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Absicherung des aufrückenden Außenverteidigers

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Ein kurzer allgemein-taktiktheoretischer Abriss, der sich mit den Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen Absicherungsarten für einen aufrückenden Außenverteidiger im Positionsspiel beschäftigt.

Absicherung durch zentral abkippenden Sechser, Dreierreihe und Innenverteidiger

Die erste Möglichkeit ist das Erzeugen einer Dreierreihe mithilfe eines Sechsers, der sich zentral abkippen lässt. Man steht somit in einer Dreierreihe gut abgesichert da, der Innenverteidiger kann als im Normalfall defensivstärkster Akteur direkt hinter dem Außenverteidiger absichern und somit maximal effektiv verteidigen.

Dreierreihe: IV DM IV

Dreierreihe: IV DM IV

Der Außenverteidiger kann dem Innenverteidiger den Ball zurückspielen und dieser hat als (oftmals sehr spielstarke) Anspielstation den zurückfallenden Sechser, der das Spiel drehen oder anderweitig strategisch arbeiten kann. In dem in der Grafik geschilderten Szenario kippt der ballferne Sechser ab. Dadurch hat der Außenverteidiger ein Dreieck mit dem eingerückten Außenstürmer und dem ballnahen Sechser. Dies kann situativ der „Zehner“ in diesem hypothetischen 4-2-3-1 noch erweitern.

Eine solche Spielweise, nur oftmals ohne Mittelstürmer, mit einer anderen Formation und dafür mit breiterem ballfernen Außenstürmer wird oft vom FC Barcelona gespielt.

In dieser Ausrichtung befindet sich der offene Raum für Konter auf der anderen Seite, wo eventuell der Außenverteidiger noch Zugriff erhalten könnte oder das Gegenpressing auf dieser Seite ausreichend stark ist, um Seitenwechsel zu vermeiden. Alternativ kann der Außenverteidiger nicht die Breite geben, sondern ins Mittelfeld gehen und dort eine zusätzliche Anspielstation geben.

Bei intelligenten und dynamischen Akteuren im Kollektiv ist diese Spielweise zu empfehlen, denn der Außenverteidiger erhöht die lokale Kompaktheit im Kombinationsspiel, kann womöglich ebenfalls kreativ wirken, aus Engen befreiend wirken und im Gegenpressing unterstützten. Alternativ kann er erkennen, falls die Seite versperrt ist und geplante Spielverlagerungen seiner Mitspieler antizipieren und sich dann wieder in die Breite begeben.

Unter anderem Marcel Schmelzer beim BVB wurde zu einer solchen Spielweise angewiesen.

Eine weitere Variation dieser Spielweise wäre es, wenn nicht der ballferne Sechser nach hinten abkippt, sondern der ballnahe Sechser sich zurückfallen lässt. Dies öffnet zwar ein Loch und zerstört das Dreieck, doch gleichzeitig entstehen interessante Synergien. Gegen mannorientierte Verteidigungsspielweisen kann so ein Gegner weggezogen werden und der „Zehner“ kann in den nun offenen Raum gehen. Hinter ihm kann im Zentrum der ballferne Sechser aufrücken und als box-to-box-Spieler für Aufruhr sorgen.

Damit diese Wechselwirkungen effektiv sind, benötigt es aber der passenden Spieler und einer guten Abstimmung mit einstudierten Offensivspielzügen.

Absicherung durch verschobene Dreierreihe und Innenverteidiger

Die nächste Variante ist eine Dreierreihe, die aus den beiden Innenverteidigern und dem ballfernen Außenverteidiger besteht. Hier ist die große Frage, wer dem Spiel die Breite gibt. Soll es der ballferne Außenstürmer machen? Soll es überhaupt jemand machen? Alternativ könnte man einfach darauf spekulieren, dass man das Kamel durchs Nadelöhr gehen lassen kann und spielt über diese Enge mit einer ordentlichen Absicherung in einer 3-2-Abwehrformation.

Dreierreihe: AV IV IV

Dreierreihe: AV IV IV

Andererseits kann man den in diesem Szenario linken Außenstürmer auf der Seite kleben lassen und ein paar Probleme in der offensiven Umschaltphase ins letzte Spielfelddrittel erleiden. Interessant wäre ein situatives Herausweichen des eingerückten Außenverteidigers diagonal in offene Räume und präzise gespielten Seitenwechseln, um sowohl eine passende Absicherung als auch eine situative Breite erzeugen zu können.

In dieser formativen Änderungsphase könnte sich der ballferne Sechser für den nach vorne eilenden Außenverteidiger fallen lassen oder (riskanter und effektiver) als Durchlaufstation für Kurzpässe auf diese Seite und in den Lauf des Außenverteidigers fungieren.

Auch hier ist die Frage, welche Spieler man besitzt und wie man aufbaut. Baut man ohnehin mit einem abkippenden Sechser auf, erscheint diese Verteidigungsspielweise wiedersinnig. Baut man gemächlich und primär über die Halbräume und Flügel auf, kann diese wohl am besten praktiziert werden, weil der zweite Sechser im Zentrum dem ballnahen Partner viele Freibewegungen ermöglicht.

Absicherung durch herauskippenden Sechser und Dreierreihe mit zwei Innenverteidigern

Eine weitere Möglichkeit wäre das Absichern direkt durch den Sechser. Hier ist besonders die Bewegung positiv zu bewerten. Erst, wenn der Außenverteidiger auch wirklich hoch ist, bewegt sich der Sechser auf die Seite und schafft eine gependelte Dreierreihe mit den beiden Innenverteidigern.

Dreierreihe: IV IV DM

Dreierreihe: IV IV DM

Die Innenverteidiger verschieben ballorientiert mit, müssen aber ihre Partnerschaft nicht aufgeben und nicht in die Breite ziehen. Für sie ist die Spielweise einfacher, während der Sechser natürlich aufmerksam und intelligent verschieben muss. Das Einrücken des ballnahen Sechsers eröffnet im Idealfall natürlich Räume für seinen Partner im Mittelfeld und den Zehner, die davon sogar profitieren können.

Gleichzeitig kann man die Kompaktheit in diesem Bereich erhöhen und sich nach Pressingerfolgen besser aus Engen lösen. Allerdings kann diese Spielweise auch sehr schädlich sein, wenn sie nicht zeitig hineinrücken und der Gegner den herauskippenden Sechser nicht wie ein Esel verfolgt, sondern sich im richtigen Moment löst und ordentlich mit seinem Deckungsschatten arbeitet.

Agiert man mit einem herauskippenden Sechser, also einem Sechser, der sich im Aufbauspiel auf die Seiten und ins Loch zwischen Außen- und Innenverteidiger fallen lässt, geht die Bewegung in der Mitte zwar verloren, aber die Stabilität ist größer.

Die Frage lautet wiederum natürlich, ob die Spieler für eine solche Spielweise geeignet sind, wie man aufbaut und wie defensivstark der herauskippende Sechser sowie wie intelligent und dynamisch seine umgebenden Spieler sind. In der Theorie mutet dies allerdings als die eleganteste Lösung an. Die riskanteste dürfte die nächste sein.

Absicherung durch zwei Innenverteidiger

Alternativ kann man auch einfach auf den dritten Mann pfeifen und schlicht mit den beiden Innenverteidigern absichern. In dieser Grafik sieht man sofort die Probleme.

die Zweierkette

die Zweierkette

Der ballferne Raum ist ungedeckt, der Raum zwischen den Linien ist sehr groß, wogegen man mit tieferen Sechsern in einer 2-2-Formation und verschobenen Ketten vorgehen könnte oder die Innenverteidiger höher schieben, die Kompaktheit somit erhöhen, aber dadurch natürlich den Raum hinter sich und in der Diagonale noch stärker öffnen.

Um gegen diese Gefahren arbeiten zu können, hat man allerdings ein verbessertes Gegenpressing durch die höhere Anzahl an Spielern um den Ball herum. Sechs Spieler haben Verbindung zueinander, ohne dass die Breite vernachlässigt wird oder jemand absichern müsste. Dadurch wird das Pressing für den Gegner ebenfalls erschwert und Ballverluste sollten geringer werden. Der FC Barcelona spielt auch vereinzelt so und löst Drucksituationen über ihre Spielstärke und über ihre Bewegung – dass dies keine Option für den Standard ist, sollte klar sein.

Alles in allem dürfte diese Spielweise die schwierigste sein. Aktuell spielen aber die Bayern in dieser Saison mit einer Variante davon, einer Art Mischlösung, um genauer zu sein. Mit Manuel Neuer haben sie einen Torhüter, der sehr viel Raum absichern kann, mit Dante und Boateng zwei athletische Innenverteidiger, situative Mannorientierungen mit viel Zugriff und vielen antizipativen wie intelligenten Bewegungen.

Dadurch können sie entweder gut im Gegenpressing arbeiten oder die dynamischen David Alaba und Philipp Lahm rücken in Halbpositionen ein, wo sie entweder schnell Breite geben oder schnell nach hinten eilen und aushelfen können. Wie das gegen stärkere Mannschaften aussieht, bleibt abzuwarten.

Noch was?

Eine weitere Möglichkeit wäre die Spielweise mit durchgehend tiefen und somit stabilen Außenverteidigern. Diese würde aber in der Offensive für Probleme sorgen. Alternativ könnte mit taktisch komplexen Konstrukten unterschiedlicher Ausführungen gespielt werden, wie bspw. mit durchgehenden Positionswechsel in 1-2-Formationen in der Defensive oder ähnliches, was aber ein ungeprüftes Novum darstellen würde.


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