zugriff erhalten könnte oder das Gegenpressing auf dieser Seite ausreichend stark ist, um Seitenwechsel zu vermeiden. Alternativ kann der Außenverteidiger nicht die Breite geben, sondern ins Mittelfeld gehen und dort eine zusätzliche Anspielstation geben.

Bei intelligenten und dynamischen Akteuren im Kollektiv ist diese Spielweise zu empfehlen, denn der Außenverteidiger erhöht die lokale Kompaktheit im Kombinationsspiel, kann womöglich ebenfalls kreativ wirken, aus Engen befreiend wirken und im Gegenpressing unterstützten. Alternativ kann er erkennen, falls die Seite versperrt ist und geplante Spielverlagerungen seiner Mitspieler antizipieren und sich dann wieder in die Breite begeben.

Unter anderem Marcel Schmelzer beim BVB wurde zu einer solchen Spielweise angewiesen.

Eine weitere Variation dieser Spielweise wäre es, wenn nicht der ballferne Sechser nach hinten abkippt, sondern der ballnahe Sechser sich zurückfallen lässt. Dies öffnet zwar ein Loch und zerstört das Dreieck, doch gleichzeitig entstehen interessante Synergien. Gegen mannorientierte Verteidigungsspielweisen kann so ein Gegner weggezogen werden und der „Zehner“ kann in den nun offenen Raum gehen. Hinter ihm kann im Zentrum der ballferne Sechser aufrücken und als box-to-box-Spieler für Aufruhr sorgen.

Damit diese Wechselwirkungen effektiv sind, benötigt es aber der passenden Spieler und einer guten Abstimmung mit einstudierten Offensivspielzügen.

Absicherung durch verschobene Dreierreihe und Innenverteidiger

Die nächste Variante ist eine Dreierreihe, die aus den beiden Innenverteidigern und dem ballfernen Außenverteidiger besteht. Hier ist die große Frage, wer dem Spiel die Breite gibt. Soll es der ballferne Außenstürmer machen? Soll es überhaupt jemand machen? Alternativ könnte man einfach darauf spekulieren, dass man das Kamel durchs Nadelöhr gehen lassen kann und spielt über diese Enge mit einer ordentlichen Absicherung in einer 3-2-Abwehrformation.

Andererseits kann man den in diesem Szenario linken Außenstürmer auf der Seite kleben lassen und ein paar Probleme in der offensiven Umschaltphase ins letzte Spielfelddrittel erleiden. Interessant wäre ein situatives Herausweichen des eingerückten Außenverteidigers diagonal in offene Räume und präzise gespielten Seitenwechseln, um sowohl eine passende Absicherung als auch eine situative Breite erzeugen zu können.

In dieser formativen Änderungsphase könnte sich der ballferne Sechser für den nach vorne eilenden Außenverteidiger fallen lassen oder (riskanter und effektiver) als Durchlaufstation für Kurzpässe auf diese Seite und in den Lauf des Außenverteidigers fungieren.

Auch hier ist die Frage, welche Spieler man besitzt und wie man aufbaut. Baut man ohnehin mit einem abkippenden Sechser auf, erscheint diese Verteidigungsspielweise wiedersinnig. Baut man gemächlich und primär über die Halbräume und Flügel auf, kann diese wohl am besten praktiziert werden, weil der zweite Sechser im Zentrum dem ballnahen Partner viele Freibewegungen ermöglicht.

Absicherung durch herauskippenden Sechser und Dreierreihe mit zwei Innenverteidigern

Eine weitere Möglichkeit wäre das Absichern direkt durch den Sechser. Hier ist besonders die Bewegung positiv zu bewerten. Erst, wenn der Außenverteidiger auch wirklich hoch ist, bewegt sich der Sechser auf die Seite und schafft eine gependelte Dreierreihe mit den beiden Innenverteidigern.

Die Innenverteidiger verschieben ballorientiert mit, müssen aber ihre Partnerschaft nicht aufgeben und nicht in die Breite ziehen. Für sie ist die Spielweise einfacher, während der Sechser natürlich aufmerksam und intelligent verschieben muss. Das Einrücken des ballnahen Sechsers eröffnet im Idealfall natürlich Räume für seinen Partner im Mittelfeld und den Zehner, die davon sogar profitieren können.

Gleichzeitig kann man die Kompaktheit in diesem Bereich erhöhen und sich nach Pressingerfolgen besser aus Engen lösen. Allerdings kann diese Spielweise auch sehr schädlich sein, wenn sie nicht zeitig hineinrücken und der Gegner den herauskippenden Sechser nicht wie ein Esel verfolgt, sondern sich im richtigen Moment löst und ordentlich mit seinem Deckungsschatten arbeitet.

Agiert man mit einem herauskippenden Sechser, also einem Sechser, der sich im Aufbauspiel auf die Seiten und ins Loch zwischen Außen- und Innenverteidiger fallen lässt, geht die Bewegung in der Mitte zwar verloren, aber die Stabilität ist größer.

Die Frage lautet wiederum natürlich, ob die Spieler für eine solche Spielweise geeignet sind, wie man aufbaut und wie defensivstark der herauskippende Sechser sowie wie intelligent und dynamisch seine umgebenden Spieler sind. In der Theorie mutet dies allerdings als die eleganteste Lösung an. Die riskanteste dürfte die nächste sein.

Absicherung durch zwei Innenverteidiger

Alternativ kann man auch einfach auf den dritten Mann pfeifen und schlicht mit den beiden Innenverteidigern absichern. In dieser Grafik sieht man sofort die Probleme.

Der ballferne Raum ist ungedeckt, der Raum zwischen den Linien ist sehr groß, wogegen man mit tieferen Sechsern in einer 2-2-Formation und verschobenen Ketten vorgehen könnte oder die Innenverteidiger höher schieben, die Kompaktheit somit erhöhen, aber dadurch natürlich den Raum hinter sich und in der Diagonale noch stärker öffnen.

Um gegen diese Gefahren arbeiten zu können, hat man allerdings ein verbessertes Gegenpressing durch die höhere Anzahl an Spielern um den Ball herum. Sechs Spieler haben Verbindung zueinander, ohne dass die Breite vernachlässigt wird oder jemand absichern müsste. Dadurch wird das Pressing für den Gegner ebenfalls erschwert und Ballverluste sollten geringer werden. Der FC Barcelona spielt auch vereinzelt so und löst Drucksituationen über ihre Spielstärke und über ihre Bewegung – dass dies keine Option für den Standard ist, sollte klar sein.

Alles in allem dürfte diese Spielweise die schwierigste sein. Aktuell spielen aber die Bayern in dieser Saison mit einer Variante davon, einer Art Mischlösung, um genauer zu sein. Mit Manuel Neuer haben sie einen Torhüter, der sehr viel Raum absichern kann, mit Dante und Boateng zwei athletische Innenverteidiger, situative Mannorientierungen mit viel Zugriff und vielen antizipativen wie intelligenten Bewegungen.

Dadurch können sie entweder gut im Gegenpressing arbeiten oder die dynamischen David Alaba und Philipp Lahm rücken in Halbpositionen ein, wo sie entweder schnell Breite geben oder schnell nach hinten eilen und aushelfen können. Wie das gegen stärkere Mannschaften aussieht, bleibt abzuwarten.

Noch was?

Eine weitere Möglichkeit wäre die Spielweise mit durchgehend tiefen und somit stabilen Außenverteidigern. Diese würde aber in der Offensive für Probleme sorgen. Alternativ könnte mit taktisch komplexen Konstrukten unterschiedlicher Ausführungen gespielt werden, wie bspw. mit durchgehenden Positionswechsel in 1-2-Formationen in der Defensive oder ähnliches, was aber ein ungeprüftes Novum darstellen würde.
Image may be NSFW.
Clik here to view.


Die Manndeckung

Die zwei hauptsächlich genutzten Deckungsarten im Fußball sind die Manndeckung und die Raumdeckung. In diesem Artikel erklären wir die unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen der Manndeckung, inkl. ihrer Vor- und Nachteile.

Allgemeines zur Manndeckung

Die Manndeckung – wo man bekanntlich elf Esel auf dem Platz hat, Zitat Ernst Happel – war zwischen den 20er- und späten 50er-Jahren die mit Abstand am öftesten praktizierte Spielweise. Auch darüber hinaus und in den 70ern wurde sie noch teilweise genutzt, danach erlebte sie ab den 80ern eine Wiedergeburt. Die chronologischen Anfänge der jeweiligen Phasen waren natürlich in den jeweiligen Ländern unterschiedlich und auch ihr zeitliches Ende sollte ganz verschieden sein. So war es in Deutschland noch bis in die späten 90er und länger der Standard, seine Gegner in Manndeckung zu nehmen. Der BVB bekam beispielsweise auch deswegen im Jahre 2001 gegen die Bayern ziemlich eines auf die Nüsse, der deutsche Fußball sollte ab den frühen 2000er-Jahren generell eine Krise erleben.

Doch es gab früher und gibt in der aktuellen Zeit immer wieder Bestrebungen, die eigene Mannschaft stärker mit einer Manndeckung agieren zu lassen. Wie wir noch sehen werden, gibt es sogar viele Varianten der Manndeckung, die noch zum Standard gehören.

Bevor man darüber in eine taktische oder gar fußballphilosophische Debatte gehen kann, sollte man sich deswegen zuerst mit den unterschiedlichen Varianten der umstrittenen und als veraltet geltenden Manndeckung vertraut machen.

Die Manndeckung im Kollektiv

Zuerst erklären wir die Manndeckungsspielweise, welche im gesamten Kollektiv praktiziert wird sowie ihre Varianten.

Variante 1: Die strikte Manndeckung / Nummerndeckung

Die strikte Manndeckung, von mir gerne auch als klassische oder rigide Manndeckung bezeichnet, dürfte wohl die bekannteste sein. Sollte der Gegenspieler am Vorabend zu viel getrunken haben, dann bekommt man es wegen der Nähe durch seine Fahne mit – manchmal kann man ihm auch die Haare halten. Ob das Wissen über das genaue Befinden des Gegners inklusiver dessen Ausdünstungen (Lilian Thuram soll sich im Vorfeld von Spielen mit Zwiebeln eingerieben haben, um seine Gegenspieler zu verwirren) einen taktischen Vorteil herstellen, wollten wir aber nicht erörtern.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
fixe Manndeckung: jeder hat einen Gegenspieler, die Stürmer sind befreit, es gibt einen Libero als freien Mann / Raumdecker

Die fixe Manndeckung: jeder hat einen Gegenspieler, die Stürmer sind befreit, es gibt einen Libero als freien Mann / Raumdecker

Im Endeffekt geht es bei der Manndeckung um eines: Jeder Akteur erhält einen fixen Gegenspieler, der mehr oder minder für neunzig Minuten verfolgt wird. Der Spruch: „wenn er aufs Klo geht, dann verfolgst du ihn“ oder „er muss deinen Atem spüren“ stammt aus eben diesen Unzeiten des Fußballs. Diese bezeichnen die aggressive Variante dieser Spielweise, während Herbert Chapman als „Erfinder der Manndeckung“ beim Arsenal FC Mitte der 20er-Jahre eine lose Manndeckung installierte. Es reichte, wenn man seinen Gegner im Auge und in seiner Nähe behielt, wodurch man jederzeit Zugriff herstellen konnte.

Aus taktischer Sicht ist die Umsetzung der Manndeckung simpel: das tägliche Brot des Kreisklassenverteidigers besteht dank dieser simplen Anweisung lediglich aus einer disziplinierten und körperlich betonten Verfolgung.

Fußballprofessor Ralf Rangnick bezeichnete diese Spielweise als „Nummerndeckung“, weil hier zumeist der auf dem Papier direkte Gegenspieler entsprechend seiner Rückennummer übernommen und quer über den Platz verfolgt wurde.

Mit der Zeit und Situation (bei guten Trainern oder intelligenten Spielern) wurde dies natürlich angepasst, im Finale des europäischen Supercupfinales 1975 zwischen dem FC Bayern und Dynamo Kyiv stellte Dettmar Cramer seine Manndecker entsprechend den Veränderungen Kyivs um; der Rechtsverteidiger, der Sechser und der Linksverteidiger tauschten, der defensivstarke Joseph Weiß deckte nun Rechtsaußen Slobodyan, im Landesmeisterpokalfinale hatte er zuvor den zentraleren Billy Bremner aus dem Spiel genommen. Es wurde nun nicht mehr rigoros nach den gegenüberliegenden Positionen eingeteilt, sondern für die Schlüsselspieler des Gegners ein geeigneter Manndecker (auf Kosten des eigenen Offensivspiels) gesucht.

Die Vorteile der starren Manndeckung sind ebenfalls klar: einfache Spielweise, keine Kommunikationsprobleme beim Übergeben und Verschieben, kein besonderes taktisches Training, das Ausspielen der im Idealfall überlegenen Athletik und ein durchgehendes Augenmerk auf gegnerische Schlüsselspieler.

Die taktischen Schwächen wiederum liegen ebenso auf der Hand. Besonders gut vorgeführt wurden sie von fluiden und flexiblen Angriffsreihen, insbesondere natürlich der goldenen Mannschaft der Ungarn in den frühen 50ern, auf Ungarisch auch „Aranycsapat“ genannt.

Als Schlüsselspiel wird hier oftmals das Spiel gegen die individuell keineswegs drastisch unterlegenen Engländer im Wembley-Stadion 1953 genannt, wo der Gastgeber gegen den vermeintlichen Außenseiter vom Kontinent mit 3:6 unterging.

Das Problem war gar nicht das naheliegende, nämlich die Verfolgung des Gegenspielers und eine Raumöffnung dadurch, sondern ein anderes.  Jimmy Johnston verfolgte Nandor Hidegkuti nämlich gar nicht, sondern blieb auf seiner Position.

Die Gegner kamen letztlich viel über rechts, was womöglich damit zu tun hatte, dass Winterbottom und Johnston vor dem Spiel über Hidegkuti diskutiert hatten – mit folgender Auswirkung: nach der Unterhaltung beschlossen sie, dass Johnston ihn nicht verfolgen sollte, wie es die Schweden davor erfolgreich praktiziert hatten, sondern einer aus dem Mittelfeld dies übernehmen sollte, wohl der linke Halbspieler im 3-2-2-3. – RM

Die Engländer waren also weder großartig überrascht noch ratlos – sie waren schlicht machtlos. Hidegkuti hatte keinen Verfolger und stellte Überzahlen sowie Verbindungen her; England wurde abgeschossen. Am 23. Mai 1954 gab es übrigens ein Rückspiel, gut möglich, dass man hier nicht den „Fehler“ machen wollte und der Mittelläufer dann Hidegkuti verfolgte. Das Ergebnis spricht zumindest für diese Variante: England verlor mit 1:7 noch höher.

Spielt man mit kollektiver Nummerndeckung / strikter Manndeckung, dann gibt es relativ viele und relativ einfach herzustellende Probleme. Der Gegner kann seinen Gegenspieler wegziehen und Räume öffnen. Er kann Positionen wechseln und für Verwirrung sorgen, er kann sich zurückfallen lassen und dann die gegnerische Formation zerstören, damit ein Loch entstehen lassen oder à la Hidegkuti seinen Gegenspieler verlieren und gekonnt in gezielten Räumen Überzahlen herstellen.

Ein guter individualtaktischer Spieler könnte beispielsweise auch seinen Gegenspieler zu einem anderen Verteidiger mitführen, dazwischen Raum öffnen, sich mit einer Drehung um seinen Gegenspieler in den Raum winden und mit Raum- sowie Geschwindigkeitsvorteil direkt die Schnittstelle infiltrieren. Selbst mit einem freien raumdeckenden Verteidiger hinter einer manndeckenden Abwehrreihe wäre dies möglich, wenn auch nur indirekt: hier öffnet man einfach auf einer Seite Raum für die Mitspieler durch die Bewegung zum Libero, was einen Angriff ermöglicht. Danach zieht der Angreifer mit einer Drehung nach innen und kann ins Angriffsspiel kombinativ eingreifen.

Man sieht: Das Ausspielen dieser Eselei ist sowohl kollektiv als auch individuell unbegrenzt. Dennoch gab es – neben dem freien Mann dahinter – weitere Lösungsansätze, welche zu einer zweiten großen Variante der Manndeckung führten.

Variante 2: Die flexible Manndeckung

Die flexible oder von mir auch gerne übergebende Manndeckung genannte Spielweise bezeichnet eine Abart der Nummerndeckung. Hierbei wird der Gegenspieler zwar verfolgt, aber bei Möglichkeit an einen anderen Mitspieler übergeben. Dadurch können Rochaden zweier gegnerischer Spieler oder das Kreuzen zweier Stürmer besser abgefangen werden, allerdings können kommunikative Probleme entstehen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
In einer flexiblen Manndeckung wird der einrückende Stürmer nicht verfolgt, sondern an den eigentlich freien Libero "übergeben"

In einer flexiblen Manndeckung wird der einrückende Stürmer nicht verfolgt, sondern an den eigentlich freien Libero “übergeben”

In den Niederungen des Amateurfußballs ist zum Beispiel zu beobachten, dass es nicht kommuniziert wird, wenn ein Außenspieler in die Mitte rückt und dadurch ist er plötzlich ohne Gegenspieler. In seltenen Fällen kann es auch passieren, dass der eine Akteur seinen Gegenspieler verfolgt und der andere diese übernehmen wollte; dann sind zwei bei einem Spieler und der Sturmpartner des gedoppelten Akteurs lacht sich einen.

Alles in allem ist diese Spielweise die heute am öftesten praktizierte Variante der kollektiven Manndeckung und stellt eine logische Weiterentwicklung dar. Die Gegenspieler können nicht nur an Mitspieler übergeben werden, sondern auch einfach in den Raum.

Dies wurde unter anderem von den Münchnern in den frühen 70ern unter Dettmar Cramer praktiziert. Wichen gegnerische Spieler in die Tiefe, um Überzahlen zu erzeugen, wurden sie verfolgt und dann an einen Gegenspieler übergeben. Dieser wiederum konnte seinen Gegenspieler nach vorne in den Raum übergeben.

Dadurch wurden die Bayern tiefer und kompakter, während der freie Mann des Gegners hinter einen dichten Abwehrblock gestellt wurde, was das Erzeugen von Überzahlen zumindest ansatzweise schwieriger machte.

Mit dieser Spielweise ist auch in gewisser Weise eine Art Pressing möglich. Die Abwehrspieler des Gegners werden nicht manngedeckt und die raumdeckenden Offensivakteure der eigenen Mannschaft spielen tiefer. Sie unterstützen dann vereinzelt ballorientiert den Manndecker beim Attackieren seines Gegners oder können einen Mann übernehmen, was die defensiveren Manndecker befreit.

Wirklich durchgehend und organisiert praktiziert wurde dies allerdings nie. Normalerweise wurden die Offensivspieler von Defensivaufgaben befreit, die Defensivspieler spielten in Manndeckung und gegnerische Verteidiger wurden nur beim Aufrücken von den Offensiven verfolgt.

Heutzutage wird diese übergebende Manndeckung allerdings situativ sehr häufig genutzt. Vorrangig bei gegnerischen Kontern wird in Strafraumnähe auf die Stürmer eine Manndeckung übernommen. Die Logik dahinter ist, dass die Räume bereits offen sind und der Gegner nur noch den Vorwärtsgang ohne viel Raumspiel sucht und deswegen diese situative Manndeckung die einzige effektive Vorgehensweise ist.

Ansonsten ist diese kollektive Manndeckungsvariante weitestgehend ausgestorben und wird nur noch individuell genutzt, wozu wir noch kommen werden. Vorher schließen wir das Kapitel der kollektiven Manndeckungen noch mit der dritten Variante ab.

Variante 3: Die raumorientierte Manndeckung

Diese letzte geschilderte Alternative, die raum- oder zonenorientierte Manndeckung wird sogar in der Bundesliga noch vereinzelt genutzt, unter anderem von Dieter Hecking bei seinem Ex-Verein, dem 1. FC Nürnberg.

Hier steht die Mannschaft zumeist in ihrer positionsorientierten Raumdeckung da, wozu wir in einem anderen Artikel noch kommen werden. Aus ihren Positionen haben sie einen gewissen abzudeckenden Raum vor und um sich. Verirrt sich ein gegnerischer Spieler in diesen Raum, dann wird er in eine Manndeckung übernommen.

Verlässt der Gegner den Raum ohne Ball, dann bewegt sich der eigene Spieler wieder zurück auf seine Position in der Grundformation. Dies ist in gewisser Weise eine Kompromisslösung zwischen Mann- und Raumdeckung. Das Kollektiv steht in einer kompakten raumdeckenden Anordnung da und stellt daraus gezielt Manndeckungen her. Somit wird Bewegung ins Spiel gebracht, der Gegner soll bei der Ballannahme eng gedeckt und damit bedrängt sein, während das Kollektiv keine Räume öffnen soll.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Die raumorientierte Manndeckung, wo der Spieler nur zur Manndeckung übergeht, weil ein Gegenspieler in seine "Manndeckungszone" eingedrungen ist

Die raumorientierte Manndeckung, wo der Spieler nur zur Manndeckung übergeht, weil ein Gegenspieler in seine “Manndeckungszone” eingedrungen ist

Dabei kann diese Spielweise so praktiziert werden, dass die Position schlichtweg offen bleibt oder dass das Loch durch kollektives Verschieben beziehungsweise einen ersetzenden Spieler gefüllt wird. Dadurch bleibt die Formation kompakt, aber eventuell entstehen in anderen Räumen Löcher und insbesondere bei schnellen Doppelpässen können diese fehlenden Spieler anvisiert werden.

Ein Vorteil ist aber wiederum, dass Probleme beim Verschieben und räumlichen Übergeben oftmals nicht auffallen, weil sie seltener werden und schwieriger bespielt werden können. Das Momentum aus der gegnerischen Aktion kann durch eine intelligente Attackierung zerstört werden und daraus der Angriff verzögert, abgeleitet oder unterbrochen werden.

Generell ist es eine manchmal mehr, manchmal weniger schwierige Spielweise mit vielen komplexen und intensiven Bewegungen, die einen interessanten Kompromiss, aber wohl keine Dauerlösung darstellt.

Variante 4: Die situative Manndeckung

Während die dritte Variante eine Mischung aus Raumdeckung und Manndeckung gehört, aber noch zu der Manndeckung gehört, ist bei der situativen Manndeckung eher eine Raumdeckung das oberste Prinzip. Dennoch zähle ich sie zu den Manndeckungen, weil bei starker Intensität und Umsetzung sie das auffälligste Merkmal der jeweiligen Mannschaft sind.

Zur Erklärung dieser Spielweise: Aus einer Raumdeckung heraus werden bei dieser Mischvariante ebenfalls oft Manndeckungen hergestellt. Ein Beispiel gibt es im Pressing, wo zum Beispiel der SC Freiburg mit den Mittelstürmern die Passwege zustellt, also raumdeckend und optionsorientiert agieren, während die Sechser die gegnerischen Sechser in Manndeckung übernehmen, um sie sofort attackieren zu können. Allerdings spreche ich hier natürlich nicht von einer kollektiven Manndeckung der Freiburger, sondern von einem situativ angewandten taktischen Mittel.

Alternativ und viel stärker können bei gegnerischen Kurzpassstafetten auch im Mittelfeld auf sich freilaufende Spieler kurzzeitig Manndeckungen hergestellt werden, welche dann nicht anspielbereit sind – der Gegner muss zurückspielen und der Manndecker wird wieder zu einem Raumdecker. Diese Variante als eigene zu bezeichnen, reicht beispielsweise beim Spiel von Rayo Vallecano gegen den FC Barcelona oder bei der Spielweise Swanseas nicht. Gleichwohl wird dies von diesen beiden Teams gespielt und gehört zu den interessanten Eigenschaften einer optionsorientierten Raumdeckung. Auch die Bayern mit ihrem intelligentem Pressing dieser Rückrunde zeigen oftmals situative Manndeckungen.

Keine Mannschaft spielt diese Spielweise aber durchgehend, obwohl sie eine interessante und sehr risikoreiche Variante wäre. Eine noch flexiblere Variante der Spielweise Bilbaos würde dieses taktische Mittel wohl am ehesten verkörpern.

Die Manndeckung bei Individuen

Aktuell wird die Manndeckung jedoch vorrangig bei einzelnen Spielern genutzt. Man möchte damit bestimmte Gefahren einschränken oder die Abstimmung in der eigenen Mannschaft erleichtern, weswegen man die Manndeckung vereinzelt wieder aufleben lässt. Hier gibt es zwei große Varianten, die wir kurz anreißen.

Variante 1: Manndeckung auf Schlüsselspieler

Die am weitesten verbreitete und noch sehr oft genutzte Manndeckungsspielweise dürfte der Kettenhund auf einzelne strategisch wichtige Spieler des Gegners sein. So gab es in der Bundesliga einen Manndecker auf Mats Hummels beim BVB oder im El Clásico von Sami Khedira auf Andrés Iniesta. Die Unterschiede liegen auf der Hand: beim BVB wollte man den spielgestalterischen Innenverteidiger und somit das Aufbauspiel aus der Tiefe heraus ersticken, bei Barcelona sollte der Nadelspieler abgedeckt werden und dadurch das gegnerische Ballbesitzspiel ohne Raumgewinn und Stabilität bleiben.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
"boah, der Innenverteidiger ist so gefährlich, mein lieber Mann, den decken wir lieber mann"

“boah, der Innenverteidiger ist so gefährlich, mein lieber Mann, den decken wir lieber mann”

In dieser Spielweise ist das raumdeckende Grundgerüst gegeben und es werden nur einzelne Spieler aus der Grundformation heraus isoliert. Sie übernehmen dann eine Manndeckung, können aber oftmals wieder zurück in die Grundformation eingehen. Je nach Aggressivität der Spielweise wechselt man also zwischen einer fixen und einer situativen Manndeckung. Dieses taktische Mittel wird auch die nächsten Jahre überdauern und ist bei intelligenter Nutzung grundsätzlich durchaus eine gute Idee und keine Eselei.

Variante 2: Manndeckung auf bestimmte Positionen oder in bestimmten Zonen

Als zweite Variante können nicht einzelne Spieler manngedeckt werden, sondern nur in einer bestimmten Zone oder auf einer Position. Ein gutes Beispiel wäre das Spiel gegen die falsche Neun: diese wird von einem Innenverteidiger manngedeckt, dann an einen Mittelfeldspieler übergeben oder gar fix manngedeckt. In diesem Fall geht es nicht um den Spieler und seine individualtaktischen Fähigkeiten, sondern seine Bedeutung für die Bewegung in der Gruppen- und Mannschaftstaktik, die unterbunden werden soll. Alternativ kann auch bei situativer Sturmbesetzung immer der jeweilige wechselnde Mittelstürmer gedeckt werden, um ein besseres Beispiel zu geben.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
aus dem 4-4-2 verschiebt eine Mannschaft asymmetrisch, der linke Außenstürmer übernimmt eine "Mannorientierung" auf den Außenverteidiger, der Rest rückt ein; dies ist eine raumverknappende und situativ bespielte Variante der Manndeckung auf bestimmte Positionen

aus dem 4-4-2 verschiebt eine Mannschaft asymmetrisch, der linke Außenstürmer übernimmt eine “Mannorientierung” auf den Außenverteidiger, der Rest rückt ein; dies ist eine raumverknappende und situativ bespielte Variante der Manndeckung auf bestimmte Positionen

Die Standardnutzung dieser Spielweise befindet sich auf Außen. Hier wird den jeweiligen Außenstürmern der gegnerische Außenverteidiger zugeordnet und dem Außenverteidiger der Außenstürmer. Dadurch soll verhindert werden, dass der Gegner durch das Hinterlaufen frei wird oder die dribbelstarken Flügel des Gegners ihr Sichtfeld einfach zum Tor drehen können. Oftmals wird mit dieser Spielweise das gegnerische Aufbauspiel in die Mitte zurückgelenkt oder es wird mit Pressingfallen gearbeitet.

Dabei formierten sich die Bremer einmal mehr in ihrer 4-1-4-1-Formation, die passend zur Leverkusener Spielweise adjustiert wurde.

Auf den Flügeln orientierten sich die Außenstürmer sehr mannorientiert und ließen sich weit nach hinten fallen, wenn sie den Ball nicht hatten. Dadurch konnte Leverkusen die hohen und breiten Außenverteidiger nicht ideal nutzen, sondern musste stärker über die Mitte kommen.  - RM

Noch was?

Langfristig könnte die Manndeckung zurückkehren; doch nicht in altem Gewand, denn die Spieler sind in puncto Athletik wohl zu sehr auf einem ähnlichen Niveau, die Trainer sind zu ausgefuchst und nur vereinzelt könnte eine klassische Manndeckung durch das Kollektiv noch erfolgreich sein.

Aber eine moderne Variante könnte eventuell für eine Renaissance sorgen: die raumverknappende Manndeckung oder eventuell eine kollektiv und aggressiv durchgesetzte situative Manndeckung. Bei Ersterem würde zum Beispiel Arrigo Sacchis Dogma der Kompaktheit und den vier Referenzpunkten mit einer Mann- statt einer Raumdeckung beachtet werden. Anstatt in einer raumdeckenden Formation vereinzelte Manndecker einzubauen, wie es aktuell gemacht wird, könnte es dann in einer manndeckenden Mannschaft „Raumdecker“ geben, welche Löcher schließen und situativ Pressingfallen aufbauen.

Die Raumdecker müssen dabei keine fix eingeteilten Akteure sein, sondern können aus dem verknappten ballfernen Raum  gezogen werden. Die ballfernen Manndecker übernehmen in eingerückter Position einen Mann, wodurch ein Dominoeffekt entsteht und die vielen Raumdecker befreit. Im Grunde wurde dies mit dem Libero als freiem Mann und Raumdecker bereits in einer Einzelvariante gespielt.

Mit fortschreitender Dynamik und Spielintelligenz könnte diese Spielweise – welche wie erwähnt ansatzweise in den 70ern von den Bayern gespielt wurde – für neue Wege in der Fußballtaktik sorgen. Hier wird aber nicht nur eine Dimension, die Länge des Platzes, „verknappt“, sondern auch die Breite, der Faktor Raum als solcher und der Faktor Zeit / Stress. Ob und wann es soweit ist, werden wir noch sehen (oder eben nicht).

Es gäbe weitere Konstrukts und Verfeinerungen der klassischen Manndeckung; beispielsweise durch Doppeldeckungen im Zuge einer kompakten Grundformation oder noch einige weitere skurrile Ideen, auf die wegen mangelnder Referenzen im Leistungssport in diesem erklärenden und taktiktheoretischen Artikel nicht weiter eingegangen wird.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Spielverlagerung wünscht ein frohes neues Jahr!

P.S.: Auf Leserwunsch noch meine Idee der raumverknappenden Manndeckung:

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Torhüter am Ball. Die Manndeckungen bei Team Blau sind klar erkennbar

Torhüter am Ball. Die Manndeckungen bei Team Blau sind klar erkennbar

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Der Torhüter spielt nun einen Pass zum halbrechten Innenverteidiger

Der Torhüter spielt nun einen Pass zum halbrechten Innenverteidiger

 

 

 

 

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Die im Kollektiv manndeckend agierende Mannschaft geht ins Pressing über. Die Spieler werden nicht "übergeben", sondern "übernommen", wenn man präzise sein möchte oder eben verfolgt. Die raumdeckenden Akteure zwischen den Außenverteidigern übernehmen entweder den Mann (halbrechts) oder schieben frei ins Zentrum (halblinks)

Die im Kollektiv manndeckend agierende Mannschaft geht ins Pressing über. Die Spieler werden nicht “übergeben”, sondern “übernommen”, wenn man präzise sein möchte oder eben verfolgt. Die raumdeckenden Akteure zwischen den Außenverteidigern übernehmen entweder den Mann (halbrechts) oder schieben frei ins Zentrum (halblinks)

 

Image may be NSFW.
Clik here to view.
In diesem Bild sehen wir die neuen Zugriffe und die "Raumverknappung" bzw. ihre Effekte genauer. Der ballferne Außenstürmer löste sich und geht auf den Innenverteidiger und behält dennoch ein Auge auf seinen Hintermann. Der intelligente linke Außenstürmer von Team Rot bewegt sich gut, er wird lose vom rechten Verteidiger verfolgt, der gleichzeitig ein Auge auf den ballfernen Außen hält. Das ist auch der Mitgrund, wieso sich der halblinke Sechser in die Mitte bewegte.

In diesem Bild sehen wir die neuen Zugriffe und die “Raumverknappung” bzw. ihre Effekte genauer. Der ballferne Außenstürmer löste sich und geht auf den Innenverteidiger und behält dennoch ein Auge auf seinen Hintermann. Der intelligente linke Außenstürmer von Team Rot bewegt sich gut, er wird lose vom rechten Verteidiger verfolgt, der gleichzeitig ein Auge auf den ballfernen Außen hält. Das ist auch der Mitgrund, wieso sich der halblinke Sechser in die Mitte bewegte.

 

Die Raumdeckung

Die zwei hauptsächlich genutzten Deckungsarten im Fußball sind die Manndeckung und die Raumdeckung. In diesem Artikel erklären wir die unterschiedlichen Varianten und Ausprägungen der Raumdeckung, inkl. ihrer Vor- und Nachteile.

Allgemeines zur Raumdeckung

Die Raumdeckung gilt als die erste gespielte Spielweise. Dabei hatte die ursprüngliche Raumdeckung sehr wenig mit der aktuellen Spielweise zu tun, weil die Organisation fehlte. Eher könnte man es als Chaosdeckung bezeichnen, wo jeder herumlungerte, wie es ihm passte und gelegentlich zur Balleroberung überging.

Heutzutage ist die Raumdeckung alles andere als chaotisch. Mit fortschreitender Athletik, Spielintelligenz und insbesondere der Professionalisierung löste sie die Manndeckung ab, weil die Spieler individuell in der Breite stärker wurden und sich im Kollektiv besser abstimmten. Dadurch sind die Schnittstellen enger und besser abzudecken, was die Anfälligkeit der Raumdeckung zwischen den horizontalen und besonders den vertikalen Linien abschwächt.

In den späten Achtzigern wurde die Raumdeckung um eine weitere Komponente erweitert, nämlich die Raumverknappung. Dabei wurde das Spiel prinzipiell kompakter gehalten und mithilfe der Faktoren Zeit, Raum und den fußballspezifischen Regeln wie Abseits das effektiv bespielbare Spielfeld komprimiert. Dabei werden vier Referenzpunkte von Arrigo Sacchi genannt:

 “Unsere Spieler hatten vier Referenzpunkte: den Ball, den Raum, den Gegner und die eigenen Mitspieler. Jede Bewegung musste in Beziehung zu diesen Referenzpunkten passieren. Jeder Spieler musste entscheiden, welcher dieser Referenzpunkte seine Bewegungen bestimmen sollte.” – Arrigo Sacchi

Die Mannschaft muss diese beim Verschieben und Pressen beachten, um keine Löcher zu öffnen und im Grundgerüst weiterhin raumdeckend und gleichzeitig stabil agieren zu können.

Jedoch sollte beachtet werden, dass mit dem ballorientierten Spiel nicht die Raumdeckung als solche gemeint ist. Das ballorientierte Spiel bezeichnet die individuelle und kollektive Anpassung an die Bewegung des Balles, welche mit der Raumdeckung im Normalfall, aber eben nicht zwingend, einhergeht, und viel stärker beim Pressing sowie beim Agieren mit der Raumverknappung zum Vorschein kommt.

Rein theoretisch ist es durchaus möglich, dass auch in einer Raumdeckung ohne Ballorientierung gespielt wird. Beispielsweise war es früher in zahlreichen Teams durchaus üblich, dass man keinen Gegenspieler manngedeckt hat, sondern in einer Raumdeckung agierte, aber dennoch keineswegs ballfern einrückte oder durchgehend Richtung Ball verschob.

Ebenso ist es ein Fehler zu glauben, die vier Referenzpunkte nach Sacchi gelten nur bei der Raumvernappung und dem Pressing. Sie werden generell im Defensivspiel und im Angriffsspiel genutzt, desweiteren dienen Vorzüge von bestimmten Referenzpunkten als Ursachen für die unterschiedlichen Raumdeckungsspielweisen.

Die Raumdeckung im Kollektiv

Zuerst erklären wir die Raumdeckungsspielweise, welche im gesamten Kollektiv praktiziert wird sowie ihre Varianten.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
in diesem Artikel gehen wir in allen Spielszenen von einer 4-4-2-Defensivformationen aus

in diesem Artikel gehen wir in allen Spielszenen von einer 4-4-2-Defensivformationen aus

Variante 1: Die positionsorientierte Raumdeckung

Bei der positionsorientierten Raumdeckung ist der Referenzpunkt der „Mitspieler“. Dies wird vereinfacht so gespielt, dass die Mannschaft in einem geschlossenen Block agiert. Dieser Block ist nichts anderes als eine Formation, in der die jeweiligen Positionen klar verteilt sind und in gewisser Weise die eigene Position „gedeckt“ wird. Die Bezeichnung Positionsdeckung könnte deswegen ebenfalls genutzt werden.

Ein Beispiel sind die Gladbacher unter Lucien Favre oder auch früher Valeriy Lobanovskiys Dynamo Kyiv. Bei den Gladbachern ist auffällig, wie effektiv sie hin und her verschieben und dabei oftmals kaum Druck auf Gegner oder Ball ausüben. Stattdessen konzentrieren sie sich auf Angriffsvereitelung durch Raumkontrolle. Das gegnerische Team lässt den Ball zirkulieren, die Gladbacher verschieben dabei so schnell und präzise, dass die bei dieser Variante zumeist vermeintlich offenen Außenbahnen nicht bespielt werden können.

Gleichzeitig wird dabei die vertikale und horizontale Kompaktheit gewahrt, weswegen der Gegner auch innerhalb des Blockes kaum Raum findet. Spielt er dennoch in den engen Raum, dann schieben die Linien aufeinander zu (oder nur eine Linie verschiebt, je nach Spielphilosophie) und verschließt den Raum. Dadurch wird der Gegner zeitlich unter Druck gesetzt, was in Ballgewinnen durch Fehlpässe oder anderen technischen Fehlern resultiert.

Merkmale dieser Raumdeckungsspielweise sind also das im Normalfall sehr klar erkennbare Kettenspiel in Abwehr und Mittelfeld, das Anbieten der Außenbahnen und die geraden Linien. Die Formation muss aber keineswegs aus gleich breiten Ketten oder gleichen Abständen zwischen den Mannschaftsteilen bestehen, wird aber zumeist so praktiziert, um die Schnittstellen und den Zwischenlinienraum möglichst gering zu halten.

Im Endeffekt wirkt diese Spielweise oftmals etwas passiv, weil bei intelligenter und vorsichtiger gegnerischer Ballzirkulation nur wenig Druck erzeugt werden kann. Favre spielte sich in dieser Saison damit, dass er den Raum zwischen den Linien auseinanderzog oder die Linien intelligent aufrückten und dadurch dann Zugriff im Pressing erhielten.

Beispielhafte Spielszene zur positionsorientierten Raumdeckung

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Hier sehen wir die positionsorientierte Raumdeckung

Szene zur positionsorientierten Raumdeckung

Der Gegner baut über die rechte Seite auf, es scheint ein 4-1-2-3 als Abart des 4-3-3 mit breiten Flügelstürmern zu sein. Wir stehen aus grafischen Gründen in einer ultradefensiven Formation da.

Der Gegner spielt nach rechts, die Mannschaft verschiebt als Kollektiv auf die Seite. Die vermeintlich offene Seite für den Flügelstürmer wird plötzlich sehr eng, er kann nicht sicher angespielt werden. Der Ball geht in die Mitte, unser (halb)linker Mittelstürmer erhält Zugriff und geht ins Pressing über, die Mannschaft folgt seinem Beispiel und geht dieselben Laufwege.

Man nähert sich dem Gegner langsam und Schritt für Schritt, wirkt bisweilen etwas passiv. Als Gegenleistung für die Passivität und den geringeren Zugriff ist man aber stabiler und kompakter, Pässe in den Zwischenlinienraum sind schwierig und können durch Verengung der Mannschaftsteile komprimiert werden.

Variante 2: Die mannorientierte Raumdeckung 

Bei der mannorientierten Raumdeckung gibt es eine Grundformation, in welchem verstärkt zum Referenzpunkt „Gegner“ verschoben wird. Aus der jeweiligen Grundposition orientieren sich die eigenen Spieler also flexibel in ihrem abzudeckenden Raum, um eine gewisse Distanz auf den positionsnächsten Gegenspieler zu wahren.

Der Unterschied zur Manndeckung ist somit klar. In der Manndeckung orientiert man sich sehr straff an einem Gegenspieler, oftmals sogar nur an einem einzigen und verfolgt diesen. In der Raumdeckung deckt man den Raum um seine Position herum, verschiebt seine Position aber lose an einem beliebigen nahen Gegenspieler und bleibt dadurch in der Nähe dessen.

In gewisser Weise ist es eine Kompromisslösung aus positionsorientierter Raumdeckung und Manndeckung. Der Vorteil gegenüber der Manndeckung ist das geringere Öffnen von Löcher, der Vorteil gegenüber der positionsorientierten Raumdeckung ist der erhöhte Zugriff durch die geringere Distanz zu den jeweiligen Gegenspielern.

Beispielhafte Spielszene zur mannorientierten Raumdeckung

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Szene zur mannorientierten Raumdeckung

Szene zur mannorientierten Raumdeckung

Der gegnerische rechte Außenverteidiger erhält den Ball, die eigene Mannschaft verschiebt nach links. Auffällig natürlich, dass die Sechser sich unterschiedlich verhalten: einer orientiert sich am gegnerischen halbrechten Achter, einer am Mittelstürmer. Der eigene Mittelstürmer orientiert sich ebenfalls mannorientiert, allerdings nicht klassisch, sondern eben im Raum: er verstellt den Passweg zum gegnerischen Sechser, der hinter den beiden Achtern spielt.

Alternativ hätte sich der zweite, halbrechte Sechser der eigenen Mannschaft auch am gegnerischen halblinken Achter orientieren können und der Außenstürmer wäre im Raum geblieben. So wurden aber dennoch sämtliche Passwege und Optionen direkt (durch Deckungsschatten oder gar situative Manndeckungen) oder indirekt (durch Zugriffe und Engen) versperrt.

Der gegnerische Außenverteidiger riskiert nicht den Linienpass, sondern spielt zurück. Die eigene Mannschaft schiebt darum heraus, der Mittelstürmer löst sich vom Raum um seinen vermeintlichen Gegenspieler und geht ins Pressing über. Der ballferne Außenstürmer schiebt nach außen; bis der gegnerische Innenverteidiger den Ball verarbeitet und weiterspielen kann, ist der eigene Außenstürmer wieder in der Nähe des gegnerischen Außenverteidigers. Zentral überläuft der halblinke Sechser der eigenen Mannschaft den gegnerischen halbrechten Achter und orientiert sich nun “plötzlich” am Sechser des gegnerischen Teams.

In gewisser Weise könnte man sagen, dass die mannorientierte Raumdeckung im Gegensatz zur positionsorientierten Raumdeckung nicht auf den Zugriff und somit das Pressing wartet, sondern ihn sucht. Der Unterschied zur Manndeckung besteht wiederum, dass die Gegenspieler nicht verfolgt werden oder an andere übergeben, sondern im Raum stehen gelassen werden und man sich jederzeit neu orientieren kann. Desweiteren orientiert man sich nicht am Gegenspieler als solchen, sondern an dessen Aktionsraum und der Zugriffsdistanz.

Variante 3: Die raumorientierte Raumdeckung

In dieser dritten Variante, die aber deutlich seltener als die mann- und die positionsorientierte Raumdeckung genutzt wird, ist der Referenzpunkt der Raum. Dabei verschiebt das Kollektiv Richtung dem in diesem Moment effektiv bespielbaren Raum und versucht diesen zu besetzen.

Auf dem Papier klingt das intelligent, möchte man meinen. Der Raum würde überladen und längere Kurzpassstafetten des Gegners würden durch viel Druck zerstört werden können. In der Praxis ist dies aber nicht der Fall, wenn die Gegner ansatzweise spielintelligent sind. Sie können dann in die vielen geöffneten Räume, insbesondere ballfern, stoßen und die gegnerische Formation zerstören.

Ein Beispiel war das Spiel zwischen Valencia und Malaga, wo Valencia durch eine raumorientierte Raumdeckung die Fluidität und die situativen Engen Malagas einschränken wollte, was vollends scheiterte.

Beispielhafte Spielszene zur raumorientierten Raumdeckung

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Spielszene zur raumorientierten Raumdeckung

Spielszene zur raumorientierten Raumdeckung

In gewisser Weise der verschollene Zwilling der Manndeckung, was Eselei betrifft. Der Pass geht wie gehabt auf den gegnerischen Außenverteidiger, die gesamte Mannschaft orientiert sich am neuen Spielraum.

Sie erhalten keinen Zugriff, der Pass geht in die Mitte, man verschiebt neu in den Raum. Was passiert?

Richtig, ballfern sind freie Räume. Bei jeder Raumdeckung (mit Raumverknappung zumindest) entstehen freie Räume, bei der raumorientierten Raumdeckung entstehen sie jedoch durchgehend als miteinhergehendes Naturell dieser Spielweise. Sie werden auch so groß, dass sie nicht nur über lange gefährliche Diagonalbälle bespielbar sind, sondern bei halbwegs intelligenten Gegnern auch Kurzpassstafetten – wie in diesem Fall.

Im Spiel zwischen Valencia und Malaga versuchte es Valencia ansatzweise mit dieser Deckung und scheiterte. Im Artikel findet man auch ein paar schöne Bilder von laola1.tv inkl. kurzer Erklärung dazu.

Variante 4: Die optionsorientierte Raumdeckung

Bei der optionsorientierten oder gerne auch ballorientierten Raumdeckung ist der Referenzpunkt der Ball – wie kann er uns Schaden zufügen, wie verhindern wir das? Die Mannschaft verschiebt aus ihrer Position unterschiedlich heraus, je nach Positionierung des Balles und den Möglichkeiten, die sich für den Gegner daraus ergeben.

Diese Spielweise wird von Swansea praktiziert und auch ansatzweise vom FC Barcelona. Dabei ist wichtig, dass die Spieler spielintelligent sind und gut aufeinander abgestimmt, ansonsten werden zahlreiche Löcher geöffnet und die Formation zerrissen.

Beispielhafte Spielszene zur optionsorientierten Raumdeckung

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Szene zur optionsorientierten Raumdeckung

Szene zur optionsorientierten Raumdeckung

Gleiches Szenario, abermals unterschiedliche Bewegung. Es kommt ein Pass nach rechts (von “uns” aus links), die Mannschaft verschiebt. Der eigene Rechtsverteidiger denkt sich aber, “boah ey, wenn da jetzt ein geiler Diagonalball kommt, gibt’s Ärger” und löst sich aus dem Kettenmechanismus.

Der linke Außenstürmer der eigenen Mannschaft stellt den gegnerischen Rechtsaußen in seinen Deckungsschatten, während der halblinke Sechser einen gefährlichen Pass zum gegnerischen Mittelstürmer durch den offenen Raum verhindert. Der linke Mittelstürmer stellt den gegnerischen halbrechten Achter mit seinem Deckungsschatten zu, sein Partner, der rechte Mittelstürmer rückt auch deshalb antizipativ auf.

Wieso tut er das? Wir sehen es in der Angriffsentwicklung. Der Pass des gegnerischen Außenverteidigers kommt riskant in die Mitte, der linke Mittelstürmer versucht ihn abzufangen, scheitert und läuft weiter; jetzt ist der gegnerische Außenverteidiger in seinem Deckungsschatten. Der zweite Mittelstürmer kann pressen und attackiert den gegnerischen Sechser.

Die eigene Mannschaft rückt auf, die ballfernen Außenspieler orientieren sich auf die Seite: gewinnt man den Ball, stößt man in den freien Raum, wird er weitergeleitet, deckt man die ballferne Seite vor Diagonalbällen ab.

Die Raumdeckung bei Individuen

Unter Umständen könnte auch mit vereinzelten „Raumdeckern“ in Misch- oder Manndeckungssystemen agiert werden. Auch wenn dies nicht der Norm entspricht, widmen wir uns kurz zwei solcher Möglichkeiten, obwohl die Einsatzmöglichkeiten wohl unendlich sind.

Variante 1: Der Libero

Der bekannteste freie Mann in der Geschichte des Fußballs ist der Libero. Dieser agiert traditionell hinter einer Abwehrkette, besitzt keinen Gegenspieler und deckt somit freie Räume. Mit dem Libero wollte man die vielen offenen Löcher der Manndeckung bekämpfen – hinter der herumwirbelnden Manndeckungsbastion stand der Libero als Fels in der Brandung, positionierte sich antizipativ hinter Löchern, fing Bälle in diese Löcher ab oder übernahm frei gewordene Spieler.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
(geplante!) Aufstellung der Bayern im europäischen Supercup 1975 gegen Dynamo Kyiv mit Libero Beckenbauer hinter einer manndeckenden Mannschaft

(geplante!) Aufstellung der Bayern im europäischen Supercup 1975 gegen Dynamo Kyiv mit Libero Beckenbauer hinter einer manndeckenden Mannschaft

Variante 2: Raumdeuter und Raumdecker

Manche Spieler agierten auch als freie Akteure vor der Abwehr; teilweise sogar in raumdeckenden Systemen. Sie spielten dabei eine aus der Formation isolierte Rolle oder eine andere Raumdeckung, als die Mitspieler. So könnte ein absichernder Sechser der einzige im Mittelfeld sein, der positionsorientiert spielt und dadurch die Stellung hält, während seine Mitspieler sich manndeckend oder in einer mannorientierten Raumdeckung organisieren.

Andererseits könnte auch ein nomineller Zehner sich als „Jäger“ organisieren und sich immer dort positionieren, wo gerade der Gegner hinspielt. Dann würde er von einer Rolle als nomineller Zehner immer wieder auf Halbpositionen pendeln und dort den Raum kompakter machen.

Noch was?

Eigentlich sogar sehr viel. Man kann noch viel mehr Referenzpunkte einbauen, die im Pressing und insbesondere im Gegenpressing instinktiv eine größere Gewichtung erhalten, und daraus neue Raumdeckungsmöglichkeiten bauen. Eine Zeitdeckung wäre dabei ebenso möglich wie eine Balldeckung, eine Strukturdeckung, eine Dynamikdeckung und noch vieles vieles mehr.

Gleichzeitig gibt es auch bei den einzelnen, oben geschilderten Raumdeckungsspielweisen massig unterschiedliche Varianten. Diese betreffen das Verschieben, die Involvierung in die Defensivarbeit (siehe Cristiano Ronaldos Zocken), die genaue Umsetzung des defensiven Positionsspiels, mögliche Asymmetrien, das defensive Umschaltverhalten zur Grundformation zurück, usw. usf.

Diese oben beschriebene Liste soll nur einen groben Überblick über die zwei großen und zwei kleineren Nutzungsweisen der Raumdeckung liefern; außerhalb dieser vier Varianten gibt es noch einige Möglichkeiten, sich neu zu erfinden; innerhalb dieser vier Varianten gibt es ebenfalls unglaublich viele Variationen.

Wie verschiebt die Kette beim Herausweichen eines Spielers? Presst man rückwärts oder kehrt man auf seine Position zurück? Wie genau teilt man das auf, wie presst man eventuell rückwärts und was machen die auf ihren Positionen verbliebenen Spieler? Wer sichert wann ab?

Die Möglichkeiten sind dank der zahllosen Kombinationen und den vielen komplexen Facetten des Spiels unendlich, was den Fußball auch so ungeheuer vielfältig macht.

Selbst das als Standard genutzte Raumdeckungssystem ist nicht klar zu definieren. Die meisten Mannschaften wechseln das, mischen es positionell sowie mit situativen oder flexiblen Manndeckungen durch und variieren in den unterschiedlichen Phasen des Defensivspiels. Aus einer positionsorientierten Raumdeckung bei tiefem Aufbau des Gegners, um stabil und organisiert zu stehen, wird dann beispielsweise eine mannorientierte Raumdeckung, wenn der Gegner höher steht, um schneller Zugriff zu erhalten. Während der Pressingphase ist man dann zumeist optionsorientiert und deckt mögliche Passwege oder ähnliches ab. Einen Defensivstandard als solchen gibt es nicht.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Die Spielzüge des Jahres: Laudrups elegante Schwäne

Wie Michael Laudrup die “optionsorientierte Raumdeckung” spielen lässt und Swansea City den amtierenden englischen Meister ohne Anstrengung auf Null verteidigte.

+++ 27. Oktober 2012, Manchester +++ Premier League, 9. Spieltag +++
Manchester City – Swansea City 1:0

- 25. Minute -

Unser zweiter Spielzug des Jahres zeigt eine Defensivszene von Swansea City. Auch wenn die Mannschaft von Michael Laudrup das Spiel am Ende knapp verlor, war es für Mancinis Citizens phasenweise fast blamabel, wie chancenlos sie im Spiel nach vorne blieben. Den ersten Schussversuch gab der englische Meister in der 38. Minute ab, nach Carlos Tevez’ Distanzschuss zum 1:0 in der 60. Minute blieb Manchester weitere 38 Minuten ohne jeden Versuch auf den Kasten des (eingewechselten) Gerhard Tremmels. Image may be NSFW.
Clik here to view.

Das erreichte Swansea aber nicht durch ein extrem passives Einmauern oder eine besonders leidenschaftliche Pressingleistung, was die gängigen Verteidigungsvarianten von individuell unterlegenen Mannschaften sind. Die Schwäne verzichten in ihren Spiel auf durchgehende Balleroberung und verteidigen sogar fast ohne Sprints; sie sind nicht der kämpfende, “Gras fressende” Underdog. In der grundlegend passiven Deckung sind sie aber sehr aktiv und stehen nicht etwa “ängstlich” vor dem dem eigenen Strafraum. Sie bewegen sich sehr aktiv, höchst flexibel und anpassungsfähig aus ihren Positionen heraus, spielen sehr antizipierend und nehmen dem Balführenden Gegner somit alle Optionen im Vorwärtsspiel.

  • Kollektive Nutzung von Deckungsschatten

Diese Szene startet effektiv mit einem Vorstoß von Gareth Barry. Nachdem Manchester City den Ball kurzzeitig in der eigenen Hälfte umherschob, ohne von Swansea bedrängt zu werden, versucht dieser aus einer linken Position den Ball vorwärts zu treiben.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
dff

Jonathan de Guzman (zweiter Stürmer / Zehner) folgt Barrys Vorstoß und läuft ihn seitlich an. Leon Britton bewegt sich nach vorne in Barrys Laufweg, Pablo Hernandez rückt ein. Zusammen klappen sie vor Barry ein und stoppen die Vorwärtsbewegung. Wegen de Guzman muss Barry nach außen auf Clichy spielen, der auf Touré verlagert.

Tevez, der in einer Freirolle als zweiter Stürmer spielt, befindet sich in dieser Szene ungedeckt wenige Meter vor dem Ball. Dennoch kommt er nicht an den Ball, weil Swansea mit hervorragendem Timing vor ihm zusammenschert und den Passweg abschneidet. Im Deckungsschatten von Britton und Hernandez wird Tevez aufgefressen, sodass Swansea ihn nicht in seiner individuelle Klasse verteidigen muss. Hernandez stellt dabei auch den Passweg auf Kolarov zu.

Besonders interessant ist, dass Britton eben nach vorne herausrückt, anstatt auf Höhe des restlichen Mittelfelds auf Tevez zu gehen, um ihn nach einem Pass attackieren zu können. Das wäre wohl die übliche Herangehensweise in einer Raumdeckung. Dass Britton auf den direkten Zugriff auf den gegnerischen Schlüsselspieler verzichtet, zeigt, dass die Schwäne sehr bewusst mit dem Mittel des Deckungsschattens arbeiten.

  • “Ich sehe tote Räume…”

Die Eleganz und Vielfalt von Swansea ist in den Sekunden nach dem ersten Abbruch Manchesters wunderbar zu erkennen. Die drei Spieler, die eben noch den gleichen Fixpunkt in Barry hatten, orientieren sich nun alle anders: Hernandez geht positionsorientiert auf seinen Flügel zurück, de Guzman folgt Barry weiter mannorientiert, Britton bewegt sich raumorientiert in die Lücke von de Guzman.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Yaya Touré hat keine vernünftige Möglichkeit zum sicheren Vorwärtsspiel. Tevez bewegt sich weiter nach links, worauf Michu reagiert und mitgeht. Touré dribbelt kurz in die Mitte, verlagert dann auf den vorstoßenden Kompany, der kurz auf Tevez ablegt, welcher mittlerweile auf dem anderen Flügel angekommen ist.

Dass Touré wieder zu einer langsamen Verlagerung gedrängt wird und keinen Zugang ins Zentrum findet, liegt wieder an der intelligenten Positionierung von Swansea, die sehr unkonventionell agieren: Laudrups Elf steht wegen de Guzmans Mannorientierung nicht mehr in ihrer Grundformation, die Mittelfeldlinie steht diagonal, die Sechser stehen höher als der ballferne Flügelspieler Routledge. Somit haben sich in der Deckungsformation von Swansea einige Räume aufgetan. Diese Räume sind aber für die Citizens nicht bespielbar.

Tevez steht in einer Pressingfalle (rot): wenn Touré auf ihn spielt, kann er von drei Seiten attackiert werden, sodass er vermutlich den Ball verliert, was in dieser Situation zu einem leichten Konter für Swansea führen kann. Die Räume hinter den Sechsern (grau) sind “tot”: Der Raum um Nasri ist von Ki, Michu und gewissermaßen auch von Tevez verdeckt, weshalb Davies und Williams nicht herausrücken, sondern Nasri dort gerne freilassen. Der Raum hinter Britton kann von keinem Spieler angelaufen werden, weil Tevez in eine andere Richtung unterwegs ist und Barry manngedeckt wird. (Bei einem Rückstoß von Agüero wäre Chico wohl mitgegangen.)

  • Übergabe von Gegenspielern, Räumen und Positionen

Nachdem Tevez auf Manchesters rechter Seite den Ball bekommen hat, stehen die Citizens in extremer Überladung auf diesem Flügel – und doch finden sie wieder nur den Weg nach hinten. Erneut kann sich Swansea auf die ungewöhnlich verschobene Situation einstellen, schneidet Verbindungsspieler Nasri ab und fängt Richards Vorstoß auf – alles in hervorragender kollektiver Abstimmung.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
dfdf

Ki hat mit Tevez mitgeschoben und kann ihn nun frontal stellen. Britton hat einen weiten Weg gemacht, weshalb Nasri nicht zentral angespielt werden kann und sich (wie zuvor Tevez) nach außen bewegt. Routledge und de Guzman haben ihre Gegenspieler mannorientiert verfolgt, sodass Swansea in einer losen 5-4-1-Ordnung steht. Ben Davies rückt antizipativ aus der improvisierten Fünferkette heraus in Nasris Laufweg.

Wieder gibt es hier einen großen toten Raum: Vor Chico ist eine große Lücke, da Britton und de Guzman aus ihren Positionen gegangen sind. Kein Spieler von Manchester kann aber in diesen Raum reingehen. Barry bewegt sich deshalb wieder nach hinten, wobei ihn de Guzman weiter verfolgt.

Im Grunde übergibt Swansea hier Positionen untereinander. Ki steht vor dem nominellen linken Außenverteidiger, ist also auf Routledges Grundposition. Britton rückt deshalb vor Williams in den Grundraum von Ki. de Guzman ist hauptverantwortlich für Brittons Grundposition, welche er aber mannorientiert verlässt, da für diese Position keine Gefahr existiert – optionsorientiertes Spiel.

Perfekt ist auch der Umgang mit Nasri, der in wenigen Sekunden auf drei verschiedene Weisen verteidigt wird: Zuerst läuft Britton ihn an. Nasri “flüchtet” aber, weshalb Britton ihn in den Deckungsschatten von Ki übergibt. Als Nasri aus diesem Deckungsschatten ausweicht, läuft Davies ihn wieder an. Wohlgemerkt läuft Davies nicht auf Nasri zu, sondern auf den möglichen Anspielpunkt für Nasri – Swansea arbeitet wieder äußers bewusst mit dem Deckungsschatten.

  • Kontrolle des Zentrums und die formative Anpassungsfähigkeit

Nachdem erst Tevez und dann Nasri und Barry aus dem Zentrum herausgedrängt wurden, hat Manchester nur noch seinen völlig isolierten Mittelstürmer innerhalb von Swanseas Formation. Alle anderen Spieler stehen in den Gerüstpositionen außen. Swansea kontrolliert also das Zentrum so sehr, wie es nur geht.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Touré verlagert wieder auf die ursprüngliche Seite zurück. Hernandez und Rangel schieben hinterher. Clichy spielt auf Kolarov, der nur kurzzeitig außen frei ist. Im Zentrum (braun) steht nur noch Agüero vorne herum.

Die Anpassungsfähigkeit von Swansea sieht man wiederum daran, dass sie schon wieder in einer neuen Grundformation stehen. Nachdem sie zuerst in eine Art 4-5-1 (de Guzmans Rückstoß) und dann in eine 5-4-1-Ordnung gefallen waren, rücken sie hier kurz in eine Art 5-3-2. In letzter Konsequenz (siehe unten) erobern sie den Ball dann in einer 3-4-3-Ordnung. Solche Veränderungen der Formationsgestalt sind zwar zu einem gewissen Grad normal, aber Swansea bewegt sich wesentlich sauberer und bewusster in diesen Grundhaltungen.

Besonders bei Britton sieht man in dieser Szene, dass er immer sehr exakt auf seiner veränderten Position steht und auf Bewegungen seiner Mitspieler konsequent reagiert, anstatt an einer bestimmten Orientierung hängen zu bleiben. Das Aufgabengebiet der Schwäne ist nicht fest begrenzt – letztlich gibt es nur die Angriffsmöglichkeiten des Gegners als natürlichen Fixpunkt der Defensive.

  • Balleroberung in der Überzahl

Anstatt dauerhaft die Eroberung des Balles zu suchen, wartet Swansea in seiner laufenden Anpassung auf einen Fehler des Gegners. Sobald dieser versucht, trotz der ständig schlechten Situationen vorwärts zu spielen, haben die Schwäne meistens den Ball.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Swansea Pressing E

Nachdem Manchester aus dem Zentrum heraus und vom überladenen Flügel weg gedrängt wurde, steht Kolarov auf dem anderen Flügel alleine gegen fünf gegnerische Spieler. Er versucht gegen Rangel durchzubrechen, aber wird locker abgelaufen.

Durch die große Überzahl hatte Swansea keine Probleme, sich aus dem ordentlichen Gegenpressing von Manchester zu befreien und konnte nach der Balleroberung dann in Überzahl aufrücken und beim Konter durchbrechen. Ein zweifelhafter Schiedsrichterpfiff wegen gefährlichen Spiels bei einer Ballannahme verhinderte dann eine dicke Chance für Swansea, die sich in eine 3-gegen-2-Situationen kombiniert hatten.

Das Potential der optionsorientierten Deckung

Die gute Phase, die Manchester in diesem Spiel den Sieg brachte, war eine der wenigen Phasen in dieser Saison, in der Swanseas Defensive ernsthaft wackelte. Die Citizens erreichten dies mit sehr viel Risiko, indem sie viele Spieler nach vorne brachten, immer wieder höchst riskante Pässe durch das Zentrum versuchten und viel Tempo auf den Flügeln ging. Swansea war vom radikal geänderten Spieltempo etwas überrascht und brauchte ein paar Minuten zu lang, um sich darauf zu justieren. Zudem spielte Manchester in dieser Phase ein sehr gutes Gegenpressing, was Swansea wegen der individuellen Unterlegenheit selten knacken konnten, weshalb die möglichen Konter zu selten ausgespielt werden konnten.

Über einen längeren Zeitrum wurde Swansea aber diese Saison nur von Tottenham dominiert, die ebenfalls durchaus riskant und mit sehr starkem Gegenpressing agierten. Dennoch brauchten die Spurs eine Standardsituation für den knappen 1:0-Siegtreffer. Ansonsten gelang es den Schwänen, jede gegnerische Offensive weitestgehend zu kontrollieren, weshalb man mit elf Punkten Vorsprung auf die Abstiegsränge trotz des niedrige Budgets bereits ziemlich sicher mit dem Klassenerhalt planen kann.

Besonders gegen Ballbesitzteams und (taktisch) starke Mannschaften generell sieht Swansea mit seiner Schwarmintelligenz sehr gut aus. Beim 0:2-Sieg bei Arsenal und den 1:1-Punktgewinnen bei Chelsea und gegen Manchester konnte Laudrups Elf diesen Eindruck unterstreichen. So erreichte der klamme Klub gegen die “Top Four” trotz drei Auswärtspartien sogar eine positive Torbilanz mit nur drei Gegentoren! Im Schnitt erzielen diese vier Teams pro Spieltag neun Treffer – die optionsorientierte Deckung teilte ihre Bilanz also durch drei. Bei den Liverpoolern vom letztjährigen Swansea-Coach und Ballbesitz-Dogmatiker Brendan Rodgers erreichte man ein 0:0 und gewann 1:3 im Pokal.

Dennoch liegt Swansea bei den wenigsten Gegentoren “nur” auf Platz 8 der englischen Liga. Gegen die schwächeren Mannschaften in der Tabelle bekommen sie mehr Gegentore als oben. Gerade sehr physische Mannschaften, die stark auf direktes Flankenspiel ausgelegt sind, sind die Schwäne recht anfällig. Die robusten Everton (drei Tore), Stoke (zwei Tore von Peter Crouch) und Norwich (vier Tore) konnten Laudrups Elf besiegen.

Das liegt vor allem daran, dass es der optionsorientierten Deckung noch an Intensität im Pressing fehlt. Simple Flügelangriffe kann Swansea in seiner Passivität nicht völlig verhindern, da sie das intensive Verschieben zum Flügel nicht all zu schnell durchführen und sie mit wenig Sprintanteil keine Zweikämpfe erzwingen können. So werden sie zwar fast nie kontrolliert ausgespielt, aber bekommen recht viele Gegentreffer aus unkontrollierten Distanzschüssen, Flanken oder zufällig versprungenen Bällen in Strafraumnähe. Ähnlich wie Leverkusens flexibles Pressing ist Swansea vor allem gegen sehr modernes Spiel stark.

Angesichts des verhältnismäßig geringen individuellen und physischen Potentials, den das relativ “arme” Swansea aufbieten kann, sind die Ergebnisse von Laudrups Defensivtaktik dennoch hervorragend und gerade die Topteams der Welt sollten hier ganz genau hinschauen. Und nebenbei ist Swansea auch mit dem Ball eines der modernsten Teams und steht somit als Symbol für intelligenten, eleganten, taktisch innovativen Fußball.

Unterschiede und Deckungsarten im Gegenpressing

Das geflügelte Taktikwort der vergangenen Bundesliga-Saisons war wohl Gegenpressing. Die Dortmunder wurden dank des Gegenpressings Meister, die Bayern zogen nach und befinden sich aktuell unangefochten an der Tabellenspitze. Der FC Barcelona wurde unter Pep Guardiola mit einer herausragenden Nutzung von Angriffs- und Gegenpressing zwei Mal Champions-League-Sieger. Doch ist Gegenpressing gleich Gegenpressing?

Unterscheidung 1: Vorbereitung des Gegenpressings

Das Gegenpressing umfasst nicht nur die Bewegung des Kollektivs zum Ball, sondern auch die vorherige Stellung und Positionierung. Oftmals wird das Gegenpressing mit einem mentalen Aspekt gleichgesetzt. Dies stimmt auch zum Teil. Schalten die Spieler nach Ballverlust ab, entsteht keine sofortige Arbeit gegen den Ball, die Chance auf das Gegenpressing vergeht somit ungenutzt.

Die Spieler müssten entweder wegen ihres Naturells oder wegen des Drills darauf sofort umschalten und gegen den Ball arbeiten. Im Normalfall ist es eine Kombination aus Training, Psyche und Charakter.

Doch auch die Taktik spielt eine Rolle. Eine Mannschaft kann noch so schnell nach Ballverlust umschalten und intensiv nach vorne gegen den Ball arbeiten, ein Gegenpressing wird nur dann erfolgreich, wenn die vorhergehende Stellung der einzelnen Spieler in Ordnung ist. Eine extrem breite Formation mit numerischer Unterzahl wird im Gegenpressing ineffektiv sein, eine offensivkompakte Formation mit vereinzelten Engen hingegen nicht.

Der Trainer kann also im Vorhinein bereits festlegen, wo die Mannschaft enger und wo breiter stehen soll. Dadurch kann beispielsweise gezielt auf etwaige Stärken des Gegners in bestimmten Räumen oder eigene Schwächen (wegen riskanter Offensivspieler oder komplexe Spielzüge) eingegangen werden.

Wo will ich durchgehend enger und kompakter stehen, um ein mögliches Gegenpressing maximal effektiv zu gestalten? Ab wann werde ich enger und wie eng?

Unterscheidung 2: Raumdeckung im Gegenpressing

Im Gegenpressingprozess, also dem Ablauf selbst, kann man wiederum ebenfalls einige Unterscheidungen machen. Die große Frage ist hierbei, an welchen Referenzpunkten man sich orientiert.

Dabei sind es  nicht die gleichen Referenzpunkte, wie in der Raumdeckung oder dem klassischen Pressing. Im Gegenpressing steht man in einer stark verschobenen und verrückten Formation da und presst direkt auf den Ball. Die Frage ist, wie man den Ball dann erobern möchte. Es gibt hier vier große Unterschiede.

Spielraumorientiertes Gegenpressing:

Das Gegenpressing der Dortmunder zum Beispiel fällt in diese Kategorie.

Man orientiert sich sehr stark am Spielraum des Gegners. Der Gegner wird zugestellt, zugepresst und im Idealfall gibt man ihm keine Luft zum Atmen. Alle möglichen Lauf- und Passwege werden ihm zugestellt oder gezielt geöffnet, was meist durch die vorhergehende Vorbereitung in der Anordnung entsteht.

Dadurch kann man ihn beispielsweise Richtung Außen lenken und gezielt im Gegenpressing den Ball abnehmen oder aufgrund des zugestellten Raumes immer näher rücken und den Ball klassisch erobern.

Beispielszene

Image may be NSFW.
Clik here to view.
spielraumsorientiertes Gegenpressing

spielraumorientiertes Gegenpressing

Der linke Außenverteidiger der roten Mannschaft überlief seinen Gegenspieler und spielte in die Mitte. Dort erhält der eingerückte linke Außenstürmer der roten Mannschaft den Ball, dreht sich und verliert ihn durch zu weites Vorlegen an den gegnerischen Rechtsverteidiger.

Der ballnächste Gegenspieler presst, die Spieler der roten Mannschaften schieben nun automatisch in den Raum hinein. Sie erkennen, dass der Gegner zwei Räume hat und sie besetzen nicht diese, sondern positionieren sich an diesen. Ein schöner Nebeneffekt entsteht dadurch: der Gegner wird den Pass oftmals spielen und er wird abgefangen, wenn er ungenau ist oder der Gegner wartet mit seiner Entscheidung, was die Möglichkeit einer längeren Bewegung auf ihn zu und somit größere Enge bedeutet.

Zugriffsorientiertes Gegenpressing:

Das Gegenpressing der Bayern dürfte am ehesten in diese Kategorie fallen.

Zumeist wird der gegnerische Ballführende nicht durch das Kollektiv gepresst, sondern durch ein bis zwei Akteure in der Nähe, während sich die anderen nicht an ihren Positionen orientieren, sondern die jeweiligen nächsten Gegenspieler in eine Art Manndeckung nehmen. Diese kurzeitige situative Mannorientiertheit sorgt dafür, dass man nach Pässen des Gegners jederzeit Zugriff erhalten und in den Zweikampf gehen kann. Der Druck auf den Ballführenden ist somit nicht extrem groß, aber soll ausreichend sein, um ihn nach hinten zu drängen oder zur sofortigen Aktion zu zwingen.

Beispielszene

Image may be NSFW.
Clik here to view.
zugriffsorientiertes Gegenpressing

zugriffsorientiertes Gegenpressing

Der linke Außenverteidiger der roten Mannschaft überlief seinen Gegenspieler und spielte in die Mitte. Dort erhält der eingerückte linke Außenstürmer der roten Mannschaft den Ball, dreht sich und verliert ihn durch zu weites Vorlegen an den gegnerischen Rechtsverteidiger.

Während der ballnächste Akteur –der Ballverlierer in diesem Fall – presst, schieben die jeweiligen Spieler der roten Mannschaft in Richtung ihrer Gegenspieler und orientieren sich mannorientiert. In diesem Fall kann der Pass noch einfacher gespielt werden, aber es entstehen viele Zweikämpfe und oftmals können die Gegenspieler gedoppelt werden. Es sind also keine 50:50-Bälle, sondern es gibt wegen der Bewegung der roten Mannschaft und der Struktur des Angriffs einen Vorteil für die Mannschaft in Rot.

Passwegorientiertes Gegenpressing:

Seit Pep Guardiola spielt auch der FC Barcelona mit einem Gegenpressing, welches stärker antizipativ und vorrangig auf die Passwege orientiert ist.

Dabei schieben die umliegenden Akteure im Gegenpressing so auf den Ballführenden, dass sie ihm bestimmte Passwege öffnen und versperren. Es wird nicht der Raum als solcher kompakter oder es entstehen Zweikämpfe, sondern man provoziert bewusste Pässe in vermeintlich freie Räume und fängt diese dann ab. Dies geschieht durch das Leiten von Pässen in strategisch ungünstige Richtungen (beispielsweise diagonal auf die Außen in eine Unterzahlsituation) oder in jenen Raum, den beispielsweise beim FC Barcelona Sergio Busquets abdeckt.

Beispielszene

Image may be NSFW.
Clik here to view.
passwegsorientiertes Gegenpressing

passwegorientiertes Gegenpressing

Der linke Außenverteidiger der roten Mannschaft überlief seinen Gegenspieler und spielte in die Mitte. Dort erhält der eingerückte linke Außenstürmer der roten Mannschaft den Ball, dreht sich und verliert ihn durch zu weites Vorlegen an den gegnerischen Rechtsverteidiger.

Sie bewegen sich – im Idealfall – minimal später los oder nähern sich bogenartig, können dann aber die Pässe abfangen. Alternativ nutzen sie ihren Deckungsschatten und verhindern eindeutig die Pässe auf den Gegenspieler. Sie stellen sie klar zu und provozieren lange Bälle oder Rückpässe des Gegners, wodurch aus dem Gegenpressing ein „normales“ Pressing im Sinne der klassischen Vorwärtsverteidigung wird.

Ballorientiertes Gegenpressing:

Die erste Mannschaft, die ein kollektives Gegenpressing spielte, dürften die Niederländer bei der WM 1974 gewesen sein.

Es war in gewisser Weise ein chaotisches Gegenpressing, weil die Akteure sich allesamt stark auf den Ballführenden und nicht seine Möglichkeiten konzentrierten. Damals war dies wahrscheinlich sogar die bessere Alternative, weil die einzelnen Spieler in den Kleingefechten um den Ball nicht so geschult waren und die gegnerischen Spieler nach der Balleroberung nicht so organisiert und geschult in der Pressingresistenz waren.

Beispielszene

Image may be NSFW.
Clik here to view.
ballorientiertes Gegenpressing

ballorientiertes Gegenpressing

Der linke Außenverteidiger der roten Mannschaft überlief seinen Gegenspieler und spielte in die Mitte. Dort erhält der eingerückte linke Außenstürmer der roten Mannschaft den Ball, dreht sich und verliert ihn durch zu weites Vorlegen an den gegnerischen Rechtsverteidiger.

In diesem Fall verschieben prinzipiell alle Spieler zum Ball und pressen. Dies öffnet die Passmöglichkeit auf den Spieler in der Mitte, auf den wiederum gepresst wird. Ist der Verteidiger nicht hervorragend in der Ballverarbeitung, dann wird diese Passoption im weiteren Aufrücken vernichtet und höherer Druck auf den Ballführenden ausgeübt.

Statistik

Mich interessierte in diesem Sinne auch, ob die unterschiedlichen Gegenpressingvarianten in den Statistiken sichtbar würden. Folgende Hypothese wurde von mir gestellt: Bayern müsste mit ihrer zugriffsorientierten Spielweise hervorragend in der Zweikampfkompetenz sein, aber schwächer in der Pressingkompetenz, weil sie weniger Bälle abfangen. Der BVB wiederum müsste schwächer im Zweikampf sein, aber besser in der Pressingkompetenz, während der FC Barcelona das Gegenteil zu den Bayern darstellen müsste.

Die Zahlen dazu passen. Ich habe die Mittelwerte der drei zentralen Mittelfeldspieler der jeweiligen Teams berechnet. Beim Gegenpressing müsste man sie am stärksten voneinander unterscheiden können, weil sie Hauptnutznießer sind. Die Außenverteidiger sind da meist zu breit oder gar zu tief, die Stürmer sind die „Presser“ und jene, die den Ballverlust verbuchen, während die Mittelfeldspieler entweder die Bälle abfangen oder in die Zweikämpfe gehen. Aus graphischen Gründen habe ich übrigens die Werte mit 100 multipliziert.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Zweikampfkompetenz des Mittelfelds

Zweikampfkompetenz des Mittelfelds

Kaum überraschend: Gündogan und Co. sind in den direkten Zweikämpfen stärker als Busquets und Partner, während die Bayern klar am stärksten sind. Diese eindeutige Überlegenheit führe ich unter anderem auf das gute Gegenpressing und die Zugriffsorientierung zurück. Die Bayern kommen nicht nur öfter, sondern besser in die Zweikämpfe, die Katalanen hingegen überaus selten und oftmals in misslicherer Lage.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Pressingkompetenz des Mittelfelds

Pressingkompetenz des Mittelfelds

In der Pressingkompetenz zeigen sich aber die Vorteile der Spielweise des FC Barcelona.

Mit 174,37 sind sie sehr weit an der Spitze, während Dortmund mit 86,10 den zweiten Platz belegt. Auffällig ist hierbei, dass die Bayern mit ihrer herausragenden Defensive weiter hinten sind. Leicht erklärbar durch die andere Spielweise: die Münchner sammeln weniger lose Bälle auf, unterbrechen weniger Pässe und gewinnen stattdessen die deswegen provozierten Zweikämpfe. Gleichzeitig ist die Stabilität für die Defensive größer und die Chancenqualität für den Gegner geringer, falls er sich aus dem Gegenpressing herauswinden kann.

Noch was?

Nicht viel. Die Übergänge sind fließend, weil die jeweiligen Mannschaften und insbesondere die Spieler sich natürlich situativ anpassen und anpassen sollen; es geht viel mehr um eine generelle Orientierung in vielen Aktionen der Mehrzahl der Spieler. Man soll das ebenso wenig verwechseln, wie Gegenpressing mit normalem Pressing, wie es leider so oft geschieht. Das Gegenpressing ist die unmittelbare und sofortige Arbeit gegen den Ball nach einem Ballverlust vom Kollektiv, während das Pressing die grundlegende Arbeit gegen den Ball aus der Formation heraus ist.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Herausrücken im Zentrum bei Manndeckungen

Ein Artikel über individualtaktische Qualität und die Folgen einer schlechten Umsetzung. Zumindest ist dies die Intention des Artikels. Schon oft wurde von einigen Lesern gefragt, ob es möglich wäre, gruppentaktische oder individualtaktische Sachen in Verbindung mit den jeweiligen Qualitäten der ausführenden Spielern zu setzen.

Vorab: Solche Artikel zu machen ist nicht ganz so einfach. Es gibt nur sehr wenige taktisch analysierbare Bewegungen (eigentlich kaum welche), die nur ein einziger Spieler oder nur eine exklusive Spielergruppe macht und sonst niemand in der weiten Welt des Fußballs. Ein Artikel darüber würde wohl zu Diskussionen über die Einmaligkeit führen – darum habe ich in diesem Fall versucht, einen allgemeingültigen taktischen Aspekt zu erklären und möchte dann kurz die Verbindung zu einem praktischen Beispiel finden.

Die individualtaktische Bewegung bezieht sich in diesem taktiktheoretischen Artikel auf das Herausrücken bei einer Manndeckung im Mittelfeld. Dabei soll gezeigt werden, dass nicht nur die taktische Vorgabe, also zum Beispiel „Ihr Zwei deckt einfach eure Gegenüber!“, wichtig ist, sondern auch die Qualität der jeweiligen Spieler in dieser Disziplin.

Um dieser Erklärung ein praxisnahes Gesicht zu geben, werde ich gegen Ende ganz kurz das Spiel zwischen dem FC Bayern und dem FC Barcelona als Beispiel wählen; um genauer zu sein: Javi Martínez und Bastian Schweinsteiger gegen Andrés Iniesta und Xavi. Dieser Artikel soll dennoch vorrangig zeigen, was die Grundaspekte des Herausrückens bei einer Manndeckung sind.

Die generellen Nachteile einer Manndeckung

Als Manndecker hat man nämlich einen großen Nachteil: Im Normalfall ist man der reagierende Spieler. Der Gegner hat dadurch logischerweise einige Vorteile.

1)      Der individuelle sichere Informationsvorteil: Der Gegner weiß, was er machen wird. Wohin bewegt er sich? Wie bietet er sich an? Wohin weicht er aus? Wie wird er den Ball annehmen? Der Manndecker kann versuchen solche Sachen zu antizipieren, aber es ist überaus schwierig.

2)      Der kollektive sichere Informationsvorteil: Der Gegner weiß (im Normalfall) auch, wie sich das Aufbauspiel seiner Mannschaft gestaltet. Wohin bewegen sich die Mitspieler? Wo werden Räume frei? Wen kann ich sofort oder gar blind anspielen, wenn ich gepresst werde? Dadurch wird der Nachteil des Reagierens auf zwei oder mehr gegnerische Spieler ausgedehnt.

3)      Der kollektive unsichere Informationsvorteil: Hier kann der Gegner wissen, wie und wann sein Mitspieler anspielt. Allerdings kann er sich dessen oft nicht sicher sein, weil die Wechselwirkungen des gegnerischen Pressings und der Bewegungen sowie die individuelle Qualität des Mitspielers (und der Gegner) hineinwirken. Wird mein Mitspieler dann abspielen, wie er es im Normalfall tut? Wird er mich ansehen oder wird er blind spielen? Wann genau soll ich mich freilaufen? Dieses „Wann“ ist auf hohem Niveau potenziell spielentscheidend – es wird oft als „Automatismus“ bezeichnet, der aber durchaus präzise trainiert werden kann. Weil dies aber nicht immer getan wird und viel von externen Faktoren abhängt, hat hier der Gegner nur „vielleicht“ einen Vorteil oder er ist dem Manndecker gleichwertig: Beide wissen es nicht ganz genau, aber können es antizipieren.

4)      Der Geschwindigkeitsvorteil:  Aus diesen drei Informationsvorteilen entsteht natürlich ein motorischer Vorteil. Der Gegner kann loslaufen und Fahrt aufnehmen und sich selbst einen kleinen Raum „freilaufen“; kommt der Ball dann im richtigen Moment mit der richtigen Stärke, wird es der Manndecker schwer haben. Selbst bei höchster Konzentration, Aufmerksamkeit, Antizipation und Reaktionsschnelligkeit wird er zumindest ein kleines bisschen Raum für einen kurzen Moment aufgeben müssen.

5)      Der Anpassungsvorteil:  Eine Konsequenz aus den ersten drei Punkten. Dank einer eigenen Analyse oder eines externen Ratschlags sowie natürlich dem Geschwindigkeitsvorteil kann sich der gegnerische Spieler an seinen Manndecker anpassen und erhält dadurch einen weiteren Vorteil gegenüber dem reagierenden Spieler.

Diese Aspekte sind ebenfalls Gründe, wieso eine Manndeckung selten (auf dem gesamten Platz) genutzt wird. Es reicht, wenn sich ein Spieler falsch bewegt, falsch antizipiert oder falsch attackiert, um ausgespielt zu werden. Wird er überspielt, hat der Gegner nicht nur eine Überzahl, sondern die eigene Mannschaft ein großes Problem: Wer attackiert den neuen Ballführenden? Wer lässt seinen Mann stehen und was passiert mit dem?

Hinzu kommen gruppentaktische Nachteile, wie das Öffnen von Räumen beim manndeckenden Verfolgen freier Gegenspieler für Pässe oder Kurzpasskombinationen, die vielen Möglichkeiten für Diagonalpässe, die oftmals hohe Effektivität von Positionswechseln und Fluidität oder gar das bewusste Erzeugen von Reizüberflutung für die Gegner, was deren Defensivbewegungen zusätzlich destabilisiert.

Die praktische Bedeutung

Um diese Nachteile zu neutralisieren, wird die Manndeckung oftmals situativ, also nur in bestimmten Fällen, verwendet. Alternativ sind es auch lose Manndeckungen – also mit Übergeben an einen anderen Manndecker –, um  das Öffnen von Löchern oder Unterzahlsituationen zu vermeiden. Die gängigste Variante sind aber nur vereinzelte Manndeckungen mit mehreren „Raumdeckern“.

Das Grundprinzip wurde bereits beim Libero angewendet: Ein freier raumdeckender Akteur schließt die gefährlichsten Zonen und Löcher, sichert ab oder übernimmt gar einen Gegenspieler, falls dieser sich freispielen kann. Sehr grob vereinfacht könnte man also sagen, dass es heutzutage eine große Anzahl von „Liberi“ in bestimmten Anordnungen (z.B. im gängigen 4-4-2-Defensivsystem) mit vereinzelten Manndeckern unterschiedlicher Ausprägungen auf bestimmten Positionen innerhalb dieser Formation gibt.

Die meisten Teams im modernen Fußball nutzen dabei Mischformen aus Mann- und Raumdeckung. Eine sehr oft praktizierte Form ist eine positions- oder mannorientierte Raumdeckung im 4-4-2 mit losen zonalen Manndeckungen bei den Innenverteidigern gegen die gegnerischen Stürmer und relativ klaren Manndeckungen auf den Außenbahnen.

Die Erklärung dafür ist logisch. Auf den Außenbahnen können die Außenstürmer zocken, wenn die gegnerischen Außenverteidiger nicht aufrücken. Die Außenverteidiger können die meist dribbelstarken gegnerischen Außenstürmer problemlos stellen, innen den Weg nach innen versperren und haben dann die Außenlinie als Hilfe.

Zusätzlich hilft der einfache Fakt, dass diese drei Positionen beziehungsweise diese fünf Spieler bei fast jedem Gegner relativ statisch besetzt sind: Klassischer Mittelstürmer, klassische, diagonale oder maximal leicht inverse Flügelstürmer und natürlich zumeist nur vertikal aufrückende Außenverteidiger. Das einfache Motto „wo kein Chaos und gefährlicher Raum, da Manndeckung akzeptabel“ kann hier also als kleine Faustregel genutzt werden.

Die Manndeckung ist also dank der Außenlinie, der Entfernung zum Tor (Rückwärtspressing möglich, etc.) und natürlich der Absicherung durch die jeweiligen zentralen Spieler relativ simpel zu spielen; die Innenverteidiger können die Außenverteidiger beim Attackieren des ballführenden gegnerischen Flügelstürmers im Zuge der Raumverknappung hervorragend diagonal absichern und eine 3-1-Stellung herstellen.

Durch die Mittelfeldspieler und eine hohe vertikale wie ballnahe Kompaktheit können Passwege in die Mitte zugesperrt werden. Dadurch reicht es oftmals, den Gegner zu stellen, ihm den Außenweg aufzumachen und ihn dort abzudrängen. Dies erfordert weder viel Antizipation noch komplexe taktische Bewegung.

Anders sieht es im zentralen Mittelfeld aus. Im Spiel gegen den FC Barcelona zeigten Martinez und Schweinsteiger die hohe Kunst der intelligenten und individualtaktisch qualitativ hochwertigen Manndeckung.

Das intelligente mannorientierte Herausrücken als defensive Qualität

Wie in unserer Analyse zum Spiel bereits erklärt, haben sich die beiden Münchner relativ klassisch an den spanischen Welt- und Europameistern orientiert. Thomas Müller und Mario Gomez kümmerten sich um Sergio Busquets, wodurch die formative Überzahl der Katalanen im Mittelfeld neutralisiert und ihr Ballbesitzspiel nach hinten verlagert wurde. Sehr oberflächlich gesagt: Bayern spielte nicht mit 4-4-2 gegen 4-3-3, sondern mit einem 4-4-2-0 gegen ein 4-1-2-3; also einer Überzahl im ersten und einer Gleichzahl im zweiten Mittelfeldband.

Doch nicht nur die Bayern haben gegen Barcelona im 4-4-2-0 gepresst. Es gab auch einige andere Teams mit diesem Ansatz, doch nicht immer war diese Spielweise ein voller Erfolg. Man sieht: Auch die individuelle Qualität ist wichtig, ebenso wie das Timing. Sehen wir uns hierzu als Erklärung drei unterschiedliche Verläufe einer beispielhaften Szene an.

Die Bayern stehen in ihrem 4-4-2-0, Barcelona baut in einem 2-3-2-3 das Spiel auf. Xavi ist wegen des Deckungsschattens von Thomas Müller nicht anspielbar, Sergio Busquets wird von zwei Spielern flankiert. Barcelona muss aufbauen, als ob sie von einem Angriffspressing gestört werden – die Innenverteidiger haben aber dennoch alle Zeit der Welt am Ball. Ein interessantes Paradox, mit welchem Bayern jener formativen Streckung, die Barcelona über sich ergehen lassen musste, entging. Bayern stand dennoch hoch und hatte hinter dem Ball Überzahl.

Xavi befreit sich aus Müllers Deckungsschatten und bietet sich für den spielaufbauenden halbrechten Innenverteidiger an. Xavis Sichtfeld beschränkt sich auf hinten; wobei man das nicht so genau nehmen sollte. Sein direktes Sichtfeld, in welches er sofortige Pässe spielen kann, ist nach hinten; sein indirektes Sichtfeld hingegen, also sein Informationsstand über die Positionierung von Mit- und Gegenspielern im Raum, ist deutlich größer. Xavi weiß, wo sich Schweinsteiger befindet und Schweinsteiger weiß, dass Xavi das weiß. Daraus ergibt sich ein schönes Dilemma.

Schweinsteiger reagiert nun und rückt Xavi auf die Pelle. Er verfolgt ihn mannorientiert und Xavi nimmt in der Zwischenzeit den Ball an. Martinez ist etwas eingerückt, Gomez etwas tiefer, Müller stellt Busquets zu und die Mannschaft steht in einer kaum definierbaren Formation da. Es gibt jetzt drei mögliche Verlaufswege.

In diesem Szenario nimmt Xavi den Ball an und Schweinsteiger war beim Verfolgen, ob aufgrund physischer Ursachen oder wegen mangelnder Aufmerksamkeit, Reaktionsschnelligkeit oder Antizipation zu langsam. Xavi kann sich drehen, bevor er gepresst wird und hat das Sichtfeld nach vorne. Ein Spieler der Klasse Xavis kann einen schnellen und präzisen Pass auf den Rechtsaußen spielen.

Der Rechtsaußen hat mehrere hypothetische Optionen. Ein Abpraller auf den Flügel und eine Überladung desselben ist möglich, ebenso ein Pass zu Messi oder gar ein langer flacher Pass auf Busquets. Im weiteren Spielverlauf kann die Seite gewechselt und/oder der Raum „erobert“ werden. Ein paar Kurzpässe, Bayern müsste nach  hinten weichen und auf Schweinsteiger warten. Barcelona wäre höher positioniert und würde den Ball gegen eine desorganisierte Bayern-Mannschaft laufen lassen.

In diesem Szenario geht Schweinsteiger nun zu schnell nach vorne. Xavi nutzt sein Wissen um die Positionierungen der jeweiligen Spieler und dreht sich einfach um Schweinsteiger. Während Xavi problemlos dank seinem Schwung durch die Drehung schnell an Fahrt aufnehmen kann, muss Schweinsteiger erst stehen bleiben, sich drehen und nach hinten starten. Xavi kann nun den Raum infiltrieren oder einen Pass spielen.

Xavi rückt mit Ball am Fuß nach vorne auf.  Der Rechtsaußen ist in der Schnittstelle anspielbar, die Messi erweitert, oder er öffnet Raum für Alves. Schafft Bayern es diese Probleme zu neutralisieren, so ist dennoch Xavi am Ball und kann aufrücken. Messi unterstützt ihn, Iniesta kann einrücken – es entsteht eine 3:2-Stellung im Zwischenlinienraum. Keine gute Ausgangssituation, Martinez und Dante werden im Zuge ihrer eigenen situativen Manndeckungen ebenfalls taktisch komplex gefordert.

Im letzten Szenario macht Schweinsteiger alles richtig. Er rückt intelligent und rechtzeitig heraus, geht nicht zu voreilig mit dem Körper in den Zweikampf, sondern lässt Xavi den Ball annehmen und bedrängt ihn dann. Dadurch hat Xavi Probleme bei der Ballverarbeitung und kann sich nicht drehen. Sein direktes Sichtfeld bleibt nach hinten beschränkt, sein indirektes Sichtfeld verliert an Aktualität.

Xavi muss sich eine neue Position suchen. Eine Möglichkeit ist ein direkter Rückpass, eine andere eine Körpertäuschung und die Flucht in den freien Raum hinter Dani Alves.

Schweinsteiger nimmt die Verfolgung im Regelfall aber nicht auf. Theoretisch ginge es – Xavi würde gepresst werden und eventuell den Ball verlieren. Praktisch war dies aber unwahrscheinlich, dafür ist er zu gewieft und ein einfacher Pass nach hinten würde ihn befreien. Theoretisch wäre es auch möglich, dass dieser Pass nach hinten einen anschließenden Vertikalpass in die Lücke nach vorne und einen Schnellangriff Barcelonas, wie bei einem Konter, einleiten würde. Praktisch war dies aber unwahrscheinlich. Eher wurden solche Situationen vermieden, um nicht zu viel Chaos zu erzeugen, die Positionen und Kompaktheit zu wahren und keine schnellen Kurzpasskombinationen in den freien Raum zu ermöglichen. Schweinsteiger zieht sich also zurück, es entsteht ein ballorientiert verschobenes 4-4-2. Müller kann sich lose an Xavi orientieren, Gomez geht Richtung Busquets.

Fazit

Lose, zonale und situative Manndeckungen sind wieder in Mode. Aber nur selten gibt es sie im Kollektiv oder gar nur im Zentrum. Die Ursache dafür liegt in der gruppen- wie individualtaktischen Komplexität dieser Spielweise. Doch die Bayern zeigten gegen Barcelona, wie so etwas intelligent gespielt werden kann – doch dafür reicht nicht die alleinige Vorgabe einer solchen Spielweise, sondern auch die qualitativ hochwertige Umsetzung der Spieler und ein präziser Plan des Trainers. Jupp Heynckes selbst sprach von drei klar definierten Pressingzonen, die eingehalten werden mussten.

Der moderne Fußball ist so weit entwickelt, dass aufgrund der technischen Stärke der Spieler, der Analyse und der hohen Trainingszeit (Einstudieren von Automatismen, gegnerspezifischen Spielzügen, etc.) nicht nur die Offensive, sondern auch die Defensive immer komplexer wird. Ein technisch starker Spieler ohne die nötige Laufarbeit, Spielintelligenz oder Konzentration kann seine Räume oder Gegenspieler nicht kontrollieren. Ein Dauerläufer und Kämpfer benötigt ebenfalls die taktische Intelligenz, um vom Gegner nicht als Köder genutzt zu werden.

Auch deshalb sollte das Defensivspiel höher geschätzt werden. Das Offensivspiel wird von den meisten Fans (durchaus zu Recht) bevorzugt, weil es „schwieriger“ gilt. Es ist schöner anzusehen, weil man dafür mehr Fähigkeiten benötigt. Es sorgt für Bewunderung und Erstaunen. Doch auch im Defensivspiel gibt es solche herausragenden Fähigkeiten, die für „Oh“s und „Wow“s sorgen können.

Aktuell fehlt es wohl nur an der nötigen Aufmerksamkeit – obgleich Spieler wie Franco Baresi, Paolo Maldini oder Alessandro Nesta diese durchaus erfahren haben. Sie schafften den Spagat zwischen einer eleganten und von individueller Qualität geprägten Spielweise und einem destruktiven Defensivspiel. Diese Entwicklung im modernen Fußball darf gerne weitergehen; aktuell scheint das Offensivspiel vorne zu liegen.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Allgemeine Gegenmittel zur Offensivfluidität

Was tut man, wenn der Gegner offensiv ohne feste Positionen spielt?

Zur Einstimmung auf das CL-Finale zwischen dem FC Bayern München und dem BVB hat Kollege TR einen Artikel zu Offensivfluidität geschrieben. Darin führt er die jeweiligen unterschiedlichen Offensivfluiditäten der gegnerischen Teams aus. Bei einer solchen Spielweise hat es der Gegner nicht leicht. Die Zuständigkeitsbereiche sind anders, die übliche Raumdeckung ist oftmals anfällig, weil man in bestimmten Zonen immer wieder in Unterzahl sein wird, während die eigene Überzahl in aus dem Spiel genommenen Räumen stattfindet.

Diese Fluidität in der Offensive ist ein in den letzten Jahren extrem wichtiger Faktor geworden. Der FC Barcelona unter Josep Guardiola, Real Madrid situativ unter José Mourinho oder eben die zwei Branchenprimen der deutschen Liga nehmen ihre Gegner oftmals durch dieses taktische Mittel auseinander. Dieser Artikel soll ein Dutzend allgemeine Punkte beleuchten, wie man dagegen vorgehen kann

1.       Verhindern der Entstehung von Offensivfluidität

„Zerschlagen, was noch gar nicht entstanden ist“ – so definierte der große Ernst Happel einst seine Spielphilosophie. Auch die Spitzenmannschaften der heutigen Zeit spielen auf diese Art und Weise. Gegen die Münchner versuchte beispielsweise der BVB besonders gerne die Defensive des Gegners von seiner Offensive abzugrenzen.

Dies wurde mit drei großen taktischen Mitteln umgesetzt: Die Mittelfeldspieler rückten nach vorne heraus und pressten die gegnerischen Sechser (Schweinsteiger und Martinez), wodurch diese zumeist den Ball schnell auf die Seite oder nach hinten spielen mussten. Eine Offensivfluidität in der Mitte konnte dadurch kaum entstehen.  Das Herausrücken führte außerdem zum Isolieren von bestimmten Spielern und Pärchen. Beim richtigen Herausrücken entsteht ein vergrößerter Deckungsschatten.

Bei einem 4-5-1 kann z.B. Ilkay Gündogan auf Bastian Schweinsteiger pressen. Allerdings presst er nicht nur, sondern kann bestimmte Passverbindungen kappen – zum Beispiel auf Franck Ribéry, der sich als verkappter Spielgestalter oftmals in die Halbräume positioniert. Damit dies effektiv wird, sollte Gündogan im Pressing unterstützt werden.

Das geschah zum Beispiel durch ein Rückwärtspressing von Lewandowski. Dieser stand oftmals in der Nähe von Martinez und übte Druck aus, wenn er den Ball erhielt. Der Baske musste auf Schweinsteiger spielen, der dann von Gündogan und Lewandowski angelaufen wurde. Letzterer nahm Martinez in seinen Deckungsschatten und kappte dadurch die Verbindung zwischen diesen beiden.

„Robert Lewandowski hielt sich nah am Münchner Sechser und bewegte sich zum Ball hin um ihn herum, sodass seine Verbindung zu den Innenverteidigern abgeschnitten wurde und er somit als Verbindungspunkt nach vorne fehlte. Kamen nun beispielsweise Pässe auf Schweinsteiger, rückt der Pole auf ihn nach und konnte Martinez dabei in seinem mitziehenden Deckungsschatten kaltstellen, wodurch auch die seitlichen Verbindungen des Spaniers abgeschnitten waren.“ – Zitat aus MRs Analyse zum Herbst-Spiel, dem 1:1

2.       Formative Veränderung und konsequente Überzahl in der Mitte im zweiten Drittel

In obigem Szenario wurde das Verhindern der Offensivfluidität beim Erklären der Umsetzung schon in einem hypothetischen 4-5-1 geschildert. Dieses 4-5-1 ist aber bereits eine eigene Variante potenzieller taktischer Mittel gegen eine gegnerische Offensivfluidität.

Durch die fünf Mann im zweiten Band wird der zentrale Raum enorm stark verengt. Es gibt einen „Sechser“ und zwei Halbspieler – im Gegensatz zur Raute (dem 4-3-1-2) haben sie aber kaum Verantwortungsbereiche auf den Flügeln, sondern eigentlich nur in den Halbräumen. Dadurch ist dieser Raum extrem verdichtet.

Zusätzlich hat die gesamte Formation nur drei Bänder, wodurch ein kompakteres Spiel leichter ermöglicht wird. Somit ist nicht nur die horizontale Kompaktheit enorm, sondern auch die vertikale. Es gibt kaum offene Räume in formativen Löchern (bspw. die offensiven Flügel bei einem 4-3-1-2) und die Akteure des Gegners tun sich durch die extreme Enge enorm schwer.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Formative Kompaktheit und Überzahl im Mittelfeld. Unterschiedliche Akteure können auf den hinterlaufenden Außenverteidiger herausrücken, dies kann auch unterschiedlich abgesichert werden. Zentral gibt es situative Mannorientierungen, der Mittelstürmer in der diagonalen Schnittstelle steht im Deckungsschatten.

Formative Kompaktheit und Überzahl im Mittelfeld. Unterschiedliche Akteure können auf den hinterlaufenden Außenverteidiger herausrücken, dies kann auch unterschiedlich abgesichert werden. Zentral gibt es situative Mannorientierungen, der Mittelstürmer in der diagonalen Schnittstelle steht im Deckungsschatten.

Wird die Offensivfluidität des Gegners weiterhin praktiziert, stößt er nämlich immer wieder in Engen, anstatt sich durch diese Offensivfluidität in freie Räume bewegen zu können. Diese werden bewusst, wenn überhaupt, auf den Außen angeboten – was den Gegner im Idealfall zu einer starreren und flügellastigen Spielweise zwingt, um zumindest in den Raum hinter den beiden Flügelstürmern zu kommen.

Im schlechtesten Fall wird natürlich der Raum hinter der Mittelfeldkette bespielt, falls die eigene Mannschaft die vertikale Kompaktheit nicht ordentlich praktiziert.

3.       Raumorientierte Spielweise im Verbindung mit Manndeckung

Als andere Alternative kann die Raumdeckung umgestellt werden. Viele Teams agieren mit einer positions- oder mannorientierten Raumdeckung. Bei der raumorientierten Raumdeckung verschieben enorm viele Spieler in Richtung des gerade aktiv bespielten Raums des Gegners. Dadurch kann man zwar im Idealfall eine extreme Kompaktheit in Ballnähe erzeugen, aber steht in anderen Räumen offen.

Bei einer hohen gegnerischen Offensivfluidität und einer eigenen defensiven wie tiefen Ausrichtung kann diese aber umgesetzt werden, weil der Gegner ohnehin selbst den Raum aufgibt, um in Ballnähe Überzahl zu haben. Diese wird bei einer raumorientierten Deckungsart gekontert. Allerdings muss dann beachtet werden, wie der Breitengeber des Gegners abgedeckt wird.

4.       Variables Übernehmen des Breitengebers

Das Abdecken des Breitengebers – also jenem Akteur, der dem Spiel die Breite gibt und dadurch Schnittstellen und Räume in der Mitte öffnet – kann gar als eigenes taktisches Mittel gespielt werden. Agiert der Gegner zum Beispiel ausschließlich mit den gleichen Breitengebern im letzten Spielfelddrittel, also immer dem Außenverteidiger, dann kann dieser von einem Manndecker verfolgt werden. Dadurch werden die eigenen Außenverteidiger frei, um extrem eng an den Innenverteidigern zu agieren. Damit können die Schnittstellen versperrt werden.

Alternativ können auch die Außenverteidiger oder gar der eigene Flügelstürmer sehr eng manndeckend an den freien Offensivspielern des Gegners agieren; der jeweils andere gliedert sich in die Viererkette ein und übernimmt dann das Pressen des Breitengebers, also dem hinterlaufenden Außenverteidiger.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Auf Außen gibt es einen festen ballnahen Manndecker, es entsteht eine 4-4-1(+1)-Situation. Freie Spieler gibt es ballfern und in der Abwehrkette. Alternative Manndeckungszuteilungen bedeuten unterschiedliche freie Spieler.

Auf Außen gibt es einen festen ballnahen Manndecker, es entsteht eine 4-4-1(+1)-Situation. Freie Spieler gibt es ballfern und in der Abwehrkette. Alternative Manndeckungszuteilungen bedeuten unterschiedliche freie Spieler.

Gegen die Bayern ist dies jedoch schwerer zu praktizieren, weswegen der BVB es auch nicht tat – die Münchner spielen nämlich mit diagonalen und „vorderlaufenden“ Außenverteidigern, desweiteren überladen sie auch Flügelzonen mit dem Mittelstürmer enorm gut.

5.       Konterfluidität

Eine weitere Alternative um Offensivfluidität zu bespielen, ist das taktische Mittel Defensivfluidität. Klingt komisch, ist aber so. Was ist aber die Defensivfluidität eigentlich? Im Endeffekt ist es die freie Bewegung der Defensivspieler, die problemlos auf andere Positionen rücken oder jeweils auf unterschiedlichen Positionen und gegen unterschiedliche Gegenspieler agieren können. Dies kann zum Beispiel durch Manndeckungen gegen einen offensivfluiden Gegner geschehen oder durch eigene Positionswechsel.

Ein Beispiel dafür ist die fluide Dreifachsechs. Im Mittelfeld gibt es dann drei defensive Spieler im Zentrum, die bei gegnerischem Ballbesitz allerdings keine feste Position haben. Je nach gegnerischer Bewegung können sie zwischen einer flachen Drei, einer 1-2 oder einer 2-1-Formation variieren, sie können flexibel auf den Ballführenden herausrücken und die verbliebenen Akteure unterstützen oder sichern ab.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Ein Negativbeispiel: Einer der Sechser denkt sich: "Huch, der gegnerische Sechser steht aber frei" und rückt heraus; der andere rückt nach und deckt die freie Passoption ab. Allerdings kann der Gegner hier jetzt eine schnelle Überzahl herstellen.

Ein Negativbeispiel: Einer der Sechser denkt sich: “Huch, der gegnerische Sechser steht aber frei” und rückt heraus; der andere rückt nach und deckt die freie Passoption ab. Allerdings kann der Gegner hier jetzt eine schnelle Überzahl herstellen.

Bei einer Fluidität in der Defensive und bei gegnerischem Ballbesitz ergeben sich gewisse Probleme: Bei schwacher Bewegung entstehen Löcher, es erfordert eine enorme Spielintelligenz und es ist eine instabile Spielweise, wenn sie nicht ordentlich geplant wird. Auch darum wird diese Spielweise kaum praktiziert.

6.       Das Raumfressen

Ein komplexeres taktisches Mittel ist das „Raumfressen“: Dieser blumige Begriff passt dabei sehr gut auf die Spielweise. Bei der Offensivfluidität wird versucht, in offene Räume zu kommen. Beim Raumfressen wird dies zwar erlaubt, aber die Effektivität dieses Raumes wird zerstört, indem der gegnerische rauminfiltrierende Lauf in seiner Ausführung behindert wird.  Dies kann entweder durch ein Leiten des Laufes in ungefährliche Zonen passieren oder das Verändern der eigenen formativen Stellung, um den vom Gegner kontrollierten Raum in seiner Beschaffenheit zu verändern.

Klingt kompliziert, ist aber einfach. Ein Beispiel: Der rechte Flügelstürmer rochiert in die Mitte und empfängt den Ball in der Schnittstelle zwischen den beiden Sechsern. Theoretisch könnte man ihn nun einfach pressen und Druck entfachen. Beide Sechser könnten herausrücken, würden aber den Zwischenlinienraum öffnen. Beim „Raumfressen“ wird aber eine Passoption versperrt und nur ein Akteur presst den Ballführenden. Das Pressing ist aber nicht aggressiv, sondern soll ihn in ungefährliche Zonen leiten, beispielsweise auf die Außenbahn.

Gleichzeitig rückt der eigene Außenstürmer in Richtung Mitte und versperrt die Schnittstelle, öffnet aber den Raum auf der Seite. Aus der aussichtsreichen Position mit der Option auf einen offenen Zwischenlinienraum oder schnelle Kurzpasskombinationen wurde der Angriff fast unmerklich auf dem Flügel abgelenkt, wo der Gegner einfacher gepresst und auch isoliert werden kann.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Der halblinke Sechser/Achter agiert sehr passiv und leitet den Genger in die Mitte. Die anderen Spieler sind bereit zum Infiltrieren des Zwischenlinienraums, doch die blauen Pacmans fressen den Raum.

Der halblinke Sechser/Achter agiert sehr passiv und leitet den Genger in die Mitte. Die anderen Spieler sind bereit zum Infiltrieren des Zwischenlinienraums, doch die blauen Pacmans fressen den Raum.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Sie stehen nun tiefer, die Schnittstellen sind geringer, der Zwischenlinienraum kaum noch existent. Der Ballführende wird nun stärker attackiert.

Sie stehen nun tiefer, die Schnittstellen sind geringer, der Zwischenlinienraum kaum noch existent. Der Ballführende wird nun stärker attackiert.

 

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Weil der Ballführende gleich den Ball abspielt oder sich eben schon im ineffektiven Raum befindet, kann der Achter zurückkehren, die Mitspieler machen Platz. Die Schnittstellen waren immer zu, der Gegner hat außerdem Raumverlust erfahren. Das Kollektiv der Blauen kann übrigens auch einfach herausrücken und dem zurückkehrenden Achter entgegengehen. Dann haben sie sogar Raumgewinn.

Weil der Ballführende gleich den Ball abspielt oder sich eben schon im ineffektiven Raum befindet, kann der Achter zurückkehren, die Mitspieler machen Platz. Die Schnittstellen waren immer zu, der Gegner hat außerdem Raumverlust erfahren. Das Kollektiv der Blauen kann übrigens auch einfach herausrücken und dem zurückkehrenden Achter entgegengehen. Dann haben sie sogar Raumgewinn.

7.       Isolation und Abgrenzung

Das Isolieren kann ebenfalls als alleiniges taktisches Mittel praktiziert werden. Dies ist nicht so einfach: Wie isoliert man sich frei bewegende Akteure voneinander? Mit etwas Vorbereitung ist das praktikabel. Auch die fluiden Bewegungen starten aus einer Grundposition heraus. Bei der Ballannahme können die Akteure voneinander isoliert werden; es folgt ein Rückpass oder die Suche nach Raum.

Rücken sie zusammen, dann wird das Isolieren durch das Zustellen von Passwegen solange praktiziert, bis die Gegner enorm eng stehen; danach können sie sich in diesem engen Raum den Ball zuschieben, aber haben keine Option, um den kompakt zusammengeschobenen Block vor sich zu umspielen. Auch Seitenwechsel sind kaum möglich, weil die Möglichkeit von mehreren Kurzpässen über die Mitte auf die Seite durch das Zusammenziehen kaum umsetzbar ist. Es muss also ein Rückpass oder ein langer Ball erfolgen, um in den offenen Raum zu kommen.

Die praktische Umsetzung der Isolation ist ebenfalls einfacher, als man glaubt. In einem tiefen 4-5-1 können die Halbspieler jeweils die Passwege auf den zentralen Verbindungsgeber verhindern. Rückt der Außenstürmer dann mit Ball am Fuß in die Mitte wird der Passweg solange versperrt, bis es aufgrund der Nähe nicht mehr möglich ist. Hier kann mit harmonischen und koordinierten Bewegungen der Gegner bei seinen Anbietbewegungen aus der eigenen Formation geworfen worden. Anstatt dass dann ein Kurzpass in den Zwischenlinienraum erfolgt, kommt er plötzlich vor 2 oder mehr Gegenspieler. Womit wir wieder beim Raumfressen wären.

Überlädt der Gegner aber bereits vor der Ballannahme eine bestimmte Zone, so kann der freigewordene Spieler, sei es einer aus der Mitte oder ein Außenspieler (der Außenverteidiger übernimmt den Breitengeber), dank seiner räumlichen Befreiung ebenfalls den Raum. Hier wären wir wieder bei Punkt 3 und auch Punkt 4.

8.       Fokus auf die maximale Kompaktheit

Die klassische Spielweise gegen eine fluide Mannschaft dürfte aber wohl die „Einfachste“ sein: So kompakt wie möglich bleiben und sich nicht beirren lassen. Eine positionsorientierte Raumdeckung im 4-5-1 oder 4-4-2 mit enormer horizontaler und vertikaler Kompaktheit. Dabei wird ein hoher Fokus auf das horizontale ballseitige Einrücken zum Ball gelegt und eine enorme Enge im Zwischenlinienraum. Der Ballbesitz würde wohl dem Gegner überlassen, es gäbe aber eine hohe Stabilität.

9. und 10.       Hohe Proaktivität oder Passivität?

Dieser Punkt beschreibt die Wahl zwischen zwei Extremen im individual- und gruppentaktischen Verhalten. Um die Offensivfluidität zu neutralisieren, kann einerseits mit enormer Proaktivität gespielt werden: Die Akteure in Abwehr und Mittelfeld rücken viel heraus, übernehmen situative Manndeckungen, belauern Passwege oder überladen Zonen instinktiv, bevor der Ball hinkommt. Der Gegner soll dadurch zwar fluide spielen, aber bei Ballannahmen, Rochaden oder Kombinationen werden sie sehr früh und sehr aggressiv gepresst. Eine solche Spielweise praktizieren die Dortmunder immer wieder erfolgreich, beispielsweise beim Herausrücken der Mittelfeldspieler nach vorne oder dem Herausrücken der Innenverteidiger in den Zwischenlinienraum, um Passempfänger dort vorzeitig zu stören.

Das andere Extrem wäre eine enorme Passivität im Zweikampf, wie es Chelsea phasenweise praktizierte. So soll zum Beispiel auch Guus Hiddink im Jahre 2009 bei Chelsea gegen den FC Barcelona „befohlen“ haben, nicht zu grätschen, individualtaktisch nicht aggressiv zu pressen und sich so weit wie möglich zurückzuhalten, bis man die ideale Möglichkeit vorfindet. Durch das passive Mitverfolgen des Ballführenden, ist das Isolieren von Passoptionen und das Leiten von Läufen einfacher. Es erhöht die Stabilität, auch wenn es den eigenen Raum aufgibt.

11.   Zonale Manndeckungen

Eine weitere, klassischere Option ist die zonale Manndeckung. Hier könnten in bestimmten Zonen jeweils Manndeckungen übernommen werden. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine eher merkwürdige Antwort auf die gegnerische Offensivfluidität. Die Überzahl wird nicht neutralisiert, doch es ergeben sich interessante Dynamiken im Pressing. So wird der fluide Spieler beim Anbieten – hier also ohne Ball – immer von einem nahen Gegenspieler lose manndeckend übernommen. Wieso lose?

Spielt man das aggressiv, entstehen zu große Lücken. Wird es aber lose gespielt, so rückt man nur etwas heraus. Im Endeffekt wird dadurch eine Pressingfalle aufgebaut: Der rochierende Spieler ist anspielbereit, aber kann sofort dynamisch gepresst werden. Gleichzeitig kann der Pass auf diesen Gegenspieler als Mechanismus für die eigene defensive Organisation dienen. Kommt der Pass, so rückt der zuständige Spieler nicht nur ein bisschen, sondern nun gänzlich heraus und presst.

Die anderen Spieler lassen sich je nach Ausrichtung entweder fallen und sichern den offenen Raum ab, oder orientieren sich ebenfalls als aggressive Manndecker an Gegenspieler in ihrem Zuständigkeitsbereich. Idealerweise kann sich der Gegner nicht ordentlich nach vorne drehen, aber seine nahen Anspielstationen sind versperrt und er muss nach hinten spielen oder verliert den Ball.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Hier sehen wir die räumlichen Zuteilungen. Kommt ein Spieler in den Raum, orientiert man sich lose mannorientiert an ihm.

Hier sehen wir die räumlichen Zuteilungen. Kommt ein Spieler in den Raum, orientiert man sich lose mannorientiert an ihm.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Beim Pass greift der Mechanismus. Sofort wird Druck entfacht und die Passoptionen sind ebenfalls verstellt.

Beim Pass greift der Mechanismus. Sofort wird Druck entfacht und die Passoptionen sind ebenfalls verstellt.

12.   Der Libero und die Manndecker

Die letzte Möglichkeit wäre es, wenn es im „fluiden“ Raum einfach eine Vielzahl von Manndeckern mit einigen Raumdeckern gibt. Im Mittelfeld gäbe es dann einen Mittelfeldlibero, einen oder zwei „klassische Liberos“ (soll heißen: Die Innenverteidiger agieren ohne Zuteilung) in der Abwehr und der oder die Stürmer als rückwärtspressende Unterstützer. Die Fluidität wird neutralisiert, das Überladen von Räumen verhindert, die Raumdecker können mit ihrer Spielintelligenz gezielt absichern oder unterstützen. Einfach, aber unter Umständen sehr effektiv.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Wie besiegt man den FC Bayern München?

Seit Jahresbeginn hat der FC Bayern 23 Spiele gewonnen, einmal Unentschieden gespielt und einmal verloren. Bei den beiden Punktverlusten spielte nicht die Stammmannschaft und beide Partien wurden aufgrund der Umstände (fast sichere Qualifikation für die nächste Runde gegen Arsenal, bereits feststehende Meisterschaft gegen den BVB) nicht ernst genommen. Bei der Niederlage gegen Arsenal hatten die Münchner gar 18 Abschlüsse und 3 Torschüsse mehr, als der Gegner.

Seit der Verpflichtung von Javi Martinez haben die Bayern außerdem bis zum Spiel gegen Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga kein Gegentor aus dem Spiel herausbekommen, wenn der Baske spielte. Wie kann man gegen eine solche Mannschaft gewinnen?

Das Bespielen des mannorientierten Gegenpressings

Ein wohl nie bewusst thematisierter Faktor dürfte das Vorgehen gegen die Münchner im Moment des Ballgewinnes sein. Die meisten versuchen mit ihren klassischen Kontern vorzugehen, viele kommen aber wegen des Münchner Umschaltverhaltens und Gegenpressings gar nicht dazu. Lucien Favres Gladbacher zeigten im letzten Saisonspiel, wie so etwas funktionieren kann.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Gladbach vs Bayern - Gegenpressingfehlverhalten

Gladbach vs Bayern – Gegenpressingfehlverhalten

Branimir Hrgota bewegte sich auf den Flügel, als sich Philipp Lahm zuvor am Angriff beteiligt hatte. Weil Lahm aber mit Arango einrückte, so wurde auf dem Flügel Hrgota frei, den der rechte Innenverteidiger Jerome Boateng mannorientiert verfolgte. Gleichzeitig ließ sich aber Mike Hanke zurückfallen und gab den umschaltenden Gladbachern eine freie Anspielstation in einem offenen Raum. Dante konnte aufgrund des Risikos nicht aufrücken, Schweinsteiger kam von halblinks zu spät und der Angriff konnte in weiterer Folge gedreht werden.

Gladbach rückte auf, Ribéry stand im Zentrum und gab bei der Verfolgung Nordtveits auf, der im Angriffsverlauf am Ende den Angriff beenden konnte. Dieses Bespielen des mannorientierten Gegenpressings muss unbedingt im Konterspiel berücksichtigt werden, weil es sonst kaum die Möglichkeit auf einen effektiven Konter gibt. Lange Bälle in den Raum müssen schon auf enorm gut umschaltende, sich präzise bewegende und generell sehr schnelle Akteure gehen, ansonsten sind sie in den meisten Fällen zum Scheitern verurteilt.

Darum ist es notwendig, sich gewisse Spielzüge zu überlegen, um die Erfolgswahrscheinlichkeit von Kontern zu erhöhen. Eine solche Kombination könnte wie folgt aussehen: Nach Balleroberungen auf dem Flügel rückt der Außenspieler in die Mitte, der Außenverteidiger hinterläuft ihn, der Mittelstürmer lässt sich in den ballnahen Halbraum fallen. Im Idealfall wird der bayrische Außenverteidiger einrücken, der ballnahe Innenverteidiger geht mit und muss dann den Gegenspieler wechseln. Je nach Formation kann ein bestimmter Raum überladen werden oder man konzentriert sich auf Flanken oder Raumpässe.

Bei einem 4-2-3-1 könnte zum Beispiel der eingerückte Außenstürmer diagonal nach vorne ziehen und mit einem Sechser kreuzen, welcher sich unterstützend zum Außenverteidiger hinbewegt. Dadurch wäre die Option auf einen Kurzpass mit einer folgenden Spielverlagerung gegeben oder einer stabilen Kurzpassstafette nach hinten. Gleichzeitig könnte auch der Sechser absichern oder den Außenverteidiger hinterlaufen, damit dieser einen diagonalen Laufweg gehen kann. Letzteres wäre aber in der Praxis wohl kaum zielführend.

Alternativ könnten auch die ballfernen Spieler das Zentrum überladen und Flanken dorthin gegen eine potenzielle numerische Unterzahl gespielt werden. Der Mittelstürmer oder auch der Zehner würden den aufrückenden Außenspieler unterstützen, damit er zur Flanke kommt, der ballnahe Sechser absichern, die restlichen Offensivspieler würden sich zentral orientieren. Der ballferne Außenverteidiger könnte wie Großkreutz im letzten Spiel situativ mit nach vorne rücken und am langen Pfosten auftauchen.

Auch die Offensivfluidität der Münchner und die hohen Außenverteidiger kann man noch gezielter bespielen. Beispielsweise übernimmt Mario Mandzukic oft die Position Ribérys, der dadurch aus seiner eingerückten Position heraus zocken kann und situativ zum Mittelstürmer wird. Mandzukic kann allerdings auch ein Schwachpunkt sein. Zwar ist er in puncto Athletik herausragend und enorm gallig im Defensivspiel, aber bei komplexen Kombinationen dürfte er Probleme haben. Lange Bälle auf die Flügel in Löcher und Überladen der Räume um Mandzukic dürften eine Option sein.

Standards gegen die Münchner

Wie soll man den Bayern sonst noch ein Tor einschenken? Eventuell geben ja die erhaltenen Tore Aufschluss – dachte ich mir zumindest. Für alle Interessierten hier eine Auflistung der Tore in diesem Kalenderjahr:

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Zum Vergrößern klicken

Zum Vergrößern aufs Bild klicken

Die Bayern scheinen also bei Flanken an den zweiten Pfosten nicht ordentlich zu verschieben, generell haben sie die natürlichen Anfälligkeiten von Manndeckungen, obgleich die wegen der nur situativen Nutzung deutlich geringer sind und es existiert eine Anfälligkeit bei Standards. Diese kann man gar bewusst vergrößern oder es zumindest versuchen.

Aktuell verteidigen die Münchner bei ruhenden Bällen mit elf Spielern den Strafraum. Am ballnahen Eck des Fünfmeterraums gibt es einen Spieler einen Meter auf der vertikalen Linie zur Auslinie verschoben und einen weiteren vom Fünfmeterreck einen Meter horizontal Richtung Mitte verschoben. Auf der gleichen Höhe steht auch ein weiterer Spieler circa am Sechzehner, der bei Abprallern aufpassen soll. Der Fokus liegt mit den Raumdeckern also auf dem kurzen Pfosten, zentral gibt es einige Manndecker.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Bayern vs Y - Ecke

Aktuelle Positionierungen bei gegnerischen Eckbällen

Theoretisch klingt dies nach einer stabilen Spielweise. Allerdings scheint es nicht gänzlich eingeübt. Desweiteren fehlt den Raumdeckern wegen ihrer statischen Positionierung oftmals etwas der Überblick und die Präsenz. Außerdem steht zum Beispiel niemand am Pfosten, wodurch auch Drogba im letztjährigen CL-Finale das Tor erzielen konnte. Die meisten Spieler halten sich am Fünfmeterraum auf und manndecken jeweils einen Gegenspieler. Mandzukic oder Gomez helfen hinten zwar aus, aber dennoch gibt es bestimmte Probleme.

Neben dem Raumdecker am ersten Pfosten, die man bewusst attackieren kann, ist es möglich zentral für Gefahr zu sorgen. Scharfe Flanken vor den Fünfmeterraum kann selbst Neuer nicht abfangen. Im Idealfall bringt man sie so eng an den Fünfer, dass er zögert, aber nicht rauskommt. Außerdem ist durch die hohe Anzahl an Vordermännern oftmals sein Bewegungsradius eingeschränkt.

Gleichzeitig ist bei einer solchen Flankenart der eigene Spieler bei Kopfbällen tornah und dadurch sehr gefährlich. Weil in der Mitte nur Manndecker sind, kann man mit hoher Bewegung, Rochaden und Kreuzbewegungen enorm gefährlich werden. Zusätzlich steht auch am zweiten Pfosten niemand. Rückt ein Akteur aus dem Rückraum des Sechzehners im richtigen Moment nach vorne, können Weiterleitungen sehr effektiv werden.

Doch auch Vorsicht ist geboten: Ribéry und Robben warten meistens ungefähr am 16er, beziehungsweise einer der beiden auch etwas weiter vorne, für potenzielle Konter. Hierauf muss man aufpassen, die Münchner konnten schon ein paar Tore durch Konter nach Ecken erzielen. Hinsichtlich dieses Aspektes muss man natürlich auch die brandgefährlichen Abwürfe Manuel Neuers erwähnen, die bei solchen Aktionen entscheidend sein können.

Bei Freistößen aus der Tiefe oder dem Halbfeld verteidigt Bayern ebenfalls oft mit allen Spielern. Die Akteure stehen auf einer Linie, die kopfballstärksten Akteure sind meistens direkte Manndecker und der Rest unterstützt. Auch das kann man bespielen: Weil die Bayern auf der 16er-Grenze stehen und sowohl auf einer Linie spielen, als auch Manndecker sein sollen, kann dieses Linienspiel genutzt werden. Kommt der Ball hinter diese Linie und man koordiniert die eigenen Rückfall- und Aufrückbewegungen ordentlich, ist ein solches Tor möglich, wie durch Stranzl am letzten Wochenende.

Gegenmaßnahmen zur Offensivfluidität

In unserem allgemeinen Artikel zu „Gegenmitteln für eine Offensivfluidität“ wurden schon einige allgemeine Gegenmittel für eine Offensivfluidität aufgezählt. Die Bayern spielen bekanntlich mit einer starken Überladung auf der (halb-)rechten Seite und der Mitte. Franck Ribéry zieht immer wieder von der linken Außenbahn ins Zentrum oder gar auf rechts und unterstützt dort.

Dieses Überladen sollte möglichst neutralisiert werden. Dies ist aber schwierig: Der nominelle Gegenspieler Ribérys kann sich kaum aus der Kette lösen und Ribéry verfolgen, um die Überzahl zu neutralisieren. Die Dortmunder spielten auch darum wohl gegen Bayern in dieser Saison anders als früher; sie stellten auf ein 4-5-1 um, wodurch sie einen Mann mehr in der Mitte hatten und die Fluidität der Münchner auszugleichen wussten.

Zusätzlich können sie durch den zusätzlichen Mittelfeldmann noch stärker auf die Seite verschieben, die Schnittstellen versperren und besser Druck entfachen. Bei einem 4-4-2 ist zum Beispiel die Breitenstaffelung sehr schwach, wenn man die Schnittstellen so sehr versperren möchte.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Im 4-5-1 kann Bayern zentral sehr gut zirkulieren, hat aber vorne kaum Raum. Mit intelligentem Herausrücken kann der 4-5-1 spielende Gegner dennoch Druck entfachen.

Im 4-5-1 kann Bayern zentral sehr gut zirkulieren, hat aber vorne kaum Raum. Mit intelligentem Herausrücken kann der 4-5-1 spielende Gegner dennoch Druck entfachen.

Eine andere Variante gegen die Offensivfluidität könnte aber eine Veränderung der manndeckenden Spielweisen sein. Zum heutigen Standard gehören Manndeckungen auf den Flügeln. Der Außenverteidiger übernimmt den gegnerischen Außenstürmer, der Außenstürmer übernimmt den gegnerischen Außenverteidiger. Eventuell wäre es aber gegen offensivstarke und fluide Mannschaften wichtiger, wenn man den Gegner nicht in „Außenstürmer“ und „Außenverteidiger“ einteilt, sondern nach ihren Rollen klassifiziert.

Der Breitengeber im Offensivspiel wird dann vom tieferen Akteur abgedeckt, was praktisch bedeuten würde, dass der eigene Außenverteidiger sich positionsorientiert und sehr defensivdenkend verhält, bis der gegnerische Außenverteidiger aufrückt. Danach übernimmt er diesen, während der eigene Außenstürmer als Manndecker auf den gegnerischen Außenstürmer agiert. Im Idealfall würde diese Spielweise so gespielt werden, dass die Manndeckung aus der Position heraus übernommen wird.

Die eigene Mannschaft würde also in einer positionsorientierten Raumdeckung stehen, jeder auf seiner nominellen Position und das Aufrücken des Gegners abwarten. Danach wird der jeweilige Gegenspieler manndeckend übernommen und das fluide Spiel des Gegners zumindest zahlenmäßig neutralisiert – in der Mitte bliebe die enge 4-3-Stellung weiterhin bestehen. Oder es übergibt der Außenstürmer auch an die jeweiligen Mittelfeldspieler und spielt dann eng an dem dadurch entstehenden Loch, wenn der Sechser oder Achter herausgelockt wird.

Alternativ kann das Raumfressen der Dortmunder praktiziert werden; oftmals wirkt dieses aber etwas passiv und lediglich raumsichernd. Theoretisch könnte man es mit einem sehr schnellen kollektiven Aufrücken garnieren, um die Aggressivität und den Druck zu erhöhen, doch hier wäre die Spielweise wohl zu instabil. Selbst blinde Pässe in den Raum könnten für eins-gegen-eins-Situationen führen. Vorsicht ist generell geboten bei langen Bällen, weil Mandzukic sich wie Lewandowski beim BVB immer wieder in die Halbräume oder auf die Flügel bewegt und dort den Raum überlädt, Chaos in die Abwehrreihe bringt und oftmals einen Gegenspieler bindet.

Um dies zu neutralisieren, könnte sich eine Dreierkette oder ein 4-1-3-2(-0) mit einem zurückfallenden Sechser und einer engeren Dreier-Mittelfeldreihe anbieten, die auch gegen die Offensivfluidität der Münchner nützlich wären. Generell würden gewisse formative Veränderungen interessanten Charakter entwickeln.

Formative Veränderungen

Das 4-5-1 der Dortmunder wurde bereits erwähnt und in mehreren Analysen abgehandelt. Auch die Spielvereinigung Greuther Fürth und Bayer Leverkusen konnten mit dem 4-5-1 gewisse (Achtungs-)Erfolge feiern. Aber es ist nicht die einzige interessante formative Umstellung, die den Bayern das Leben schwer machen könnte. Statt eines 4-5-1 könnte zum Beispiel ein 5-4-1 gespielt werden.

Die Vorteile sind eine hohe Kompaktheit in der Abwehr und die Möglichkeit enorm flexibel auf die Fluidität zu reagieren. Der jeweilige ballnahe Außenverteidiger kann problemlos herausrücken, im Mittelfeld unterstützen oder mannorientiert agieren und es gibt dennoch eine sehr kompakte und in der Breitenstaffelung starke Abwehrreihe dahinter. Interessant ist auch das Herausrücken der Innenverteidiger in diesem System.

Sie können sich immer wieder in den Zwischenlinienraum bewegen, dort unterstützen und wären gleich durch zwei Spieler abgesichert, wodurch sie diese proaktive Spielweise noch extremer ausüben könnten. Auch bei einem 4-5-1 könnte ähnlich gespielt werden; der zentrale Sechser hätte die Möglichkeit, sich je nach Situation nach hinten fallen zu lassen und dort eine Fünferkette herzustellen, wenn der Außenverteidiger mit seinem Gegenspieler mitgeht. Er könnte auch in der Mitte bleiben oder eben bei einem 4-1-4-1 als Mittelfeldlibero agieren, der entlang des Zwischenlinienraums Busquets-like eigene Entscheidungen trifft, lose Bälle einsammelt oder Manndeckungen übernimmt.

Zwei weitere interessante Formationen gibt es ebenfalls, sie werden aber wegen ihrer Absurdität nur kurz angeschnitten. Eine Möglichkeit wäre ein 4-1-3-2 mit breiten Mittelstürmern. Diese könnten das Spiel im letzten Drittel jeweils ballseitig breit machen, der andere begibt sich ins Zentrum. Die „1“ hinter der Dreierreihe wäre ein „Sammler“-Typus, wenn man die Terminologie von Jäger und Sammler in der defensiven Rollenverteilung übernimmt.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Das 4-1-3-2 mit breiten Mittelstürmern beim Pressing auf die Seite. Theoretisch kann der ballferne Mittelstürmer auch weit in die Mitte rücken und unterstützen.

Das 4-1-3-2 mit breiten Mittelstürmern beim Pressing auf die Seite. Theoretisch kann der ballferne Mittelstürmer auch weit in die Mitte rücken und unterstützen.

Diese drei Akteure könnten unterschiedlich besetzt werden und auf verschiedene Arten agieren: Eine Möglichkeit wäre gar ein gelernter und kopfballstarker Mittelstürmer als zentraler Spieler, der auf die Halbspieler ablegt. Auch ein Spielgestalter neben zwei Manndeckern oder eine Dreifachacht vor einem Sechser sind theoretisch denkbar.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Eine alternative Variante des 4-1-3-2.

Eine alternative Variante des 4-1-3-2.

Die letzte und abstruseste Möglichkeit wäre ein 5-5-0/0-5-5-System. Die Mannschaft stünde in einem hohen Mittelfeldpressing, wäre relativ passiv und würde versuchen Pressingfallen aufzubauen, ansonsten nur passiv verschieben. Lange Bälle wären gegen diese numerische Überlegenheit kaum zu gebrauchen. Quasi „den Bus parken“, aber auf dem falschen Parkplatz, nämlich um die Mittellinie herum. Ohnehin spielt das Pressing bei dieser Partie ebenfalls eine wichtige Rolle.

Wie presse ich gegen die Bayern?

Das Pressing gegen den Rekordmeister ist ebenfalls eine unangenehme Begebenheit. Steht man in einem (passiven) Abwehrpressing, dann benötigt man etwas Glück und/oder die passenden Spieler, um konstant Torgefahr zu entfachen. Die Gladbacher konnten zum Beispiel nach der furiosen Anfangsphase an diesem Wochenende mit ihrer tieferen Ausrichtung kaum noch Angriffe fahren. Zwar wirkt das Abwehrpressing in der Defensive stabiler, doch die Bayern haben mit ihrer Offensivfluidität, dem bewussten Spiel auf zweite Bälle nach Flanken, den Flanken selbst und auch dem einen oder anderen Distanzschuss (Robben, Schweinsteiger) starke Gegenmittel dagegen gefunden.

Bei einem Angriffspressing läuft man Gefahr ausgespielt zu werden, denn die Bayern sind eine herausragende Kontermannschaft geworden. Balleroberungen im letzten Spielfelddrittel sind enorm schwierig, weil die Bayern mit Manuel Neuer im Tor eine gute Unterstützung haben, was sich besonders im Hinspiel gegen Barcelona zeigte. Dank ihrer körperlichen Robustheit und ihrer Stärke im Gegenpressing können sie problemlos lange Bälle riskieren, eine Vielzahl der zweiten Bälle gehört ihnen. Die eigene formative Streckung im Angriffspressing und die technische Stärke der Münchner sind dabei ebenfalls kontraproduktiv.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Ein hohes Pressing erzeugt zwangsläufig eine Unterzahl.

Ein hohes Pressing erzeugt zwangsläufig eine Unterzahl.

Die logische Wahl dürfte also ein Mittelfeldpressing sein. Die maximale Höhe sollte von Manuel Neuer abhängig gemacht werden: Kann er problemlos angespielt werden und sich die Innenverteidiger zu ihm zurückfallen lassen, dann ist es keine praktikable Wahl. Kann er zwar angespielt werden, hat aber keine kurze Verbindung zu den möglichen Passoptionen und kann also situativ gepresst werden, ist es vermutlich eine gute Wahl.

Eine interessante Möglichkeit in diesem Mittelfeldpressing könnte das Provozieren von Schweinsteigers Herauskippen sein; nur um danach wieder zurückzufallen und eine Überzahl zu haben. Schweinsteiger würde dabei mannorientiert verfolgt werden, allerdings nur situativ beziehungsweise in den Mittelfeldzonen. Auf der Suche nach Raum würde er nach hinten gehen, woraufhin man ihn nicht mehr manndecken würde und eine Überzahl im Mittelfeld hätte. Etwas Ähnliches haben die Münchner gegen Xavi praktiziert.

Im 4-5-1 wäre dies ebenfalls noch kompakter möglich, indem immer einer der beiden Innenverteidiger zugestellt wird und der andere den Ball hat. Der Mittelstürmer läuft diesen Innenverteidiger an, das Mittelfeld stellt die Passoptionen zu. Kommt Schweinsteiger tiefer, fällt der Mittelstürmer zurück. Aus einer 4-5-Stellung gegen acht Feldspieler wird ein 4-5-1-0 gegen sieben. Auch die Offensivfluidität könnte dadurch in den Griff bekommen werden.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Beim Mittelfeldpressing können die Innenverteidiger, auch wegen des Sichtfelds, nicht schnell Verbindung zu Neuer aufnehmen, es bedeutet außerdem sehr viel Raumverlust.

Beim Mittelfeldpressing können die Innenverteidiger, auch wegen des Sichtfelds, nicht schnell Verbindung zu Neuer aufnehmen, es bedeutet außerdem sehr viel Raumverlust.

Bei einem 4-4-2 könnte dies ähnlich praktiziert werden. Die Innenverteidiger werden angelaufen und zugestellt, Schweinsteiger würde früher oder später dann wohl zentral abkippen und jetzt könnte mit einem 4-4-1-1 zusätzlich die Mitte stärker zugestellt werden, der Mittelstürmer würde sich an Schweinsteiger orientieren. Der hängende Stürmer könnte dann außerdem aufrückende Innenverteidiger pressen.

Es gibt auch einen Unterschied im Pressing, wenn Kroos oder Müller im Zentrum spielen. Bei Kroos wird eine aggressivere Vorgehensweise benötigt. Hier muss aber auf Kroos‘ technische Stärke geachtet werden. Müller hingegen kann eine aggressive Manndeckung durch seine intelligente Bewegung aushebeln, er sollte eher gestellt und am Kombinationsspiel gehindert werden.

Das Zusperren von Passwegen ist hier essentiell und ein besonderes Augenmerk sollte auf seine Bewegungen gelegt werden. Bewegt er sich von seiner zentralen Position aus stark auf die Flügel, will er im Normalfall Räume öffnen. Meistens kommt er dann von seiner breiten Position dynamisch nach innen und überlädt die breiteren Schnittstellen. Stattdessen sollte er zwar beobachtet werden, die Kette aber nicht verbreitert und ruhig die Seite verwaisen gelassen werden. Lieber dort den Raum für Müller öffnen, als die Schnittstellen frei zum Befahren machen.

Bei Kroos sollte bei tieferer Stellung, also beim Helfen im Aufbauspiel, in eine Manndeckung aufgebaut werden beziehungsweise lose verfolgt werden, um Sichtfelddrehungen zu verhindern. Unter Bedrängnis spielt er meist Querpässe oder geht in riskante Dribblings, was man ausnutzen sollte. Sobald Kroos sich dreht, wird aggressiveres Pressing gefahren und auf einen Ballverlust gehofft. Gegen Stuttgart zu Saisonbeginn kamen in solchen Situationen in der Anfangsphase auch viele Bälle ungenau auf seine Mitspieler und der Angriff musste unterbrochen werden, weil die Bewegung nicht mehr stimmte – eine Rarität beim enorm passstarken Kroos.

Spielt Müller zentral, kann auch versucht werden, dass man Mittelfeld und Angriff der Bayern trennt. Dies wurde ebenfalls schon sehr erfolgreich praktiziert. Der Ballbesitz wird den Bayern in der Tiefe nahezu gänzlich überlassen, aber durch die extreme Schnittstellenverdichtung und Raumenge kommen Müllers Stärken weniger zum Tragen und seine Schwächen dagegen etwas mehr. Bayern fehlt dann die Anbindung nach vorne, Ribéry geht stärker in die Mitte und im besten Fall können die oben geschilderten Kontermöglichkeiten praktiziert werden.

Passivitäts– beziehungsweise Pressingfallen?

Der einzige, der mehr oder weniger eine halbwegs feste Position in der offensiven Dreierreihe besitzt, dürfte Arjen Robben sein. Natürlich rückt er auch immer wieder in die Mitte oder überlädt gar halblinks, aber zumeist spielt er weiterhin als inverser Flügelstürmer im rechten und halbrechten Raum. Philipp Lahm wartet oftmals versetzt hinter ihm, um entweder situativ hinterlaufen, als sichere Anspielstation nach hinten oder in die Mitte fungieren oder diagonal in offene Räume als Kombinationsspieler ziehen zu können.

Obgleich Robbens Egozentrierung in seinen Laufwegen und seiner Entscheidungsfindung sich stark verändert hat, so ist er von seinem Spielercharakter weiterhin ein Dribbler und Raumnutzer. Diese Eigenschaft kann man sich theoretisch gefügig machen. Mit einer positionsorientierten und asymmetrischen Formation könnte er beispielsweise intelligent getrippelt werden. Die Abwehrreihe würde stärker auf die Seite verschieben und tief stehen, die Mittelfeldreihe würde weniger stark verschieben. Robben hätte dort den Ball, könnte aber nichts tun: Sämtliche Wege sind zu.

Ihm wird ein diagonaler Laufweg angeboten, der aber vom Außenmittelfeldspieler versperrt wird. Geht er in die Mitte, wird er sofort attackiert. Wird Robben hinterlaufen, dann kann der Außenverteidiger ihn übernehmen, weil es der Außenspieler und der Sechser sind, die sich an Robben orientieren. Auch der Halbstürmer kann das Pressing unterstützen, indem er diesen „Halbmond“ um Robben herum komplettiert.

Neben dieser Pressingfalle könnte auch eine „Passivitätsfalle“ gespielt werden. Im Gegensatz zu einem aggressiven Verschieben würde Robben nur passiv gestellt werden. Sowohl das Mittelfeld als auch die Abwehr könnten eng und eingerückt stehen, um Robben den Außenkanal sehr weit offen anzubieten. Schmelzer würde dann ein „Pseudopressing“ praktizieren: Robben wird bogenartig angelaufen, aber dann nicht wirklich attackiert.

Der bogenartige Lauf soll alle Passoptionen in die Diagonale und danach in die Mitte versperren. Robben sieht den freien Raum und startet, woraufhin ihn der Außenverteidiger verfolgt und später rückwärtspresst. Damit schließt er auch Lahm als Option ab. Der Außenstürmer hinterläuft den eigenen Außenverteidiger und kann mit enormer Dynamik diagonal auf Robben pressen.

Wird dies von einem Spieler der Marke Gündogan (als Halbspieler) oder Reus (als Außenstürmer) praktiziert, gäbe es eine hohe Aussicht auf Erfolg und einen gegenpressingresistenten Balleroberer. Dass diese Spielweise nicht einfach umsetzbar und womöglich instabil ist, liegt aber auch auf der Hand. Eine einfachere Pressingfalle könnte – neben den erwähnten auf Robben und Müller – übrigens auch auf die Innenverteidiger praktiziert werden.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Bei Klick auf das Bild sieht man die drei Standbilder nebeneinander (statt der bewegten GIF)

Bei Klick auf das Bild sieht man die drei Standbilder nebeneinander (statt der bewegten GIF)

Der Dante-Partner

Ob Daniel Van Buyten oder Jerome Boateng, so pressingresistent wie Dante ist keiner. Und keiner der beiden ist so passstark, obwohl keiner als schwach bezeichnet werden könnte. Der wirklich große Unterschied liegt aber in der Art des Aufrückens: Dante ist bei seinen vertikalen Läufen in freie Räume hervorragend, macht selten Fehler und auch unter Druck wirkt er kaum gestresst. Van Buyten hingegen fehlt die Dynamik im Aufrücken, Boateng wirkt teilweise etwas undiszipliniert in Bezug auf den Aufrückradius. Er steht manchmal zu hoch oder spielt unter Druck zu ungenaue Pässe.

Mit einem asymmetrischen 4-4-1-1 könnte auch dies ausgenutzt werden. Die Asymmetrie würde so gespielt werden, dass sich der hängende Stürmer an Schweinsteiger oder Martinez orientiert, der Mittelstürmer aber Dante in eine feste Manndeckung nimmt. Dante fällt weg, der andere Spieler erhält den Ball. Dante wird zudem als Passoption ausgeschaltet, ebenso wie der nahe Sechser.

Nun trägt der schwächere Innenverteidiger die Last des Aufbauspiels. Falls er aufrückt, wird er gepresst. Dabei können die beiden Stürmer ihn gemeinsam attackieren und behalten ihre zuvor manngedeckten Spieler im Deckungsschatten, um den halbrechten Innenverteidiger zu isolieren.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Die Manndeckung auf Dante und das asymmetrische 4-4-1-1.

Die Manndeckung auf Dante und das asymmetrische 4-4-1-1.

Bespielen der Positionsdeckung und des Herausrückens

Eine letzte, allerdings sehr schwierige Möglichkeit, um Tore zu erzielen ist das Bespielen der bayrischen positionsorientierten Raumdeckung und ihrer Mannorientierungen. Weil die Formation sehr kompakt und die Mannorientierungen situativ sind, ist dies eben enorm schwer zu praktizieren. In einzelnen Spielen wurde es von manchen Gegnern aber dennoch gemacht, wie beispielsweise von den Gunners aus London.

So werden durch eine eigene offensivfluide Spielweise oder intelligente positionelle Rochaden die Löcher hinter den manndeckend mitgehenden Außenverteidigern genutzt. Auch der Zwischenlinienraum kann erweitert werden, wenn die Sechser der Bayern durch ihre situativen Manndeckungen nach vorne gelockt werden. Der Raum dahinter ist dann kurzzeitig durch schnelle Bewegungen, technisch anspruchsvolle Schnittstellenkombinationen und gruppentaktische Spielzüge bespielbar. Viel Hoffnung sollte man sich hier aber nicht machen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Bei diesem langen Ball des herausgekippten Sechsers wurde Lahm rausgezogen, der Linksaußen geht in die Mitte, der Zehner bindet Schweinsteiger und der zweite Sechser bindet Martinez. Der Flügel kann überladen werden, der Zehner und der Mittelstürmer, der Boateng binden soll, können dann in der Mitte anspielbar sein.

Bei diesem langen Ball des herausgekippten Sechsers wurde Lahm rausgezogen, der Linksaußen geht in die Mitte, der Zehner bindet Schweinsteiger und der zweite Sechser bindet Martinez. Der Flügel kann überladen werden, der Zehner und der Mittelstürmer, der Boateng binden soll, können dann in der Mitte anspielbar sein.

Fazit

Auch die Münchner sind schlagbar – es ist aber extrem schwierig. Zwar sind die Chancen etwas besser, weil Holger Badstuber wegen seiner Verletzung nicht spielt und somit nicht zu überraschenden Flanken kommen kann, aber letztlich ist es eine Herkules-Aufgabe.

Die Manndeckungen wirken auf dem Papier wie ein labiler Punkt, sind aber bei einer kompakten, konservativen Spielweise wegen ihrer Situationsorientiertheit und räumlichen Einschränkung enorm schwer zu bespielen. Konter über ballferne Seiten, in offene Löcher oder mit extremer Dynamik und individueller Klasse im Kombinationsspiel sind ebenfalls möglich. Am wahrscheinlichsten erscheinen Standardsituationen, um zum Erfolg zu kommen.

Allerdings muss man erst so weit nach vorne kommen; gegen Bayern ist es zwar möglich mit herauskippenden Sechsern zumindest ins Mittelfeld zu kommen, aber es benötigt schon gewisse Fähigkeiten, individuelle wie kollektive, um konstant bis ins letzte Spielfelddrittel vorzudringen. Lange Bälle oder das Aufrücken über die Flügel muten als einfachere Varianten an, die praktiziert werden können. Besonders diagonale Rückgaben in die Mitte nach Raumgewinn über die Seiten dürften praktikabel sein.

Jedoch kann man sich nicht nur auf die eigene offensive Phase konzentrieren, sondern muss auch Gegentore vermeiden; keine so einfache Aufgabe. Die klassischen Aspekte wie horizontale und vertikale Kompaktheit müssen ebenso wie ein nahezu perfektes Verschieben gewährleistet sein. Ein Allheilmittel gibt es nicht. Die Offensivfluidität kann eingeschränkt werden, doch die Bayern werden auch über klassische Mittel wie Pärchenbildungen zwischen Außenverteidiger und Außenstürmer sehr gefährlich, ihre Flügelüberladungen sind hervorragend und sie haben mit Schweinsteiger einen hervorragenden Spielgestalter. Auch Aspekte wie die Diagonalität der Außenverteidiger, Müllers Raumdeuten oder Mandzukic als ausweichender Stürmer sind aller Ehren wert und stets gefährlich.
Image may be NSFW.
Clik here to view.


Wie besiegt man Borussia Dortmund?

“Wie soll man diesen BVB knacken?” Diese Frage dominierte vor allem in den beiden Meistersaisons die Spiele der Borussia. Durchschlagende, stabile Antworten fand kein Gegner, auch weil Dortmunds Trainerteam immer wieder frühzeitig auf Probleme reagiert. Es gab jedoch wiederkehrende Muster und immer wieder Phasen, in denen die Borussia mit dem Rücken zur Wand stand.

Die Bayern hatten mit der Borussia in den letzten Jahren vor allem Probleme in der Offensive. Die hohe Intensität und Intelligenz, die Klopps Elf gegen den Ball auszeichnet, sorgten für konstante Chancenarmut der Bayern in allen Spielen seit Dortmunds erster Meistersaison. Mehr als ein Tor erzielten Münchner in den neun Aufeinandertreffen nur im „Pflicht-Vorbereitungsspiel“ des Super Cups und im Pokal-Finale nach hohem Rückstand. Von daher stellt sich in erster Linie die Frage, mit welchen Mitteln Jupp Heynckes die Torgefahr seiner Elf erhöhen kann.

Nutzung der Außenverteidiger

Eine potentiell entscheidende Problemzone der Borussen ist die Verteidigung der Flügel nach Verlagerungen auf aufrückende Außenverteidiger – vorausgesetzt, der BVB agiert im gewohnten 4-2-3-1, im 4-3-3/4-5-1 wird diese Schwäche kompensiert. Im vergangenen Ligaspiel deckte Bayern diese Schwäche erst wieder auf und erzielte den Ausgeich durch eine Flanke des offensiven Rafinha.

Dortmunds erster Fokus liegt auf dem Verschließen des Zentrums, aus dem der Gegner die vielversprechendsten Aktionen initiieren könnte. Dafür rücken die ballfernen Flügelspieler weit ein, um kurze Wege zu haben, wenn die ballnahen Mittelfeldspieler ausgespielt werden. Das öffnet natürlich den fernen Flügel. Wenn die Verlagerungen dorthin präzise kommen, kann der Außenverteidiger Zeit am Ball bekommen.

Die Frage ist dann allerdings, wie diese Räume genutzt werden. Eine Flanke zu schlagen ist die leichteste Möglichkeit, die am zuverlässigsten angewendet werden kann. Jedoch ist eine Flanke eben nur eine Flanke. Dortmunds lange Innenverteidiger können viele dieser Hereingaben klären und besonders bei frühen Flanken aus dem Halbfeld ist die Abschlussposition nicht optimal. So sichert man sich eine Grundgefährlichkeit, die Dortmund auch schon öfters Spiele kostete, doch man limitiert sich auch.

Die Alternative ist das flache Ausspielen der Situationen aus den Flügelräumen, was aber nicht so leicht ist. Dortmunds kompakter Block verschiebt schnell hinterher und ist vor allem in wenigen Momenten wieder vor dem Zentrum. So bietet sich dem Außenverteidiger nicht viel Zeit, um einen Spielzug in Richtung des Tores aufzuziehen. Real Madrid suchte gegen den BVB sehr oft diesen diagonalen Weg in den Strafraum und wurde von den nachrückenden Mittelfeldspielern aufgefangen.

Dieses Mittel bietet daher mehr zwar mehr Luft nach oben als das simplere Flankenspiel, doch es ist auch „nach unten“ offener. Wenn die Kombinationen immer wieder zwischen den Borussen hängen bleiben, hätte man stattdessen lieber auf Flanken gesetzt. Man benötigt eine klare Idee, damit das Diagonalspiel in den Strafraum effektiv wird.

Dribblings und ballferne Halbräume

Image may be NSFW.
Clik here to view.
vs BVB Halbräume

Das Zentrum (blau) verwaist, dafür werden die ballfernen Räume überladen und per Dribbling und Verlagerung dann eingesetzt.

Ein Ansatz, um die ballfernen Räume mit schnellem Kombinationsspiel nutzen zu können, wäre die frühzeitige Besetzung dieser Bereiche. Einige Spieler würden sich quasi „im Rücken“ der verschiebenden Borussen positionieren, um nach einer Verlagerung kurzzeitig Überzahl zu haben. (Beispielsweise könnte Lahm im Nachrücken dann schnell mit Müller und Robben kombinieren, siehe Grafik.)

Dortmund erkennt solche Situationen allerdings oft sehr gut und versucht das gegnerische Spiel dann aus den gefährlichen Bereich wegzuleiten. Die ballferne Überzahl hätte für die angreifende Mannschaft automatisch eine ballnahe Unterzahl in Folge, wodurch Dortmund die Handlungshoheit bekommt.

Dieses Problem kann etwas gelockert werden, wenn sich andere Spieler als „Ablenkung“ in Ballnähe positionieren, die für das Kombinationsspiel und die Absicherung nicht gebraucht werden – also im wesentlichen der Mittelstürmer, der für die Besetzung der Tiefe verantwortlich ist. Diese wird in dem Moment vor einer geplanten Verlagerung nicht benötigt. So könnte sich Mandzukic beispielsweise 20 Meter in den Halbraum zu Ribery fallen lassen und Bender etwas beschäftigen, um dann nach der Verlagerung mit Tempo in den Strafraum zu gehen.

Die weiten Verlagerungen haben dann den Vorteil, dass man sie problemlos hoch spielen kann und Dortmund daher in diesem Moment nicht mit Deckungsschatten arbeiten kann. Möchte man einen hohen Pass verhinden, muss man eng in den Zweikampf. Dadurch wird der Defensivspieler aber zum Handeln gezwungen, was für den Angreifer immer einen Vorteil darstellt.

Dieser kann dann deutlich leichter ins Dribbling gehen; besonders bei den Bayern mit Ribery und Robben natürlich eine wesentliche Möglichkeit. Generell müssen Dribblings in solchen Spielsituationen ein wesentliches Mittel sein. Dabei kann man auch eine Charakteristik von Dortmunds Defensivspiel gegen sie nutzen: Sie versuchen gegen schnelle Dribbler nicht risikoreich in den Zweikampf zu kommen, sondern schneiden vor allem den Vorwärtsweg ab und leiten den Angreifer auf die doppelnden Mitspielern. Dagegen effektiv durchzubrechen ist kaum möglich, aber es ist durchaus möglich horizontale Dribblings entlang der Mittelfeldlinie zu nutzen. Dadurch werden die ballferneren Dortmunder noch stärker zum Nachschieben gezwungen und es öffnet sich mehr Raum für die ballfern spekulierenden Spielern.

Direktspiel im Zwischenlinienraum

Selbst wenn man aber die Verlagerung hinbekommt und sich Räume öffnet, muss man erst einmal noch Dortmunds starke Viererkette ausgespielt bekommen. Am durchschlagendsten ist dabei oft eine direkte Kombination über den Zwischenlinienraum – das ist sehr anspruchsvoll, könnte aber bei einem Timing-Genie wie Thomas Müller und guter Vorbereitung ein vielversprechender Ansatz sein.

Die Schwierigkeit ist, das Dortmunds Kette sehr stark antizipativ agiert. Gerade Hummels rückt frühzeitig heraus, da der Gegner unter keinen Umständen vor der Abwehr Zeit am Ball haben soll. Subotic und Schmelzer klappen sehr zuverlässig und schnell hinter ihm in eine temporäre Dreierreihe ein. Wenn man sich davon überraschen lässt, verliert man den Ball; bestenfalls spielt man schnell noch einmal auf den Flügel und wird spätestens jetzt von den nachrückenden Mittelfeldspielern aufgefangen.

Um dem Zugriff der Dortmunder Abwehrspieler in dieser Situation zu umgehen, benötigt man „Anti-Antizipation“; man muss die antizipative Bewegung der Gegenspieler vorherahnen und einen Gedanken voraus sein. Dann kann man sich so positionieren, dass man die Herausrückbewegung bestrafen und die Lücke bespielen kann. Wenn man schneller spielt, als Dortmund in die Zweikämpfe rauscht, kann man sie knacken.

Zusammenhang zwischen schnellem Spiel und Überladungen

Das ist natürlich ein klassischer Fall von „leichter gesagt als getan“. Generell ist der Punkt des „schnellen Spiels“ ein kleiner Mythos im Fußball, denn mit der mentalen Einstellung „schnell spielen!“ ist das nicht getan. Wenn man das von einer Mannschaft fordert, meint man die Lethargie am Ball zu kritisieren; eigentlich kritisiert man damit meistens die taktische Ausrichtung oder das zu wenig vorausschauende Bewegungsspiel. (An dieser Stelle ein Appell an alle Jugend- und Amateurtrainer, sich über diesen Faktor einmal genau Gedanken zu machen, bevor man ihn von der Mannschaft einfordert.)

Wenn die taktische Ausrichtung nicht stimmt, entstehen einfach keine Möglichkeiten, schnell zu spielen. Ist der Gegner in einer Überzahlsituation, kann er alle Abspiele antizipieren (Ausnahme: hochkomplizierte Geniepässe, die mehrere Gegner überraschen). Das Schnellspielen sieht dann höchstens so aus, dass man schnell dem Gegner in die Füße spielt. Um gruppentaktische Prozesse abzurufen muss zuerst die lokale Raumbesetzung als Basis gegeben sein.

Von daher ist es von entscheidender Bedeutung irgendwie zumindest lokale Überzahlen herzustellen, die man schnell durchspielen kann. Der genannte Punkt mit der frühzeitigen Besetzung der ballfernen (Halb)Räume ist eine eventuelle Möglichkeit, um dieses Fundament gegen Dortmund zu gewährleisten.

Eine andere Alternative ist die konstante, systematische Überladung des Mittelfeld- und Angriffszentrums. Beispielsweise bekommen die Borussen öfter gegen Rautensysteme Probleme; erst am vergangenen Wochenende kamen die Hoffenheimer zurück in die Partie (und die Bundesliga), als Markus Gisdol vom flachen 4-4-2 auf das 4-3-1-2 umstellte. Pässe in die überladenen Bereiche kann Dortmund teilweise nicht antizipieren (zu viele offene Anspieloptionen) und so bekommt man teilweise trotz größerer Enge mehr Zeit am Ball, wenn man gegen den BVB viele Spieler im Zentrum bündelt. Bayern könnte diese Überladungen womöglich aus ihrem Grundsystem heraus erzeugen, wenn sie ihre Fluidität passend anlegen.

Diagonalläufe der Stürmer und der „Seitenlinienpass“

Ein effektives Element, um aus einer überladenen Mitte Gefahr nach vorne zu erzeugen sind dynamische Sprints der Stürmer hinter die Schnittstellen der Dortmunder Kette. Den „gängigen“, naheliegenden Laufweg von außen in die Spitze bekommen Subotic und Co. dabei meist unter Kontrolle. Oft haben sie aber mit dem umgekehrten Weg Schwierigkeiten. Wenn die Stürmer nach außen weichen, lassen sich Hummels und Subotic oft mitziehen. Freie Spieler aus der Zentrumsüberzahl können dann nachstoßen und die Lücken nutzen.

Noch gefährlicher werden die ausweichenden Läufe, wenn der Ball auf dem Flügel ist. Dann rückt prinzipiell Dortmunds Außenverteidiger aggressiv zum Ball heraus. Geht der Stürmer nun in die äußere Schnittstelle, läuft er eine Lücke an, was die ganze restliche Kette mitzieht und zum Handeln zwingt. Selbst wenn der nahe Innenverteidiger dem Stürmer nun auf den Fersen ist, hat er kaum eine Möglichkeit, bei einem Anspiel effektiv in den Zweikampf zu kommen. Der Pass kann einfach die Seitenlinie entlang gespielt werden und der Stürmer ist immer als erster am Ball und erst einmal nicht gedoppelt. Besonders die Wolfsburger, die gegen Dortmund drei schnelle Tore erzielten, konnten immer wieder durch solche Läufe von Olic gefährlich werden, was Dieter Hecking nach dem Spiel auch ausdrücklich lobte. Mario Mandzukic kann eine ähnliche Rolle einnehmen.

Die Spieleröffnung

Der Seitenlinienpass ist generell eine unangenehme Maßnahme, mit der die Borussen oft Probleme haben. Im Normalfall ist dieser Pass nicht unbedingt zu empfehlen, da der Stürmer in eine schwierige, isolierte Situation kommt. Gegen die Dortmunder ist es aber eine simple Variante, um dem starken Pressings des Zentrums zu entgehen und schnell in gefährliche Zonen zu kommen. Zudem sind Dortmunds Innenverteidiger nicht die antrittststärksten im 1-gegen-1, sodass sie diese Situation verhältnismäßig schlecht lösen können.Oft kann der Stürmer zumindest eine Ecke rausholen.

Da Dortmund, wie schon angesprochen, immer zuerst den Weg in die Mitte versperrt, müssen sie den simplen Vertikalpassweg des Außenverteidigers offen lassen. Grundvoraussetzung dafür ist aber, dass das Spiel nach Verlagerungen innerhalb der Abwehr schnell eröffnet wird. Wenn man versucht, das Spiel ruhig und kontrolliert ins Mittelfeld zu tragen, sieht man sich immer wieder kompakten Dortmunder Überzahlen gegenüber, die man nicht knacken kann, ohne gefährliche Ballverluste zu riskieren.

Von daher ist ein Grundmittel gegen den BVB die schnelle Zirkulation innerhalb der Abwehr. Die starken Leistungen der individuell unterlegenen Ajax Amsterdam und Holstein Kiel (!) zeigten die Bedeutung dieses Faktors. Das erfordert ein weiträumiges Freilaufen der Verteidiger, kluge verbindende Positionierung der Sechser und Ballsicherheit auf allen Positionen. Das bringen die Bayern natürlich alles mit und dazu haben sie auch noch einen überragend passsicheren Torwart als Ausweichmöglichkeit.

Strukturänderung im Ausweichsystem

Ob die eröffnenden Pässe tatsächlich den Flügel entlang gespielt werden sollten, hängt dann von verschiedenen Faktoren ab. Prinzipiell ist durchaus möglich, dass sich Martinez und Schweinsteiger mit Riberys Unterstützung auch im Zentrum behaupten können und auch mal hochwertige Pässe von dort verteilen. Darauf angewiesen werden sie sein, wenn sich Dortmund im 4-5-1 formiert. Durch die breitere Stellung der Mittelfeld-Fünferkette sind die Wege entlang der Flügel geschlossen und die Außenverteidiger gut abgedeckt.

Dann muss Dortmunds Gegner umdenken und kann nicht mehr das schnelle Spiel über die Breite aufziehen. Dadurch steht der BVB insgesamt stabiler und ist noch schwerer zu knacken. Der Preis dafür ist der fehlende Zugriff im Zehnerraum. Die gegnerischen Sechser werden nur frontal angelaufen, um die Passwege zu versperren, Dortmund kann sie nicht mehr mit aggressiver Zweikampfführung in die Mangel nehmen. So bekommt der Gegner mehr Ruhe im Aufbauspiel und mehr Präsenz im Sechserraum, aber hat kaum Möglichkeiten, auch nach vorne zu kommen.

Tatsächlich kam der BVB mit dem 4-5-1 noch nie richtig stark ins Wanken, doch auch dieses System hat seine Problemstellen. Vor allem die Öffnung der defensiven Halbräume muss clever genutzt werden und das Offensivspiel muss noch einen Schritt weiter vorausgedacht werden.

Inverse oder einrückende Außenverteidiger

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Die Außenverteidiger rücken ein, statt nach vorne und ziehen ihre Gegenspieler mit nach hinten. Der Innenverteidiger dribbelt in den offenen Halbraum. Der Sechser kann sich dadurch nach vorne einschalten und die Verschiebungslücke attackieren.

Die Außenverteidiger rücken ein, statt nach vorne und ziehen ihre Gegenspieler mit nach hinten. Der Innenverteidiger dribbelt in den offenen Halbraum. Der Sechser kann sich dadurch nach vorne einschalten und die Verschiebungslücke attackieren.

Wenn die Vorwärtswege der Außenverteidiger mannorientiert aufgefangen werden, bietet sich an, die Struktur umzudrehen. Das 4-5-1 versperrt den Verteidigern nur die Wege entlang des Flügels, aber wegen des fehlenden Zehners sind die Wege ins Zentrum nicht zu sperren. Das kann man ausnutzen, indem der Innenverteidiger dort hinein stößt oder der Außenverteidiger diagonal hineindribbelt. Lahm demonstrierte zweiteres gegen die Borussen bereits.

Effektiv erhält man dadurch einen zusätzlichen Spieler im defensiven Mittelfeld, sodass die offenen Halbräume vielfältiger genutzt werden können. Das befreit auch die Sechser in ihrem Bewegungsspiel. Sie können diagonal hinter die herausrückenden Achter der Borussia starten und die Dynamik des Systems attackieren. Das ständige Raumöffnen und -schließen im 4-5-1 wird von einem statischen System mit Flügelfokus nicht bestraft. Mit mehr Bewegungsfreiheit im Zentrum kann man die kurzzeitigen Lücken möglicherweise für sich nutzen.

Um für Breite zu sorgen, können sich die Flügelspieler im Rücken der gegnerischen Außenstürmer positionieren. Bei einer Verlagerung entgehen sie so dem Zugriff des Außenverteidigers und nutzen gleichzeitig die lose Mannorientierung der Außenstürmer. Letztere ist bei Dortmund aber nicht all zu streng ausgeprägt, was diesen ganzen Zug zu einer schwierigen Bewegung macht, die vermutlich recht dynamisch und schnell durchgespielt werden muss. Die Außenstürmer würden sich wohl im Laufe des Angriffs ins Mittelfeld zurückziehen und so die entstehenden Lücken wieder schließen können. Wiederum ist Tempo ein wichtiges Element.

Aggressives Gegenpressing

So weit wären meine Gedanken für’s Offensivspiel gegen Dortmunds Pressing. Kommen wir zu Dortmunds Offensive. Die ist über das Umschaltspiel aber natürlich mit dem Pressing verbunden. Ein Teil von Dortmunds Defensivstärke ist auch die ständige Bedrohung durch schnelle Konter, wenn man einen Fehler macht und den Ball verliert.

Eine ganz gute Gegenmaßnahme wäre es schon einmal, die Bälle nicht all zu früh zu verlieren. Wenn man Dortmund ins Abwehrdrittel drängt, kann man sie nämlich auch im Gegenpressing greifen, was den Bayern auch schon mehrfach gut gelang. In der Enge an der eigenen Box will auch der BVB keine Bälle beim Herauskombinieren verlieren. Zwar sind sie außergewöhnlich gut im spielerischen Befreien aus dem Gegenpressing – Blaszczykowski und Hummels brillieren darin oft – doch sie gehen nicht viel Risiko.

Wenn man sie also in Ballnähe sofort unter Druck setzt, kann man sie zum langen Ball zwingen. So kann man den Ball erst einmal aus dem Kombinationsspiel entfernen. Wenn man nun gut umschaltet und Dortmunds intensives Aufrücken mitgeht, gibt es nicht viele Möglichkeiten für den BVB. Sie sind auf Einzelaktionen angewiesen.

Absicherung der Flügel

Image may be NSFW.
Clik here to view.
VS Bvb Lewandowski

Lewandowski attackiert Lücken im Aufbauspiel des Gegners und zockt auf den Ballgewinn.

Entscheidender Spieler dabei ist Lewandowski, der als Zielspieler für die Befreiungsschläge agiert. Dafür sucht er intelligent Freiräume, nachdem er im Pressing überspielt ist. Besonders effektiv ist sein Ausweichen in den Raum hinter aufgerückten Spielern (vor allem Außenverteidigern). Dort erreicht er die langen Bälle oft als Erster, kann sie kontrollieren, sich drehen und andribbeln. Manchmal geht auch der Zehner in diese Räume, wobei Gündogan das wohl seltener machen würde als Götze.

Diese Zug ist ein wichtiges Argument dafür, gegen Dortmund die Außenverteidiger eher vorsichtig nach vorne zu schieben. Zudem ist das enorm aggressive Umschalten der sprintstarken Reus und Blaszczykowski oftmals schwer aufzufangen. Aus diesen Gründen ließ beispielsweise Mourinho in Reals ersten Partien gegen den BVB mit wenigstens einem zurückhaltenderen Außenverteidiger spielen.

Die Bayern konnten dieses Umschalten über lange Bälle aber oftmals außergewöhnlich gut kontern. Lewandowski wurde mannorientiert verfolgt, entweder von einem Innenverteidiger nach außen oder vom absichernden Sechser in die Tiefe. Bei der Ballannahme wurde er sehr aggressiv gestört, notfalls gefoult. Da Bayerns Innenverteidiger (insbesondere Boateng) außergewöhnlich athletisch sind, können sie den Polen im direkten Duell meist unter Kontrolle bringen, wenn sie früh genug in den Zweikampf kommen.

Passives Zurückweichen als Sicherungsstrategie

Falls der BVB sich trotzdem einmal durch die ersten Wellen des Gegenpressings spielen kann, ist es oft ein guter Ansatz sehr passiv zu bleiben und vor allem die direkten Wege zum Tor zu schließen. Die Borussen sind in ihren Kontern so gut strukturiert und agieren so stark unter Druck, dass man kaum erneut Zugriff erzwingen kann, wenn man ihn einmal verloren hat.

Lässt man den Dortmundern aber Raum und öffnet die langsamen Räume auf den Flügeln, werden sie teilweise zu ungeduldig und versuchen hektisch in der Mitte durchzubrechen, anstatt die Räume sauber auszuspielen. Besonders schnelle Abwehrreihen, zu denen ja auch die der Bayern zählt, haben dann gute Karten, die verfrühten Pässe in die Tiefe abzulaufen.

Man muss jedoch relativieren, dass diese Problem beim BVB etwas wechselhaft auftreten und auch psychologisch bedingt scheinen. Vor allem in hektischen Spielphasen oder, wenn ein Spiel scheinbar entschieden ist, neigen sie zu diesen unsauberen Angriffen. Bei einem angespannten Spiel auf hohem Niveau, wie es die Duelle mit den Bayern meist sind, agieren sie oft deutlich stärker. Von daher sollte man sich niemals auf Fehler der Borussen verlassen.

Dortmunds Aufbau-Schwachstellen öffnen

Bekommt man Dortmunds Konter in den Griff, bleibt den Schwarzgelben immer noch ihr Ballbesitzspiel. Oft werden die umschaltstarken Borussen auf ihr Konterspiel reduziert, was ihnen aber nicht gerecht wird. Die meisten Gegner riskieren gegen sie wenig, sodass Gündogan und Co. aus dem eigenen Spielaufbau zu Chancen kommen müssen.

Die größte Qualität ist dabei oft die gute Anpassung an die Strukturen des Gegners. Gegen 4-4-2-Systeme wird gerne das Zentrum überladen, gegen Rauten wird über die Außenverteidiger diagonales Spiel mit Verlagerungen betrieben, gegen 4-3-3-Formationen werden mit Vertikalspiel die Halbräume gesucht. Von daher ist das beste Mittel gegen die Borussen, ihnen keine Möglichkeiten anzubieten; etwas, das die defensivstarken Bayern ziemlich gut drauf haben.

Besondere Probleme bekommt der BVB außerdem dann, wenn die Schlüsselspieler gesondert geblockt werden und das Spiel auf die passschwächeren Akteure geleitet wird. Das populärste Beispiel dafür ist die Manndeckung gegen Hummels, die vor allem vergangene Saison von vielen Teams gespielt wird. Zwar ist Subotic mittlerweile ebenfalls ein guter Aufbauspieler, doch Hummels bleibt eine wichtige Säule. Die Wolfsburger nahmen ihn erst wieder durch Olic in Manndeckung und zeigten, dass dies weiterhin gut funktionieren kann.

Zudem sind Bender, Schmelzer und Weidenfeller für ihre jeweiligen Positionen recht passschwach. Schmelzer ist wahnsinnig ineffektiv, wenn er frei auf die gegnerische Abwehr zumarschieren darf. Bender kann zumindest vereinzelt gute Pässe spielen, braucht dafür aber recht viel Zeit. Weidenfeller schlägt den Ball fast immer weg, wenn er gut angelaufen wird. Wenn man Dortmunds Spiel auf diese Schwachpunkte lenkt, bekommen sie große Schwierigkeiten, eine saubere Ballzirkulation aufzubauen und somit können sie ihre Fluidität und Kombinationsstärke im Offensivspiel nicht nutzen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
vs BVB Pressing

Theoretische Möglichkeit, Dortmunds Schwächen zu fokussieren (rot) und die Stärken einzudämmen (blau): Der Sturm orientiert sich an Hummels und Gündogan, das Mittelfeld schiebt nach links, sodass Piszczek bewacht und Schmelzer offen ist. Bender, Subotic und Weidenfeller können dann angelaufen werden. Die tiefe Stelung des Piszczek-Bewachers erlaubt eine enge Staffelung der Viererkette. Der kompakte Siebenerblock kann die Fluidität der vier Dortmunder Offensivspieler auffangen.

Das klingt jedoch leichter als es ist, denn Klopp weiß um die Schwachpunkte und kann sie oft kompensieren: Bender positioniert sich bewusst in Engstellen, um Gegenspieler zu binden und gute Gegenpressing-Positionen einzunehmen. So muss er gar nicht erst angespielt werden, sondern seine Position wird von seinem Nebenmann überspielt. Schmelzer geht kaum noch zur Grundlinie, sondern hält den Ball und beschränkt sich auf simple Ablagen. Wenn man ihn freilässt muss man ihn anschließend sehr schnell und effektiv isolieren, sonst wird er durch seine Mitspieler „befreit“.

Der omnipräsente Gündogan

So ist das oben dargestellte Konzept wohl in dieser simplen Form nicht so effektiv, wie man es auf den ersten Blick meinen könnte. Es könnte allerdings als gedankliche Grundausrichtung im gruppen- und individualtaktischen Verhalten dienen: Welchem Spieler messen wir im Pressing welche Priorität zu? Wie frühzeitig und wie eng stellen wir welchen Spieler zu? Wen können wir beim Anlaufen unter Druck setzen, wer befreit sich?

Besonders im Falle von Gündogan ist diese Gedankenschablone ein ganz wichtiger Punkt. Durch seine herausragende Pressingresistenz lässt sich Dortmunds Spielmacher kaum durch normales Anlaufen unter Druck setzen und ist auch in engeren Zwischenräumen nicht über die reine Kompaktheit zu verteidigen. Um ihn aus dem Spiel zu nehmen, muss man ihn frühzeitig zustellen, sodass er gar nicht erst angespielt wird, oder sofort in einen körperlichen Zweikampf verwickelt werden kann. Gelingt dies nicht, kann man sich das Attackieren sparen und sollte sich aufmerksam darauf konzentrieren, alle Passoptionen zu blockieren. Gündogan erzwingt nicht die Hollywood-Pässe, sondern wählt den effektiven, einfachen Pass. Wenn dies ein Pass nach hinten ist, hat man die nächste Gelegenheit, ihn aggressiv zu isolieren.

Wenn es gelingt, Gündogan aus dem Spiel zu nehmen, ist Dortmund massiv geschadet. Er ist das verbindende Zahnrad in allen Bereichen, hält den Ball am laufen und die Mannschaft verbunden. Durch seine strategisch ausweichenden Bewegungen (z.B. Herauskippen neben die Innenverteidiger) ist er kaum zonenorientiert aufzufangen. Von daher könnte eine aggressive Manndeckung auf ihn eine gute Möglichkeit sein. Die Bayern nutzten dieses Mittel schon gegen einen Spieler mit ähnlicher Funktion: Barcelonas Busquets wurde variabel von Müller oder dem Stürmer überall hin verfolgt. Gündogan hat zwar einen höheren Bewegungsradius und ist dynamischer als der Katalane, allerdings hat Dortmund dafür nicht so viele Spieler, die Gündogans spielmachende Aufgaben übernehmen können.

In diesem Kontext wird natürlich hochinteressant, ob der wendige Allround-Spielmacher hinter Reus auf der Sechs spielt, oder ob er vor (oder gar neben?) Nuri Sahin startet, um im Aufbauspiel einen weiteren Fixpunkt zu haben.

Andribbeln und Vertikalspiel gegen das Gegenpressing

Zu guter Letzt sieht man sich gegen die Dortmunder immer ihrer größten Stärke gegenüber. Wenn man sie nicht im Spielaufbau schon verhindern konnte, sich zurückziehen muss und erst dann den Ball gewinnt, setzt das berüchtigte Gegenpressing des BVB ein. Klopps „bester Spielmacher“ ist eine riesige Herausforderung für jede Mannschaft und eine große Gefahr, wenn man ihn unterschätzt. Beim 4:1 gegen Real Madrid schoss Dortmund gleich drei Tore nach Ballrückeroberungen; Mourinho haderte nachher mit „individuellen Fehlern“ seiner Mannschaft.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
VS Bvb Gegenpressing

Dortmunds kollektives Umschalten ins Gegenpressing an hypothetischer Szene: Die Flügelspieler sind für einen Angriff durch den linken Halbraum eingerückt, Lewandowskis Lieblingsraum. Nun verliert er dort den Ball. Doch vier Spieler pressen direkt von vorne in Ballrichtung, die ballfernen Räume werden rückwärts attackiert, die Offensivspieler mannorientiert angegriffen. Gedankenspiel: Was passiert in zwei Sekunden, wenn der scheinbar simple Pass auf den rechten Flügelspieler gespielt wird?

Es gibt vielleicht keine Mannschaft auf der Welt, die versuchen sollte, dieses Gegenpressing einfach so auszuspielen. Dortmund verengt die Räume so aggressiv, intelligent und unübersichtlich, dass jeder Pass ganz schnell ein Fehlpass sein kann. Und solch ein Fehlpass kann ganz schnell eine Dortmunder Torchance sein, wenn zu viele Spieler auf offensive Umschalten. Von daher gilt: Nach Balleroberung bloß nicht rauskombinieren.

Die zwei Möglichkeiten, mit denen der BVB Probleme bekommt: Ein schneller befreiender Pass nach außen oder ein anspruchsvolles kurzes Dribbling zur Auflösung des ersten Gegenpressing-Momentes. Beide Varianten haben den Vorteil, dass nur wenige Spieler involviert sind. So können sich die meisten auf die Absicherung eines möglichen Gegenkonters fokussieren und das Gegenpressing fällt als „Spielmacher“ aus.

Besonders ein sofortiges Dribbling nach Balleroberung kann durchschlagende Wirkung haben, da sich mit einem Mal die Wirkung der Passwinkel und Deckungsschatten stark verändert. Auch das Sichtfeld des Ballführenden dreht sich eventuell. Der kollektive erste Schritt des Dortmunder Umschaltkollektivs muss neu gesetzt werden, es entsteht eine Art kurzer „Gegenschock“. In diese Veränderung hinein kann der Ballführende einen Freiraum in der Ferne finden und vielleicht durchbrechen.

Mit etwas Glück drängt man den BVB durch solch eine Aktion oder mit einem schnellen Vertikalpass in die Spitze zu einer überriskanten Reaktion. Besonders Hummels und Bender neigen dazu, auch bei völlig fehlender Absicherung aggressiv den Zweikampf zu suchen. Wenn man diesen noch gewinnt, kann man schon durch sein. Besonders die Bayern mit ihrer Dribbelstärke auf vielen Positionen haben auf diese Weise das Potential, die Dortmunder auf dem falschen Fuß zu erwischen.

Fazit

Auch die Dortmunder sind schlagbar – es ist aber extrem schwierig. Freies Zitat nach RM.

Mir kommt es so vor, als sei jede Stärke der Dortmunder dafür prädestiniert, ausgerechnet von den Bayern gekontert zu werden – und auch andersherum. Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, dass diese Duelle normalerweise derartige „Limit-Spiele“ sind, bei denen sich beide neutralisieren und der kleinste Fehler bestraft wird.

Zu dieser hochinteressanten Ausgangslage kommen noch diverse taktische Varianten hinzu, die Klopp nun wegen Götzes Ausfall bemühen muss. Es wird also auf allen Ebenen ein Spiel der allerhöchsten Fußballkunst und Fußballtaktikkunst. Mein Tipp? Wird geil!
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Eine umfassende Vorschau zur Partie erscheint morgen in Form der “fünf Fragen” zum Spiel.

Ballbesitz – Ein taktiktheoretischer Diskurs

Der Ballbesitz ist als Philosophie überbewertet, als Mittel aber unterbewertet.“

In einer unserer täglichen Diskussionen über Fußball ließ Kollege MR, der mit TR kompetenteste Fußballexperte, den ich kenne, diesen Nebensatz fallen. Beiläufig, gelangweilt. Doch er ist mir lange Zeit im Gedächtnis geblieben, weil er perfekt umschreibt, was ich mir seit Jahren denke und was sich in den letzten 3-4 Jahren verfestigte: Im Fußball wird nicht „zu defensiv“ gedacht, sondern zu sehr im Rahmen der Defensive. Offensivstrategien sind oftmals nur grob existent, es werden einzelne Abläufe und Spielzüge einstudiert, aber nicht situationsorientierte und veränderbare Grundideen instrumentalisiert.

Der Ballbesitz wird aber von einigen Trainern propagiert, unter anderem Louis van Gaal oder eben Josep Guardiola. Seit insbesondere der Letztere und seine große Barcelona-Mannschaften in den Fokus geraten ist, gibt es ein neues In-Wort unter Fußballfans: „Ballbesitzfußball“, „possessionplay“. Damit bezeichnet man die Philosophie, den Ball in den eigenen Reihen zu halten und geordnet anzugreifen.

Selten wurde etwas Einfaches dermaßen überschätzt und selten wurde die Tragweite von etwas Simplem so übersehen. Jede Mannschaft spielt Ballbesitzfußball – dann, wenn sie nicht kontern konnte und konstruktiv den Angriff aufbauen muss. Das Problem ist, dass lange Zeit nur wenige Teams konstruktiv aufbaute, sondern einfach versuchte zu flanken oder einen bestimmten Spieler anzuspielen.

Schon vor 20-30 Jahren begann die Entwicklung zu einem geplanten Offensivspiel. Wirklichen Einzug in das Bewusstsein des Sesselanalysten hielt sie aber erst im modernen Zeitalter der Globalisierung, der einfachen Zugänglichkeit von Massenmedien, der schnellen Informationsverarbeitung und –vermittlung. Angetrieben durch den neuen Bayerntrainer, welcher mit dem extremen Ballbesitzfokus diese Spielkomponente sichtbarer werden ließ und den Fokus im Angriffsspiel auf solche grundlegenden Aspekte wie Raum, Dynamik und Zeit legte.

Die wahre Bedeutung des Ballbesitzfußballs

Ballbesitzfußball wird immer mit sich selbst gleichgesetzt: Jede Mannschaft mit Fokus auf Ballbesitz gilt als äquivalent zu einer anderen. „Man spielt auf Ballbesitz“. Eine simplifizierende Vereinfachung – und ein fataler Fehler.

Um die Unterschiede zu erklären, hole ich ein bisschen aus. Eine ballbesitzorientierte Mannschaft hat zumeist 55-80% Ballbesitz. Sie hält den Ball also viel länger in ihren Reihen und sie spielen auch anders nach vorne als die klassischen Fußballteams. Viele Teams versuchen nämlich nach dem Ballgewinn viel Raum zu überbrücken und schnelle Abschlüsse zu generieren.

Doch bei den auf Ballbesitz fokussierten Mannschaften werden offensive Umschaltmomente teilweise aufgegeben, der Gegner kann dann seine Ordnung herstellen und zuerst wird nach hinten gespielt. Dieser Aspekt ist oftmals das Ziel von Kritik. Der Gedanke, dass der Ball nach Ballgewinnen so schnell wie möglich vor das gegnerische Tor kommen soll, ist noch sehr dominant. Wenn der Gegner tief steht, kann man – so hört man es oft – ja gar nicht zum Erfolg kommen. Dabei hat die Aufopferung der direkten Nutzung der Umschaltmomente auch sein Positives.

Nicht nur der Gegner kann seine Ordnung herstellen, sondern auch man selbst. Eine Mannschaft, die ihre offensive Ordnung herstellen kann, verfügt über einige Vorteile. Sie kann planen, sie kann einstudierte Abläufe testen, sie kann den Moment, den Raum und gar die genaue Situation ihrer Angriffe bestimmen. Durch dieses gefächerte Arsenal an Offensivoptionen entsteht eine höhere Variabilität in den unterschiedlichen Schemen und grundlegenden Abläufen. Diese Variabilität gilt es zu definieren, um sie analytisch betrachten und vergleichen zu können.

Oftmals wird der Ballbesitz in einen „defensiven“ und „offensiven“ Ballbesitz unterteilt. Diese Verteilung ist ziemlich griffig und logisch. Es geht um die Motivation der Ballzirkulation – will ich den Ball haben, um dann angreifen zu können, oder will ich den Ball haben, damit der Gegner nicht angreifen kann? Diese Differenz sorgt dann für Unterschiede im Risikoverhalten und in der Höhe der Ballzirkulation.

Aber diese Unterscheidung ist viel zu einfach. Sie bietet zwar einen systemphilosophischen und taktikpsychologischen Einblick, jedoch keine Erklärung über die genauen taktischen und strategischen Vorgänge in Ballbesitz. Alternativ könnte der Ballbesitz nicht nur in „offensivorientiert“ und „defensivorientiert“ klassifiziert werden; ein „penetrierender“ (beispielsweise bei Kontermannschaften), ein „zirkulierender“ (die aktive Suche nach Lücken wie bei Barcelona) und ein „abwartender“ Ballbesitz (passive Suche nach Lücken, auf Sicherheit bedacht, oftmals mit Einzel- statt Teamaktionen in den penetrierenden Aktionen) wären taktiktheoretisch ebenfalls passende Synonyme.

Doch selbst eine vergrößerte Kategorisierung in „offensiv/penetrierend“ , „neutral/zirkulierend“ und „defensiv/abwartend“ kaschiert die Mängel dieser Definition nur wenig.

Wie bespiele ich meinen Gegner?

Vielmehr sollte auf die unterschiedlichen Abläufe in der Angriffsbespielung geachtet werden. Hier folgt es eine Definition und versuchte Übersicht über die Varianten, wie ein Angriff ausgespielt werden kann.

  • Überzahlerzeugend

Grundprinzip: In bestimmten Räumen oder um bestimmte Spieler wird versucht eine Überzahl zu erzeugen, damit diese Zone kontrolliert werden kann. Aus diesen Räumen kann dann durch die Überzahl in andere Räume kombiniert oder Angriffe direkt eingeleitet werden.

Beispiel: Lionel Messis Zurückfallen aus dem Neunerraum. Manchmal geht er nur in den Zwischenlinienraum oder in den Zehnerraum, manchmal lässt er sich aber eher nach rechts oder in den Sechserraum fallen. Je nach Gegner, Situation und Gegenmaßnahmen gegenüber Messi gibt es hier unterschiedliche Räume, meistens ist aber das Ziel die Erzeugung von Überzahl im Zentrum, um den strategisch wichtigsten Punkt zu kontrollieren.

  • Raumorientiert/-attackierend

Grundprinzip: Bei dieser Spielweise versucht man Raum zu öffnen und diesen bespielen zu können. Dort können dann entweder Pässe hindurch gespielt oder Dribblings gefahren werden.

Beispiel: Bei einer mannorientierten Spielweise der Innenverteidiger kann sich beispielsweise der Mittelstürmer zurückfallen lassen, um ein Loch zu öffnen. Der Außenstürmer kann dann diagonal in die Mitte ziehen, wo er Lochpässe empfangen kann. Auch raumöffnende Läufe bei Alleingängen sind möglich, sh. dieses vereinfachte und weniger kollektive Beispiel von Jermaine Defoe oder auch Andrés Iniesta.

  • Schwachpunktfixiert

Grundprinzip: Es wird ein Schwachpunkt, ein gewisser taktischer Mechanismus oder ein bestimmter Spieler ausgemacht, der dann bespielt werden muss. Dies kann wiederum auf unterschiedliche Art passieren, „rein schwachpunktfixiert“ wäre das Improvisieren von Angriffen, lediglich die Angriffsrichtung wird vorgegeben.

Beispiel: Ein langsamer Verteidiger soll andauernd mit Dribblings oder Lochpässen attackiert werden oder ein individuell enorm schwacher Spieler des Gegners soll. In gewisser Weise versuchte Sir Alex Ferguson dies mit Positionswechseln von Cristiano Ronaldo (bzw. einer positionellen Freirolle) von Spiel zu Spiel oder auch gegen die Bayern 2009/10 mit Nani vs. Badstuber und vielen Dribblings zu provozieren.

  • Einzelspielerfokussiert

Grundprinzip: Im Offensivspiel werden einer oder mehrere bestimmte Spieler gesucht, die dann mit ihren Fähigkeiten den Unterschied ausmachen sollen. Dies dürfte wohl die bekannteste Form des Ballbesitzspiels sein. Im Zweifel wird dann einfach ein Pass auf Spieler X gespielt; dieser soll dann durch Dribblings, Weitschüsse oder Kreativität im Passspiel für einen erfolgreichen Angriffsverlauf sorgen.

Beispiel: Das treffendste Beispiel der Fußballgeschichte dürfte Diego Maradona sein. Der kleine Argentinier hatte zumeist eine Freirolle, rückte dann je nach Lust und Laune in die Spitze auf und war zeitweise Mittelstürmer, ließ sich auf die Seite fallen und wurde zum Außenstürmer, instruierte das Spiel aus der Zehner-Position als Nadelspieler und klassische Zehn oder ließ sich in den Sechserraum fallen und organisierte den Angriff bereits aus der Tiefe heraus. Ziel der Mannschaft war es, ihm den Ball zu geben und sich danach einfach freizulaufen.

  • Positionswechselorientiert

Grundprinzip: Bei diesem Angriffsstil wird durch den Tausch von Positionen Chaos in der gegnerischen Abwehr erzeugt und oftmals werden im Zuge der Positionswechsel Pärchen oder Dreiecke gebildet, die kurz bespielt werden können. Die Mannschaft ist durchgehend in Bewegung, Manndeckungen können sich hier nur schwer halten, weil durch die kurzen Engen Verwirrung der Zuordnungen entstehen und bei den Positionswechseln auch der Manndecker seine ursprüngliche Zone verlassen müsste, was zumeist kontraproduktiv ist. Man stelle sich vor, beim Gegner gibt es einen Positionstausch von Zehner und Libero (früher oft Gang und Gäbe), wodurch der eigene (klassische) Mittelstürmer sich plötzlich im eigenen Sechserraum wieder findet, während der defensivstarke Sechser vorne herumscharwenzelt und bei Kontern die erste Anspielstation geben soll.

Beispiel: Insbesondere die niederländische Nationalmannschaft der 70er und Ajax Amsterdam prägten diesen Spielstil. Sie wechselten zumeist entlang der vertikalen Linien, einige Male aber auch entlang der Horizontalen. Der FC Barcelona macht dies in kleinerem Ausmaß entlang anderer Linien und teilweise nur bei bestimmten Spielern. Im modernen Fußball ist es aber ohnehin eher ein „positionssicherndes“ oder „staffelungerzeugendes“ statt „positionswechselndes“ Spiel geworden. Das moderne Positionsspiel handelt meistens vom Verlassen von Räumen und der Absicherung dieser verlassenen Räume im Sinne der Raumverknappung. Die hohe Effektivität der Positionswechsel, welche die großen „totaal-voetbal“-Mannschaften der 70er vor- und ausmachten, ist in Zeiten der Raumdeckung geringer geworden.

  • Gegnerziehend

Grundprinzip: Das Herstellen der Kompaktheit in Ballnähe des Gegners wird genutzt, um dadurch auf einfache Art und Weise Räume zu erzeugen. Beim Pressing, insbesondere in der eigenen Hälfte, versucht eigentlich jede Mannschaft um den Ball herum eine Überzahl herzustellen. Zumeist schieben die umliegenden und ballfernen Akteure nach, es entstehen lokale Kompaktheiten. Innerhalb dieser können aber Lücken entstehen, die der Gegner nutzen kann – oder sie entstehen eben ballfern.

Beispiel: Das wohl beste Beispiel ist ein Nadelspieler wie Iniesta oder ein Superstar wie Lionel Messi. Iniesta hält einfach den Ball lange und verzögert sein Abspiel, bis sich gewisse Mini-Freiräume für seine Mitspieler in Ballannahme und -verarbeitung auftun. Messi wird oftmals ohnehin mit losen Manndeckungen oder veränderten Zuständigkeitsbereichen stärker eingeengt, wodurch die Mitspieler naturgemäß etwas freier sind.

  • Pressingprovozierend

Grundprinzip: Ist eine Mannschaft nicht im Stande oder will sie nicht den Ball wirklich für einen konstruktiven Angriff nutzen, so kann sie durch eine tiefe Ballzirkulation das gegnerische Pressing provozieren, um sich dadurch Räume zu schaffen, die sie anderweitig, aus welchen Gründen auch immer (mangelnde raumöffnende Strategien, extreme Kompaktheit beim Gegner, Unterzahl bei eigenen Angriffen) nicht erhalten. Hat der Gegner eine riskante Pressingstrategie, können auf diese Art und Weise auch formative Löcher bespielt werden.

Beispiel: Manuel Neuers raumgreifende lange Bälle machen im Prinzip genau das. Die Münchner bringen ihn bei hohem Pressing des Gegners ins Spiel, lassen den Ball kurz zirkulieren und Neuer kann dann mit einem langen Ball offene Räume bespielen. Auch die Dortmunder mit Mats Hummels’ langen Bällen sind dazu im Stande. Es dürfte eine der intuitivsten und einfachsten Strategien sein.

  • Balldynamisch

Grundprinzip: Hier wird die technische Stärke der Spieler für schnelle Kurzpässe mit nur einer Ballberührung genutzt. Indem die Spieler dynamisch ein Dreieck herstellen und dieses extrem schnell bespielen, können sie mehrere Pässe sofort aneinanderreihen und einen Raum problemlos umspielen, ohne dass der Gegner überhaupt Zugriff erhält. Im Endeffekt wird hierbei nur die einfache Tatsache genutzt, dass der Ball einen deutlich stärkeren Antritt und eine unbegrenzte Geschwindigkeit haben kann, der Mensch jedoch nicht; nur oft haben diese Menschen auch nicht die nötige Technik für ein solches Ballbesitzspiel.

Beispiel: Der FC Barcelona praktiziert dies in sehr engen Räumen oder bei hohem gegnerischen Pressing, in welchem die längeren Anspielstationen blockiert sind bzw. eine Gruppe von Spielern isoliert wurden. Sie versuchen mit nur einem Kontakt und sehr scharfen Pässen die Gegner zu umspielen, obwohl diese rein theoretische Zugriff auf die jeweiligen Akteure hätten. Doch bis sie die letzten 1-2 Schritte machen, ist der Ball schon beim nächsten Spieler und mit ein paar Pässen kann das Pressing ausgehebelt werden.

  • Spielzugserzeugend

Grundprinzip: In Ballbesitz wird versucht, dass man gewisse Abläufe abspult bzw. abspulen kann. Der Vorteil liegt darin, dass diese im Training konstant eintrainiert werden können, wodurch sie gelegentlich etwas effektiver sind. Nachteilig ist die extreme Fokussierung auf solche Sachen, da sie zu Starrheit und Berechenbarkeit führen kann.

Beispiel: Oftmals sind Flankenangriffe auf diese Weise organisiert. Bestimmte Bewegungen in den Halbräumen sollen die Pass- und Laufwege auf dem Flügel öffnen, die raumöffnenden Akteure ziehen dann gar selbst in die Mitte und sind dann zusätzliche Abnehmer dieser Flanken. Michael Ballacks Kopfbälle nach Willy Sagnols Halbfeldflanken sind unter Bayernfans heute noch berüchtigt.

  • Gegenpressingvorbereitend

Grundprinzip: Ballbesitz? Hmm. Nicht so prall. Lieber nochmal einen Umschaltmoment erzeugen. Hier wird mit langen Pässen oder absichtlichen Ballverlusten ein Kampf um zweite Bälle erzeugt bzw. Gegenpressing gespielt, um daraus dann anzugreifen. Der Gegner rückt oftmals nicht ordentlich zurück oder zu früh auf, wodurch sich einfache Räume auftun. Werden solche Ballverluste geplant, kann man sie natürlich auch einfacher und konstanter gewinnen, indem man sich vorzeitig strategisch richtig positioniert.

Beispiel: Unter Guardiola arbeitete gelegentlich der FC Barcelona mit solchen Mitteln, aber auch die Dortmunder oder viele schwächere Teams kommen extrem über ihre Fähigkeiten im Spiel gegen die zweiten Bälle. Auch bei Abstößen kann das Grundprinzip sehr gut gesehen werden: Die Teams ballen sich in einer Zone, wohin ein langer Ball kommt, während ballfern schon Spieler bereit stehen, um in mögliche Lücken stoßen zu können.

Sonst noch?

Eine Kategorisierung und Definition aller möglichen (Teil-)Varianten ist natürlich nicht möglich. Es wird immer neue Ideen und Varianten geben, immer entstehen neue Verbindungen oder es ergeben sich durch die Umstände des modernen Fußballs extreme Situationen. Ein Beispiel wäre Mourinhos Inter im Rückspiel gegen den FC Barcelona 2009/10, als sie letztlich „ballbesitzverlierend / umschaltmomentaufgebend / angriffsverzichtend“ spielten.

Weitere Sachen, die oft vernachlässigt werden, sind die psychologischen Varianten des Ballbesitzspiels, wo der Gegner durch den andauernden Ballbesitz in sicheren, aber pressingnahen Zonen frustriert wird. Dies gehört nicht zum Angriff und der Variante selbst, ist aber eine Art der Anwendung von Ballbesitz, die über den bloßen Angriff herausgeht. Besonders bei Rückständen ist dies taktikpsychologisch von großer Bedeutung, wenn gegen ein 0:1 gespielt werden muss, der Gegner sich aber partout kurz vor der Mittellinie den Ball zuschiebt und sofort jene Räume bespielt, die sich öffnen, wenn man zum Pressing übergehen möchte – womit wir wieder bei einer der obigen Strategien wären.

Doch auch innerhalb dieser verschiedenen Typen ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten; nicht nur in der Umsetzung, sondern auch philosophisch. Kollege MR kategorisierte beispielsweise Mannschaften in der Offensive nach „Schablonen, Muster und Improvisation“; manche Teams haben eine Angriffsschablone und verfolgen diese durchgehend. Teams, die quasi als Muster spielen, orientieren sich an der Schablone, verändern diese aber durchgehend, passen sie an und äffen nicht die Bewegungen aus dem Training nach, sondern wissen um das grundlegende Prinzip hinter diesen Bewegungen, was ihnen Variabilität ermöglicht. Bei der Improvisation fehlen einfach die Abläufe und die Spieler versuchen auf sich alleine gestellt solche instinktiv zu erzeugen.

Neben den grundlegenden Varianten hinter den einzelnen Kategorien spielt natürlich auch die Intelligenz der Umsetzung eine Rolle. Der Ballbesitz kann wie der „Kick and Rush“ als „percentage football“ aufgebaut werden. Soll heißen: In Zonen, wo der Gegner enorm kompakt steht, individuell oder gruppentaktisch überlegen ist, wird der Ballbesitz schnell weiterzirkuliert, in der Offensive werden diese Räume gemieden. Stattdessen konzentriert man sich auf gegnerische Schwachpunkte, in diesem Räumen werden immer wieder Pässe gespielt und Dribblings versucht; womit wir wiederum bei einer der obigen Varianten und einem primären Fokus wären.

Fazit

Wie man sieht, gibt es unterschiedliche strategische Vorgehensweisen in Ballbesitz. Der Ballbesitz als Philosophie ist eher eine Richtlinie, viel Ballbesitz zu haben und den Umschaltmoment aufzugeben; aber es bedeutet nicht, dass in Ballbesitz schön oder geplant gespielt wird. Zwar geht dies oft Hand in Hand, weil sich Trainer mit einem gewissen Hauch von „Ballbesitzphilosophie“ natürlich darüber Gedanken machen, was sie mit dem Ballbesitz anfangen wollen.

Aber es gibt auch Trainer, die weniger philosophisch und stattdessen eher pragmatisch angehaucht sind, die dennoch ihre Mannschaften hervorragend in Ballbesitz ausrichten und sie mit unterschiedlichen Ausrichtungen auf hohem Niveau angreifen lassen. Ein gutes Beispiel dafür ist Lucien Favre. Als Trainer von Borussia Mönchengladbach lässt er eher einen konservativen und defensiv angehauchten Fußball spielen: Tiefes Pressing, Passivität in der gegnerischen Hälfte, konservative Positionsauslegung in der Offensive auf Schlüsselpositionen (Sechser, Außenverteidiger) und einen hohen Fokus auf den Umschaltmoment.

Doch wenn der Umschaltmoment aufgegeben wird, dann verbindet Favre oft mehrere grundlegende Aspekte des Ballbesitzfußballs. Es gibt raumöffnende Bewegungen, um Spielzüge erzeugen zu können, man versucht mit einer tiefen Ballzirkulation Pressing zu provozieren und diese Lücken mit extremer Dynamik im Kombinationsspiel zu kombinieren. Auch bestimmte gegnerische Aspekte im Defensivspiel werden bespielt, wie es Favre gegen die Bayern mit ihrem mannorientierten Gegenpressing tat.

Aber oftmals werden solche Sachen schlicht und ergreifend nicht beachtet. Es gibt einzelne Spielzüge, einen Fokus auf Einzelspieler bei sich selbst und beim Gegner, jedoch nur wenige kollektive Aspekte. Ein Umstand, der sich in Zukunft ändern sollte.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Was bedeutet “falsch” in der Taktik? | ein Diskurs

Falsche Neun, falsche Sechs, falsche Eins, falsche Fuffziger, falscher Trainer, falsche Diskussion.

Im Fußball hört man immer wieder den Begriff „falsch“, oftmals wird er auch als Modewort verwendet und dient noch öfter als übertriebene Kritik und Satire an den zahlreichen Taktikbloggern dieser Erde. Persönlich sind wir übrigens keine Fans vom Begriff „falsch“, weil er unpräzise, inkorrekt und inflationär verwendet wird. Dennoch ist dieser Begriff überaus interessant und teilweise auch sehr aussagekräftig, weswegen ich mir in diesem Artikel Mühe gebe, um für eine richtige Definition einzutreten und auch die Ursprünge dieses Begriffs etwas zu klären.

Was soll der Begriff „falsch“ denn bedeuten?

Die erste mir bekannte Nennung des Begriffs „falsch“ in der Fußballtaktik stammt noch aus einer Zeit vor Lionel Messi. Eine Abhandlung von „World class coaching“ über die Geschichte des brasilianischen Fußballs aus dem Jahre 2006 beschrieb Rivellino als falschen Flügelstürmer („false winger“). Dieser rückte beim Weltmeister von 1970 in die Mitte, Tostao (und ganz selten Pelé) wichen auf links aus, Rechtsaußen Jairzinho zog es von rechts in die Mitte, während sich Pelé dann wiederum oft halbrechts positionierte.

Die gleiche Abhandlung erwähnt noch zwei weitere solcher falscher Flügelstürmer: Eduardo bei Cruzeiro 1976 als Rechtsaußen im asymmetrischen 4-3-3 (Entwicklung zum 4-4-2) vor dem extrem offensiven und hinterlaufenden Nelinho sowie Rechtsaußen Tita im 4-3-1-2/4-4-2 bei Flamengo 1981 mit Zico auf der Zehn und dem offensivstarken Leandro als Rechtsverteidiger.

In diesem Artikel wird der Begriff „falsch“ also für Akteure verwendet, welche ihre Position für längere Dauer verließen und diese sogar verwaisen ließen. So wich beim 1970er-Team Everaldo nur selten nach vorne, Tostao fand sich oft in den Halbräumen, statt auf der Außenlinie. Das gleiche Vorgehen hinsichtlich der Definition gab es drei Jahre nach “World class coaching” beim wohl bekanntesten und dem für viele „ersten“ Artikel zur Falschheit eines Spielers.

Jonathan Wilson schrieb im Guardian am 27. Oktober 2009 über Carlos Tevez‘ Rolle bei United, über Lionel Messi beim FC Barcelona und über Francesco Totti beim AS Rom unter Luciano Spalletti. Sie stellten Mittelstürmer da, die „falsch“ seien, da sie sich aus ihrer Position als eigentliche Nummer Neun herausbewegten und diese nicht mehr besetzten. Danach führt Jonathan Wilson noch einige historische Beispiele an: Matthias Sindelar beim österreichischen Wunderteam bzw. dem „Schmieranskiteam“, Adolfo Pedernera bei River Plates „La Maquina“, usw. usf.

In einem späteren Kommentar beim Guardian listet Wilson noch einige andere Beispiele auf,  nämlich G.O. Smith von den Corinthians 1890, Nolo Ferreira von Independiente in den 20ern oder Vsevelod Bobrov of Dinamo Moscow in 40ern. Das soll allerdings kein Artikel zur falschen Neun werden, diesen haben wir ja bereits geschrieben, welcher im Rahmen unserer „Woche der falschen Neun“ erschienen ist. Zurück zur Falschheit also.

Probleme mit der Definition – welche und wieso?

Die Definition ist also klar, wenn man sich die Entstehung des Begriffs ansieht.

Ein Spieler lässt seine Position längerfristig verwaisen, sie wird nicht im Positionsspiel von einem anderen übernommen. Passend dazu wird der Begriff im Kroatischen übrigens sogar als „lažna“ (z.B. falsche Neun = „lažna  devetka“) bezeichnet, was sich nicht nur mit falsch übersetzen lässt, sondern gar mit „verlogen“ und „trügerisch“ wortverwandt ist und damit die Bedeutung dieser Positionsinterpretation noch idealer trifft. Eine „gelogene Neun“ also: Sie behauptet, sie wäre eine Neun, ist es aber nicht. Eine nahezu perfekte Definition.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
In dieser Gif sieht man die unterschiedlichen Ausprängungen. Wer die GIF als Galerie mit Standbildern sehen möchte, kann auch einfach darauf klicken.

In dieser Gif sieht man die unterschiedlichen Ausprängungen. Wer die GIF als Galerie mit Standbildern sehen möchte, kann auch einfach darauf klicken. Diese Grafik zeigt, wie sich die Laufwege bzw. hier die sogenannte “Heatmap” verändern, wenn eine identische Position in einer fast identischen Formation auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert wird.

Warum aber ist die zusätzliche und nicht explizit gesagte Einschränkung wichtig, dass diese Position beziehungsweise der sie unmittelbar umgebende Raum nicht (konstant und längerfristig) von jemand anders im Sinne des Positionsspiels übernommen wird? Ganz einfach: Ansonsten wäre einfach jede Position falsch.

Jeder Außenstürmer wäre ein falscher Außenstürmer, wenn er bei eigenem Ballbesitz in die Mitte rückt. Jeder Außenverteidiger wäre falsch, weil er entlang der Vertikale in die Spitze stößt und die Breite auch im letzten Spielfelddrittel gibt. Jeder spielgestaltender Sechser wäre falsch, wenn er abkippt oder herauskippt. Fakt ist aber, dass sich bei nahezu jeder Mannschaft der Welt die grundlegende Formation und die Defensivformation bei eigenem Ballbesitz verändern und meistens extrem verändern.

Aus solchem Übereifer in versuchten Definitionen und der hochgestochenen Sprache entsteht dann oftmals eine weniger korrekte Beschreibung der Umstände, anstatt einer richtigen, wenn auch vielleicht komplexeren. Und am Ende gibt es noch eine komplett falsche Mannschaft, die womöglich auch auf dem falschen Stadion gegen den falschen Gegner spielt.

Ein zweites großes Problem in der Definition ist, dass viele die Falschheit als „falsch“ im Sinne von einer unorthodoxen Positionsbesetzung verstehen. Nur weil Mario Götze auf der Mittelstürmerposition spielt, ist er nicht automatisch eine falsche Neun. Es kommt immer darauf, wie er diesen Posten auslegt. Doch leider werden viele wunderbare Diskussionen über spielverändernde Rollenverteilungen dadurch abgetötet. Oftmals ist es spielentscheidend, ob, wie, wann und wohin Messi seine Mittelstürmerposition beim FC Barcelona gegen Gegner XY verließ.

Eine Debatte über die Falschheit Cristiano Ronaldos und die Umsetzung in bestimmten Schlüsselpartien hätte womöglich ein verändertes Licht auf seine Position und die Madrider Konter werfen können. Stattdessen werden die Rollen dieser beiden Weltstars wegen ihrer Bekanntheit auf die am häufigsten vorkommende und die populistische Art behandelt und dadurch degradiert.

Darum sollte man sich um eine klare Definition des Begriffs „falsch“ bemühen.

Voraussetzungen und Zukunftsaussicht

Die zwei großen bzw. eigentlich einzig notwendigen Prämissen für eine Definition als „falsch“ wären Folgende:

  1. Die Position bzw. die umliegenden Räume und/oder orthodoxen Verantwortungsbereiche werden vom dem dafür zuständigen Spieler für längere Zeit verlassen. Wenn sie nur kurz verlassen werden, handelt es sich eher um einen improvisierten Hilfsakt, einen Fehler, taktische Indisziplin oder einen Spielzug.
  2. Die verlassene Position wird nicht längerfristig und konstant im Offensivspiel von jemand anderem eingenommen, zumindest nicht im Zuge eines Positionstausches. Hierbei muss die Art und Weise der Übernahme also betrachtet werden. Wenn zum Beispiel Fabregas für Messi in die Spitze stößt und die Position übernimmt, dann ist er entweder eine falsche Zehn oder es ist ein Spielzug. Hier sind die Konsequenzen, die Dauer und die Art und Weise wichtig. Auch hier wird (wurde) dies von Spiel zu Spiel unterschiedlich praktiziert mit verschiedenen Auswirkungen, manchmal mit Positionswechsel, manchmal ohne diesen und manchmal etwas mit einem anderen und deutlich komplexeren Mechanismus (gleiche Position mit unterschiedlicher Bespielung und Sichtfelddrehung als Ziel; da könnte ein eigener Artikel kommen). Gleiches gilt für einen einrückenden Flügelstürmer, der die Position dann übernimmt.

Eventuell könnte noch argumentiert werden, dass die ursprüngliche Position nach Ballverlusten wieder eingenommen wird, doch in Zeiten des Gegenpressings und der defensiven Flexibilität wäre dies wohl zu einengend und unnötig. Ein weiterer Aspekt könnte auch der Fokus auf diesen Spieler liegen, wobei auch dies nicht zeitgemäß wäre,  immer mehr Mannschaften spielen mit mehr als einer (situativen) Freirolle und Positionswechseln in ihren Spielzügen.

Wirklich viele falsche Positionen gibt es also nicht. Früher spielten manche Mannschaften mit einem aufrückenden Innenverteidiger, zum Beispiel Ajax oder Barcelona in den 90ern, obgleich deren Position oftmals von einem anderen eingenommen wurde (war zum Beispiel bei Milan situativ der Fall, wenn Rijkaard hinten spielte). Für den Libero früherer Tage sicherte bekanntlich auch der Vorstopper oder der tiefe Zehner ab, ein klarer Positionswechsel also.

Zu den wenig verbliebenen Umsetzungen dieser taktischen Positionsfalschheit gehört also die „Falsche Neun“ und die „Falsche Zehn“ (wobei es in diesem Fall durchaus Übernahmen durch andere Akteure, beispielsweise die Außenstürmer, gibt). Dabei darf man aber nicht vergessen, dass auch bei diesen unterschiedliche Arten und Weisen gibt; eine falsche Neun muss nicht immer ins Mittelfeld zurückfallen, sie muss nicht immer spielgestaltend sein und nicht immer von einem unorthodoxen Spielertyp besetzt werden. Einen Artikel dazu haben wir übrigens ebenfalls schon geschrieben.

Was hierbei auffällt ist natürlich, dass sich die positionelle Falschheit auf offensive Positionen zu beschränken scheint. Doch Halt, bei den Bayern gibt es einen neuen Trend; die falschen Außenverteidiger, die wir in einem bald folgenden Artikel analysieren werden.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Der “falsche” Außenverteidiger

Erst vor ein paar Tagen haben wir den inflationären Umgang mit “falschen Positionen” beklagt, heute legen wir nach: mit den “falschen Außenverteidigern”. Denn besser kann man die Rolle der Außenverteidiger von Bayern München nicht beschreiben.

Innovationen sind selten im Fußball, doch sie gibt es. Ein Grund, wieso viele die Fußballtaktik als „zyklisch“ bezeichnen, ist wohl die mangelnde Kreativität, weswegen oft im “try-and-error-Verfahren” auf alte und teilbewährte Praktiken und Taktiken zurückgegriffen wird. Aber manchmal sind Innovationen möglich, obwohl es schon so viele alte Sachen gab. Aktuell darf man bei den Bayern (und ansatzweise dem FC Barcelona) solch eine Innovation bewundern.

Diese spielen nämlich seit Neuestem mit „falschen Außenverteidigern“. Den inflationären Begriff „falsch“ haben wir jüngst diskutiert, in diesem Fall ist er aber passend. Man könnte sie auch pendelnde, zentrale, hineinkippende (der wohl passendste Begriff) oder innere Außenverteidiger nennen, gleichzeitig gibt es noch potenzielle Nutzungen, die es noch nicht gibt, aber geben könnte.

Einrückende Außenverteidiger wäre ebenfalls eine Option, aber würde wohl besser zu Außenverteidiger passen, die sich Richtung Mitte bewegen, wenn sie ballfern stehen, um besser absichern zu können. Dies wird u.a. vom BVB praktiziert, dazu kommt aber noch ein eigener Artikel.

Widmen wir uns lieber den taktischen Hintergründen der falschen Außenverteidiger.

Guardiolas Überzahlfußball und die falsche Zwei statt der falschen Neun

Bayerns neuer Trainer ist bekannt dafür, dass er Lionel Messi beim FC Barcelona als Mittelstürmer aufstellte, aber ihn anwies diese Position zu verlassen, sie verwaisen zu lassen und sich ins Mittelfeld zurückfallen zu lassen. Guardiola selbst erklärte dies bei einem Gastvortrag in einer südamerikanischen Universität, wo er sagte, man wolle damit das gegnerische Team vor Probleme stellen.

Diese müssten bei einem zurückfallenden Stürmer diesen entweder mit einem Innenverteidiger verfolgen und dadurch Räume öffnen oder eben auf ihrer Position bleiben und dafür eine Unterzahl in der so wichtigen Mittelfeldzone in Kauf nehmen. Bei den Bayern hat Guardiola aktuell durch die vielen Verletzungen keinen solchen Stürmertypen zur Verfügung und/oder möchte nicht damit spielen.

Dennoch werden in der Mitte Überzahlen hergestellt, nämlich durch die Außenverteidiger. Interessant ist hierbei, dass die Grundgedanken, Konsequenzen und Effekte bei einem in die Mitte ziehenden Außenverteidiger im Aufbauspiel jenen sehr ähnlich sind, die es bei einem Mittelstürmer Typus Messi gibt.

Bei der tiefen spielmachenden Neun können die Innenverteidiger nicht nach vorne rücken oder nur ein paar Meter, da sie durch die aktuell vorherrschende Taktiklehre auf ihre Position und einen gewissen Raum gebunden sind. Es gab bereits Partien, wo Messi sich auf Höhe Iniesta fallen ließ, bis dorthin verfolgt wurde, und dann einfach noch weiter zurückfiel, bis vor das gegnerische Mittelfeld. Spätestens dann verlor er seinen Manndecker und es entstand eine Überzahl.

Bei den Außenverteidigern verhält es sich ähnlich. In den meisten Systemen verfolgen die Außenspieler ihren jeweiligen Gegenüber mannorientiert. Der Außenverteidiger verfolgt den gegnerischen Flügelstürmer, der Flügelstürmer verfolgt den gegnerischen Außenverteidiger. Wenn der gegnerische Außenspieler in die Mitte rückt, übergibt man ihn entweder an einen Mitspieler oder – deutlich öfter – in den Raum.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Gegen City, Minute 13. Die Bayern verschoben zuvor sehr ballorientiert, Rafinha hatte den Ball und spielte einen langen Seitenwechsel auf Dante. Schon dort war Alaba eingerückt und Ribéry blieb breit. In dieser Szene behalten sie dies bei, Navas presst Dante, doch Alaba bietet sich gut an und erhält den Ball. Er verlagert dann wieder auf Robben - City darf herumsprinten.

Gegen City, Minute 13.
Die Bayern verschoben zuvor sehr ballorientiert, Rafinha hatte den Ball und spielte einen langen Seitenwechsel auf Dante. Schon dort war Alaba eingerückt und Ribéry blieb breit. In dieser Szene behalten sie dies bei, Navas presst Dante, doch Alaba bietet sich gut an und erhält den Ball. Er verlagert dann wieder auf Robben – City darf hinterherlaufen.

Die Dortmunder haben zum Beispiel die Läufe der Münchener Außenstürmer Robben und Ribéry nach hinten geleitet und/oder durch die eigene Kompaktheit isoliert. Bei einem ohne Ball in die Mitte pendelnden Außenverteidiger ist dies wesentlich schwieriger. Von ihm geht keine unmittelbare Gefahr aus, außerdem kann er sich ohne Ball deutlich einfacher und präziser freilaufen. Selbst wenn der Außenverteidiger mannorientiert verfolgt wird, kann er sich anspielbar machen. Dabei lässt er den Ball einfach zu den zentralen Mittelfeldspielern in die Deckungsschatten der gegnerischen Stürmer prallen, welche mit dieser Spielweise umspielt werden sollen.

Und auch wenn der Außenverteidiger gut manngedeckt wird und nicht freisteht, gibt es dennoch einen positiven Effekt: Der Flügelstürmer kann direkt angespielt wird, es wird viel Raum überwunden und die gegnerische Formation ist offen. Da der Flügelstürmer, bei den Bayern Ribéry und Robben/Shaqiri, bei einem im Halbraum stehenden Außenverteidiger meistens sehr breit und hoch steht, ist er entweder anspielbar oder er öffnet Räume in der Viererkette der gegnerischen Abwehr. Eine win-win-Situation.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Schöne Szene. Alabas enge und zurückhaltende Positionierung sorgt für Verwirren bei Bittencourt und öffnet Räume für Kroos auf der Acht. Bei klassischen Außenverteidigern, dem Dogma des Breitegebens und auch einem 4-2-3-1 sind solche Szenen fast unmöglich.

Schöne Szene: Alabas enge und zurückhaltende Positionierung sorgt für Verwirren bei Bittencourt und öffnet Räume für Kroos auf der Acht. Bei klassischen Außenverteidigern, dem Dogma des Breitegebens und auch einem 4-2-3-1 sind solche Szenen fast unmöglich.

Wie genau funktioniert dieses Freilaufen aber?

Wichtig ist natürlich, dass der Zeitpunkt und die Situation richtig erkannt wird. Der Trainer kann nicht das Spiel anhalten und ihnen mitteilen, sie sollen doch jetzt bitte einrücken, aber er kann ihnen vor dem Spiel Richtlinien geben. Fakt ist nämlich, dass ein dauerndes Einrücken nicht möglich ist. Dann könnte der Gegner mit einem 4-2-2-2 agieren, in welchem er ein Quadrat in der Mitte und zwei breite Stürmer im Pressing hätte. Die Überlegenheit in der Mitte wäre nicht mehr vorhanden, die Breite im Aufbauspiel wäre ebenfalls zerstört.

Die Spieler müssen erkennen, wann sie wie einrücken können. Ein Beispiel: Wenn der Gegner presst, die Seiten zustellt, aber noch keinen Zugriff auf die Innenverteidiger oder gar die Sechser hat, kann man einrücken und sich in den Schnittstellen anbieten, je nach Situation vor oder hinter dem gegnerischen Mittelfeld.

Das Dogma der „Breite im Spiel“ wird somit situativ aufgelöst und dürfte das Bahnbrechendste an dieser Veränderung sein. Breite im Spiel gilt eigentlich als ein Muss; wie soll man sich sonst Raum schaffen? Heutzutage sind die Fußballer aber technisch und taktisch so gut, dass die Breite nicht immer bzw. immer seltener benötigt wird. Langfristig könnte gar der Trend dahingehen, dass nicht situativ die Breite aufgegeben wird, sondern nur noch situativ hergestellt wird.

Bei Guardiola wird dieses situative „Enge geben“ bereits praktiziert, es gibt zwei große Varianten.

Die erste ist das Hereinkippen hinter das gegnerische Mittelfeld, was gemacht wird, wenn Lahm abkippt und die beiden Achter in der Mitte verbleiben. Die beiden Achter werden vom Gegner zugestellt und sind kaum anspielbar. Dann bewegen sie sich nach hinten und kommen tiefer. Entweder sie werden nun frei oder sie öffnen den Zwischenlinienraum, in welchen sich die Außenverteidiger freilaufen können. Sie stehen dann im Zwischenlinienraum und bieten sich für Schnittstellenpässe an. Kommt ein solcher Pass, muss das gegnerische Mittelfeld rückwärtspressen und die Außenverteidiger spielen zu den Achtern zurück.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Emre Can verfolgt Rafinha mannorientiert, aber Schweinsteiger erkennt dies und geht auf den Flügel, Shaqiri zog in die Mitte. Can bleibt stehen, Rafinha geht weiter und spielt auf Lahm, der dann dank Alabas aufrücken auf Ribéry verlagern kann. Donati muss herausrücken.

Emre Can verfolgt Rafinha mannorientiert, aber Schweinsteiger erkennt dies und geht auf den Flügel. Shaqiri zieht in die Mitte. Can bleibt stehen, Rafinha geht weiter und spielt auf Lahm, der dann dank Alabas aufrücken auf Ribéry verlagern kann. Donati muss herausrücken und öffnet eine Lücke.

Gegen sehr tiefstehende Gegner ist dies ebenfalls eine Variante, um die Mitte flexibel zu besetzen und in die Zwischenlinienräume zu kommen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Hier öffnet Alaba Ribéry ein weiteres Mal, dieses Mal für Dante. Alaba sprintet nach vorne, Spahic muss extrem viel Raum covern, wenn Donati herausrückt. Mit drei Pässen findet sich  Bayern bzw. Alaba plötzlich in Strafraumnähe wieder.

Hier öffnet Alaba Ribéry ein weiteres Mal, dieses Mal für Dante. Alaba sprintet nach vorne, Spahic muss extrem viel Raum covern, wenn Donati herausrückt. Mit drei Pässen findet sich Bayern bzw. Alaba plötzlich in Strafraumnähe wieder.

Eine andere Möglichkeit ist das Hereinkippen vor das gegnerische Mittelfeld. Wenn die Innenverteidiger isoliert werden oder auch die Dreierkette (inklusive des abgekippten Sechsers also), können die Achter nach vorne statt nach hinten rücken und die gegnerische Mittelfeldreihe zurückschieben. Die Außenverteidiger haben dann genug Raum, um in der Mitte den Ball anzunehmen und sich Anspieloptionen zu suchen und darauf zu warten, dass sie attackiert werden. Wenn dies geschieht, werden die Achter im offensiven Mittelfeld frei. Alternativ können sie auch einfach einen indirekten Seitenwechsel vollführen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Gegen City rückte Alaba auch in hoher Position in die Mitte: hier zieht er Navas mit, Richards wagt sich nicht an Navas, seinem nominellen Vordermann, vorbei und City steht in einer fehlerhaften Fünferkette da. Ribéry und Robben können kombinieren, diese Szene stammt aus der Drangphase der Münchner - und sie war eine Ursache derselben.

Gegen City rückte Alaba auch in hoher Position in die Mitte: hier zieht er Navas mit, Richards wagt sich nicht an Navas, seinem nominellen Vordermann, vorbei und City steht in einer fehlerhaften Fünferkette da. Ribéry und Robben können kombinieren, diese Szene stammt aus der Drangphase der Münchner – und sie war eine Ursache derselben.

Vor- und Nachteile?

Nun, die Vorteile wurden bereits angeschnitten. Es gibt eine größere Flexibilität und mehr Anspieloptionen im Aufbauspiel, teilweise können bei stark manndeckenden Gegnern – wie es Leverkusen teilweise gespielt hat – die Flügelstürmer dadurch freigespielt und sehr einfach viel Raumgewinn verbucht werden. Im Idealfall wird die Mitte überladen und es kann mit ein oder zwei Pässe eine Ebene in der Ballzirkulation gewonnen werden, ohne direkt mit den Spielern eine Ebene nachrücken zu müssen.

Auch das „Vorderlaufen“ kann einfacher praktiziert werden. Bei den Bayern wurde dies schon in der Vorsaison ein paar Mal praktiziert. Alaba lief nicht hinter Ribéry in die Spitze, sondern vor ihm, während dieser auf den Flügel ging. Sie erhöhten dadurch die Flexibilität in der Offensive, waren schwerer zu decken, öffneten Räume in der gegnerischen Viererkette, die dann Alaba anlief und nahe am Sechzehner zu gefährlichen Flanken und teilweise sogar Abschlüsse kam.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Hier noch ein Paradebeispel für das Hereinkippen. Alaba löst sich von Farfan und geht in die Mitte. Geht Farfan mit, kann Dante Ribéry anspielen. Das geschieht nicht, Alaba spielt auf Schweinsteiger, der - wie auch Rafinha - extrem frei steht. Kroos macht das Mittelfeld tief, Pressing der Schalker somit mit zwei Läufen und zwei Pässen überwunden.

Hier noch ein Paradebeispel für das Hereinkippen. Alaba löst sich von Farfan und geht in die Mitte. Geht Farfan mit, kann Dante Ribéry anspielen. Das geschieht nicht, Alaba spielt auf Schweinsteiger, der – wie auch Rafinha – extrem frei steht. Kroos macht das Mittelfeld tief, Pressing der Schalker somit mit zwei Läufen und zwei Pässen überwunden.

Dieses Vorderlaufen kann nun noch einfacher und dynamischer gespielt werden. Alaba bleibt nach seinen Pässe oft weiter in der Mitte und kann dann situativ in die Spitze starten, weil Ribéry das Spiel extrem breit macht. Zudem überläuft Alaba ihn nicht im Sprint, sondern wartet in der Mitte auf den richtigen Moment, bis er die Unterstützung durch die Achter und den Mittelstürmer hat. Seine Entscheidungsfindung ist einfacher und vielfältiger; zuvor musste er aus einer breiten Position diagonal zum Sechzehner starten, jetzt kann er den gleichen Laufweg z.B. auch spiegelverkehrt machen oder die gleichen Effekte mit einem vertikalen Lauf erzielen.

Was Vorteile hat, muss aber auch Nachteile haben – doch diese halten sich in Grenzen. Der größte Nachteil ist natürlich die Komplexität der Umsetzung und die benötigten Spieler dafür. Laufen sich die Spieler zu spät oder zu früh frei, können sie nicht angespielt werden. Bewegen sich die Achter oder Sechser falsch, stimmt die Absicherung und die räumliche Aufteilung nicht. Können die Innenverteidiger oder die Sechser keinen präzisen Pass (unter Bedrängnis) spielen, läuft ein gefährlicher Konter mit offenen Flügeln bzw. breiten Schnittstellen.

Hierbei muss man auch die Intelligenz der bayrischen Achter, die Aufopferungsbereitschaft der Flügelstürmer und natürlich die herausragende Präzision im Positionsspiel von Alaba, Rafinha und Lahm loben. Auch Dante und ganz besonders Boateng, der bei dieser Spielweise oft breit auffächert, gefährliche Situationen für die hineingekippten Außenverteidiger antizipiert und sich dann teilweise gar mit Vertikalläufen am Flügel anbietet.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Exemplarische Szene: Gegner presst im 4-3-3 mit einem AS-IV-Pärchen. Er möchte damit den Außenverteidiger im Deckungsschatten haben und maximalen Druck erzeugen. Der hereinkippende Außenverteidiger schiebt in die Mitte und stellt Überzahl her, der LZM öffnet ihm den Raum. Interessanter Aspekt: Unter Pep sind es die Bayern, die auf diese Art und Weise oft pressen. Ob Pep gegen sich selbst Schach spielt?

Exemplarische Szene: Gegner presst im 4-3-3 mit einem AS-IV-Pärchen. Er möchte damit den Außenverteidiger im Deckungsschatten haben und maximalen Druck erzeugen. Der hereinkippende Außenverteidiger schiebt in die Mitte und stellt Überzahl her, der LZM öffnet ihm den Raum. Interessanter Aspekt: Unter Pep sind es die Bayern, die auf diese Art und Weise oft pressen. Ob Pep gegen sich selbst Schach spielt?

Die größten Probleme entstehen dennoch im defensiven Umschaltmoment nach Ballverlusten, hier wären weite Räume offen und viele Spieler stehen auf für sie möglicherweise unpassenden Positionen. Durch die hohe Kompaktheit in der Mitte kann allerdings sofort ein Gegenpressing praktiziert werden. Je höher der Ballverlust stattfindet, umso effektiver ist diese Spielweise und umso besser abgesichert ist sie. Zwecks Absicherung wird diese Spielweise aber auch etwas asymmetrisch angelegt, Alaba kippt höher hinein, Rafinha etwas tiefer.

Fazit

Obgleich sich dieser Artikel auf die Bayern konzentrierte, ist diese Spielweise nicht exklusiv auf sie beschränkt und der Beitrag soll die theoretischen Aspekte erläutern. Die Bayern dienen eher zur präzisen Beschreibung, die unsere Leser auch im Kopf haben; und ein anderes Beispiel mit Erinnerungsfaktor gibt es leider nicht. Einen durchaus lesenswerten Artikel auf Englisch zu diesem Thema gibt’s auch, hier geht es gar fast nur um Alaba.

Alles in allem ist diese Nutzung der Außenverteidiger hochinteressant und wohl bislang in der Fußballgeschichte nicht (auf diese Art und Weise) vorgekommen. Sie zeigt auch den Trend, verstärkt Engen im Kombinationsspiel zu schaffen und diese zu bespielen. Dadurch werden anderswo Räume erzeugt, während man sich in den engen Situationen auf die technische Stärke der eigenen Spieler verlässt. In einer Zeit, in welcher selbst der Außenverteidigerersatz und ein 21jähriger Österreicher Nadelspielerfähigkeiten und herausragende taktische Intelligenz mitbringen, kann man das schon machen.

Viel interessanter ist aber, wie das Dogma des durchgehenden Breitegebens ansatzweise aufgelöst wird und dies Vorteile mit sich bringt, um die spielstrategisch wichtigste Zone (die Mitte) nun nicht durch Spieler aus den Enden der Vertikale weiter zu stärken (aufrückende Innenverteidiger oder zurückfallende Mittelstürmer sowie viele Mittelfeldspieler), sondern das Einzugsgebiet auf die Horizontale und defensive Diagonale zu erweitern.

Zusätzlich können bestimmte Aspekte in orthodoxen taktischen Systemen sehr effektiv bespielt werden und zeigen, dass oftmals weder „alte“ (Manndeckung z.B.) noch „neue“ (Raumdeckung und Kompaktheit z.B.) Lösungen allgemeingültige Hilfsmittel gegen neue Spielweisen und Bewegungen darstellen. Wie lange die Fußballwelt wohl noch aus eckigen Formationen besteht?
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Die Torwartkette

In diesem Artikel wird die Nutzung des Torwarts im Aufbauspiel beschrieben. Eine der Entwicklungen in dieser Hinsicht könnte in Zukunft die sogenannte „Torwartkette“ sein. Im Blog von 44² wurde diese Möglichkeit und Umsetzung bereits anhand einiger Spiele von Manchester United nach der Verpflichtung David De Geas analysiert. In diesem Beitrag geht es um die drei unterschiedlichen Varianten der Torwartkette, ihre potenzielle Umsetzung und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Im Artikel selbst kommen auch ein paar Erklärungen zu taktischen Bewegungen und kleine geschichtliche Hintergründe vor.

Die tiefe Torwartkette

Diese Variante ist jene, die bereits genutzt wird – sogar relativ oft. Der FC Barcelona mit Victor Valdes nutzt diese Spielweise, um dem Angriffspressing gegnerischer Mannschaften entgegenzuwirken. Auch die Bayern mit Manuel Neuer spielen auf diese Art und Weise oder eben auch kleinere Mannschaften wie Ajax Amsterdam mit Torwart Kenneth Vermeer.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
So könnte eine Aufbauszene mit tiefer Torwartkette gegen einen pressenden Gegner aussehen.

So könnte eine Aufbauszene mit tiefer Torwartkette gegen einen pressenden Gegner aussehen.

Schon in den 70ern wurde dies von Ajax, Feyenoord und der niederländischen Nationalmannschaft ansatzweise praktiziert. Auch zuvor gab es einzelne Torhüter (Radenkovic, Kreß, Carrizo) und später ebenfalls (Menzo, Bell, Busquets, Barthez, Chilavert, van der Sar), welche im Aufbauspiel intelligente Pässe spielten und bewusst eingebunden wurden.

Die Ursache ist klar: Bekanntlich kann der Torhüter nur indirekt mitpressen und sich nur in bestimmten Zonen und Situationen aktiv am Defensivspiel beteiligen; es bleiben also im Großteil des Spiels zehn gegen zehn Feldspieler. In der eigenen Hälfte kann allerdings der eigene Torwart mithelfen, um eine Überzahl herzustellen, also in gewisser Weise ein Elf gegen Zehn erzeugen um Ballverluste in der Nähe des eigenen Sechzehners zu vermeiden.

Bei dieser Spielweise positioniert sich der Torhüter bis zu 16 Meter vor dem eigenen Tor und verschiebt horizontal hin und her, um den beiden Innenverteidigern die jeweils ideale Anspielstation zu bieten. Meistens fächern die Innenverteidiger nicht nur sehr breit auf, sondern positionieren sich auch tiefer, wodurch sie nahezu in einer Reihe agieren.

In Extremfällen erreicht das solche Auswüchse, dass die Innenverteidiger nahe der Torauslinie in Eckfahnennähe stehen, während sich der Torwart fast schon an der Strafraumkante anbietet. Die Bezeichnung Torwartkette kommt auch daher, dass sie einerseits auf einer Linie miteinander agieren und andererseits sich mit ähnlichen Bewegungen zum Ball verschieben. Der Torwart ist dabei ein vollwertiger Bestandteil dieses Verschiebens, da er auf die jeweilige Ballseite verschiebt und oftmals auch bei Aufrücken des Innenverteidigers leicht in das dadurch entstandene Loch verschiebt.

Das hat zwar nichts mit einer Viererkette im klassischen Sinne gemein, die das im Defensivspiel praktiziert, aber einen fast identischen Mechanismus beschreibt; es klingt zumindest schöner und richtiger als die Bezeichnung falsche Eins, wie einige Medien mitspielende Torhüter bezeichnen. Zusätzlich zu diesem Verschieben gibt es natürlich einige weitere interessante Aspekte bei der Torwartkette.

Neben dem Vorteil einer zusätzlichen Anspielstation im Aufbauspiel kann man den Gegner mit dieser Spielweise extrem weit herauslocken, mithilfe der Mittellinie (wegen der Abseitsregel) muss er seine Kompaktheit von 20-30 Meter auf fast 50 Meter erweitern, wenn die Innenverteidiger bis zur Auslinie auffächern und/oder den Torwart ins Aufbauspiel miteinbinden. Die Bayern machen das oft so, dass sie mit tiefer Ballzirkulation den Gegner herauslocken, mit Neuer den Gegner laufen lassen und über Lochpässe Neuers in die gegnerische Formation spielen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Der Torwart spielt auf links weiter. Gut zu sehen ist, wie viel Raum nun im Zwischenlinienraum offen ist und wie die Verbindung zueinander ist; kettenähnlich. Spielt der Gegner passiv und schiebt nicht nach, dann entsteht ein freies Dreieck vor dem halblinken Innenverteidiger.

Der Torwart spielt auf links weiter. Gut zu sehen ist, wie viel Raum nun im Zwischenlinienraum offen ist und wie die Verbindung zueinander ist; kettenähnlich. Spielt der Gegner passiv und schiebt nicht nach, dann entsteht ein freies Dreieck vor dem halblinken Innenverteidiger.

Valdes tat bei Barcelona Ähnliches, nutzt es aber aktuell eher um Räume für lange Bälle zu schaffen (was Neuer übrigens in der vergangenen Saison unter Heynckes noch tat). Diese erhöhte Laufarbeit sorgt natürlich für Probleme beim Gegner. Viele Mannschaften gehen dann aber dazu hinüber, sich mannorientiert an den potenziellen Anspielstationen zu orientieren und abzuwarten, bis der Torwart den Ball abspielt.

In diesem Fall muss er ihn dann weit herausschlagen oder auf die passende Bewegung seiner Mitspieler warten. Kommt Letztere nicht, kann der Gegner oft sämtliche Anspielstationen zustellen und ein gefährliches Pressing aufbauen.

Allerdings ist auch hier Gefahr vorprogrammiert – wenn die Abwehr so hoch steht, dass sie alle Anspielstationen abdecken kann, können Abschläge auch hinter die Abwehrreihe kommen und für gefährliche Situationen oder zumindest Raumgewinn sorgen. Somit ermöglicht die tiefe Torwartkette mehr Ballbesitz, lockt den Gegner heraus und zerstört im Idealfall dessen Kompaktheit.

Gefährlich wird es nur, wenn der Torwart nicht die nötige Passgenauigkeit und Spielintelligenz besitzt. Fehlpässe können sehr gefährlich werden und sind nicht nur auf eine schwache Technik zurückzuführen, sondern auch auf das Hereinfallen auf Pressingfallen. Apropos Spielintelligenz: ein schwaches Freilaufen sorgt für eine Sackgasse für den gepressten Innenverteidiger, was wiederum in Ballverlusten und eins-gegen-eins-Situationen münden kann.

Allerdings kann der Torwart in diesem Spielbereich noch klassisch auf Ballverluste reagieren und relativ problemlos rechtzeitig ins Tor zurückeilen oder bei schnell entstehenden Torchancen den Abschlusswinkel verkürzen und sich mit Bein und Hand in den Schuss werfen. Bei der nächsten Variante ist dies schwieriger bzw. führt die Nutzung der Hand oft zu einer Karte.

Die mittlere und hohe Torwartkette

In diesem Fall praktiziert der Gegner normalerweise kein Angriffspressing, sondern ein Abwehrpressing oder ein Mittelfeldpressing und daran passt sich der eigene Torwart an. Anstatt im eigenen Strafraum zu verbleiben, rückt er weit heraus und bietet sich weit vor dem eigenen Tor als Anspielstation an.

Diese Spielweise wird gelegentlich von den Bayern und der DFB-Elf mit Manuel Neuer praktiziert, wenn sie in extrem wichtigen Spielen am Schluss hinten liegen,  wie es gegen Italien, gegen Bayer Leverkusen und ansatzweise gegen Chelsea der Fall war. Sie ist somit auch hier eine Ausnahme.

Situativ weicht Neuer zwar manchmal nach vorne, wenn zum Beispiel im Mittelfeld ohne jeglichen Gegnerdruck ein Fehlpass passiert und der Mitspieler kein ordentliches Sichtfeld hat, aber eine wirklich konstante und extreme Umsetzungen dieser Spielweise gibt es nicht – zumindest nicht seit Kolumbien mit René Higuita im Tor.

Bei diesem Link sieht man an der Höhe, in der Higuita angespielt wird, wie so etwas aussehen – und fehlschlagen – könnte. Kolumbiens damaliger Nationaltrainer, Francisco Maturana, sprach auch davon, dass sie mit Higuita die Ideen der Niederländer von 1974 intensivieren könnten. Higuita, so sagte er vor dem Fehler bei der WM 1990, gebe ihnen die Möglichkeit nicht nur den Ball herauszuschlagen, sondern ihn auch zu behaupten und zu verteilen, egal, wie weit weg vor dem Tor.

Trotz des Fehlers war die Spielweise übrigens überaus effektiv: In 34 Spielen vor der WM 1994 verloren sie exakt eines, man gewann gar in Argentinien gegen diese mit 5:0, wurde wie 1990 Erster in ihrer Qualifikationsgruppe und Experten wie Jupp Heynckes betitelten sie schon als interessanteste und taktisch hochwertigste Mannschaft des Turniers 1990. 1993 wurden sie Dritter bei der Copa America (vier Gegentore in sieben Partien).

Noch heute wird sie in Kolumbien als eigene Version des Tiqui Taca bezeichnet und Torhüter René Higuita war mit seiner situativen Beteiligung am Aufbauspiel ein Schlüsselaspekt davon (Hausaufgabe: Szene ab 4:14 beachten und über mögliche Lösungen in Anbetracht der neuen Regeln nachdenken). In Erinnerung geblieben ist aber letztlich nur sein Fehler gegen Roger Milla, welche wohl vor einer Kopie dieser Spielweise abschreckt, obwohl diese durchaus geniale Aspekte beinhaltete (hier das Freilaufen bei 0:05-0:07 beachten).

Aus taktischer Sicht ist das schade, denn diese Taktik und ihre Vorteile (defensiv und offensiv) wären höchst interessant, besonders bei noch konstanterer Umsetzung und mit modernem Bewegungsspiel der Vordermänner oder auch in Anbetracht der modernen Pressingmechanismen des 4-2-3-1.

Beispielsweise könnte das Zustellen von zwei Innenverteidigern behoben werden. Es wäre auch kein zurückfallender Mittelfeldspieler nötig, um eine Dreierkette zu erzeugen, wodurch es einen Spieler weiter vorne gäbe. Hier ein Vergleich der Passdreiecke diesbezüglich:

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Bei Klick auf das Bild öffnen sich die drei Bilder nebeneinander.

Bei Klick auf das Bild öffnen sich die drei Bilder nebeneinander. Bei der Aufbauformation ohne zurückgekippten Sechser und ohne aufgerückten Torwart sind am wenigsten Dreiecke vorhanden, die beiden Mittelstürmer des Gegners stehen normalerweise in den Kreuzen jener Pfeile, die nicht durchgezogen sind. Fällt der Sechser zurück, dann steht man besser da, aber spielt oftmals innerhalb der eigenen Formation herum. Geht der Torwart nach vorne, ergeben sich mehr Optionen, wir wir noch sehen werden.

Damit könnte ein weiterer Spieler im Aufbauspiel vorhanden sein, die Ballzirkulation wäre stabiler und die Sechser würden nicht Unterzahl im Mittelfeld riskieren, wenn sie abkippen. Stattdessen könnte man den Gegner noch weiter nach hinten drücken und Pressingversuche frühzeitig aushebeln; ein Rückpass auf den Torwart oder ein Pass ins Mittelfeld, wo man einen Akteur mehr hat, ist problemlos möglich.

Wieso wird diese Spielweise also nicht genutzt? Ein Aspekt ist sicherlich das Risiko dabei. Wird der Torwart gepresst und seine ihn umgebenden Anspielstationen in den Deckungsschatten gestellt, dann könnte der Torwart – im Normalfall nicht allzu pressingresistent – einen Fehlpass spielen oder den Ball verlieren. Dies wäre nahezu ein sicheres Gegentor, insbesondere weil die Stürmer sich im Vorwärtsgang befinden, während die eigene Mannschaft sehr hoch aufgerückt und im Aufbauspiel breit aufgefächert steht.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
So sähe eine hohe Torwartkette aus. Ein Pass reicht aus, um einen großen Raum freizuspielen.

So sähe eine hohe Torwartkette aus. Ein Pass reicht aus, um einen großen Raum freizuspielen.

Diesem Risiko kann man aber auch entgegensteuern. Der Torwart kann sich etwas tiefer für eine Art umgekipptem Dreieck und als Quasi-Libero positionieren und bleibt daher bei einer tiefen gegnerischen Formation ohnehin vom Pressing befreit. Das Spielfeld ist so dicht besetzt, dass Fehlpässe in die Mitte hinein nicht allzu gefährlich sein sollten, wenn ein starkes Gegenpressing praktiziert und die Staffelung ordentlich vorbereitet wird. Im Normalfall kann man dem aber entgegenwirken, wenn dem Torwart im Zweifelsfall lange Bälle und Optionen für das Anbringen derselben erlaubt werden.

Da der Gegner einen oder mehrere Spieler für das Pressing auf den Torwart aus der Formation befreien muss, entstehen dort Löcher und eine Unterzahl. Hier könnten die zweiten Bälle gar entscheidend werden, der Torwart müsste also nicht einmal konstruktiv aufbauen, um in bestimmten Phasen eine neue Option ins Spiel zu bringen, obgleich das Risiko natürlich hoch bleibt, wenn die zweiten Bälle verloren werden.

Bei technisch starken Mannschaften kann auch die individuelle Stärke genutzt werden. Mannschaften wie der FC Bayern, der FC Barcelona oder die spanische Nationalmannschaft können selbst sehr scharfe Anspiele ihrer Torhüter ins Mittelfeld riskieren, da Akteure wie Xavi und Co. auch diese Pässe nahezu mühelos stoppen und dann in einer Enge behaupten können. In der heutigen Zeit wäre auch dank des schnelleren, beweglicheren und strukturierten Bewegungsspiels eine ganz andere Dimension mit einem hohen Torhüter im Aufbauspiel möglich.

Ansonsten gibt es eben den langen Ball auf den Flügel und eine sofortige Bewegung nach hinten. Der Torwart ist dabei nahe genug am eigenen Kasten, um einen eventuellen 75m-Schuss rechtzeitig abfangen zu können. Außerdem ist zu bezweifeln, ob unter Druck sofort nach einer Balleroberung ein ausreichend scharfer und gleichzeitig präziser Schuss aus dieser Distanz erfolgen kann. Das Gleiche trifft ebenfalls auf Konter zu, welche bei passendem Gegenpressing und gutem Umschalten unterbunden oder zumindest zeitlich verzögert werden können.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Mit tiefem Torwart ist das schon schwerer zu machen. Das ist auch der Grund, wieso die 3-4-Aufbauformation dafür sorgt, dass wenige Bälle verloren werden, aber die Ballzirkulation oftmals relativ tief bleibt.

Mit tiefem Torwart ist das schon schwerer zu machen. Das ist auch der Grund, wieso die 3-4-Aufbauformation dafür sorgt, dass wenige Bälle verloren werden, aber die Ballzirkulation oftmals relativ tief bleibt.

Unmittelbare Gefahr geht hiervon also nicht aus, wenn das taktische Fundament passt. Potenziell könnte sogar der Torwart in das Bewegungsspiel eingebunden werden und in Extremsituationen einen Innenverteidiger hinterlaufen oder seitlich herausrücken und sich dort anbieten. Manuel Neuer tat dies einmal schon in der Partie gegen Greuther Fürth, als Dante sich im 4-5-1 dem Druck eines herausrückenden Achters gegenübersah, Boateng vom Mittelstürmer abgesperrt, aber sonst sehr viel Raum offen war und Neuer kurz diagonal versetzt zu Dante auftauchte; Ansätze eines Hinterlaufens, die leider nicht bespielt wurden.

Anders sieht es bei einer noch extremeren Umsetzung dieser Grundidee aus.

Die maximale Torwartkette

Diese letzte Variante soll nur kurz erklärt werden – eine Umsetzung erscheint selbst in ferner Zukunft unwahrscheinlich zu sein. Hier würde der Torwart nicht nur in tiefen Aufbauzonen oder im Defensivspiel zum Libero werden, sondern auch im Angriffsspiel. Das Attribut „maximal“ zeigt schon, wohin die Idee führen würde: Der Torwart rückt so weit auf, wie es für ihn nur möglich ist. Er könnte – zum Beispiel gegen ultradefensive und extrem tiefe Mannschaften – auf der Mittellinie stehen und die gesamte Horizontale absichern, während sich die Innenverteidiger aktiv am Gegenpressing und Angriffsspiel beteiligen dürfen.

Dies könnte so praktiziert werden, dass der ballferne Innenverteidiger oder auch der Sechser und Außenverteidiger einrücken, während der Torwart ballnah absichert und der ballnahe Innenverteidiger sowie alle anderen gegenpressen. De facto würden sie in einer Zweierkette da stehen und den zusätzlichen Mann zur Stabilität nutzen. Wichtig wäre natürlich ein extrem schneller, zweikampfstarker und spielintelligenter Torwart. Und natürlich ein technisch sehr guter.

Die Nachteile sind natürlich klar ersichtlich – die Vorstellung Manuel Neuer im Gegenpressing einen Ball erobern zu sehen, ist dennoch ein Traum für jeden Analysten, der gegen Leverkusen fast schon erfüllt wurde. Eine ordentliche Anwendung der Torwartkette im gesamten ersten Drittel wäre allerdings bereits Stoff genug für mehrere Artikel. Mal sehen, ob und wann dies passiert. Es gibt schon vielerorts erste Ansätze.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
So könnte eine maximalhohe Torwartkette aussehen. Die Innenverteidiger gehen in die offenen Flügelräume und Halbräume der gegnerischen 4-4-2-Defensivformation.

So könnte eine maximalhohe Torwartkette aussehen. Die Innenverteidiger gehen in die offenen Flügelräume und Halbräume der gegnerischen 4-4-2-Defensivformation.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
Wenn dann einer der Innenverteidiger aufrückt, schieben der Torwart und der Innenverteidiger bereits antizipativ in das Loch, der Außenverteidiger geht in den Halbraum, der Flügelstürmer gibt die Breite.

Wenn dann einer der Innenverteidiger aufrückt, schieben der Torwart und der Innenverteidiger bereits antizipativ in das Loch, der Außenverteidiger geht in den Halbraum, der Flügelstürmer gibt die Breite.

Bitte den Torwart als Libero in Ballbesitz trotz meiner womöglich ungenauen oder weitreichenden Vergleiche nicht mit dem Herauslaufen bei gegnerischen Angriffen und dieser Komponente des früheren Libero-Spiels verwechseln.

Image may be NSFW.
Clik here to view.

Viewing all 90 articles
Browse latest View live