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Schüsse auf den ersten & zweiten Pfosten

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Spielverlagerung bringt in diesem Beitrag dem Leser etwas Statistik näher – wie erfolgreich sind Schüsse aus unterschiedlichen Positionen auf den ersten oder zweiten Pfosten? Dabei wurde eine interessante Entdeckung gemacht.

Dieser Artikel wurde übrigens ursprünglich von  Colin Trainor auf Englisch verfasst und von mir nur übersetzt. Es gibt viele weitere interessante statistische Analysen von Colin und anderen Autoren bei der Seite Statsbomb. Zeitnah werden wir bei Gelegenheit einige weitere interessante Analysen übersetzen.

In einem vorherigen Artikel habe ich Untersuchungen zum Prozentsatz der Erfolgswahrscheinlichkeit bei Schüssen und Kopfbällen vorgenommen, die der abschließende Spieler erwarten kann, wenn er in eine bestimmte Zone des Tores trifft. Da dies mein erster Versuch eines Blicks auf das Platzieren von Schüssen war habe ich alle Schüsse zusammengezählt, aber die Schwierigkeit bei Statistiken und Daten ist, dass man nie das erste Messsystem für bare Münze nehmen darf, da weitere Analysen vorgenommen werden können. Die zweite Analyseebene kann zwangsläufig interessante Einsichten gewähren, die zuvor auf einem höheren Level der Datenbetrachtung untergingen.

Zur Erinnerung sind hier nochmal die Prozentzahlen des Erfolgs für jeden Schuss und Kopfball:

Erfolgsverteilung aller Schüsse aufs Tor aus Sicht des Stürmers

Wir blicken hierbei auf das Tor aus der Stürmerperspektive. Ich will nun weitere Analysen vornehmen um zu sehen, welche weiteren Informationen man daraus ziehen kann und darum werde ich die Platzierung der Schüsse auch darauf basieren, von wo die Schüsse oder Kopfbälle gemacht wurden.

Ich habe dafür alle nicht-geblockten Schüsse und Kopfbälle in drei Zonen auf dem Platz unterteilt, nämlich rechts, links und zentral, wie im folgendem Bild zu sehen:

Einteilung in die Spielfelddrittel

Die Grenzen der drei Zonen wurden bewusst so gezogen um sicherzugehen, dass 50% der Schüsse aus der Stichprobe in die zentrale Zone fallen und die anderen 50% fast gleich auf links und rechts aufgeteilt sind.

Die zentrale Schusszone

Sehen wir uns zuerst alle Schüsse an, die aus der zentralen Zone vorgenommen wurden.

Erfolgsrate aller Schüsse aus dem Zentrum

Es ist keine Überraschung, dass die generelle Gestalt dieser Heatmap der Schusserfolgsraten ziemlich ähnlich zu jener Grafik ganz oben im Artikel für alle Schüsse ist. Der größte Unterschied ist, dass die Erfolgsraten flächendeckend höher sind, weswegen es deutlich mehr von „Rot“ zu sehen gibt. Da wir uns die Schüsse aus den besten Positionen ansehen, nämlich direkt vor dem Tor, passt das zu unserer Erwartung.

Schüsse von rechts

Wir blicken nun auf die Schüsse, die von der rechten Schusszone (nach Definition der zweiten Grafik im Artikel) gekommen sind.

Erfolgsrate aller Schüsse von rechts

Jetzt wird es interessant! Dieses Bild oben zeigt die Erfolgsraten für Schüsse von der rechten Seite des Platzes und ein klares Bild zeigt sich. Wie erwartet gibt es deutlich mehr Blau statt Rot auf diesem Bild als bei der vorherigen Heatmap, weil wir nun auf Versuche aus weniger attraktiveren Schusspositionen blicken. Das ist aber nicht das verblüffende daran.

Die Heatmap ist sehr unbalanciert, die roten und orangen Zonen konzentrieren sich auf die linke Seite. Diese mangelnde Balance ist so groß, dass bei einer hypothetischen Teilung des Tors in drei Teile die durchschnittliche Verwertungsrate für Schüsse aufs Tor ganz links (der zweite Pfosten) bei 32% liegt, im zentralen Drittel bei 7% und im rechten Drittel (dem kurzen Pfosten) bei 14%.

Wie bei meinem vorherigen Artikel gesehen und wie es die Logik diktiert sollten Schüsse in die Mitte des Tores die geringste Verwertungsrate haben. Aber eine 2,25mal so hohe Verwertungsrate für Schüsse aufs Tor auf den zweiten Pfosten  im Vergleich zu Schüssen auf den ersten Pfosten wirkt auf mich sehr signifikant.

Und was ist bei Schüssen von der anderen Seite?

Schüsse von links

Erfolgsrate der Schüsse von der linken Seite

Man erkannt die gleiche Verteilung, nur verkehrt herum. Von links hat das Drittel am zweiten Pfosten (rechts) eine Verwertungsrate von 30%, die Mitte kommt auf 8% und 15% sind es beim linken Teil, dem kurzen Pfosten. Das bedeutet, dass Schüsse aufs Tor auf den zweiten Pfosten von links mit doppelt so hoher Erfolgsrate verwertet werden

Das passt ziemlich gut zu den Ergebnissen der anderen Seite des Platzes. In Anbetracht der Ergebnisse lässt sich mit hoher Sicherheit schlussfolgern, dass Schüsse auf den zweiten Pfosten circa doppelt so viel Erfolg bringen wie Schüsse auf den ersten Pfosten. Auch ohne noch tiefere Betrachtung empfinde ich das als ziemlich wichtiges Stück Information.

Verfahrensfrage

Für den Rest dieses Artikels wird als „zweiter Pfosten“ jener Bereich bezeichnet, wo der Ball über die Torlinie von Beginn des zweiten Drittels des ballfernen Pfostens bis Ende geht; beim ballnahen Pfosten dann natürlich das Gegenteil. Der verbleibende Artikel konzentriert sich auf Schüsse von rechts und links, da ich dieses Phänomen näher mit mehr Details untersuchen möchte.

Der zweite Pfosten ist überlegen

Was bedeutet das also? Mein erster Gedanke war, dass Andy Grays Klischee „er hätte den Torwart kreuzen sollen“ korrekt ist. Aber ich gebe ihm nur half marks, denn ich glaube seine Einschätzung basiert auf dem Fakt, dass bei einem fehlgeschlagenen Schuss auf den zweiten Pfosten bei einer erfolgreichen Parade des Torwarts das angreifende Team noch die Möglichkeit auf einen gefährlichen Abpraller und einen zweiten Abschluss hat. Schüsse auf den kurzen Pfosten haben diesen Luxus nicht.

Aber nicht für eine Sekunde glaube ich, dass Andy Gray sich über die 2- bis 2,25mal so hohe Erfolgsrate bei Schüssen auf den zweiten Pfosten bewusst war. Und wenn er sich dessen bewusst war, dann behielt er – wie jeder andere im Fußball – diesen bestimmten Goldnugget gut für sich.

Mögliche Gründe für diese Diskrepanz

Die erste mögliche Erklärung für diesen Unterschied liegt womöglich in meiner Einschränkung auf Schüsse aufs Tor. Damit ignoriere ich natürlich Schüsse, die daneben oder darüber gehen. Vielleicht wäre eine Betrachtung der Tore als Prozentsatz aller nicht geblockten Schüsse dafür besser geeignet, da es womöglich schwieriger das Tor zu treffen ist, wenn man quer auf den zweiten Pfosten schießt, anstatt auf den ersten Pfosten.

Nach weiterer Untersuchung fand ich heraus, dass 68% aller Schüsse auf den zweiten Pfosten daneben gingen, verglichen mit 64% der Schüsse auf den ersten Pfosten. Dieser geringe Unterschied reicht aber nicht ansatzweise aus, um den Unterschied in den erzielten Toren der nicht geblockten Schüsse zu erklären.

Inklusive der Schüsse neben oder über das Tor landen 9,9% aller nicht geblockten Schüsse auf den zweiten Pfosten im Tor, während diese Erfolgsrate bei nicht geblockten Schüssen auf den kurzen Pfosten auf 5,3% fällt. Wir kommen also letztlich auf eine 1,8mal so hohe Erfolgsrate bei nicht geblockten Schüssen auf den zweiten Pfosten im Vergleich mit den nicht geblockten Schüssen auf den ersten Pfosten. Somit bleiben wir auch nach der Bereinigung der Differenz bezüglich Schüssen neben das Tor mit einem signifikanten und ungeklärten Unterschied bei den Erfolgsraten.

Die zweite Möglichkeit: Kann es sein, dass Torhüter übermäßig besorgt sind ein Gegentor am kurzen Pfosten zu erhalten? Kein Zweifel, dass der Torwart schlecht aussieht, wenn er ein Gegentor an seinem kurzen Pfosten erhält. Aber vielleicht stehen sie zu sehr am kurzen Pfosten auf Kosten eines langen Schusses?

Zurzeit kann ich diesen Punkt leider nicht belegen oder widerlegen, da ich keinen Zugang zu Positionierungen des Torwarts zum Zeitpunkt des Schusses habe. Darum muss ich mich leider zum nächsten Punkt begeben.

Eine dritte Möglichkeit für die Differenz könnte das Ausschließen der geblockten Schüsse aus der Analyse sein. Wir wissen zwar nicht, wohin sie gehen, aber ein Schuss quer auf den zweiten Pfosten muss durch die Mitte des Platzes. Damit erscheint es wahrscheinlich, dass diese Schüsse eher geblockt werden als Schüsse auf den kurzen Pfosten. Aber ist die fast doppelt so große Differenz in den Erfolgsraten wirklich durch geblockte Schüsse zu erklären?

Das ist eine ziemlich schwer zu beantwortende Frage, denn wir haben keine Möglichkeit zu wissen, wohin die geblockten Schüsse gegangen wären. Allerdings wurde mir so manche potenziell unmögliche mentale Gymnastik erspart, denn selbst wenn jeder geblockte Schuss auf den zweiten Pfosten gegangen wäre (und keiner in die Mitte oder auf den ersten Pfosten), so wäre die Erfolgsrate aller Schüsse auf den zweiten Pfosten nach wie vor größer. Und das ist ziemlich besonders.

Obwohl das eine gute Nachricht ist, habe ich als Mann der Nummern einen inneren Wunsch diese Effektive zu quantifizieren und werde versuchen eine fundierte Vermutung nach dem Ort, wohin die geblockten Schüsse gegangen wären, zu machen.

Darum werden wir zuerst die nicht geblockten Schüsse aufteilen.

Aufteilung aller Schüsse nach Zonen

Wie bereits erwähnt würde ich annehmen, dass Schüsse auf den kurzen Pfosten seltener geblockt werden als Schüsse auf den zweiten Pfosten. Aber ich würde ebenfalls davon ausgehen, dass Schüsse in die zentrale Zone ähnlich oft geblockt werden wie die Schüsse auf den langen Pfosten. Setzen wir dies voraus, dann können wir hypothetisch annehmen, dass die Schüsse auf den zweiten Pfosten und in die Mitte doppelt so oft geblockt werden wie die Schüsse auf den ersten Pfosten. Das ist zwar nur geraten, aber es erscheint vernünftig und ich muss eine Nummer wählen.

Diese Gewichtung der geblockten Schüsse mit dem Volumen der nicht geblockten Schüsse resultiert in einer hypothetischen Verteilung geblockter Schüsse wie folgt:

  • Zweiter Pfosten: 53%
  • Zentrale Zone: 21%
  • Erster Pfosten:  26%
  • Gesamt: 100%

Darum werde ich die geblockten Schüsse in meinem Datensatz in den oben angeführten Verhältnissen aufteilen. Hierbei möchte ich anführen, dass der einzige Zweck der zuvor geschriebenen Paragraphen war, die Nummer der geblockten Schüsse für die jeweiligen Zonen schätzen zu können. Ohne diese könnte die Analyse nämlich nicht ordentlich beendet werden können.

Natürlich können diese Annahmen angezweifelt werden, aber ich denke nicht, dass ich zu weit weg bin mit meinen benutzten Schätzungen. Und noch wichtiger: Die Zweifel sind sicherlich nicht ausreichend, um die Kernaspekte meiner Erkenntnisse in der Analyse beanstanden zu können.

Verwertungsrate aller Schüsse

Ausgerüstet mit einer Einschätzung der geblockten Schüsse für alle Torzonen können wir nun zu einer Einschätzung gelangen, die sämtliche zu Toren führenden Schüsse von der Seite beinhaltet und unterscheidet, ob der Ball am ersten oder zweiten Pfosten oder im Zentrum im Tor gelandet wäre. 6,8% der Schüsse auf den zweiten Pfosten waren dabei letztlich erfolgreich; bei den Schüssen auf den ersten Pfosten waren es nur 4,4%. In rohen Zahlen wirken die beiden Verwertungsraten sehr gering, aber wir dürfen nicht vergessen, dass über Schüsse aus weniger attraktiven Zonen sprechen, also außerhalb des Mittelstreifens der ersten Grafik.

Fazit

Was ich in diesem Artikel dargelegt habe, wirkt ziemlich fundamental. Wenn aus weniger attraktiveren Positionen geschossen wird, dann hat der Spieler im Schnitt eine 1,5mal so hohe Verwertungsrate bei Schüssen auf den ballfernen als auf den ballnahen Pfosten.

Dieser Fakt an sich ist nicht so besonders, aber wenn man auch noch bedenkt, dass beim Schuss auf den zweiten Pfosten der Ball gehalten wird und die Mannschaft noch einen Abstauber erhält, ist der Vorteil noch größer als der 1,5-Multiplikator von oben.

Warum?

Die Frage, die ich nicht ordentlich beantworten konnte, ist, wieso dieses Phänomen in professionellem Fußball existiert, wo die Vereine Zugriff zu besseren Daten und größere Hirne als meines haben? Ich glaube nicht, dass es an der Varianz liegt, denn mein Datensatz hat eine riesige Anzahl an Schüssen. Er beinhaltet jeden Schuss in den Top-5-Ligen während der 2012/13-Saison; insgesamt also fast 50‘000 Schüsse.

Nach der Arbeit an meinem Artikel kann ich nur zu der Lösung kommen, es liegt an der Positionierung des Torhüters. Ich habe die meisten Sachen berücksichtigt, wie zum Beispiel die Schwierigkeit das Tor zu treffen oder die Anzahl der geblockten Schüsse. Kann es sein, dass die Torhüter wirklich so bewusst sind bezüglich ihres Stolzes am nahen Pfosten sind, dass sie es überkompensieren? Ich bin zurzeit nicht im Stande kohärente, weitere Gründe anzubringen.

Um Reaktionen zu diesem Artikel zu erhalten sendete ich eine Vorlage zu David Sally und Chris Anderson, den Co-Autoren von „The Numbers Game“. David schrieb davon, dass die höhere Erfolgsrate bei Schüssen auf den ballfernen Pfosten einen weiteren Aspekt der Art, wie Torhüter spielen, indizieren könnte. Wenn sie langsam beim Herauskommen von der Linie sind, dann würden sie aus einfachen geometrischen Gründen öfter Schüssen auf den langen Pfosten als auf den kurzen Pfosten ausgesetzt sein.

Wie in meinem Vorwort zu diesem Beitrag erwähnt kann man eine Facette des Spiels untersuchen, indem man nur ein headline measurement nimmt, wie zum Beispiel die Verwertungsrate für alle Schüsse in diesem Fall. Wir können aber noch eine Stufe weitergehen und die Daten auf die Spielfeldseiten aufteilen, aber selbst das könnte nicht ausreichen. Chris Anderson meinte, ich sollte wahrscheinlich die Daten noch auf die Schussdistanzen aufteilen. Das würde aber noch ein tieferes Level der Betrachtung der Daten bedeuten. Vielleicht könnte ich die Daten in einem künftigen Artikel ncoh weiter unterteilen und so die Auswirkung der Schussdistanz auf dieses Phänomen untersuchen. Aber meiner Meinung nach beschränkt die mangelnde weitere Unterteilung der Daten nicht die Wichtigkeit der hier gefundenen Erkenntnisse.

Nebenbei demonstriert dies auch deutlich, wieso die Basisstatistiken zu Spielen so viel bezüglich Details fehlt, um den Fans ein wirkliches Verständnis davon zu geben, was in einem Spiel passiert. Obwohl ich Daten in einem Format genutzt habe, dass ich nie gesehen habe (Erfolgsquoten der Schussplatzierung) kann ich eine Stufe weitergehen und finde mich wiederum in einer Position wieder, wo ich abermals eine Ebene weitergehen könnte, um unser Verständnis dieses Quirk zu verstehen.

Was auch immer der Grund ist, es gibt keine Flucht vor dem Fakt, dass Schüsse auf den zweiten Pfosten eine signifikant größere Erwartung eines Tores bedeuten als bei Schüssen auf den ersten Pfosten. In einem Spiel mit so geringen Unterschieden, wo die Teams versuchen jeden möglichen Vorteil zu haben, wollen wir sehen, ob Spieler und Vereine davon lernen werden und wir bald eine höhere Anzahl von Schüssen in Richtung des zweiten Pfostens sehen gehen oder ob die Torhüter ihrem kurzen Pfosten etwas weniger Aufmerksamkeit schenken werden.


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